Preis der Republik

Schluss mit der Preisinflation!

Seit genau einem Jahr zeichnen wir nun Miserables, Mittelmässiges und manchmal Hervorragendes aus. Doch statt zu feiern, geht die Jury hart mit sich ins Gericht – einschneidende Massnahmen inklusive.

Von der Republik-Jury, 05.09.2019

Schluss mit der Preisinflation!
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Verehrte Verlegerinnen und Verleger

Geschätztes Publikum

Und sollten wir ergänzen: «Sehr geehrte Preisträgerin»? Sie merken, wir zögern an entscheidender Stelle. Das hat einen Grund.

Verehrte Damen und Herren, von dem österreichischen Heimatdichter Thomas Bernhard ist ein Buch mit dem Titel «Meine Preise» überliefert. Jedes Kapitel gilt einem anderen Preis, den der Autor erhalten hat, und nur weil er es bereits in seinen 40ern schrieb, sind es nicht noch mehr als stolze neun Kapitel geworden. Am Ende des Buches, wenn alle Preise durch sind, tritt Thomas Bernhard aus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung aus.

Das Buch im Ganzen ist offenkundig eine Parabel, und auf ihre Moral kann man sich leicht einen Reim machen: Preise im Überfluss – erzeugen Überdruss.

Weil aber die Menschen bei Thomas Bernhards kritischen Anmerkungen zur Gegenwart noch nie auf die Idee gekommen sind, dass sie selbst gemeint sein könnten (und weil der Autor, zugegebenermassen, reichlich spät, also eigentlich erst posthum mit dem Buch rausrücken wollte), hat sich an diese einfache Lehre mal wieder keiner gehalten. Das Ergebnis, um mal nur auf Bernhards ureigenem Terrain zu bleiben: mehrere hundert Literaturpreise jährlich. Allein im deutsch­sprachigen Raum! Im Schnitt also prasselt der Preisregen jeden Tag auf mindestens einen Schriftsteller­kopf, und es wäre kein Notizbuch­besitzer mehr vor einer Auszeichnung sicher, würde nicht zugleich das eherne Prinzip gelten, dass der Teufel immer auf den grössten Haufen …

Verehrte Damen und Herren, es ist dies die 52. Verleihung des Preises der Republik, und wenn Sie nun mit Recht und in ehrenwerter Unschuld vermuten, es würde heute das 52. Haupt mit Lorbeer bekränzt, dann führt das schon mitten hinein in Teufels Haufen.

Sicher, wir haben einzelne herausragende Staatsdiener für ihren Einfallsreichtum, ihre weltanschauliche Flexibilität, für klimapolitische 180-Grad-Drehungen oder ihre Redekunst geehrt. Wir haben einer jungen, mutigen Russin ebenso entschlossen den Preis verliehen wie einem waschechten Bayern und einer eidgenössischen Hohepriesterin des Boulevards.

Ja, wir haben uns nicht einmal des menschlichen Speziesismus schuldig gemacht, sondern auch den Wels in der Brandung und den obligatorischen Böögg prämiert.

Individuelle Preise für individuelle Leistungen!

Aber geben wir es endlich zu: Allzu oft haben wir auch verschwenderisch mit der Auszeichnung um uns geworfen, sind mitschuldig geworden an der grassierenden Preis­inflation. Sagen wirs, wie es ist: Wir haben gesündigt wider Bernhard und unsere eigene Präambel.

Wie jedes Sodom und Gomorrha hat auch unseres ganz harmlos angefangen. Ein paar wach werdende Erinnerungen an die Kindheit – schon prämierten wir, gegen die Logik, drei Preisträger auf einmal. Und weil nicht mal mehr im Fussball elf Freunde reichen, haben wir nur wenig später mit einem einzigen Spielzug 24 Medaillen verteilt.

Es blieb nicht bei diesen Ausrutschern.

In einem Handstreich, ja in einer regelrechten Eselei, haben wir eine ganze Handvoll britische Aktivisten ausgezeichnet; und bereits davor einmal eine gesamte Bücher-Jury gepriesen – die ja nix anderes macht, als auch wieder nur neue Preise in die Welt zu setzen!

Gut, als wir auf einen Schlag drei Greta-Kritikerinnen krönten, da war das bei der Fülle an geäussertem Irrsinn eine regelrecht asketische Beschränkung. Aber was nützt das, wenn man bei der nächsten Hitzewelle gleich 2300 Sachsen zu Sonnenkönigen macht?

Und obwohl man uns nicht vorwerfen kann, wir hätten für die dämonische «Schönheit der Zahlen» keinen Sensus, haben wir zugelassen, dass an einem einzigen schwarzen Donnerstag 13’015 Republik-Preise in die Welt geschleudert wurden.

Wie arglos und idealistisch, ja man kann es nicht anders sagen: wie naiv nimmt sich dagegen unsere Satzung aus. Wenn wir uns – ausnahmsweise – einmal selbst zitieren dürfen:

Verliehen wird der Preis wöchentlich. Über seine Vergabe entscheidet ebenso kompetent wie willkürlich die Jury der Republik. Ziel ist nicht zuletzt, dass die Schweiz mit Republik­preisträgerinnen und Republik­preisträgern übersät ist. Nach zehn Jahren werden es 520, nach hundert Jahren 5200 sein.

«Nach hundert Jahren werden es 5200 Preis­trägerinnen und Preisträger sein» – ist das nicht niedlich?

15’511 Preis­trägerinnen und Preisträger hat unsere kürzlich eingesetzte Preisüberwachungs­kommission offiziell gezählt! Fünfzehntausend­fünfhundertelf! Dabei dürfte die Dunkel­ziffer noch wesentlich höher liegen, schliesslich wurden in der Vergangenheit auch Preise an Gruppen unbekannter Grösse vergeben.

Nach nur einem Jahr «Preis der Republik» wäre die geplante Auszeichnungs­arbeit der kommenden 300 Jahre also bereits erledigt. Mit anderen Worten: Wir haben ein bisschen über-übersät.

Liebe Verlegerinnen und Verleger, das muss endlich ein Ende haben!

Denn dieser Preis soll nicht weniger sein als eine helvetische Institution. Und wie wir alle wissen: Nichts schätzt Helvetia so sehr wie Mass und Mitte. (Nur boshafte Zeit­genossen basteln aus beidem ein Kompositum.)

Deshalb, verehrtes Publikum, sahen wir uns zu zweierlei Beschlüssen veranlasst.

Erstens: Der «Preis der Republik» wird künftig nur noch einmal im Monat feierlich überreicht. Zwölf herausragende Leistungen pro Jahr gilt es auszuzeichnen – nicht weniger, aber um Himmels Willen auch nicht mehr. Schluss mit der Inflation!

Zweitens: Wir beginnen mit der Umsetzung bereits am heutigen Tag, versehen die September-Auszeichnung aber zugleich mit einem Symbol unserer Reue und einem Beweis unseres neuen, geradezu calvinistischen Werte­bewusstseins: Der «Preis der Republik» im September 2019 geht nicht an die 15’512. Person, sondern – wir sagen das leise, ohne Trommelwirbel, fast geflüstert: an die Enthaltsamkeit. Denn wie schon Bernhards Landsmann, der grosse Fritz P. Rinnhofer, wusste: «In der Inflation gewinnen nur die Spekulanten und die Nullen.»

Wir alle versammeln uns im Oktober zur nächsten Preisverleihung. Just in jenem Monat also, in dem die nächsten Nobelpreise verkündet werden. Übrigens auch der für Literatur. Und was hat sich das zuständige Komitee in Stockholm dafür einfallen lassen, nach nur einem Jahr der Askese? Genau: doppelte Anzahl der Preise! Steigerung um 100 Prozent! Wir werden nicht dran schuld gewesen sein.

Illustration: Doug Chayka

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