Preis der Republik

Ein Requiem für Uriella

Sie ist gestorben, wie sie gelebt hat: als mediale Supernova, als heilige Diva des Trashs, als Hohepriesterin des Boulevards. Jetzt ist das Sprachrohr Gottes eingegangen in die ewige Funkstille.

Von der Republik-Jury, 28.02.2019

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Ein Requiem für Uriella
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Sehr geehrte Preisträgerin

Geschätzte Verlegerinnen und Verleger

Meine Damen und Herren

Selten vergibt die Republik postume Preise. Ihnen aber, verehrte Erika Hedwig Bertschinger-Eicke, können wir diese besondere Form der Auszeichnung unmöglich verwehren. Nicht einmal so sehr deshalb, weil wir zweifelsfrei davon überzeugt wären, dass Sie nach Ihrem Ableben wie die Mutter Gottes die leibliche Aufnahme in den Himmel erfahren haben und dass folglich, sub specie aeternitatis, die Unterscheidung zwischen prä- und postmortalen Ehrungen in diesem Fall ohnehin nicht erheblich ist. Nein, schon eher deshalb, weil Sie, Erika Hedwig Bertschinger-Eicke, Generationen von Fernseh­zuschauern unter dem nom de guerre Uriella ein Begriff gewesen sind, die begnadete Repräsentantin einer enthemmten, frivolen und unbeschwerten Zeit. Ihnen gebührt der Preis der Republik, denn Sie waren die grösste, die unvergängliche Ikone des Schweizer Trash-TVs. Wir zögern nicht zu sagen: Sie waren seine Apotheose.

Keine öffentliche Figur war schriller, absurder, alberner als Ihre Nummer des Gottes­mediums. Niemand war dreister und unerschütterlicher als Ihre Kunst­figur mit Baby-Jane-Styling. Die grosse Szene, als Sie die scherzhaften Beleidigungen von Fredi Hinz alias Viktor Giacobbo mit souveräner Selbst­ironie an sich abprallen liessen? Die viel gezeigten Badewannen-Performances, bei denen Sie mit einem Löffel im Wasser rührten, um dadurch Leitungswasser in wundertätiges «Athrum­wasser» zu verwandeln? Der grosse Volltrance-Act, bei dem Sie in der Stimme der Mutter­gottes zu sprechen pflegten, so wie Trudi Gerster jeweils beim Vortragen des «Rotkäppchens» die Gross­mutter las? Das war Eso-Porno vom Feinsten, die infantilstmögliche Mischung aus Elementen der katholischen Glaubens­lehre und grünen Männchen.

Sie waren, verehrte Uriella, der John Waters der religiösen Spinnerinnen. Sie standen für Hoffnung und Apokalypse, für hitzige Erregung und wohliges Fremd­schämen. Und auch wenn das alles eine gar nicht lustige Seite hatte, auch wenn Ihr Orden Fiat Lux zweifelsohne eine Sekte ist – unterhaltend war es allemal.

Das Durchdringen spiritueller Mysterien ist nicht unbedingt seine augenfälligste Kern­kompetenz, aber keiner hat das Geheimnis von Uriella konziser auf den Begriff gebracht als Roger Schawinski. «Die musste ich einfach ins Fernsehen bringen», sagte er in seiner Analyse von Uriellas Berufung. Die musste einfach ins Fernsehen: ein Gottesurteil.

Heute leben wir in der schlimmen Zeit des verlogenen Fakes, und die Erinnerung an die hohe Zeit des ehrlichen Trashs wärmt uns das Herz, lässt uns nostalgisch werden. Wir hatten Uriella, geblieben ist Mike Shiva. Wir hatten das Schneewittchen mit den Welt­untergangs­prophetien, geblieben ist der Promi-Big-Brother mit der Hotline. Sicher, auch heute noch gibt es frontales Peinlichkeits-TV wie zum Beispiel den «Bachelor». Aber was bitte schön sind biedere Wer-hat-Sex-mit-wem-Formate gegen Jesus-Volltrance in «Talk Täglich»?

Ja, die Neunzigerjahre waren eine gesegnete Zeit: als man dachte, Globalisierung sei eine einzige grosse Party, als man glaubte, der demokratische Rechts­staat sei ein Selbst­läufer, als die neue Kultur des Privat­fernsehens euphorisch und voller Taten­drang immer wildere Territorien der Vulgarität erschloss. Als man mit den Medien noch richtig fette Kohle machte. Und ganz besonders mit Hardcore-Scheiss.

Eine etwas reduktive Version der Schweizer Historie der Neunziger lässt sich auf zwei Erfolgs­geschichten bringen: Uriella wurde zum Medien­phänomen und baute ihren Fiat-Lux-Orden aus. Blocher wurde zum Medien­phänomen und baute seine Zürcher SVP aus zur wichtigsten politischen Kraft. An beiden Entwicklungen hatte das neue Schweizer Privat­fernsehen einen entscheidenden Anteil. Und das öffentlich-rechtliche liess sich nicht lange bitten.

Natürlich, wir hören Sie einwenden, verehrtes Publikum: Dem Trash-TV geht es besser denn je, es kontrolliert sogar das Weisse Haus. Und wir hören Ihren berechtigten Protest, dass auch näher, ja, so nahe bei uns zum Beispiel Roger Köppel aus Blocherismus und Volltrance durchaus Uriella-würdige Synthesen schafft. Wir wollen nicht bestreiten, dass auch unsere Epoche mit Stolz auf ihre Trash-Ingenien blicken darf. Aber wir fragen zurück: Wo unter den neuen Propheten des Hasses bleiben heute denn Unschuld und Freude? Wo nur bleibt die Leichtigkeit?

Und so erheben wir den Kelch mit Athrum­wasser auf das Wohl der verblichenen Diva. Möge eine der fliegenden Unter­tassen, über die sie so gerne fabulierte, sie abgeholt und an einen freundlicheren Ort gebracht haben. Es gibt dort sicher einen blüten­weissen Palast und einen Ozean aus Plastik­blumen. Uns selber bleibt nur das stille Gedenken. In der Nacht der heutigen Medien­landschaft ist Uriellas Ableben ein leuchtendes Zeichen. Dafür gebührt ihr unser Dank – und der Preis der Republik.

Illustration: Doug Chayka

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