Fix de Planet
Petra Gössi zwingt dem Freisinn eine Klimadebatte auf – und löst damit einen epischen Richtungsstreit in ihrer Partei aus. Sie lebe hoch!
Von der Republik-Jury, 09.05.2019
Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 27’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!
Sehr geehrte Preisträgerin
Sehr geehrte Verlegerinnen und Verleger
Sehr geehrte Damen und Herren
Grundsatzdebatten lostreten, die Basis mobilisieren, Rivalen ausbremsen, die Presse instrumentalisieren – eine Kulturrevolution entfachen.
Das sind die Techniken, deren sich nur die grössten aller politischen Führer zu bedienen wissen: Mao (Zedong), Boris (Johnson) oder natürlich Xi (Jinping), aktueller Chef der mächtigsten und erfolgreichsten kommunistischen Partei, die je auf diesem Planeten existiert hat.
Aber nicht nur rote Diktatoren und postfaktische Populisten spielen mit in der allerersten Liga der Machtstrategen: Auch Sie, Petra Gössi, haben über die letzten Wochen gezeigt, dass Sie diesen Persönlichkeiten in nichts nachstehen. Mit Ihren Interventionen in der Klimapolitik haben Sie die FDP in existenziellen Aufruhr versetzt, eine Kulturrevolution eingeleitet und ein Meisterstück an Medien-Machiavellismus vorgeführt. Wir sind beeindruckt, verneigen uns – und verleihen Ihnen den hochverdienten Preis der Republik.
Eine per Zeitungsinterview angekündigte Klimaumfrage, die gezielte Vorwegnahme der Resultate mittels geleakter Ergebnisse (in einer anderen Zeitung), der geheuchelte Ärger über diese Leaks in einer Drittpublikation: So muss heute vorgehen, wer die reaktionären Elemente in seiner Partei exponieren, unter Druck setzen und auf Linie bringen will.
Nach nur zwei Amtsjahren steht fest: Sie sind die cleverste FDP-Präsidentin der jüngeren Schweizer Geschichte, ja sogar die erfolgreichste FDP-Präsidentin auf dem Planeten. Fulvio Pelli, Philipp Müller oder auch Christian Lindner könnten dem jedenfalls nur schwer widersprechen.
Wenn wir schon beim Planeten sind: «FDP – Fuck de Planet» stand auf den Schildern, die besorgte Schülerinnen an ihren Klimastreiks diesen Frühling in die Höhe streckten. Das subtile Signal haben Sie, geehrte Preisträgerin, souverän zu dechiffrieren gewusst. Sofort wurde Ihnen klar: Hier wacht eine Generation von neuen Wählern auf, wird laut und richtig unangenehm, klagt an und wird die Klimaleugner, noch bevor die Alpen gletscherfrei sind und das Mittelland versteppt ist, ganz einfach in die Wüste schicken.
So haben Sie zum einzigen Rettungsmittel gegriffen, das Ihnen blieb, dem Prinzip «Mach deine Schwächen zu deinen Stärken». Rigoros haben Sie eingegriffen und unmissverständlich klargestellt: Nein, die FDP ist keine umweltfeindliche Partei. Die FDP ist eine klimarettende Kraft. Ihr Kürzel steht ab sofort für «Fix de Planet» (und nicht, wie manche denken, für «Fix das Portemonnaie»).
Dafür gebührt Ihnen unser höchstes Lob. «Klimapolitik muss auch Wirtschaftspolitik sein, sonst landen wir in einer reinen Verbotspolitik»: Mit Statements wie diesem bringen Sie nicht nur die grösste Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert messerscharf auf den Punkt, sondern beweisen auch Mut.
Denn es ist nicht ohne Risiko, die (nach der CVP) zweitstaatstragendste Schweizer Partei in einem Wahljahr einer klimapolitischen Zerreissprobe auszusetzen. Leicht könnte da der Eindruck von Konfusion entstehen: Wählerinnen könnten versucht sein, statt der Kopie doch lieber eine grünliberale Partei zu wählen. Oder sich vergrault abwenden zur SVP, die gerade eben ihre Reinkarnation als Partei der Klimaleugner vollzogen hat.
Gerade wegen dieser Kühnheit seien Sie an dieser Stelle geehrt, liebe Frau Gössi. Besser als jedem Journalisten und besser als allen Umweltorganisationen, die es in den letzten Jahren mit zahllosen Berichten und Rankings versucht haben, ist es Ihnen gelungen, das wahre Gesicht der beim Klima tonangebenden FDP-Fraktionsmitglieder im Nationalrat zu entlarven. Jener Politiker also, die teilweise sogar jünger sind als Sie mit Ihren 43 Jahren, die aber, was die Umwelt anbelangt, mit einem Mindset aus der Kreidezeit ausgestattet zu sein scheinen. Wenn heute betreffend diese Klimadinosaurier sogar der «Bote der Urschweiz» von einem «Wasserfallen-Problem» schreibt, dann ist die Demokratie definitiv einen Schritt weiter.
Und hoffentlich auch das Land.
Ähnlich wie jener Meteoriteneinschlag, der vor 65 Millionen Jahren das Schicksal der Dinos besiegelte, dürfte Ihre Klima-Basisumfrage nun auch die Hinterlassenschaft des Anti-Klima-Freisinns ein für allemal vom Erdboden tilgen.
Das jedenfalls hoffen wir inbrünstig, denn die Ergebnisse dieser Umfrage sind überwältigend:
78 Prozent der Mitglieder wollen generell mehr Klima- und Umweltschutz.
77 Prozent sind für eine Halbierung des CO2-Ausstosses bis 2030.
73 Prozent wollen eine Flugticketsteuer.
69 Prozent wollen strengere Emissionsgrenzwerte.
68 Prozent wollen den CO2-freien Verkehr auf der Strasse fördern.
60 Prozent sind für Inlandziele bei den Emissionsreduktionen.
58 Prozent wollen eine neue CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffen.
53 Prozent wollen Mobility-Pricing.
Damit ist nicht nur klar, welche Knöpfe Ihre Leute in Bern bei den nächsten Abstimmungen zu drücken haben. Sondern wir verfügen nun endlich auch über eine Definition dessen, was «liberale Klimapolitik» überhaupt bedeuten soll.
Bisher schien es sich dabei ja bloss um ein mysteriöses Wischiwaschi-Konzept zu handeln, das niemand im Land je ernst genommen hätte, geschweige denn mit konkretem Inhalt zu füllen wusste. Dank Ihren Klarstellungen dürfte jetzt aber auch den wirtschaftsnächsten Geistern deutlich geworden sein, wo am freisinnigen Firmament der klimapolitische Leitstern steht:
Wenn Selbstverantwortung allein nicht mehr weiterführt, dann müssen wir auf Lenkung und die Herstellung von Kostenwahrheit setzen. Gerade wenn die Folgen des eigenen Handelns nicht unmittelbar ersichtlich sind, braucht es griffigere Instrumente. Wenn wir um einzelne Verbote nicht herumkommen sollten, muss es darum gehen, neue Lösungen aufzuzeigen.
Genau, Frau Gössi: Jetzt muss Farbe bekennen und Flugticketsteuern zustimmen, wer nicht bald von den Grüngardisten an Ihrer Basis heimgesucht werden will. Die Menschen in unserem Land wollen ja schliesslich vorwärtsmachen, haben die Nase voll von Politmarketing und Schaumschlägerei.
Und deshalb sagen wir: #DankeGössi! Dafür, dass Sie Ihrer Partei eine Dosis Anarchie verabreichen und dem Klima damit einen Gefallen tun.
Und wünschen Ihnen zugleich viel Kraft. Denn es besteht kein Zweifel: Ihr revolutionärer Marsch durch die FDP wird ein langer sein.
Illustration: Doug Chayka