Preis der Republik

Gegen die Logik

Gleich drei Sympathieträger werden heute geehrt. Und dabei geraten wir tief ins Reich der Kinderbücher – und der Warenhäuser.

25.10.2018

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Gegen die Logik
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Liebe Preisträger, liebe Preisträgerin

Geschätzte Verlegerinnen und Verleger

Meine sehr verehrten Damen und Herren

Dieser Preis kommt für unsere drei Preisträger völlig überraschend – aber ist dennoch für keinen von ihnen der mindeste Grund zur Verblüffung. Denn in ihrer Welt ist alles möglich: Man könnte sagen, dass die Gesetze der Schwerkraft, ach was, der Logik für sie aufgehoben sind.

Sodass so etwas Paradoxes wie ein Preis für Preislosigkeit nichts Ungewöhnliches für sie darstellt.

Denn ihre Welt ist bunt.

Oder flauschig. Oder rosa. Oder wie auch immer geartet. Es ist das Reich der Kinderbücher. Dort, wo die Fantasie der Kleinen fliegt. Während der Verstand der Eltern im Keller gefoltert wird.

Wie das zusammen geht, zeigt die Geschichte unseres ersten Republikpreisträgers – des äusserst populären Elefanten Elmar. Ihm ist – gezeichnet und koloriert von David McKee – eine ganze Buchreihe gewidmet.

Hier nur eins seiner zahlreichen, ab vier Jahren empfohlenen Abenteuer:

Elmar ist anders als alle anderen Elefanten. Er ist bunt kariert. Eines Tages verliert der Regenbogen seine Farben. Alle Tiere sind traurig. Doch Elmar rettet den Regenbogen. Er tritt unter den Wasserfall – und plötzlich hat der Bogen alle Farben wieder! Und die Tiere sind wieder fröhlich!

Ebenso heiter stimmt der Kinderbuchklassiker «Frederick». (Verfasst von Leo Lionni.) Das Buch handelt von drei Mäusen: Im Frühling sammeln zwei der drei Mäuse Weizen, Frederick sammelt Sonnenstrahlen. Im Sommer sammeln die zwei Mäuse Maiskolben, Frederick sammelt Farben. Im Herbst sammeln die beiden Mäuse Nüsse, Frederick sammelt Worte. Im Winter geht ihnen der Vorrat aus. Sie drohen zu verhungern. Aber dann erzählt Frederick von der Sonne und den Farben und rezitiert ein Gedicht. Und – flupp! – ist der Winter vorbei und das Buch auch.

Der Trick dabei ist immer der gleiche: In Kinderbüchern trauen sich die Autoren unter dem Vorwand der Fantasie, alle möglichen Joker zu ziehen. Logik, Physik, Dramaturgie zählen nichts, solange die Bilder und Botschaften bunt sind. Weder Elmar noch Frederick zahlen auch nur eine Sekunde einen Preis – nicht einmal für Bummelei oder Aussenseitertum. (Für die dann im Schulzimmer und auf dem Pausenplatz der Preis gezahlt wird.) Und so herrscht auf jeder Seite Gratisfreude wie auf einem Drogentrip.

Zugegeben, die Kinder lieben das. Und man kann es ihnen nicht verargen. Denn diese Sorte Kinderbücher ist eine gute Vorbereitung auf das Leben: etwa wenn Ihre Kinder später Heiledelsteine oder Investmentfonds verkaufen und Engel, Ausserirdische oder das Weltjudentum als weltbestimmende Joker setzen.

Denn letztlich sind auch die Erwachsenen von Ähnlichem entzückt: nur dass ihnen der linksgrüne oder rechtsnationale Onkel Wahlreden hält. Und dabei über alles spricht ausser über den Preis. Nicht den Preis, den geschlossene Grenzen für jede Art von Handel haben. Nicht den Preis, den der Bruch internationaler Verträge für die Rechtssicherheit hat.

Die klare Sprache tarnt in der Politik wie zuvor im Kinderbuch die Märchenmelodie: das Lied vom Föifer und vom Weggli. Populistische Politiker sind wie gealterte Kinder. Sie verbinden die Wunschwelt der Feen mit der Grausamkeit des Pausenplatzes.

Unser dritter Preisträger, das Kaufhaus Manor, hat dieses Denken in eine fast perfekte Form gegossen. Sie ist der Gipfelpunkt der Evolution der Gratiswunscherfüllung. Die erste Stufe der Niedlichkeit begann mit Ponys. Dann folgten rosa Ponys. Dann rosa Einhornponys. Dann dieselben mit Flügeln: Pegasus-Einhorn-Ponys.

An diesem Punkt dachte man, es ginge nicht mehr weiter. Dass die Gesetze der Ästhetik und der Wahrscheinlichkeit nicht weiter gebrochen werden könnten.

Doch Manor gelang in seinem letzten Weihnachtskatalog die für unmöglich gehaltene Steigerung. Es ist der Sprung in eine völlig neue Dimension der Niedlichkeitsoptimierung:

Pinkie Pie, das schwimmende Seepony, das im Wasser leuchtet. Das ist vielleicht das schönste Bild für die Vision des preislosen Denkens, wo sich in den Herzen der Kinder, später der Wählerinnen, die radikale Niedlichkeit der Kinderindustrie eines Tages zur Niedlichkeit der Radikalität in der Politindustrie entwickelt.

Und deshalb habt ihr, lieber Elmar, lieber Frederick, lieber Manor-Konzern, den Republik-Preis für Preislosigkeit verdient – so wie ihr aufgrund eurer Geburt alles verdient habt, ohne Logik, ohne Gesetz, ohne dass ihr irgendetwas dafür tun müsstet.

Mit besten Wünschen

Die Jury

Illustration: Doug Chayka

Der Preis der Republik

Er wird jede Woche am Donnerstag verliehen. Für jede Sorte von Leistung. Die miserable. Die mittelmässige. Und natürlich auch die hervorragende. Niemand soll von seinem Erhalt ausgeschlossen werden, niemand verschont bleiben. Über seine Vergabe entscheidet ebenso kompetent wie willkürlich eine anonyme Jury.

Rund 27’000 Menschen machen die Republik heute schon möglich. Lernen Sie uns jetzt auch kennen – 21 Tage lang, kostenlos und unverbindlich: