Preis der Republik

Auf den Schwingen des Doppeladlers

Wenn Menschen verschiedener Herkunft gemeinsam für eine Sache kämpfen, hat das Applaus verdient. Solange sie nicht verlieren.

22.11.2018

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Auf den Schwingen des Doppeladlers
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Sehr geehrte Preisträgerin respektive sehr geehrte Preisträger

Sehr geehrte Damen und Herren

Sehr geehrte Verlegerinnen und Verleger

Bitte entschuldigen Sie das Gedränge hier im Saal. Wir mussten extra das Siegerpodest verbreitern lassen. Es ist das erste Mal, dass wir 24 von Ihnen auszeichnen. Aber eine Fussballmannschaft, noch dazu eine Nationalmannschaft, die hat einen gewissen Platzbedarf.

Ja, wir zeichnen Sie aus. Wir tun es aus tief empfundener Überzeugung.

Und aus Dankbarkeit.

Wir geben es gerne zu: Auch wir, die Jury, finden Sie nicht immer preiswürdig. Keine viereinhalb Monate ist es her, da trieben Sie jubelnd einen Keil in die Nation. Und dann, als es um Sein oder Nichtsein ging, verweigerten Sie die Arbeit. An Ihrem ersten K.-o.-Spiel an der Weltmeisterschaft in Russland liefen Sie auf, als hätte Ihnen der Wodka die Sinne getrübt.

Als hätten Sie sich kollektiv an einer Packung Knäckebrot verschluckt, aber das hier ist eine Laudatio, und wir wollen weder Ihnen noch uns allen weiter Salz in die Wunden streuen. Und schon gar nicht wollen wir von den öffentlichen Zerwürfnissen nach dem Schweden-Spiel reden.

Vielleicht wurmt es Sie ja wie uns, wenn sich ein Trainer nach jahrelanger Beziehung und beidseits empfundener Liebe von einem verdienten Spieler trennt –so mir nichts, dir nichts, in einem halbminütigen Telefongespräch. Als hätte man sich gerade mal eine Nacht mit ihm vergnügt. Oder wenn derselbe Trainer für Wochen auf Tauchstation geht, statt sich und Ihre Leistungsschwankungen öffentlich zu erklären.

Und Ihr Generalsekretär zog es vor, sich politisch zu profilieren. Indem er Gräben neu aufgerissen hat, die zuvor mühsam zugeschüttet worden sind. Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren, diese dumme Idee: In Zukunft sollten nur noch Spieler für die Schweiz aufs Feld, die freiwillig auf ihre Doppelbürgerschaft verzichten. Dabei sollte die Nati doch bei ihren Fans punkten. Und nicht bei Populisten.

Zwei Drittel von Ihnen stünden dann vor einer Wahl. Sie, Granit Xhaka. Sie, Xherdan Shaqiri. Sie, Blerim Džemaili. Sie, Josip Drmić: Vier Ihrer fünf Torschützen an der WM in Russland haben Eltern, die nicht in der Schweiz geboren sind. Nur der fünfte Torschütze Steven Zuber ist das, was sich Verbohrte, Rassisten und Ewiggestrige wünschen: ein Bioschweizer. Zu denen übrigens, den Verbohrten, hat diesen Sommer nicht mal die «Weltwoche» gehört. Selbst sie schrieb: «Die Diskussion um die Identifikation der Nati-Fussballer ist lächerlich. Shaqiri und Xhaka haben mehr für die Schweiz geleistet als die meisten ihrer Kritiker.»

Ja, wir geben zu: Wenn wir von der Fussballnati geredet haben, dann haben wir dieses Jahr häufig mehr von Nati als von Fussball gesprochen. Vielleicht hat Ihnen, liebe Mannschaft, das Geschwätz sogar genützt. So hat man Sie wenigstens auf dem Rasen eine Weile in Ruhe gelassen. Im September haben Sie Island gleich mit 6:0 geschlagen. Ein Hoch! Dann ein Tief: Ein anderer Zwergstaat, Katar, hat Sie vor acht Tagen geschlagen. Hatten Sie vergessen, wo sich das gegnerische Tor befindet?

Dann, vier Tage später, am Sonntagabend, kam die Wende – zumindest nach kurzer Spieldauer. Heimspiel gegen Belgien, den hohen Favoriten und Weltranglistenersten. In den ersten 17 Minuten schossen die Belgier zwei Tore. Da sah sich die halbe Nation bereits gezwungen, auf SRF 1 und den «Tatort» umzuschalten.

Doch in den folgenden knapp 80 Minuten haben Sie gezeigt, dass Sie sich ans Ziel im Fussball erinnern können: Tore schiessen. Plötzlich hat Ihr Regisseur Shaqiri gezaubert, Ihr Stürmer Seferović geköpfelt, Ihr Trainer Petković gestrahlt. Kurzum: Ihre gesamte Mannschaft spielte wie entfesselt. «Das Spektakel von Luzern» titelte der «Tages-Anzeiger». «Jungs, das war teuflisch gut!», feierte Sie der «Blick». Und selbst die «NZZ» zeigte sich von Ihnen begeistert – zumindest für ihre Verhältnisse: «Sich selber übertroffen», schrieb sie.

Sie haben uns verblüfft, meine Herren. Sie haben gezeigt, dass Sie nicht allein, sondern füreinander kämpfen können. Dass Sie Fehler anderer ausbügeln können. Dass ein jeder einen Teil zum Erfolg des anderen beitragen kann.

Plötzlich sind Sie wieder ein leuchtendes Beispiel für gelungene Integration.

Sie sind zwar noch nichts geworden dank Ihres 5:2 gegen Belgien. Kein Weltmeister, kein Europameister. Sondern nur Gruppensieger bei dieser seltsamen «Nations League». Die haben wir irgendwie noch nicht so auf dem Schirm. Geht ja auch nur ums Geld, wie überall beim Fussball.

Aber ... falls Sie diese Nations League gewinnen sollten, dann gehts wieder um Sie. Und um uns. Um Sie und um uns.

In Portugal treffen Sie im kommenden Sommer auf den Gastgeber, die Niederlande und England. Drei Nationalteams, die – wie Sie – aus vielen Spielern mit Migrationshintergrund bestehen. Was ein erster Hinweis darauf sein dürfte, wie schwierig es für Sie werden wird, Ihr hochgestecktes Ziel zu erreichen und die Nations League zu gewinnen. Migrationshintergrund ist im Fussball nämlich fast schon ein Synonym für Erfolg. Nehmen Sie Frankreich, Weltmeister Frankreich: 14 von 23 Spielern im Kader für Russland besitzen afrikanische Wurzeln.

Das ist Fussball. Menschen von irgendwo, die für irgendwen spielen. Irgendwer, der für sie klatscht, singt, johlt und jubelt. Für Sie sind wir dieser Irgendwer.

Seien Sie uns willkommen, verehrte Spieler unserer Fussballnati. Nicht die Papiere in Ihrer Schublade sollen uns interessieren. Sondern das, was Sie auf dem Rasen treiben. Wenn Sie siegen, werden wir jubeln. Wenn Sie Scheisse bauen, werden wir Buh rufen. Und wenn Sie auf den Schwingen des Doppeladlers zu Ihrem nächsten Sieg fliegen, werden wir Ihnen mit aufgerissenen Augen und Mündern hinterherschauen.

Erfolgreich wiederangesiedelt haben wir im Alpenraum schon den Steinadler und den Lämmergeier. Auch der Doppeladler wird sich bei uns über kurz oder lang heimisch fühlen.

Hopp Schwiiz! Und danke, dass Sie unsere Trikots tragen. Sie haben nicht nur den nächsten Pokal verdient. Sondern auch den Preis der Republik, den wir Ihnen hiermit mit Stolz überreichen dürfen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Illustration: Doug Chayka

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