Preis der Republik

Die Mutter aller Reden

Wer hätte gedacht, dass man im Bundeshaus lernen könnte, wie man eine gute Rede hält? Gestern war es so, dank unserem Preisträger.

06.12.2018

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Die Mutter aller Reden
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Sehr geehrter Preisträger

Sehr geehrte Verlegerinnen und Verleger

Meine Damen und Herren

Unser Preisträger hat gestern nicht nur die beste Rede seines Lebens gehalten (was nicht der Rede wert wäre). Sondern die beste, die je im Schweizer Parlament zu hören war.

Und schon fühlen wir uns als Lobredner nicht mehr wohl. Nicht wegen des Superlativs. Den verwenden wir an dieser Stelle, ohne zu zögern. Sondern weil unser Preisträger die erste Aufgabe einer Rede so viel besser löste als wir gerade: den Anfang nämlich. Lassen Sie es uns darum noch einmal probieren.

Sehr geehrter Preisträger

Sehr geehrte Verlegerinnen und Verleger

Meine Damen und Herren

Wie schreibt man eine Symphonie zu Ehren von Beethovens Fünfter Symphonie? Vor diesem unlösbaren Problem stehen wir heute: Wie halten wir eine Rede auf einen Redner, der eine perfekte Rede hielt? Die einzige Lösung, die wir sehen, ist die, unseren Redner zu zitieren. Vor allem den Anfang seiner Rede. Weil man es nicht besser machen kann:

«Wenn Sie mich fragen ...»

So hub Bundesrat Johann Schneider-Ammann gestern an und legte eine kurze Pause ein. Zu Recht! Denn jetzt, wo er abtritt, fragen wir ihn eigentlich nichts mehr. Der Anfang war also ein wenig frech, und damit geglückt.

«... was mein Lieblingsmöbel ist ...»

Ein brillanter, weil völlig überraschender Zug! Die Rede ist noch keine fünf Sekunden lang, und schon erntet Schneider-Ammann die ersten Kicherer. Wieder legt er eine kurze Pause ein, und das ohne jede Gefahr: Der hässliche Gedanke «wahrscheinlich ein Bett» kann sich nach diesen acht ersten Wörtern unmöglich einstellen.

«... käme mir bestimmt kein Rednerpult in den Sinn.»

Gelächter, lang anhaltender Applaus. Auch wir können uns nur verneigen vor diesen Worten und lernen. Ist das eine Pointe? Es ist viel mehr als das. Der Redner erzählt von sich. Und wir alle wissen, dass nicht falsche Bescheidenheit aus ihm spricht. Er spricht von der Situation, in der er jetzt gerade steckt, er sagt, er habe ein Problem, und löst es im selben Atemzug mit Eleganz. Das ist ehrlich, charmant und so sehr im Moment, wie eine Rede nur sein kann. Unmöglich, jetzt nicht zuzuhören.

Nach einem solchen ersten Satz kann nichts mehr schiefgehen, auch wenn Johann Schneider-Ammann kaum aufschaut. Er wirkt aufrichtig, er rührt. Zweimal wagt er es sogar, vom Manuskript abzuweichen; beide Male erntet er Lacher.

Zuerst damit, dass er seiner Familie dankt. Seine Frau sitze auf der Tribüne, sagt er, und seine Kinder müssten arbeiten, damit dr Vater cha Politik mache. Zum zweiten Mal mit dem improvisierten Schluss: «Es waren acht emotionale Jahre – auch wenn man mir das nicht immer angesehen hat.»

Gerne geben wir zu, dass wir in einer dunklen Stunde, wenn unser Gemüt einer Aufheiterung bedarf, nicht zu dieser Rede Johann Schneider-Ammanns greifen, sondern zu seinem so himmeltraurigen wie lustigen Lob des Lachens.

Aber damals hatte er uns unfreiwillig amüsiert. Gestern hat er uns mit einem perfekten Einstieg in eine Rede beglückt. Und das im Nationalratssaal, einem Ort, wo so viele Reden gehalten werden. Und fast nur lausige.

Johann Schneider-Ammann hat mit seinem letzten Auftritt gezeigt, dass das nicht so sein müsste. Ausgerechnet er, der auch im höchsten politischen Amt der Schweiz mehr Unternehmer blieb als Politiker wurde.

Er glaubte an Resultate. Ob er dem Wort misstraute, wissen wir nicht. Dass es ihm nicht lag, schien klar. Doch mit seiner letzten Rede hat Johann Schneider-Ammann bewiesen, dass das gesprochene Wort in der politischen Manege seine Ehre nicht verlieren muss. Da mag er als Politiker noch so viel versäumt haben. Für diesen Auftritt verleihen wir ihm voller Dankbarkeit den Preis der Republik.

Illustration: Doug Chayka

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