Zum Jahresabschluss hagelt es Preise
Eine fünfstellige Zahl von Preisträgerinnen und Preisträgern erfährt heute eine besondere Ehre. Der Grund: ihr Einsatz zugunsten der Allgemeinheit.
27.12.2018
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Sehr geehrte Preisträgerinnen und Preisträger
Geschätzte Verlegerinnen und Verleger
Liebes Publikum
Zum letzten Mal in diesem Jahr vergibt die Jury den Preis der Republik. Und sie verteilt ihn für einmal wie Konfetti. Gleich eine fünfstellige Zahl von Ehrungen vergeben wir diese Woche. Weil Sie, die Geehrten, so viele sind. Deshalb verzichten wir für einmal auf die händische Übergabe und verkünden aus der Ferne. Auch deshalb, weil das Zürcher Hallenstadion leider kurzfristig nicht verfügbar war.
Und es geht ja um Zürich, also den Kanton. Denn hier wohnen alle 13’015 Preisträgerinnen und Preisträger.
Sie, meine Damen und Herren, sind die sogenannten oberen Zehntausend respektive – wenn wir präzis sind – die oberen Dreizehntausendundfünfzehn.
Sie fragen sich, weshalb wir so genau wissen, wie viele Sie sind?
Ganz einfach: Weil Sie in einer Statistik des Regierungsrates auftauchen. Sie alle erwirtschaften mehr als 300’000 Franken steuerbares Einkommen im Jahr. Gratulation! Und daher bezahlen Sie ein Viertel des gesamten Einkommenssteuerertrags des Kantons Zürich aus Ihrer Tasche. Ja, Sie sind wenige, zahlen aber verhältnismässig viel Steuern.
(Bevor Sie jetzt wegen Ungenauigkeiten nörgeln, die Statistik bezieht sich auf die direkte Bundessteuer, aber das alles aufzudröseln, würde den Rahmen einer Preisrede sprengen.)
Wir geben zu, wir kennen Sie nicht alle. Aber wir glauben zu wissen, wie Sie aussehen. Sie sind die Familie aus dem Globus-Weihnachts-TV-Spot. Sie wohnen in aufwendig renovierten alten Villen mit doppelflügeligen Glastüren zwischen den Wohnräumen. Sie nehmen Platz an der üppig gedeckten Tafel, prosten sich mit feinsten Kristallgläsern zu. Der Gatte trägt einen Smoking, die Grossmutter sieht aus, als ob sie noch immer an der Milan Fashion Week für Escada laufen würde. Und die perfekt drapierten Kinder haben «Trust Fund» auf die Stirn tätowiert.
An dieser Stelle intervenieren wir, die Jury, bei uns selber. Bevor Sie, verehrtes Publikum, nämlich die nächste Neiddebatte riechen, sagen wir: Halt! Neid ist das Letzte, was wir ausdrücken wollen. Wissen wir doch allzu gut, dass es uns nicht schlecht geht, nur weil es anderen besser geht.
Vor allem aber gäbe es den Preis der Republik nicht ohne die Republik. Und die Republik gäbe es nicht, wenn nicht einige derer, die mehr als wir haben, an uns glaubten und ein Stück von dem, was sie haben, mit uns teilten.
Nein. Es geht nicht um Neid. Es geht um Dank. Dafür, dass Sie einen namhaften Teil Ihres Einkommens der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Dass Sie jede vierte Polizeiuniform bezahlen, mithilfe deren die Ordnungshüter nicht nur die Villenquartiere vor Einbrechern schützen, sondern auch unsere Behausungen, weiter unten in den Niederungen.
Danke dafür, dass Sie die Bänke in den Schulzimmern und die Lehrerinnen an der Wandtafel zu einem grossen Teil mitfinanzieren. Und das, obwohl Ihre eigenen Kinder vielleicht im Hochalpinen Töchterinstitut büffeln.
Gut, kann man sagen, es ist irgendwie nicht falsch, dass gerade Sie, die Sie bestimmt gerne und oft in die Oper gehen, auch einen höheren Anteil an der Kulturförderung tragen. Das gilt allerdings wirklich nur fürs Opernhaus. Den Rest der Kultur fördert der Rest der Zürcherinnen, indem sie Lotto und Euromillions spielen – das haben Sie ja glücklicherweise nicht nötig.
Ja, so wollte es die Zürcher Politik absurderweise tatsächlich. Nicht mit Steuermitteln soll die Kultur bis ins Jahr 2021 gefördert werden. Sondern aus dem Lotteriefonds. Und damit sind wir auch schon beim eigentlichen Thema dieser Rede angelangt, bei der Politik.
Denn sie, die Politik, sieht in Ihnen, geschätzte obere 13’015, eine gefährdete Spezies. Vor allem Vertreterinnen und Vertreter bürgerlicher Parteien fürchten, Sie könnten sich selbst und uns allen untreu werden. Ja, Sie würden Ihre Koffer packen und in Niedrigsteuerkantone umsiedeln wie etwa Schwyz oder Zug oder … ja eben, Schwyz oder Zug.
Oder Gibraltar.
Oder Panama.
Oder St. Kitts and Nevis. Das liegt irgendwo in der Karibik.
Ja, Sie könnten gehen. Einfach gehen. Und uns alleine auf unserer hervorragenden Infrastruktur sitzen lassen.
Aber Sie, liebe 13’015 Preisträgerinnen und Preisträger, und wir wissen, dass Sie das nicht einfach so tun werden. Dass Sie nicht eines schnöden Frankens wegen Ihre Häuser, Ihre Gärten, Ihr soziales Umfeld verlassen werden. Dass nicht eine nackte Zahl auf einem Zettel bestimmt, wo Sie hingehören.
Sie wissen, dass Dinge nicht nur ihren Preis haben. Sondern auch ihren Wert. Und Zürcherin oder Zürcher zu sein und von all dem zu profitieren, was die nahe Stadt Ihnen bietet, bedeutet Ihnen etwas. Sie fühlen sich wohl am Ufer, an dem sie wohnen. Und sehen keinen Anlass, weiter den See hinauf zu ziehen. Oder an einen anderen See, mit schlechterer Wasserqualität.
Vielleicht sollten Sie den Politikerinnen, die sich so sehr vor Ihrer Flucht fürchten, mal die Händchen halten. Und sagen: «Ist gut, liebe Freisinnige. Alles okay, lieber Volksparteisoldat. Ruhig Blut, liebe CVPlerin. Wir lassen euch nicht einfach wegen ein paar Franken im Stich. Tief durchatmen. Alles wird gut.»
Natürlich zieht es die einen oder anderen auch mal weg. Aber dafür kommt vielleicht jemand Neuer nach Zürich. Die meisten von Ihnen möchten hier bleiben. Weil Sie hierhin gehören. Und wenn Sie tatsächlich Ihren Lebensmittelpunkt an einen Ort verlegen würden, wo nur noch Reiche wohnen, würde Ihnen bestimmt etwas fehlen. Wären Sie nur noch von Ihresgleichen umgeben, dann spürten Sie nicht mehr die schöne Vielfalt dieser Gesellschaft.
Fühlen Sie sich bitte zu Hause. Und zeigen Sie, dass Sie mehr sind als das, was gewisse Politiker in Sie hineinprojizieren. Beweisen Sie, dass Sie dazugehören. Dafür danken wir Ihnen. Und dafür erhalten Sie alle den Preis der Republik.
Die ersten fünf unter Ihnen, die sich mit einer Kopie Ihrer Steuererklärung bei uns melden, erhalten übrigens kostenlos eine Republik-Kaffee- oder Republik-Espressotasse (den entsprechenden Wunsch geben Sie bitte an).
Auf Ihren finanziellen Erfolg. Und das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft!
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Illustration: Doug Chayka
Er wird jede Woche am Donnerstag verliehen. Für jede Sorte von Leistung. Die miserable. Die mittelmässige. Und natürlich auch die hervorragende. Niemand soll von seinem Erhalt ausgeschlossen werden, niemand verschont bleiben. Über seine Vergabe entscheidet ebenso kompetent wie willkürlich eine anonyme Jury.