Preis der Republik

Die Besänftigung der Welt

Preise sind notorisch ungerecht. Vor allem Jurys bekommen nie welche. Höchste Zeit, das zu ändern.

15.11.2018

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Die Besänftigung der Welt
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Verehrte Preisträgerin

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Werte Freunde der Sanftmut

Was war das für ein Sturm, der vergangenes Jahr den Schweizer Buchpreis umtoste! Von einem «doppelten Affront» noch vor der Preisverleihung war die Rede, als die literarische Welt noch gar nicht ahnte, dass das nur die Ouvertüre zur eigentlichen «Skandalnummer» sein würde (so Christine Richard in der «Basler Zeitung»). Viele erinnern sich mit Schaudern: Lukas Bärfuss hat, noch dazu in der FAZ, die «mit Schweizer Usancen nicht vertraut» ist (wieder BaZ), empfohlen, den Schweizer Buchpreis – und damit indirekt auch Sie, verehrte Preisträgerin – abzuschaffen.

Wörter wie «Kanalisationsniveau» und «eitle Dorfposse» drangen in die Feuilletonspalten ein, und gegen die «Verrohung der Sitten» stemmte sich lediglich der «Tages-Anzeiger», der geradezu aperçuhaft schlagzeilte: «Lukas Bärfuss hat mal wieder einen Wutanfall

Und dann, ein Jahr später, als Sie, verehrte Preisträgerin, sich längst in der Konsolidierungsphase wähnten, zogen wieder die dunklen Wolken des Eklats am Schweizer Literaturhimmel auf: «Man darf es ruhig einen Skandal nennen», warf Ihnen, verehrte Buchpreis-Jury, jener Kritiker mit dem literarischsten aller Namen an den Kopf. Denn Sie hatten sich doch tatsächlich eine von derjenigen des NZZ-Redaktors abweichende Einschätzung angemasst und sich selbst «in ihrer Arbeit» als Jury «disqualifiziert», statt einen «vollkommen verwandelten, man muss sagen: einen entfesselten» Thomas Hürlimann zu nominieren.

«Roman Bucheli hat mal wieder einen Wutanfall», mögen Sie sich, lieber Manfred Papst, als NZZ-Kollege und Juryvorsitzender vielleicht gedacht haben. Aber da schallte es schon herüber vom Tagi, der Schweizer Buchpreis sei doch «kein Debütantenball»! Drei Novizen auf der Shortlist, damit brächten Sie, verehrte Jury, den Preis «auf einen gefährlichen Weg». Einzig die Nominierung von Peter Stamm wirke Ihrer «Originalitätshascherei» entgegen, doch gerade ihm, Peter Stamm, sei beim Schweizer Buchpreis schon «Übles widerfahren». Nicht nur, weil er trotz zweimaliger Nominierung noch unprämiert sei, sondern weil man ihn mit zwei anderen «grossartigen Romanen» bereits «vor der Shortlist aussortiert» habe.

Wer, verehrte Jury, würde Ihnen also nach so viel Getös im Feld der schönen Literatur die Sehnsucht nach der «sanften Gleichgültigkeit der Welt» verdenken?

Mit stoischer Coolness haben Sie just die Entscheidung getroffen, von der alle schon im Vorfeld glaubten, dass Sie sie treffen würden, weil eine dritte Stamm-Nominierung ohne folgende Krönung – ganz richtig! – ein Skandal gewesen wäre. Mehr noch, es ist der Veranstaltung das Kunststück gelungen, trotzdem im Vorfeld klarzumachen: Hier ist noch alles möglich. Auch wenn mancher gedacht haben mag, die debütierenden Eidechsenkinder müssten schon die Schwerkraft überwinden und auf Hochhäuser springen, um das Spatzenpfeifen von den Dächern noch zu ersticken.

Lassen Sie sich, verehrte Jury, also auch jetzt nicht beirren, wenn ein Einzelner beim SRF einen «Triumph des Erwarteten» und der «Mutlosigkeit» moniert (und meint, für die Unterstreichung der eigenen These die anderen Nominierten als «Fallobst» bezeichnen zu müssen). Denn dass Sie den international gefeierten «Master of Emptiness» nun auch mit höchsten helvetischen Ehren bedenken, findet allenthalben so viel Beifall, dass nicht nur «Thurgaukultur» vermeldet: «hochverdient». Und dass Sie in Zeiten, wo bekanntlich die Welt aus den Fugen ist, auf Verlässlichkeit setzen, dafür könnte der Preisträgername beinah selbst ein literarisches Symbol sein, doch sind Namenswitze nun wirklich Stammtischniveau und damit Schweizer Buchpreis-Diskursen gänzlich unangemessen.

Mit einem Wort: Sie, verehrte Jury des Schweizer Buchpreises, haben weit mehr getan, als einen Preis zu vergeben. Sie haben den literarischen Eidgenossen die Eintracht zurückgebracht. Und dafür gebühren Ihnen, die Sie sonst andere auszeichnen, einmal selbst das Rampenlicht und der Preis der Republik für die Besänftigung der Welt. Wir vergeben ihn – das sei nicht verschwiegen – umso lieber, als uns das grammatische Genus von «Jury» eine PreisträgerIN beschert. Weil das bei den letzten acht Schweizer Buchpreisen doch nur einmal geklappt hat.

Wir gratulieren von Herzen!

Illustration: Doug Chayka

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