Preis der Republik

Welsmeister der Camouflage

Ein Sommer ohne tierisch gute Geschichte ist nur halb so schön. Aber um die halbe Schweiz wochenlang im Trüben fischen zu lassen, braucht es einen Könner.

Von der Republik-Jury, 15.08.2019

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Welsmeister der Camouflage
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Verehrter Preisträger

Geschätzte Verlegerinnen und Verleger

Meine Damen und Herren

Was für ein Sommer! Zwar ist er, so hoffen wir zumindest, noch nicht ganz vorüber. Aber schon jetzt kann man sagen: Er bot alles, was ein echter Schweizer Sommer bieten soll. Hin und wieder – nicht zu häufig – eine Affenhitze, während der man mit Glace und Eiskaffee in der Badi liegen kann. Und, ganz wichtig: eine brandheisse Sommer­geschichte, von der die Medien ein paar Wochen lang zehren können und über die man sich unterhalten kann, während man in der Badi liegt und Eiskaffee trinkt.

Was sollen wir sagen, verehrter Preisträger? Sie haben geliefert! Und Sie kennen ganz offensichtlich all die Zutaten, die es für ein schmackhaftes Sommer­gerücht, Pardon: Sommer­gericht braucht.

Sie kennen Regel Nummer eins und wissen: Am Anfang der Schöpfung steht das Tier. Wieso das so ist, wissen wir auch nicht, aber jeder Online­redaktor wird es bestätigen: Tiere gehen immer.

Dann füge man etwas Gefahr hinzu. Und würze das Ganze schliesslich mit einer ordentlichen Prise Mysterium. Voilà: fertig angerührt. Schafft man es dann noch, kräftig mit Spekulation und Skurrilität zu würzen, kann man das Ganze mehrere Wochen lang auf kleiner Temperatur köcheln lassen.

Das Rezept funktionierte bereits 1933, als ein Panther aus dem Zoo Zürich ausbrach und wochenlang durch die Gegend zog. Wilde Gerüchte machten die Runde, die Zeitungen waren voll mit Berichten, der Panther war Gesprächs­thema Nummer eins. Ein Zeitzeuge erinnert sich an die Massenhysterie damals – und dass die Raubkatze später verwurstet worden sein soll. Andere Quellen wollen wissen, dass der Panther als Pfeffer geendet habe.

Herumstreifende Panther schrieben auch später wieder Sommer­geschichte. Das Exemplar, das im Mai 2012 von einem Förster im Kanton Solothurn gesichtet wurde und die Schweiz wochenlang auf Trab hielt, brachte es auf rund 25 Meldungen bei der Polizei. Man stellte eine Falle und ein ganzes Rudel Kameras auf, aber der Panther blieb verschwunden.

Auch im Juli 2013 wollte eine Frau in Basel einen Panther gesehen haben. Doch leider war das Thema damals bereits etwas ausgelutscht, so richtig schlug es nicht mehr ein. Die «Tageswoche» titelte bloss noch gelangweilt: «Und ewig grüsst der schwarze Panther».

Wegen der allgemeinen Panther-Verdrossenheit musste man also auf neues Dschungel­personal hoffen. Ein angebliches Krokodil in einem französischen Badesee kam da gerade recht. Voller Enthusiasmus pumpten die Behörden den ganzen See ab, aber vom Krokodil blieb nichts als seine Angeblichkeit zurück.

Krokodile bleiben trotzdem heisse Kandidaten als Sommerloch­füller. Und wenn es gleich drei sind, wie diesen Juni in der Gegend von Stuttgart: umso besser. Schuppen­panzer ziehen noch mehr als Flosse, Fell und Federn.

Das wussten Sie zweifelsohne, sehr verehrter Herr Preisträger. Und weil Ihnen auch bewusst war, dass Sie selbst, ein einfacher Wels im Hallwilersee, keine hohen Wellen werfen würden, haben Sie sich, durchtrieben wie Sie sind, als Kaiman ausgegeben. Die richtige Körper­grösse sowie eine gewisse optische Ähnlichkeit hatten Sie schon, zudem eine Schwanz­flosse von geradezu alligatoren­hafter Optik, wie Ihnen Experten bescheinigten. Auch schlängeln Sie im Wasser wie ein Kaiman. Ein echter Meister der Camouflage! Nun mussten Sie nur noch medien­wirksam vor einem Fischer nach einem Hauben­taucher schnappen, und das «Monster vom Hallwilersee» war geboren.

Was für eine Blitzkarriere. Mit Ihrem oscar­würdigen Auftritt Mitte Juli haben Sie die halbe Schweiz aufgeschreckt. An die 300 Artikel über den Kaiman im Hallwilersee sind erschienen, wie die Schweizer Medien­datenbank weiss.

Und wie Sie, Herr Wels, wissen, ist da der produktivste aller Co-Autoren noch gar nicht mitgezählt: die Fantasie.

Jeder, der beim Baden von etwas gestreift wurde, ging fortan davon aus, dass es sich dabei um einen Kaiman handeln musste. Zwei Mädchen auf einem Stand-up-Paddle und ein Schwimmer meldeten, sie hätten den Kaiman ebenfalls gesehen. Ein gewiefter Badi-Wirt bestellte Krokodil­fleisch und stellte daraus Burger her, die er in den nächsten Wochen 250 Gästen servierte, natürlich mit Pommes frites. Kropo quasi.

Die einzige Kaiman-Halterin im Aargau bekam Besuch von der Polizei, die aber beruhigt feststellen konnte, dass sich die drei bewilligten Kaimane noch immer im dafür extra eingerichteten Zimmer befanden. Währenddessen führten eifrige Online­redaktorinnen ein Chat-Interview mit einem Facebook-Profil namens «Kai Man», das «dem Kaiman ein Gesicht und eine Persönlichkeit gibt».

Und ein 17-Jähriger aus Biberist schliesslich startete eine Petition und sammelte 516 Unterschriften dafür, dass das Tier in eine artgerechte Unterkunft verlegt wird, «wo gut zu ihm geschaut wird». Dabei hatten wir, werter Wels, den Eindruck, es werde ohnehin schon ganz ordentlich zu Ihnen geschaut.

Freilich nicht ohne Erkenntnis­gewinn! Wir lernten zum Beispiel, wie man sich verhält, wenn man auf einen Kaiman trifft: nicht provozieren, Abstand halten, Polizei anrufen. Oder dass Kaimane im Hallwilersee gar nicht das grösste Problem sind, da nicht invasiv – wie ungleich mehr sollten wir uns um Japan-Knöteriche und Drüsiges Springkraut sorgen!

Dann die Entzauberung wie eine Ladung Bergbach in klimawandel­erhitzte Gesichter. Mitten im grössten Spass vermeldete die «SonntagsZeitung»: Rätsel gelöst. Ein Fischer hatte Sie, verehrter Herr Preisträger, gefunden – mitsamt Hauben­taucher, die Haube schon in Ihrem Magen, das Hinterteil erst kurz hinter den Kiemen. So war der Tauchgang beendet und Ihr listiges Spiel durchschaut.

Wir nehmen an, auch Sie sind enttäuscht (nicht zuletzt, weil Sie nun bald auf Fischers Esstisch enden). Aber wir können Sie beruhigen: Ihre Inszenierung war derart überzeugend, dass die Polizei ihre Ermittlungen nicht einstellen will. Der Aargauer Polizei­sprecher klingt fast trotzig, wenn er sagt: «Wir haben keine Beweise für die Existenz eines Kaimans im Hallwilersee, dass es ihn nicht gibt, kann aber auch niemand mit Sicherheit sagen

So können wir davon ausgehen, dass Ihr Erbe weiterleben wird, bis jemand mit Sicherheit vermelden kann: Hallwilersee kaimanfrei!

Also für immer. Herzliche Gratulation!

Illustration: Doug Chayka

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