«Muss ich jetzt Ja stimmen, weil ich ein guter Mensch sein will?»
Die Republik-Community diskutiert, fragt, erzählt. Schon gelesen? Hier finden Sie eine Auswahl aktueller Dialogbeiträge zu AHV, trans Kindern und Taylor Swift.
Von Souri Thalong, 27.02.2024
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Wann haben Sie sich zuletzt gestritten? Fand das in den sozialen Netzwerken statt, im Republik-Dialog oder ganz klassisch von Angesicht zu Angesicht? Und war der Streit konstruktiv, vielleicht sogar bereichernd?
Ende letzten Jahres sprachen die Republik-Reporter Elia Blülle und Carlos Hanimann mit der Argumentationstrainerin Romy Jaster über die Kunst des guten Gesprächs in komplexen Debatten, insbesondere auch im digitalen Raum. Sie stellte fest: «Ja, die Bereitschaft, sich ernsthaft und tiefgreifend mit widerstreitenden Positionen auseinanderzusetzen, halte ich derzeit für nicht besonders hoch.» Was sollten wir also im Interesse einer gesunden Streitkultur beachten? Ein paar Erkenntnisse aus dem Gespräch mit Jaster:
Wenn wir mit einer Person von Angesicht zu Angesicht sprechen, dann sehen wir, ob sie lacht, zweifelt oder hadert. Im Internet tritt das Gegenüber oft nur als Stellvertreter einer Position auf.
Im digitalen Austausch geht es dementsprechend oft nicht um Verständigung, sondern ums Gewinnen.
Gehen Sie davon aus, dass Sie Ihr Gegenüber und dessen Meinung in einem solchen Austausch nicht grundsätzlich verändern können. Wenn es primär darum geht, in einer Auseinandersetzung zu gewinnen, dann kann ein Gespräch nicht funktionieren.
Jaster rät, Diskussionspartnerinnen mit Wohlwollen zu begegnen: «Wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass die andere Person trotz inhaltlicher Differenz hehre Absichten verfolgt, dann ist ein gutes Fundament gelegt für einen gelingenden Streit.»
Und damit zu ausgewählten Stimmen aus dem Dialog.
Alle zerren an der Giesskanne
Im Wochenkommentar vom 3. Februar hinterfragte Daniel Binswanger die kritische Haltung der jüngeren Generation gegenüber der 13. AHV-Rente, worauf Republik-Reporter Elia Blülle im Dialog erklärte, warum diese Haltung durchaus nachvollziehbar sei. Ein junger Verleger formulierte als Reaktion auf den Erklärbeitrag «13 Fragen und 13 Antworten zur 13. AHV-Rente» von Bundeshausredaktorin Priscilla Imboden seine Unschlüssigkeit:
Ein anderer Diskussionsteilnehmer verwies daraufhin auf positive Effekte des Giesskannenprinzips, die in der Diskussion kaum Erwähnung fänden:
Stichwort Bürokratie: Wie aufwendig ist es eigentlich, Ergänzungsleistungen zu beantragen? Ein ehemaliger Spitalangestellter weiss, dass viele Menschen dafür Unterstützung vom Sozialdienst benötigen. Und eine Betroffene berichtete aus eigener Erfahrung:
Zurück zur Giesskanne: Ist sie jetzt gut oder schlecht? Vielleicht müssen wir die Metapher ganzheitlicher betrachten:
Falls Sie als stimmberechtigte Person noch unschlüssig sind, wie Sie am kommenden Sonntag abstimmen wollen, empfehlen wir Ihnen die Republik-Beiträge über die AHV-Initiativen. Werfen Sie auch einen Blick in die jeweiligen Dialoge, wo sich Verlegerinnen über das Für und Wider der AHV-Vorlagen engagiert ausgetauscht haben:
Konstruktive Lichter in einer kontroversen Diskussion
Was in anderen Ländern schon länger beobachtet wird, hat nun auch die Schweiz erreicht: Der mediale und politische Druck auf die medizinische Begleitung von trans Kindern nimmt zu. Die Recherche von Ronja Beck sorgte für mehr Dialogbeiträge als jeder andere Beitrag im laufenden Monat Februar – und für kontroverse Diskussionen.
Zur Sprache kam etwa das Thema Rollenbilder. «Ich werde den Verdacht nicht los, dass da toxische Genderaltlasten zementiert anstatt entsorgt werden», bemerkte eine Person kritisch. Ein Dialogteilnehmer ging fundiert darauf ein:
Sie schildern da eine sehr häufige, weil nachvollziehbare, Sorge und ich möchte gern helfen zu sortieren:
Beim Trans-Sein geht es nicht um Rollenbilder, trans Personen bestätigen in ihrer Existenz solche Kategorisierung nicht mehr, als das jede cis Frau (cis = nicht trans) tut, die lange Haare hat oder jeder cis Mann, der einen Anzug trägt und sich nicht die Nägel lackiert.
Trans Personen spüren/wissen/realisieren, dass sie nicht das Geschlecht sind, was ihnen bei Geburt zugewiesen wurde. Das ist ein Identitätsgefühl, von dem nicht klar ist, woher es kommt. Wir wissen auch bei cis Leuten nicht, woher sie das Gefühl haben, Mädchen oder Jungen zu sein (und auch nicht, was das jeweils für die Leute genau bedeutet).
Dieses Identitätsgefühl sagt nichts über Rollenverständnis, Klischees oder Stereotype aus. Sowohl trans als auch cis Personen entsprechen mehr oder weniger den gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die ja auch sehr von Kultur und Zeitgeist geprägt sind.
(...)
Zur Sprache kam aber auch, wie wir vernünftig über dieses Thema reden können. Zwischen zwei Verlegern entspann sich ein Austausch über konstruktives Diskutieren.
(...) Obwohl ich nicht in Abrede stellen will, dass man dann, wenn man im ungünstigen Moment von sich selbst spricht, anderen auf die Füsse trampeln kann, ist eine angstbesetzte «Auf Eierschalen laufen»-Diskussionskultur, in der die Leute aus Angst vor Verhöhnung sich nicht mehr getrauen, von sich selbst etwas preiszugeben, eben auch etwas, das man vermeiden sollte. Es gibt ja durchaus die Möglichkeit, konstruktiv nachzufragen, statt auf die negative Interpretation setzend abzuurteilen.
Das ist die Schwierigkeit, dass man den Tonfall nicht mitschreiben kann. Ich denke allerdings schon, dass man versuchen kann, es so zu formulieren, dass man anderen nicht auf die Füsse tritt. (...)
Eine klare Antwort fanden die zwei Verleger nicht, aber ihr Austausch regt dazu an, die Wirkung eigener Kommentare auf andere zu reflektieren. Die Diskussion endete übrigens versöhnlich.
Ein «Swiftie» erklärt
«Kann sie Trump verhindern?», fragte Popkulturexperte Jean-Martin Büttner: Was passiert, wenn Taylor Swift im Wahlkampf ums Weisse Haus Joe Biden unterstützen sollte? Dass ein Popstar die Zukunft der amerikanischen Demokratie mitentscheiden könnte, stimmte manche Verleger nachdenklich:
Taylor Swift: Seit vorgestern weiss ich wenigstens, wer das ist. Mit ihrer Musik und Entertainment dürfte ich kaum warm werden. Bin zu alt dafür. Jedoch nicht zur Feststellung, dass es für die älteste Demokratie der Welt ein Armutszeugnis ist, wenn eine Musikinterpretin als Hoffnungsträgerin für den alternden Biden gilt. (...)
Die Vorstellung, dass eine einzige Künstlerin so wichtig für den Ausgang der Wahlen sein kann, weckt in mir eher apokalyptische Gedankengänge über den miserablen Zustand westlicher Demokratien. Davon abgesehen finde ich Taylor Swift in jeder Hinsicht bewundernswert und ihren Einfluss auf demokratische Wahlen den Umständen entsprechend erfreulich unheimlich.
Manche konnten den Wirbel um Taylor Swift nicht ganz nachvollziehen. Ein selbst ernannter «Swiftie» lieferte ihnen Nachhilfe aus Fan-Perspektive:
(...) Es könnte ja vielleicht auch für die Eine oder den Anderen, die Taylor Swift nicht wirklich kennen, interessant sein zu erfahren, was diese einflussreiche Frau ausmacht. Und mit Verlaub: Dem Autor dieses Artikels kann ich für diese Aufgabe leider keine genügende Note geben («Taylor Swift wirkt wie eine Rorschachtafel im Paillettenkleid, die Projektionsfläche von Millionen. Eine Verruchte für die Boys, eine Freundin für die Girls.» WTF???).
Ihre Musik Einen typischen Taylor Swift Song zu definieren, der alles über sie aussagt, ist schlicht unmöglich. Und dies ist schon ein erster Punkt, der beschreibt, was Taylor Swift wirklich ausmacht: Die Vielseitigkeit ihrer Musik. (...)
Den Dialogbeitrag können wir hier nicht vollständig abdrucken, möchten diesen Taylor-Swift-Mini-Explainer aber allen, die das Phänomen verstehen wollen, wärmstens ans Herz legen. Der Beitrag enthält Erklärungen zu:
ihrer Musik (inklusive Hörtipps),
den Neuaufnahmen alter Songs (und wie Swift damit einem grossen Labelboss die Stirn bot),
ihrer Person und den Werten, für die sie steht, und
ihrer Community.
Ob man dem Hype nun etwas abgewinnen kann oder nicht, in einem schienen sich viele einig zu sein. Stellvertretend:
Ich finde solchen Personenkult ja total krank. Aber in diesem konkreten Fall, falls sie Donald Trumps Wahl tatsächlich verhindern könnte, solls mir recht sein.🤷♀️
Zum Schluss: Wer sich gelegentlich im Republik-Dialog umschaut, dem dürfte nicht entgehen, dass polarisierte Konflikte auch auf das Gesprächsklima in unserem Wohnzimmer abfärben können. Diskussionen im Internet bringen eben ganz eigene Herausforderungen mit sich, wie Romy Jaster im anfangs erwähnten Interview ausführte. Die obigen Beispiele aus dem Dialog zeigen uns aber auch, dass das Gespräch immer wieder gelingt – sofern sich alle Beteiligten mit Offenheit und grundsätzlichem Wohlwollen begegnen.
Oder wie uns eine Verlegerin in der Rubrik «Allgemeines Feedback» kürzlich schrieb:
(...) Für mich sind die Beiträge der Republik in Kombination mit den Kommentaren unschlagbar. Ich wünsche mir Impulse, Widerspruch, Argumente als Basis meiner Meinungsfindung, also eine Art Denkfabrik und ich finde, dies gelingt ausserordentlich gut. (...)
Impulse, Widerspruch, Basis für die Meinungsfindung: Werden wir dem gerecht? Und wie ergeht es Ihnen bei digitalen Streitgesprächen? Lassen Sie es uns in der Debatte zum Dialog wissen.
Danke für die kritische, fundierte und engagierte Diskussion!
Was sonst noch bei der Republik zu reden gibt, sehen Sie in der Übersicht auf unserer Dialogseite. Schalten Sie sich ein, lesen und diskutieren Sie mit.
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