Gern noch ein Stück? Mit mehr AHV könnten sich auch Seniorinnen mit wenig Geld öfter mal etwas gönnen. Christian Werner/Connected Archives

13 Fragen und 13 Antworten zur 13. AHV-Rente

Am 3. März stimmt die Schweizer Bevölkerung über eine zusätzliche Monats­rente für alle ab. Braucht es die wirklich? Und ist sie überhaupt finanzierbar?

Von Priscilla Imboden, 07.02.2024

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
0:00 / 16:51

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1. Wann immer von der 13. AHV-Rente die Rede ist, fällt ein Wort: Giesskannen­prinzip. Zu Recht?

Grundsätzlich: Ja. Die 13. AHV-Rente, wie sie die vom Schweizerischen Gewerkschafts­bund lancierte Initiative vorsieht, käme allen zugute, auch Millionärinnen. Das ist dem Prinzip der AHV geschuldet. Alle zahlen ein, alle profitieren. Aber nicht alle gleich stark. Der ehemalige Bundesrat und «Vater der AHV», Hans Peter Tschudi, hat einst gesagt: «Die Reichen brauchen die AHV nicht, aber die AHV braucht die Reichen.»

Tatsächlich erhalten 9 von 10 Personen mehr von der AHV, als sie eingezahlt haben. Die vielfältigen Umverteilungs­effekte dieses Sozial­werkes sind ein Grund, weshalb die AHV bei linken Parteien besonders beliebt ist. Sie sorgt für einen Ausgleich zwischen Jungen und Alten, Reichen und Armen, Frauen und Männern. In der AHV wird dank Betreuungs­gutschriften auch die Familien­arbeit gewürdigt, Ehepaare erhalten je zur Hälfte die gleiche Rente, auch wenn nur eine Person gearbeitet hat. Kurz: Die AHV ist das sozialste aller Sozialwerke.

2. Mit einer 13. AHV-Rente soll nun also noch mehr Geld umverteilt werden. Ist das wirklich nötig?

Das Initiativ­komitee sagt: Die Kaufkraft sinke, und zwar aufgrund der Teuerung sowie der steigenden Ausgaben für Kranken­kassen­prämien, Mieten, Strom und Lebens­mittel, die einen immer grösseren Teil des Haushalts­budgets einnähmen. Die 13. Rente soll diesen Kaufkraft­verlust kompensieren. Doch letztlich ist die Antwort auf diese Frage politisch. Klar ist: Das Vermögen ist in der Schweiz sehr stark konzentriert. Das Rein­vermögen der reichsten 10 Prozent ist mehr als dreimal so gross wie jenes aller anderen Leute im Land zusammen­gezählt. In den letzten 30 Jahren sind die Erbschafts­steuern für direkte Nachkommen fast überall abgeschafft worden, und die Kantone haben die Steuern für Wohl­habende sukzessive gesenkt. Der Mittelstand wurde im Vergleich dazu nur wenig entlastet. Die unteren Löhne sinken oder stagnieren, während die oberen steigen.

3. Die Bundes­verfassung schreibt doch vor, dass die AHV existenz­sichernd sein muss. Ist sie das denn nicht?

Die Bundes­verfassung sieht vor, dass die Renten «den Existenz­bedarf angemessen zu decken» haben. Doch das ist nicht der Fall. Die Maximal­rente beträgt für eine Einzel­person 2450, für Ehepaare 3675 Franken pro Monat. Nur 30 Prozent der Versicherten erhalten eine solche Rente, denn dazu müssen sie 44 Jahre lang Lohn­prozente auf ein durchschnittliches Jahres­einkommen von über 85’000 Franken einbezahlt haben. Weil die AHV, also die erste Säule, nicht ausreicht, hat die Schweiz 1985 die berufliche Vorsorge eingeführt, die zweite Säule – das individuelle Sparen. Die zweite Säule verteilt kein Geld zwischen Reich und Arm um und entspricht so eher dem politischen Willen der bürgerlichen Mehrheit. Die Versicherungs­industrie verdient mit dem Verwalten dieser Milliarden­vermögen enorm viel Geld. Gleichzeitig generiert die zweite Säule heute wegen der tiefen Zinsen aber viel weniger Geld als erhofft. Deshalb sind da nun auch Kürzungen geplant. Das wiederum spricht eher für eine Stärkung der ersten Säule, also der AHV.

4. Aber heute vererben doch 90-Jährige ihr Vermögen an 60-Jährige. Gibt es in der Schweiz wirklich ein Problem mit Altersarmut?

Gemäss der offiziellen Armuts­statistik des Bundes sind doppelt so viele Rentner arm wie jüngere Personen. 15 Prozent der Personen über 65 leben unter der Armuts­grenze, bei Personen über 75 sind es sogar fast 20 Prozent. Allerdings sagt diese Statistik wenig aus über die tatsächliche finanzielle Situation der älteren Personen im Land. Denn sie berücksichtigt nur das Einkommen, nicht aber das Vermögen. Zur Frage, wie arm oder reich Rentnerinnen in der Schweiz sind, gibt es keine präzise Datenlage. Die Statistiken zu den Vermögen sind dem Steuer­geheimnis unterstellt. Das Bundesamt für Statistik versucht schon seit längerer Zeit, eine Armuts­statistik zu erstellen, die auch das Vermögen einbezieht. Doch einzelne Kantone stellen sich quer und wollen die Daten nicht liefern. Immerhin hat der Bundesrat letztes Jahr entschieden, dass sie das tun sollen. Und das Bundesamt für Statistik stellt Überlegungen an, wie mit diesen Daten umgegangen werden soll.

5. Das heisst: Wir wissen gar nicht, wie reich oder arm die Seniorinnen wirklich sind?

Es gibt Schätzungen. Die Republik hat schon vor vier Jahren eine Analyse zum Reichtum der Senioren publiziert, die auf den vorläufigen Daten des Bundesamtes für Statistik basierte. Sie kam zum Schluss, dass Menschen beim Renten­eintritt weniger oft von Armut betroffen sind als jüngere. Ab siebzig beträgt die Quote der Armuts­betroffenen 9 Prozent, leicht weniger als im Durchschnitt der Bevölkerung. Und das Bundesamt für Statistik publiziert alle paar Jahre die Analyse «Armut im Alter», die auch Vermögen miteinbezieht. Sie zeigt, dass Seniorinnen im Schnitt unter allen Alters­gruppen am wenigsten Geldsorgen haben. Trotzdem existiert Armut im Alter: Jeder fünfte allein­stehende Rentner hat laut einer weiteren Studie nicht mehr als 500 Franken pro Monat für Essen und Freizeit zur Verfügung. Alle Auswertungen zeigen, dass mehr als jede zehnte Rentnerin finanziell in prekären Verhältnissen lebt.

Am grössten ist das Armuts­risiko allerdings nicht bei Senioren, sondern bei Eineltern-Haushalten mit Kindern. Das belegen Zahlen einer Studie des Bundes­amtes für Sozial­versicherungen, in der die Steuerdaten verschiedener Kantone ausgewertet wurden. Sie zeigen, dass eine Frau, die allein mit kleinen Kindern lebt, sogar mit mehr als fünfzig­prozentiger Wahrscheinlichkeit armuts­betroffen ist. In diesen Fällen müsste die Sozialhilfe für Ausgleich sorgen. Doch die ist je nach Kanton unterschiedlich ausgestaltet.

6. Wer im Alter nicht über die Runden kommt, erhält doch Ergänzungs­leistungen?

Ergänzungs­leistungen erhalten Pensionierte auf Antrag, wenn das Geld nicht ausreicht, um den Lebens­unterhalt zu bestreiten. Als arm gilt jemand Allein­stehendes, wenn er oder sie nicht mehr als 2500 Franken monatlich zur Verfügung hat. Mit den Ergänzungs­leistungen kommen sie auf 3150 Franken. Doch viele von Armut Betroffene wissen nicht, dass sie diese Ergänzungs­leistungen beantragen können oder wie sie das tun müssten. Viele schämen sich auch, wollen niemandem zur Last fallen. Eine Studie im Auftrag von Pro Senectute hat ergeben, dass 230’000 Senioren, die 2022 armuts­betroffen waren, keine Ergänzungs­leistungen beantragt haben. Solche Personen hätten mit einer 13. AHV-Rente monatlich 100 bis 200 Franken mehr im Portemonnaie.

7. Das hätten sie doch auch, wenn man einfach die Ergänzungs­leistungen um diesen Betrag erhöhen würde?

Die Gegnerinnen der 13. AHV-Rente haben recht, wenn sie sagen, dass das weniger teuer wäre. Nur: Sie bringen keine konkreten Vorschläge, wie das System der Ergänzungs­leistungen verbessert werden könnte. Die gleichen Politiker, die nun von einer Erhöhung der Ergänzungs­leistungen sprechen, haben mit der letzten Reform mit dafür gesorgt, dass auf Anfang dieses Jahres 70’000 Personen die Ergänzungs­leistungen gekürzt oder gestrichen wurden. Bisher hat es am politischen Willen gefehlt, bei den Ergänzungs­leistungen gezielt anzusetzen. Und die zwei zentralen Probleme würden dadurch nicht gelöst: Viele beziehen die ihnen zustehenden Renten nicht, ausserdem verursachen die Ergänzungs­leistungen einen hohen Bürokratie­aufwand.

8. Könnte man statt einer 13. Rente für alle nicht einfach die AHV nur für Bedürftige erhöhen?

Die grünliberale Nationalrätin Melanie Mettler hat einen entsprechenden Vorstoss ursprünglich als Gegen­vorschlag zur 13. AHV-Rente eingebracht. Er sieht vor, dass die AHV nur für Bedürftige erhöht würde. Das würde insgesamt eine Milliarde Franken kosten. Und das Geld würde direkt zu jenen Rentnerinnen fliessen, die es wirklich brauchen. SVP, FDP und Mitte-Partei wollten das ursprünglich nicht. Erst nachdem erste Umfragen gezeigt hatten, dass die 13. AHV-Rente Chancen hat, an der Urne angenommen zu werden, stimmte der Nationalrat der Motion im Dezember zu – ohne eine einzige Gegenstimme.

Das Votum des Ständerats, wo Beat Rieder (Mitte) eine gleichlautende Motion eingereicht hat, steht noch aus. Der Ständerat hat bereits letzten Sommer darüber beraten und entschieden, die Motion an die zuständige Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit zu überweisen, weil das Anliegen kompliziert ist. Der Ständerat wird nur dann über den Vorstoss entscheiden, wenn die Stimm­bevölkerung die 13. AHV-Rente ablehnt. Es ist aber längst nicht sicher, dass der Ständerat in diesem Fall motiviert sein wird, eine abgespeckte Version des Vorhabens zu beschliessen.

9. Laut Umfragen will eine klare Mehrheit der Bevölkerung der 13. AHV-Rente zustimmen. Wie stehen die Chancen, dass die Initiative tatsächlich angenommen wird?

Obwohl sich Parlament und Bundesrat gegen die Initiative aussprechen, ist der Zuspruch in der Stimm­bevölkerung bisher gross. Zuletzt hat überraschend auch der Frauen­dachverband Alliance F die Ja-Parole beschlossen. Die Wählerschaft der SP und der Grünen ist mehrheitlich für eine 13. AHV-Rente. Jene der Grünliberalen und der FDP mehrheitlich dagegen. Interessant ist das Wahl­verhalten bei der Mitte und der SVP: Deren Wählerinnen sind ebenfalls mehrheitlich dafür, obwohl die leitenden Gremien ihrer Parteien die Initiative ablehnen. Der breite Zuspruch muss aber nicht heissen, dass die Initiative tatsächlich angenommen wird. Einerseits nimmt der Ja-Anteil von Initiativen in der Regel ab, je näher eine Abstimmung rückt. Andererseits braucht eine Initiative nicht nur die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch der Kantone, um angenommen zu werden. Andernfalls würde sie auch bei einem Volks-Ja am Ständemehr scheitern – wie das etwa bei der Konzern­verantwortungs­initiative 2020 der Fall war.

10. Angenommen, die Initiative kommt durch. Wäre denn so eine 13. AHV-Rente überhaupt finanzierbar?

Die 13. AHV-Rente würde laut Schätzungen des Bundes kurzfristig etwas mehr als 4 Milliarden und mittelfristig rund 5 Milliarden Franken pro Jahr kosten. Gemäss den Gegnerinnen würde dies die AHV «in den Ruin» treiben. Die Kosten sind auch einer der Haupt­gründe, dass sich ausser der SP und den Grünen alle grossen Schweizer Parteien gegen die Initiative aussprechen. Tatsächlich lässt die Initiative offen, wie die 13. Rente finanziert werden soll. Die Initiantinnen möchten einen generellen Entscheid, ob die AHV ausgebaut werden soll oder nicht – und argumentieren unter anderem damit, dass die AHV die effizienteste Form der Alters­vorsorge mit den tiefsten Verwaltungs­kosten und am wenigsten Bürokratie sei.

11. 5 Milliarden Franken klingen aber doch nach ziemlich viel. Wo soll dieses Geld herkommen?

Eine Möglichkeit wäre, die 13. Rente über Lohnabgaben zu finanzieren: 0,7 Lohn­prozente wären laut Schätzungen des Bundes dazu nötig, die je zur Hälfte von Arbeit­geberinnen und Arbeit­nehmern berappt werden müssten. Das würde die Belastung der arbeitenden Bevölkerung zugunsten jener im Ruhestand erhöhen. Für kleinere Einkommen könnten diese Lohnabzüge eine Belastung sein. Die Gegner sagen, dass die 13. AHV-Rente die Armut gar erhöhen würde. Das lässt sich mit Blick auf die Zahlen aber nicht bestätigen. Wenn beispielsweise eine Reinigungs­kraft jährlich 50’000 Franken brutto verdient, so müsste sie 175 Franken pro Jahr für die 13. AHV-Rente aufwenden. Dafür erhält sie nach der Pensionierung mindestens 1225 Franken mehr Rente pro Jahr.

Eine andere Option wäre, die 13. AHV-Rente mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von 8,1 auf 9,1 Prozent zu finanzieren. Das wäre allerdings nicht sehr sozial: Die Mehrwert­steuer belastet Haushalte mit kleineren Einkommen im Verhältnis stärker als solche mit hohem Einkommen. Zudem würde dadurch die von den Initianten ins Feld geführte Teuerung zusätzlich angeheizt. Es ist auch denkbar, dass die 13. AHV-Rente mit einer Kombination aus einer Erhöhung der Mehrwert­steuer, aus Lohnprozenten und einem Beitrag aus der Bundes­kasse finanziert würde.

Klar ist: Bundesrat und das Parlament würden eine Finanzierungs­lösung beschliessen müssen, sollte die Initiative an der Urne angenommen werden. Feder­führend wäre dabei Innen­ministerin Elisabeth Baume-Schneider.

12. Gleichzeitig stimmen wir auch über eine weitere Renten­initiative ab, jene der Jung­freisinnigen. Worum geht es dabei?

Die Jung­freisinnigen verfolgen ein ganz anderes Ziel: Sie möchten das Renten­alter erhöhen, damit das Renten­system weniger kostet und die jüngere Generation weniger stark belastet. Ihr Argument: Die Bevölkerung wird immer älter, die Senioren sind immer gesünder; also können sie auch arbeiten. Die Initiative sieht vor, das Renten­alter zuerst bis 2033 in kleinen Schritten auf 66 Jahre zu erhöhen. Danach soll es automatisch ansteigen, parallel zur Lebens­erwartung. Laut Prognosen stiege es um einen Monat pro Jahr, sodass im Jahr 2050 das Rentenalter 67 Jahre und 5 Monate betragen würde. Die Initiative wird von der FDP, der SVP und der EDU ebenso befürwortet wie vom Gewerbe­verband, Baumeister­verband, von Hotellerie­suisse und vom Wirtschafts­dachverband Economie­suisse. Die Gegnerinnen argumentieren, dass die Renten­alter­erhöhung unsozial, technokratisch und anti­demokratisch wäre. Laut Umfragen hat die Initiative kaum Chancen, angenommen zu werden.

13. Und wenn doch? Was passiert, wenn beide Initiativen angenommen werden?

Dann wird die AHV ausgebaut und das Renten­alter erhöht. Heisst: Durch das spätere Renten­alter würden gemäss dem Bundesrat im Jahr 2032 die Ausgaben um rund dreieinhalb Milliarden Franken reduziert – und die 13. Rente wäre schon fast finanziert.

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