Briefing aus Bern

Was Sie zum Ende der Credit Suisse und zur neuen Mega-UBS wissen sollten

Ein Sonder­briefing zur grossen Übernahme. Plus: das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (228).

Von Philipp Albrecht, Dennis Bühler, Angela Gross, Lukas Häuptli und Priscilla Imboden, 23.03.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
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Die UBS kauft die Credit Suisse – auf Geheiss des Bundesrats. Was noch vor Wochen unvorstellbar schien, ist Tatsache geworden.

Deshalb lesen Sie heute kein gewöhnliches «Briefing aus Bern», sondern eine Sonder­ausgabe. Letztmals griffen wir nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine auf dieses Instrument zurück. Nun erneut. Denn auch das Ende der Grossbank Credit Suisse (CS) und das Entstehen einer Monster-UBS sind von höchster (wirtschafts­politischer) Bedeutung. Was vor vier Tagen an einer denkwürdigen Medien­konferenz verkündet wurde, ist schon jetzt historisch.

Was geschehen ist

Am Mittwoch, 15. März, gibt die Saudi National Bank bekannt, kein weiteres Geld in die Credit Suisse zu investieren. Sie ist die grösste Einzel­aktionärin der Bank und hält zu diesem Zeitpunkt einen Aktien­anteil von knapp 10 Prozent. Darauf stürzt der Kurs der CS-Aktie zwischen­zeitlich auf 1.70 Franken. Im Verlauf des Mittwochs verdichten sich die Gerüchte, dass die CS unter ernsthaften Liquiditäts­problemen leidet. Und am Abend wird bekannt, dass sie von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) einen Kredit von bis zu 50 Milliarden Franken erhält. Am Donnerstag­nachmittag kommen SNB-Präsident Thomas Jordan, Finanz­ministerin Karin Keller-Sutter sowie Marlene Amstad, Präsidentin der Finanzmarkt­aufsicht (Finma), zusammen. Um 16 Uhr nehmen sie Kontakt mit der UBS auf, wie die «Financial Times» berichtet. Die UBS soll, so der Plan, die CS übernehmen. Ein paar Stunden später tagt der Gesamt­bundesrat.

Am Samstag und Sonntag macht das Gerücht die Runde, die UBS kaufe die Credit Suisse. Kolportierter Kaufpreis: 1 Milliarde Franken. Am Sonntag­abend steht dann fest: Die UBS übernimmt die CS für 3 Milliarden Franken. Den Deal möglich machten vor allem Bundesrat, SNB und Finma. Er sieht so aus: UBS und CS erhalten von der SNB Kredite in Höhe von bis zu 200 Milliarden Franken; diese sind durch den Bund gesichert. Daneben gewährt der Bund der UBS eine sogenannte Ausfall­garantie von 9 Milliarden Franken. Bei seinen Entscheiden stützt sich der Bundesrat haupt­sächlich auf das in der Verfassung verankerte Notrecht. Dieses ermöglicht es ihm, Massnahmen zu treffen, «um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen». Trotz der 209-Milliarden-Hilfe sagt Karin Keller-Sutter am Sonntag­abend an der Medien­orientierung: «Das ist kein Bail-out» – es handle sich nicht um eine staatliche Rettung.

Wie es dazu kommen konnte

Der Sinkflug der CS hatte sich schon länger abgezeichnet. Da waren einerseits die Skandale: Geldwäscherei, ein Datenleck mit vertraulichen Informationen und der Skandal um das Kredit­institut Greensill, um nur einige zu nennen. Andererseits waren da das Chaos um die interne Reorganisation und ein miserables Geschäftsjahr 2022, das die CS mit einem Minus von über 7 Milliarden Franken abschloss. Aktionäre und Kundinnen verloren zunehmend das Vertrauen in die Bank: 2022 flossen Milliarden an Kunden­geldern ab. Am 10. März löste schliesslich der Kollaps der amerikanischen Silicon Valley Bank (SVB) eine Schock­welle in den Finanz­märkten aus. Aus Angst, der Konkurs der SVB könnte sich auf das globale Finanz­system auswirken, zogen Kundinnen ihre Gelder ab und Anleger verkauften im grossen Stil Aktien, worauf die Kurse in ganz Europa mit Verlusten reagierten.

Der Sinkflug der CS-Aktie wurde zusätzlich beschleunigt, als die Saudi National Bank bekannt gab, kein weiteres Kapital zur Verfügung zu stellen. Dass der Grund dafür nicht zwingend die Schieflage der CS sein muss, sondern ein regulatorischer sein könnte, spielte zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. Das Signal schien klar: Die CS ist nicht mehr vertrauens­würdig. Schliesslich fiel die Aktie auf ein Rekordtief – und die SNB eilte zur Hilfe.

Was die Übernahme für die CS, ihre Angestellten, Kunden und Aktionärinnen bedeutet

Die konkreten Auswirkungen sind noch nicht restlos geklärt. CS-Kundinnen werden in ein paar Wochen oder Monaten – wann die Übernahme vollzogen wird, steht noch nicht fest – faktisch UBS-Kundinnen sein. Möglicher­weise erhalten sie dann einen neuen Bank­berater. Darüber hinaus dürfte sich kurz- und mittel­fristig wenig ändern. Der Zahlungs­verkehr etwa läuft ohne Unterbruch weiter. Für viele der knapp 17’000 Angestellten der CS in der Schweiz – und einige der rund 21’000 Schweizer UBS-Mitarbeiter – dürfte die Übernahme hingegen einschneidende Auswirkungen haben. Da es viele Doppel­spurigkeiten geben dürfte, droht eine Massen­entlassung im Umfang von 10’000 Personen oder mehr. Betroffen sein dürften vor allem Leute im Personal­wesen, in der Kommunikation, im Backoffice und in den Filialen. Eine Auswertung von CH Media zeigt, dass 66 von 98 Filialen der CS weniger als 300 Meter von einer UBS-Filiale entfernt sind. Dies nicht nur am Zürcher Paradeplatz, sondern auch in Olten, Vevey, Winterthur, Aarau und Baden. Hier drohen auch Schliessungen.

Nicht wenig Geld verlieren die Aktionärinnen sowie eine Kategorie von Gläubigern: Die Finma hat sogenannte Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) im Wert von 16,2 Milliarden Franken abgeschrieben. Das sind Anleihen, die nach der Finanz­krise 2008 geschaffen wurden und die sich im Falle einer Insolvenz der Bank hätten in Eigen­kapital verwandeln sollen. Wer hingegen CS-Aktien besitzt, erhält dafür UBS-Aktien im Wert von weniger als der Hälfte des letzten CS-Aktien­kurses vor der Zwangs­übernahme. Das trifft die Saudi National Bank am stärksten. Sie verliert 1,12 Milliarden Franken. Weitere grössere Aktionäre, die Abstriche machen müssen, sind der katarische Staats­fonds sowie der Vermögens­verwalter Blackrock. Daneben zählt die CS rund 100’000 Privat­aktionärinnen und 2500 institutionelle Anleger wie Pensions­kassen. Klagen sind möglich, ihre Erfolgs­aussichten allerdings ungewiss.

Wie die CS weiter Boni verteilen wollte – und der Bundesrat das nun untersagt

Seit 2013 machte die CS Verluste von kumuliert 3,2 Milliarden Franken – und doch erhielten ihre Topmanager im selben Zeitraum Boni im Wert von 32 Milliarden. Noch am Montag wollte die Bank an diesem Geschäfts­gebaren festhalten: Sie versprach ihren Mitarbeiterinnen, noch nicht ausbezahlte variable Vergütungen wie geplant morgen Freitag, 24. März, zu überweisen und abgemachte Lohn­erhöhungen zu gewähren. Auch viele Schweizer Parlamentarier fragten sich: Meint die CS-Spitze das wirklich ernst? Will sie für das Jahr 2022 trotz milliarden­schwerer Staatshilfe rund eine Milliarde Franken ausschütten? Bundesrätin Karin Keller-Sutter äusserte sich am Sonntag miss­verständlich. Am Dienstag­abend stellte der Bundesrat dann aber klar, dass er die Boni-Auszahlung an CS-Kader sistiere. Das betrifft bereits zugesicherte, aber aufgeschobene Vergütungen für die Geschäfts­jahre bis und mit 2022, zum Beispiel in Form von Aktien­ansprüchen. Grundlage dafür ist Artikel 10a des Banken­gesetzes, wonach Boni ganz oder teilweise verboten werden können, wenn einer system­relevanten Bank direkt oder indirekt staatliche Beihilfe aus Bundes­mitteln gewährt wird. Während der Übergangs­phase ist der CS zudem die Auszahlung von Dividenden untersagt.

Was es für die UBS bedeutet

Die UBS wird mit der Übernahme der CS zur Nummer 21 unter den bilanz­stärksten Banken der Welt. Zuvor lag sie auf Rang 34. Neu verwaltet sie nach eigenen Angaben Vermögen in der Höhe von 5 Billionen Dollar. Der Kurs der UBS-Aktie ist in den letzten drei Tagen gestiegen; am Montag­morgen lag er bei 15.64 Franken; am Mittwoch­abend bei 18.70 Franken. Wegen der Übernahme der CS gerät die UBS allerdings vermehrt in die Kritik – aufgrund ihrer schieren Grösse. So sagt der emeritierte Finanzmarkt­professor Urs Birchler der Republik: «Staats­politisch ist die UBS ein Problem. Auch weil sie einen gewissen Einfluss haben wird.»

Wie die Reaktionen im Inland ausfielen

Die Schweizer Parteien zeigen sich grösstenteils unzufrieden mit dem Deal. Und sie sind – wie Urs Birchler – besorgt, dass die vergrösserte UBS erst recht zu einem unkalkulier­baren Klumpen­risiko für die Volks­wirtschaft werde. Auch in der Problem­analyse sind sich die Parteien erstaunlich einig: Alle kritisierten das CS-Management scharf. «Die Gier einzelner Banker war grösser als ihre Verantwortung», sagte FDP-Nationalrat Beat Walti an einer Medien­konferenz. SP-Fraktions­chef Roger Nordmann sagte, das Verhalten der CS-Führung grenze an organisierte Kriminalität. Und Mitte-Nationalrat Nicolò Paganini twitterte noch während der bundes­rätlichen Medien­orientierung: «Jetzt platzt auch mir Wirtschafts­freundlichem der Kragen: Jahrelang überzogene Boni kassieren, Risiken nicht im Griff haben, über zu strenge Regulierung der Banken lamentieren … und nun muss an den ‹Too big to fail›-Regeln vorbei der Bund wieder retten.»

Weil sämtliche Parteien mit Ausnahme der SVP eine ausser­ordentliche Parlaments­session verlangen, werden National- und Ständerat in der Oster­woche darüber diskutieren, welche politischen Lehren aus dem Untergang der CS zu ziehen sind. Noch offen ist, ob eine parlamentarische Untersuchungs­kommission (PUK) gebildet wird; während sich die SP, die Grünen und die Grün­liberalen dafür starkmachen, zögern Mitte und FDP. Die SVP lehnt eine PUK ab, spart aber ebenfalls nicht mit Kritik: Sie wirft dem Bundesrat vor, die «Too big to fail»-Regeln wegen ausländischen Drucks nicht angewandt zu haben, und fordert eine Mindest­quote von Schweizerinnen in den Verwaltungsräten börsen­kotierter Unternehmen; nur so sei eine gewisse Verpflichtung dem Land gegenüber sicher­gestellt. Die politische Linke setzt die Prioritäten anders: SP und Grüne verlangen die Einführung eines Trenn­bankensystems – das risiko­reiche Investment­banking soll die Kredit­banken und die Vermögens­verwaltung nicht länger ins Verderben stürzen können.

Was es für die Schweiz bedeutet

Dass eine über 150 Jahre alte Grossbank über Jahre hinweg zuverlässig Skandale produziert und am Ende durch eine vom Staat angeordnete Übernahme vor dem Konkurs gerettet werden muss, ist für die Schweiz kein Ruhmes­blatt. Der Ruf des Finanz­platzes ist nachhaltig geschädigt. Die Rettung selber ist auch problematisch, da die Schweiz aus Sicht von Juristen – darunter Rechts­professor Peter V. Kunz – leichtfertig Notrecht angewandt hat. Kunz rechnet mit Klagen von geschädigten Aktionärinnen. Gleichzeitig müssen nun insbesondere mittel­grosse Unter­nehmen, die inter­national tätig sind, mit schlechteren Bedingungen bei Krediten rechnen. Wenn nur noch eine global aktive Schweizer Grossbank im Rennen ist, fehlt der Wettbewerb. Diese Tatsache führt ausserdem zu möglichen Schwierigkeiten bei der Gesetz­gebung. «Wenn die Politik von nun an Gesetze zu Banken behandelt, dann wird das immer ein Gesetz gegen ein bestimmtes Institut sein: gegen die UBS», sagt Urs Birchler. «Eine Gesetz­gebung, die nicht eine gewisse Grund­neutralität hat, ist schwierig.»

Was sonst noch wichtig war

  • SRG-Wahlbarometer: Die Welt spielt verrückt, die Schweizer Politik aber bleibt ein Hort der Stabilität – so könnte man das gestern veröffentlichte Ergebnis einer gewichteten und repräsentativen Umfrage des Forschungs­instituts Sotomo im Auftrag der SRG zusammen­fassen. Mit Ausnahme der Grünen kommt es rund sieben Monate vor den eidgenössischen Wahlen bei keiner Partei zu einer prozentualen Veränderung ausserhalb des statistischen Fehler­bereichs von plus/minus 1,2 Prozent­punkten. Die Befragung wurde Ende Februar und Anfang März durchgeführt, also einige Wochen vor dem Untergang der Credit Suisse.

Die Grünen verlieren

Ergebnis Wähler­anteile laut repräsentativer Umfrage

Veränderung zur Wahl 2019
SVP (plus 1)026,6 % SP (plus 1)017,8 % FDP (plus 0,5)015,6 % Mitte (minus 0,5)013,3 % Grüne (minus 2,5)010,7 % GLP (plus 0,5)08,3 %

Quelle: SRF. Die Veränderung zur Wahl 2019 ist jeweils in Prozent­punkten in Klammern angegeben.

  • Plagiats- und Titelschwindel­vorwürfe: Der designierte neue Direktor des Schweizerischen Gewerbe­verbands, Henrique Schneider, soll seit mindestens zehn Jahren in seinen wissen­schaftlichen Veröffentlichungen abgeschrieben und zwei Professuren vorgetäuscht haben. Das berichtete die «NZZ am Sonntag» in ihrer letzten Ausgabe, basierend unter anderem auf einem Gutachten des öster­reichischen Plagiats­forschers Stefan Weber. Schneider, der Hans-Ulrich Bigler ab dem 1. Juli ersetzen soll, bestreitet die Vorwürfe. Der SGV lässt sie nun durch einen externen Gutachter untersuchen. Dessen Verdikt soll vor dem Amts­antritt vorliegen.

Illustration: Till Lauer

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