Untergang der Credit Suisse: Was sie sagten, was sie meinten, was sie verschwiegen
Was wollten Bundesrat, Nationalbank und Credit Suisse uns eigentlich mitteilen? Wir übersetzen.
Von Philipp Albrecht, Daniel Binswanger, Dennis Bühler, Lukas Häuptli, Priscilla Imboden und Karen Merkel, 21.03.2023
Vorgelesen von Danny Exnar, Magdalena Neuhaus, Patrick Venetz
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Es war einer jener seltenen Momente, wo uns der Hauch der Weltgeschichte anweht. Die Credit Suisse bricht zusammen, eine nationale Schicksalsstunde, und so tritt am Sonntagabend die Landesregierung, begleitet von den wichtigsten Akteuren der Banken-Notübernahme, an einer kurzfristig angesetzten Medienkonferenz an die Öffentlichkeit. Jetzt muss Klarheit geschaffen, Handlungsbereitschaft signalisiert, Autorität markiert werden. Für die Märkte, die Kundinnen, das Volk.
Bundespräsident Alain Berset, Finanzministerin Karin Keller-Sutter, Nationalbankpräsident Thomas Jordan, Finanzmarktaufsichtspräsidentin Marlene Amstad, CS-Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann und UBS-Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher sind anwesend und bilden ein beeindruckendes Aufgebot. Aus ihren Mienen spricht der Ernst der Lage.
Und dann sagen sie beinahe nichts. Das heisst, sie verkünden zwar die Übernahme der CS durch die UBS, lassen aber verblüffend viele Fragen offen. Weichen aus in Banking-Sprech. Stellen abenteuerliche Thesen in den Raum zu Ursachen, Abläufen, Verantwortlichkeiten für den GAU des Schweizer Bankwesens. Zünden Nebelpetarden und Wunderkerzen. Eine Stunde lang wurden viele berechtigte Fragen gestellt von den anwesenden Journalistinnen – aber die Antworten blieben mehr als interpretationsbedürftig.
Wir wollen deshalb Übersetzungshilfe leisten. Und setzen beim Grundsätzlichen an: Was um Himmels willen wurde hier eigentlich gesagt? (In Klammern finden Sie jeweils die ungefähre Minutenangabe im Video der Pressekonferenz.)
Hier rettet nicht der Staat die Bank
Finanzministerin Karin Keller-Sutter sagt (41:00):
«Das ist kein Bail-out, sondern eine privatwirtschaftliche Lösung – die UBS übernimmt die CS. Wir wollten einen Bail-out aus verschiedenen Gründen unbedingt vermeiden.»
Was wollte sie eigentlich sagen?
Als freisinnige Bundesrätin in einem Wahljahr kann und will ich euch diesen Entscheid nicht als das verklickern, was er offensichtlich ist: ein ordnungspolitischer Sündenfall, ein Bail-out, eine Rettung durch den Staat.
Was heisst es wirklich?
Klar rettet der Staat hier schon wieder eine Bank, wenn auch indirekt mithilfe einer anderen Bank. Bund und Nationalbank haben Garantien in der Höhe von 200 Milliarden Franken abgegeben für Liquidität; der Bund stellt weitere 9 Milliarden zur Verfügung für den Fall, dass sich ein offenbar unter starkem Ramschverdacht stehender Fonds der Credit Suisse auch tatsächlich als Ramsch erweist. Im schlimmsten Fall könnten die Steuerzahler also für 209 Milliarden Franken geradestehen müssen, auch wenn das mit ein bisschen Glück nicht eintreffen wird. Die Privatinvestoren hingegen müssen sofort Einbussen hinnehmen: Die CS-Aktionärinnen erhalten für ihre Aktien, die in UBS-Titel umgewandelt werden, nicht einmal die Hälfte dessen, was sie am Freitagabend noch wert waren. Längerfristig haben sie noch mehr verloren: Der Börsenwert der Credit Suisse sank seit 2020 von fast 28 auf 7,6 Milliarden Franken – und nun wurde die taumelnde Bank für 3 Milliarden an die UBS verkauft: Das ergibt einen Verlust von 25 Milliarden. Die vorläufige Bilanz: echte Verluste für Investoren von 25 Milliarden (seit 2020), potenzielle Verluste für die Steuerzahlenden von 209 Milliarden.
Das ist kein Fall von «Too big to fail»
Karin Keller-Sutter sagt (41:30):
«Die Too-big-to-fail-Gesetzgebung konnte hier nicht angewendet werden, weil sie anwendbar ist im Fall, dass eine Bank ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann. Hier hatten wir aber ein Liquiditätsproblem. Das ist also gar nicht typisch.»
Was wollte sie eigentlich sagen?
Natürlich ging es bei der Rettung der Credit Suisse um einen Too-big-to-fail-Fall. Aber ich kann und will hier und heute nicht diskutieren, dass das Regelwerk völlig nutzlos war.
Was heisst es wirklich?
Die Credit Suisse war nicht überschuldet und hat alle Eigenkapitalregeln eingehalten, die einen Konkurs eigentlich hätten verhindern sollen. Es hat sich gezeigt, dass es trotzdem zum Problem wird, wenn zu viele Gelder abgezogen werden. Offenbar schaffte die Regulierung, obwohl sie nach der letzten Finanzkrise verschärft wurde, zu wenig Vertrauen, um einen Run auf die CS zu verhindern. Hätte man die Regeln noch viel drastischer verschärfen müssen? Noch viel höhere Eigenmittelquoten vorschreiben müssen, um einen plötzlichen Vertrauensverlust von vornherein auszuschliessen? Wenn es so weit kommt, dass die ganze Kundschaft plötzlich all ihr Geld wieder zurückhaben will, ist keine Bank gegen den Untergang gefeit. Es stellt sich die Frage, warum es bei der CS so war. Das Bankmanagement hat mit zahlreichen Skandalen und Fehlinvestitionen dafür gesorgt, dass das Vertrauen in die CS schwand. In den nächsten Jahren wird diskutiert werden, ob die aktuellen Eigenkapitalregeln für die Grossbanken ausreichen – und was sie in Zukunft für ihre faktische Staatsgarantie tun müssen.
Die Schweiz übernimmt Verantwortung
Karin Keller-Sutter sagt (9:50 und 16:40):
«Ich stand täglich im Austausch mit Kollegen im Ausland, insbesondere Janet Yellen aus den USA und Jeremy Hunt in UK. Beide Finanzplätze sind wichtig, und die Credit Suisse spielt an beiden auch eine wichtige Rolle. (…) Die Schweiz musste hier auch ihre Verantwortung über die eigenen Landesgrenzen hinaus wahrnehmen.»
Was wollte sie eigentlich sagen?
Unangenehme Sache, wenn uns Grossbritannien und vor allem die USA die Hölle heiss machen, weil eine unserer Banken ein Risiko für ihren Finanzplatz darstellt. Da haben wir lieber schnell gehandelt. Aber hey – immerhin haben wir bei diesem Thema mal keine Scheu gezeigt, international Verantwortung zu übernehmen. Das ist doch schon mal was!
Was heisst es wirklich?
Die Schweiz dürfte von Grossbritannien und vor allem den USA stark unter Druck gesetzt worden sein. Letztere möchten nach zwei Bankenkonkursen in den letzten Wochen nicht noch mehr Ungemach auf ihrem Finanzplatz. Die beiden angelsächsischen Staaten wollten, dass die Schweiz das Problem selbst löst und sie nicht einspringen müssen, denn die CS ist auch in den USA eine wichtige Bank.
Thomas Jordan packt an
Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), sagt (22:50):
«Die Nationalbank erfüllt durch die umfangreiche Liquiditätshilfe ihren Auftrag, zur Stabilität des Finanzsektors beizutragen, und arbeitet zu diesem Zweck weiterhin eng mit dem Bund und der Finma zusammen.»
Was wollte er eigentlich sagen?
Möglichst wenig.
Was heisst es wirklich?
Eine Frage, die sich bei der Nationalbank immer wieder stellt: Wie unabhängig ist sie? Wie autonom kann sie ihre Entscheidungen treffen? Thomas Jordan hält sich dazu stets bedeckt. Im Nationalbankgesetz steht, die SNB müsse, unter anderem, die Stabilität des Finanzsystems gewährleisten. Sie hat freie Hand, wenn sie diesem Auftrag durch die Bestimmung des Leitzinses nachkommt. Wenn aber eine systemrelevante Bank auf einen Konkurs zurollt, ist die Lage eine andere: Da hat die SNB klare staatliche Vorgaben. Neuerdings zählt eine Liquiditätshilfe namens «Public Liquidity Backstop» dazu. Der Bundesrat hat ihn vor genau einem Jahr zur Einführung empfohlen, um systemrelevante Banken vor dem Untergang zu retten. Weil ein Entscheid des Parlaments noch aussteht, musste man ihn am Wochenende per Notrecht einführen. Der SNB blieb nichts anderes übrig, als der CS ein zusätzliches Darlehen in der Höhe von bis zu 100 Milliarden Franken bereitzustellen.
Bei den Arbeitsplätzen ist alles möglich
UBS-Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher sagt (30:50, 46:15):
«Wir sind uns bewusst, dass die kommenden Wochen und Monate für viele schwierig sein werden, vor allem für die Angestellten. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass wir unser Möglichstes tun werden, um diese Zeit der Unsicherheit so kurz wie möglich zu halten. (…) Wir sind uns der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren in der Schweiz bewusst, wir werden wohlüberlegte Arbeitgeber sein.»
Was wollte er eigentlich sagen?
Natürlich wird es Entlassungen geben. Aber heute Abend nicht mehr. Und wer interessiert sich schon dafür, was in ein paar Wochen sein wird?
Was heisst es wirklich?
Zusammengerechnet beschäftigten UBS und CS zum Ende des vergangenen Jahres weltweit rund 125’000 Menschen. 50’000 von ihnen waren bei der CS angestellt, ungefähr ein Drittel davon war am Zürcher Hauptsitz oder in einer der 95 Filialen in der Schweiz tätig. Nun beginnt die Suche nach Synergien. Heisst: Weil die beiden Banken fusioniert werden, dürfte die Anzahl Beschäftigter drastisch reduziert werden. Weit über die schon zu Jahresbeginn kommunizierten CS-Pläne hinaus, global 9000 Stellen aufzuheben.
Twitter ist schuld
Marlene Amstad, Präsidentin der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), sagt (23:50):
«Seit Oktober 2022 führten auf den sozialen Medien ausgelöste Gerüchte zu massiven Abflüssen von Kundeneinlagen bei der Credit Suisse.»
Was wollte sie eigentlich sagen?
Am Zusammenbruch der Credit Suisse ist Twitter schuld – sicher aber nicht die Bank selbst oder die mangelhafte Arbeit der Finanzmarktaufsicht.
Was heisst es wirklich?
Im Oktober 2022 war die Schieflage der Credit Suisse in den sozialen Netzwerken tatsächlich ein Thema. So twitterte ein Journalist des australischen Radio- und Fernsehsenders ABC Australia am 1. Oktober 2022: «Eine glaubwürdige Quelle erzählte mir, dass eine grosse internationale Investmentbank kurz vor dem Aus steht.» Zwar löschte er seinen Tweet später wieder – doch dessen Inhalt wurde trotzdem in die weite Welt der sozialen Netzwerke hinausgetragen. Diesem Zwischenfall vorausgegangen war ein CS-internes Schreiben von CEO Ulrich Körner. In diesem machte er die Aussage, der Bank gehe es besser, als ihr Aktienkurs vermuten lasse. Das Schreiben, das bald öffentlich wurde, trug wenig zur Beruhigung bei, im Gegenteil. Die CS-Aktie verlor innert kurzer Zeit mehr als 10 Prozent.
Unklar bleibt bis heute, wieweit die Posts auf Social Media tatsächlich zum Abfluss von CS-Kundengeldern beitrugen. Allerdings steht fest, dass der Zusammenbruch der Credit Suisse mit Sicherheit nicht hauptsächlich auf Twitter-Gerüchte zurückzuführen ist. Vielmehr hat eine Reihe von gravierenden Skandalen dazu geführt, etwa die milliardenschweren Verluste durch Investitionen in die Fonds von Greensill und Archegos, der Moçambique-Skandal, die Swiss-Secrets-Affäre oder die aufgeflogene Beschattung des ehemaligen Kadermanns Iqbal Khan.
Über die wirklich Schuldigen reden wir nicht
Axel Lehmann, Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse, sagt (1:00:30):
«Schauen Sie, rückwärtszuschauen ist immer einfach und irgendwo den Finger hinzulegen. Es ist einfach eine Tatsache, dass wir seit 2021 mit Greensill und Archegos nicht aus den Schlagzeilen gekommen sind. Wir sind einfach eingeholt worden von Altlasten. Wir sind eingeholt worden von Risiken, die sich materialisieren. (…) Und in der Summe halt wird plötzlich das Fass zum Überlaufen gebracht.»
Was wollte er eigentlich sagen?
Erstens: Wir reden nicht über diejenigen, die am Zusammenbruch der Credit Suisse schuld sind. Nicht über die Verwaltungsratspräsidenten der letzten Jahre, zum Beispiel Lehmann selbst, Urs Rohner oder Walter Kielholz. Und nicht über die CEOs, etwa Thomas Gottstein, Tidjane Thiam oder Brady Dougan. Zweitens: Das Wort «Verluste» nehme ich nie in den Mund. Nie. Statt von «Verlusten» spreche ich lieber von «Risiken, die sich irgendwo materialisieren».
Was heisst es wirklich?
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der Credit Suisse wiesen die Verantwortung für den Zusammenbruch ihrer Bank von sich. Nichts verdeutlicht das schöner als der letzte Satz von Lehmann: Die Frage, wer denn genau das Fass zum Überlaufen brachte, versteckte Lehmann in einer Passivkonstruktion, die irgendwelche Rückschlüsse auf Verantwortlichkeiten verunmöglicht. Es geschieht halt einfach. Dumm gelaufen!
Allerdings sehen das nicht alle so: Bereits steht fest, dass es sowohl wegen des Zusammenbruchs der CS als auch wegen der Übernahme durch die UBS zu Klagen kommt, etwa durch Aktionäre.
Über Kartellrecht reden wir auch nicht
Marlene Amstad, Präsidentin der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), sagt (52:50):
«Das Aufsichtsrecht und die Finanzmarktregulierung geben uns die Kompetenz, in diesem Fall im Sinne der Finanzstabilität die Wettbewerbssituation zu überschreiben. Davon haben wir hier Gebrauch gemacht.»
Was wollte sie eigentlich sagen?
Schon möglich, dass die neu entstandene Über-UBS jetzt eine Marktmacht hat, die den Wettbewerb beschädigt. Aber die Finma hat das Recht, das Wettbewerbsrecht auszusetzen, wenn sie es für nötig erachtet, zum höheren Wohle des Finanzplatzes.
Was heisst es wirklich?
Mit dieser Fusion wird die neue, grössere UBS geschaffen, die in gewissen Bereichen marktbeherrschend sein dürfte. Sie wird beispielsweise bei der Aussenhandelsfinanzierung einen Marktanteil von 70 Prozent aufweisen. Im Hypothekengeschäft dürfte die neue Grossbank hingegen nur einen Viertel des Marktes abdecken. Die Bilanzsumme der neuen UBS wird mit 1600 Milliarden das Zweifache des Schweizer Bruttoinlandproduktes übersteigen. Mit diesem Klumpenrisiko wird sich die Schweiz in die nächste Finanzkrise begeben.
Und zum Schluss – ein wenig Pathos
Alain Berset, Bundespräsident, sagt (5:30):
«Der Bundesrat ist überzeugt, dass die Übernahme der Credit Suisse die beste Lösung ist, um das Vertrauen an den Finanzmärkten wiederherzustellen, für das Land und seine Bürger.»
Was wollte er eigentlich sagen?
Wir tun das alles nur für euch! Die Schweizer Regierung ist zwar erst letzte Woche überhaupt aufgewacht und vollkommen unvorbereitet in diese Katastrophe hineingestolpert. Aber jetzt steht sie auf Deck! Und hat selbstverständlich alles im Griff!
Was heisst es wirklich?
Es bleiben trotzdem noch ein paar Fragen. Ziemlich viele Fragen. Verdammt verzweifelte Fragen. Bis zur nächsten Medienkonferenz!
Zur Debatte: Was beschäftigt Sie nach dem Ende der Credit Suisse?
Sind Sie froh um die schnelle Lösung oder fragen Sie sich, ob hier nicht ein neues Problem geschaffen wurde? Unterstützen Sie das Vorgehen der Regierung? Wenn nicht: Welche Art von Handeln hätten Sie sich gewünscht? Über welchen Aspekt der Krise wird nun zu wenig gesprochen? Was fehlt? Und: Mit wem würden Sie gerne sprechen, wen würden Sie am liebsten zur Rede stellen? Diskutieren Sie mit, hier gehts zur Debatte.