Literatur im Klimanotstand – Auftakt

Erzählen am Kipp-Punkt

Was haben Romane und Gedichte beizutragen, wenn es um die ökologischen Heraus­forderungen der Gegenwart geht? Auftakt zu einer neuen Serie über Klimakrise und Literatur.

Von Daniel Graf (Text) und Jan Robert Dünnweller (Illustration), 13.11.2023

Vorgelesen von Danny Exnar
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Vielleicht zwei Schlaglichter zum Anfang.

In einem kürzlich erschienenen Sammel­band mit dem Titel «Literatur und ökologische Praxis» widmet sich die Schrift­stellerin Kathrin Röggla den Schwierigkeiten «beim Erzählen der ökologischen Krisen». Lange Zeit galt ja das «Abstrakte» des Klima­wandels als Problem für alle, die auf die Dringlichkeit der Bedrohung hinwiesen. Nun aber, da die Klima­erhitzung längst auf allen Kontinenten sehr konkrete Katastrophen hervorruft, wird, so Röggla, umso deutlicher, dass wir selbst im Angesicht realer Extremwetter-Verheerungen wie 2021 im rheinländischen Ahrtal die Dimensionen davon kaum zu fassen bekämen. «Das Ausmass ist nicht zu überblicken», schreibt Röggla, es bleibe «immer ein Stück Unvorstellbarkeit». Und dann:

Wie kann Literatur dem abhelfen wollen? Oder ist die Frage bereits falsch? Kann Literatur den Glauben an ein reales Geschehen, das sich vollzieht, das wir aber nicht einordnen können und deswegen nicht sehen, überhaupt erzeugen oder ist sie Teil des Problems?

Ist es nicht so, dass es einem manchmal besser erscheint, lieber die Hände in den Schoss zu legen, zumindest keine Energie- und Papier­verschwendung zu bemühen, angesichts der Dringlichkeit des Themas und der gleichzeitigen diskursiven Folgenlosigkeit?

Die Krise und ihre Verheerungen sind zu gross, die Literatur und ihre Wirkung zu klein: So liessen sich scheinbar diese Zeilen zusammen­fassen. Man muss allerdings auch Rögglas Frage­zeichen mitlesen.

Anderes Spotlight. Der Schriftsteller Thomas Brussig hat sein neuestes Werk «Meine Apokalypsen» genannt. Im Untertitel heisst es «Warum wir hoffen dürfen», und daran lässt sich bereits ablesen, dass es sich nicht um literarische Prosa, sondern um ein Debatten­buch handelt. Das war keineswegs die Ausgangsidee. Brussig, dessen Bibliografie bereits ein Dutzend belletristischer Titel zählt, hatte eigentlich einen Roman zur Klimakrise und zu Weltuntergangs­szenarien schreiben wollen. Doch der Stoff liess sich nicht in einen Plot, nicht in eine Figuren­zeichnung überführen, die Brussig überzeugt hätte. Also verwarf er den Roman und wählte, so Brussig gegenüber der «Süddeutschen Zeitung», eine «unliterarische Form», um die Ergebnisse seiner umfassenden Recherchen auf den Punkt zu bringen. Und das auszudrücken, was ihm wichtig war.

«Oder ist die Literatur Teil des Problems?» Kathrin Rögglas bohrende Frage stellt sich auf vielfältige Weise, ästhetisch wie materiell. Denn längst geht es auch in der Buchbranche, wo gedruckt, vertrieben, gelagert und gereist werden muss, um den «ökologischen Fussabdruck der ansonsten doch so unverdächtig erscheinenden Literatur» (so Enno Stahl und Leonhard F. Seidl im Vorwort des genannten Sammel­bandes).

Die Klimakrise ist jedenfalls nicht einfach nur ein weiteres «Thema». Sie wirft, viel prinzipieller, die Frage auf, ob die Literatur über die Kluft zwischen Fakten­wissen und Verdrängung hinweghilft. Ob sie mehr anzubieten hat, als die gegenwärtige Bedrohungs­lage in (folgenlos konsumierbare) Dystopien hochzurechnen. Ob dem Ausmass und der Beschaffenheit der Krise mit literarischen Mitteln überhaupt beizukommen ist.

Wenn Röggla von einem «Stück Unvorstellbarkeit» spricht, ist das allerdings auch kein Schlusswort, sondern eher ein Ausgangs­befund. Man kann darin eine Anforderung an die Schreibenden sehen. Wenn die Dimensionen der drohenden Katastrophe zu gross sind, als dass die sprachlichen Mittel, sie zu fassen, schon zur Hand wären, dann bedeutet das eben auch: Es gilt, nach neuen Formen und Ausdrucks­weisen zu suchen; und sei es, wie bei Brussig, durch die Wahl einer anderen Textgattung. Denn natürlich hat auch Röggla ihren Text nur geschrieben (und hat das Symposium, für das ihr Input als Keynote diente, nur stattgefunden), weil da Menschen noch daran glauben, dass sich Worte finden lassen und diese einen Unterschied machen können.

Dieser Suche nach Ausdrucks­weisen gilt die Serie zu aktuellen Neu­erscheinungen, die wir unter dem Titel «Literatur im Klimanotstand» starten.

Literatur im Klimanotstand, das ist: Gegenwarts­literatur, die von der Klimakrise spricht. Es geht in dieser Serie aber auch um die Bedrängnis, die Schwierigkeiten, die Dilemmata, die die Klimakrise fürs literarische Schreiben selbst bedeutet. Die Klimakrise ist auch eine Krise des Erzählens und Benennens – und der Folgen­losigkeit von Worten. Sie wirft, wie bei Röggla und Brussig, mit aller Härte die Frage auf, ob die Literatur beim Verstehen der Klimakrise überhaupt hilfreich ist. Und sie aktualisiert ein uraltes Problem im Spannungs­verhältnis von Engagement und Literatur.

Denn Literatur als Kunst muss immer auch etwas anderes sein als notdürftig verpackter Aktivismus oder ein Partei­programm im literarischen Gewand. Sie ist eben nicht Politik, nicht Aktivismus und auch nicht einfach erzählerisch aufgehübschte Non-Fiction. Kunst – zumindest galt das vor der Klimakrise – verliert ihr Wichtigstes, wenn sie auf eine (noch so wünschens­werte) Botschaft reduziert wird. Zugleich können und wollen die Autorinnen der Gegenwart sich der Verantwortung nicht entziehen. Weder der Verantwortung der Buch­branche mit ihrer eigenen CO2-Bilanz. Noch der Verantwortung im Diskurs, an dem auch die Literatur partizipiert.

Was also hat die Literatur überhaupt zum Thema beizutragen? Wo scheitert, wo gelingt sie? Ist die Kunst im Grunde hilflos und muss entweder das Thema wechseln oder die Kunst­autonomie aufgeben? Was kann die Literatur der Klimakrise entgegen­setzen, mit ihren ureigenen Mitteln?

Diese Fragen beschäftigen längst nicht nur Autorinnen von Romanen, auch wenn Schlagworte wie Climate Fiction hin und wieder den Eindruck erwecken, es gehe hier ausschliesslich um erzählerische Prosa (was nichts über Literatur und Klimakrise, aber viel über Buchmarkt­präferenzen verrät).

Die Auseinander­setzung mit der Klima­erhitzung und ihren Folgen findet in Wirklichkeit quer durch sämtliche literarische Gattungen und Textsorten statt:

  • Man muss nur einmal in so unterschiedliche poetische Universen blicken wie die von Nobelpreis­trägerin Louise Glück, von Amanda Gorman oder, sagen wir, des Bieler Autors Levin Westermann, um zu sehen, wie vielgestaltig die Antworten sind, die die Gegenwarts­lyrik auf die obigen Fragen gibt – auch im deutsch­sprachigen Raum.

  • Autorinnen von Weltrang wie Margaret Atwood, Jonathan Safran Foer oder Amitav Ghosh haben essayistische Formen zum Thema erprobt und bleiben dabei doch immer als literarische Stimmen erkennbar – nicht zuletzt, weil ihre Texte zugleich die erzählerischen Heraus­forderungen der Klimakrise reflektieren.

  • Formen des Nature Writing, die sich der klaren Rubrizierung in «Fiction» oder «Non-Fiction» schon immer widersetzt haben, erleben im deutsch­sprachigen Raum seit mindestens 10 Jahren einen regelrechten Boom (im anglofonen Raum seit gut 150 Jahren).

  • Und schliesslich ist auch im Bereich der Klima­literatur – etwa bei dem Berner Autor Francesco Micieli – erkennbar, was gegenwärtig als genereller Trend gelten kann: dass sich eine Vielzahl von Misch­formen zwischen Prosa und gebundener Rede ergeben. Die Erzähl­prosa der Gegenwart ist längst dabei, gegen den Roman als alles dominierende Gattung zu opponieren.

Deshalb widmet sich die Serie «Literatur im Klimanotstand» der literarischen Beschäftigung mit der Klimakrise zwar in exemplarischer Auswahl, jedoch in der gesamten formalen Bandbreite. Sie stellt einzelne Neuerscheinungen vor und versucht dabei, Grund­sätzliches über spezifisch literarische Zugänge zu den verschiedenen Facetten dieser umfassenden Krise aufzeigen, die vor allem eine politische, ökonomische und gesellschaftliche ist.

Damit betritt die Serie selbstverständlich kein Neuland; sie will vielmehr beitragen zu einer längst begonnenen Debatte – auch innerhalb unseres Magazins. Wer schon länger die Republik liest (oder auf einige der obigen Links geklickt hat), weiss: Die neue Serie schliesst an eine Vielzahl von Texten aus den letzten Jahren an.

An Texte beispielsweise, die grundlegende Vermessungen zum Feld der Climate-Fiction vornehmen oder aufzeigen, wie eng die klassischen popkulturellen Freiheitsversprechen im kollektiven Gedächtnis mit Bildern der Fossilenergie verkoppelt sind. Beiträge, die sich der Klage über das vermeintliche Fehlen von relevanten Klima­romanen zuwenden oder fragen, wie es um die Ökobilanz des Literatur­betriebs bestellt ist. Gespräche über die Funktion von Science-Fiction bei der Klimafrage. Essays, die der Thematisierung der Klimakrise im Kinder- und Jugendbuch nachgehen oder die Frage diskutieren, welche Narrative Angst und welche vielleicht doch Hoffnung aktivieren.

Die Serie hat keinen festen Rhythmus, keine vordefinierte Anzahl von Beiträgen und vor allem: kein festgelegtes Ende. Denn die Klimakrise, so viel Prognose sei gewagt, wird Autorinnen und Leser auch in Zukunft umtreiben.

Anders gesagt: Ein Teil der Werke, die in dieser Serie einmal vorgestellt werden sollen, ist noch gar nicht geschrieben. Bereits getroffen ist die Auswahl der Bücher lediglich für die ersten Folgen.

Welche Bücher das sind?

Da wollen wir Sie, statt eine Preview zu geben, lieber überraschen. Aber so viel sei verraten: Ein Stück Schweizer Literatur wird den Anfang machen.

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Erzählen am Kipp-Punkt

Folge 2

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