Covid-19-Uhr-Newsletter

Nichts als die Wahrheit

07.01.2021

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Liebe Leserinnen und Leser

Ein neues Jahr hat begonnen, aber das Gefühl von Verwirrung und Überforderung bleibt. Dieses 2021 scheint sich stündlich ändern zu wollen – da müssen wir gemeinsam durch. Gestern nach der Pressekonferenz des Bundesrates schrieben wir an dieser Stelle, dass die Unsicherheit im Moment die wohl einzige Gewissheit sei. Und wer gestern Abend oder heute Morgen die Nachrichten verfolgte, sah die Stürmung des US-Kapitols durch einen fanatischen Mob.

Auch wenn die Ereignisse gestern Abend einen spontanen Eindruck machten, waren sie das nicht. US-Präsident Donald Trump hat bis heute seine Wahlniederlage nie eingestanden und das Ergebnis nicht akzeptiert. In den vergangenen Wochen und Monaten zirkulierten in sozialen Medien Aufrufe seiner Anhänger, von QAnon-Verschwörern und von Rechtsextremen: Aufrufe zur Gewalt an Kongressabgeordneten und zur Stürmung des Kapitols. Sie sind wohl auch zu einem grossen Teil überzeugt davon, Trump habe in Wahrheit die Wahl gewonnen. Gestern stand das Internet quasi auf der Strasse.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Covid-19. Wir bleiben aber beim Thema der parallelen Wahrheit.

«Infodemie», so nannte das die WHO im Herbst. Das Kofferwort aus «Information» und «Epidemie» bezeichnet die unkontrollierte Verbreitung von Falschinformation. Warum sich die Weltgesundheitsorganisation mit der Verbreitung von Nachrichten befasst? Nun, weil sie darin eine heftige Bedrohung für die Gesundheit sieht. Für die Gesundheit des Einzelnen, der Gesellschaft, der Demokratie. Und sie forderte, dass wir uns davor schützen.

Dazu muss man aber erst einmal verstehen, womit man es zu tun hat. Wir haben im Newsletter bereits mehrmals darüber geschrieben, wie Sie (und wir) wissenschaftlich abgestützte Argumente von Quark unterscheiden können:

Doch woher kommen Verschwörungsmythen? Wieso sind sie während der Covid-19-Pandemie plötzlich allgegenwärtig? Wie gelingt es ihnen, ganz unterschiedliche Menschen zu überzeugen?

Die Republik-Reporter Daniel Ryser und Olivier Würgler waren für Sie in den letzten Monaten unterwegs, so gut das Virus dies zuliess. Sie trafen Expertinnen, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, Historikerinnen, Psychologen und Psychiater, Journalisten und Forscherinnen für Medien, Rechtsextremismus, Esoterik, Antisemitismus.

Ihre Antworten finden Sie seit Dienstag in der Republik-Serie «Eyes Wide Shut». In Folge 1 laden wir Sie auf einen Rundgang im Fledermausland ein. Der Satiriker Andreas Thiel wähnt sich in einer Stasi-Diktatur, weil wir Masken tragen müssen. Das löst bei Gilbert Furian einige Fragen aus – er selber war einst Gefangener der Stasi. Weil er ein Punk-Magazin druckte. Wir empfehlen die Lektüre wärmstens!

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Auch im Kanton Aargau ist das mutierte Virus aufgetaucht. Es wurde bei einer Person festgestellt. Zuvor waren in der Schweiz bereits 46 Fälle des mutierten Virus aus Grossbritannien und Südafrika nachgewiesen worden – somit ist die Mutation in elf Kantonen sowie im Fürstentum Liechtenstein bestätigt worden.

Lonza produziert in Visp bereits den Impfstoff von Moderna. Zwar ist er noch nicht von Swissmedic zum Gebrauch zugelassen. Doch die Arzneimittelbehörde hat nach Inspektion der Anlagen, die im Moment nur eine kleine Menge herstellen können, eine Herstellungserlaubnis erteilt. Ziel ist es, in Visp 300 Millionen Dosen pro Jahr zu produzieren. Darüber hinaus produziert das Pharmaunternehmen Lonza in Portsmouth in den USA mehr als 100 Millionen Dosen.

In Tokio ist der Notstand ausgerufen worden. Premierminister Yoshihide Suga hat ihn auch für drei weitere Präfekturen bis Anfang Februar ausgerufen. Die Menschen werden aufgerufen, nicht unnötig rauszugehen. Restaurants dürfen nur bis 19 Uhr Alkohol ausschenken und müssen um 20 Uhr schliessen, wie auch Freizeitanlagen und Sportcenter. Kooperierende Unternehmen sollen finanzielle Unterstützung erhalten. Gestern hatte die 10-Millionen-Stadt Tokio rund 1500 Neuinfektionen zu verzeichnen.

Und zum Schluss: Oje, WG

Ergeht es Ihnen auch so, dass sich im Moment jede soziale Interaktion wie eine kleine Verhandlung anfühlt? Wie ein kleines Tänzchen der Risikoabwägung: Was ist die Empfehlung, Fenster auf, ist das sicher, ist das zu nah, warst du viel unterwegs, fühlst du dich wohl so, meinst du, das geht?

Das ist wohl für niemanden leicht im Moment. Für eine Wohnform ist es jedoch eine besondere Herausforderung: sogenannte Nichtfamilienhaushalte mit mehreren Personen. Oder schlicht: WGs. Vielleicht wohnen Sie selbst in einer?

Wie gehe ich pandemiebedingt mit den Mitbewohnerinnen um? Wie sage ich jemandem die Meinung, mit dem ich zwar keine Familienbande teile, aber doch die gute Stube und vielleicht mal auch eine Umarmung?

Erlauben Sie uns einige Gedanken aus eigener Erfahrung dazu, ohne Anspruch auf Vollständigkeit (an dieser Stelle: Danke an den besten Mitbewohner der Welt fürs Mitdenken!):

  • Sprechen Sie das Thema an, bevor es zum Problem wird.

  • Nehmen Sie das Thema zum Anlass, sich wieder mal bei einem gemütlichen Znacht darüber zu unterhalten.

  • Stellen Sie sich gemeinsam die Fragen: Wer hat beim Job, in der Freizeit wie viele Kontakte? Und wie gehen die mit Corona-Vorkehrungen um? Wie fühlen wir uns beim Besuch von Partnerinnen, die ausserhalb wohnen? Wie viele ausserhäusliche Besuche verträgt es pro Woche?

  • Behalten Sie im Hinterkopf, dass es ein bisschen so ist, als schliefe ihr Mitbewohner neben der Person, mit der Sie zu schlafen pflegen. Ein Haushalt ist und bleibt ein Kontaktknäuel.

  • Legen Sie gemeinsam grundsätzliche Regeln fest, an denen Sie sich später orientieren können.

  • Haben Sie Verständnis für die Situation des Gegenübers, aber kommunizieren Sie Ihre eigenen Bedürfnisse klar. Sagen Sie zum Beispiel: «Ich fühle mich unwohl mit xy» statt «Du machst xy, das ist doof».

  • Wiederholen Sie das Gespräch, wenn einer von Ihnen das Bedürfnis verspürt. Beim gemütlichen Znacht.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Lucia Herrmann und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Immer wieder erreicht uns die Frage, ob Spitäler und Ärztinnen eine Prämie (von 4000 Franken) erhalten, wenn jemand an Covid-19 stirbt. In sozialen Medien geht die Behauptung herum, dass aus sonstigen Gründen Verstorbene absichtlich als Corona-Tote gemeldet würden. Was hat es damit auf sich? SRF-Redaktor Christof Schneider ist im Format FakeCheck der Frage nachgegangen. «Krankenkassen bezahlen Geld für Behandlungen – aber nicht für Tote», sagt Verena Nold, Direktorin des Krankenkassenverbands Santésuisse. Woher kommt das Gerücht? Ein Mann aus dem Bündnerland verbreitet es. Hier gibts das ganze Video.

PPPPS: Kritische Selbstbetrachtung mag nicht immer zu den Stärken unseren Landes gehören. Gerne sehen wir uns als sicher, sauber und absolut effizient – ein Bild, das wir auch mehrheitlich erfolgreich nach aussen verkaufen. Doch warum versagt ausgerechnet die Schweiz – und mit ihr auch viele andere westliche Länder – in der Pandemiebekämpfung? Der Westen habe viel zu lange mit Überheblichkeit auf den Rest der Welt geblickt, schreibt Kollege Mark Dittli (Ex-Republik-Chefredaktor) von «The Market» in seiner interessanten Analyse.

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