Covid-19-Uhr-Newsletter

Fragen, was ist

28.04.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Die Republik gibt der Leserschaft regelmässig Einblick, wie ihre Redaktion arbeitet. Wir glauben, dass Transparenz für den Journalismus unabdingbar ist. Einem Koch, der angibt, woher er das Fleisch bezieht und wie er seine Gerichte zubereitet, vertrauen Sie zu Recht mehr als einem, der das nicht tut.

Heute haben wir aufgeschrieben, wie wir mit Studien und Statistiken zu Corona umgehen. Schliesslich war die Interpretation von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Daten noch selten so wichtig wie in diesen Tagen. Hier fassen wir die wichtigsten Punkte auch für diesen Newsletter zusammen:

  • Wir sagen, was wir gesichert wissen – und auch, was wir nicht wissen.

  • Wir befragen Expertinnen in ihren jeweiligen Fachgebieten. Wir sind keine Epidemiologen, Virologinnen, Ärzte, deshalb lesen wir einschlägige wissenschaftliche Publikationen aus Fach­zeitschriften und sprechen mit Wissenschaft­lerinnen und Forschern aus den jeweils relevanten Feldern. Ein Grundsatz ist dabei zentral: Auf Epidemiologen hören wir, wenn es um die Verbreitung des Virus geht; auf Virologinnen, wenn wir etwas über sein Verhalten im menschlichen Körper lernen wollen; auf Ärzte, wenn es um die Behandlung der Infektion geht. Nicht anders­herum.

  • Wir gehen mit Statistiken vorsichtig um und verzichten auf Grafiken, die Unsicherheits­bereiche nicht ausweisen, oder wir ordnen die Unsicherheit in Worten ein. Die Republik war in der Bericht­erstattung zum Corona­virus besonders vorsichtig, was Berechnungen und Grafiken aufgrund von unsicheren Daten angeht. Auf Visualisierungen haben wir weitgehend verzichtet, die wenigen Grafiken in unseren Artikeln zeigten Unsicherheitsbereiche (statt dass sie visuell eine nicht gegebene Genauigkeit suggeriert hätten) oder waren mit Erläuterungen versehen, die die Aussagekraft der Daten einordneten.

  • Wir prüfen wissenschaftliche Studien im Original und erwähnen, wenn sie noch nicht peer-reviewed wurden. (Peer-Review: ein Qualitätscheck, bei dem fachvertraute Wissenschaftlerinnen die Ergebnisse einer Studie überprüfen und auf Fehler checken.)

Journalismus funktioniert nur, wenn Sie der Berichterstattung vertrauen – darauf sind wir angewiesen wie Fische aufs Wasser. Trotzdem passieren auch uns hin und wieder Fehler. Über die wir auch transparent kommunizieren, wenn wir sie finden und korrigieren. Fällt Ihnen im Newsletter eine Unstimmigkeit auf? Dann sind wir immer froh um einen Hinweis.

Wir lesen alle Ihre E-Mails, auch wenn wir sie aufgrund der Vielzahl nicht immer persönlich beantworten können.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

Die neuesten Fallzahlen: Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zählen die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein heute Morgen 29’264 positiv auf Covid-19 getestete Personen. Bis Anfang April kamen täglich neue Fälle im vierstelligen Bereich dazu. Mittlerweile liegt die Zahl im niedrigen dreistelligen Bereich. Seit gestern Montag kamen nur 100 neue Fälle hinzu.

1,5 Milliarden für die Swiss: Das ganze Wochenende über haben gemäss Recherchen der Tamedia-Zeitungen die Luftfahrtbranche und Vertreter des Bundes über ein Rettungspaket verhandelt, das morgen kommuniziert werden soll. Laut den Recherchen wird die Fluggesellschaft Swiss 1,5 Milliarden Franken in Form von Bürgschaften erhalten. Den Kredite soll das Unternehmen von Banken beziehen, er wird aber vom Bund gedeckt. Noch seien die Verhandlungen nicht definitiv abgeschlossen, schreiben die Zeitungen. Knackpunkte: die künftige Flottengrösse und die Gefahr, dass das vom Bund garantierte Geld in der deutschen Lufthansa-Gruppe versickert.

Schüler wehren sich gegen Maturaprüfungen: Die Baselbieter haben vorgelegt, jetzt ziehen Gymischüler aus den Kantonen Waadt, Zürich, Bern und Thurgau nach. Sie fordern per Petition, dass die diesjährigen Maturaprüfungen gestrichen werden. Ihre Argumente: Chancengleichheit und Angst vor Ansteckung. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren beantragt beim Bundesrat, diesen Entscheid den Kantonen zu überlassen. Denn auch wenn das Schulsystem traditionell föderalistisch aufgestellt ist, müssen sie sich bei den Gymiprüfungen an eine Bundesverordnung halten. Erwartet wird, dass der Bundesrat morgen dazu einen Entscheid fällt.

Kleinfirmen sollen keine Miete zahlen: Der Verband Immobilien Schweiz schlägt der ständerätlichen Wirtschaftskommission vor, dass Kleinunternehmer und Selbstständigerwerbende mit einer Bruttomiete von höchstens 5000 Franken während zweier Monate keine Miete bezahlen müssen. Für Restaurants braucht es in den Augen der Immobilienbesitzer eine Sonderlösung: Sie unterstützen den Vorschlag der Ständeratskommission. Diese will, dass Gastronomen einen Teil des bezogenen Überbrückungskredites als Kompensation für die Mieten nicht an den Bund zurückzahlen müssen.

Die besten Tipps und interessantesten Podcasts:

Je länger die Pandemie andauert, desto stärker rücken auch die wirtschaftlichen Massnahmen und Folgen ins Zentrum der Debatte. Die Kosten der Covid-19-Krise werden gigantisch sein, schreibt die St. Galler-Wirtschaftsprofessorin Monika Bütler in einem Kommentar für die «NZZ am Sonntag». Darin geht sie auf die wichtigsten ökonomischen Fragen ein:

  • Was kostet die Pandemie? Erste Auswertungen zeigen, dass die wirtschaftlichen Folgen nicht nur auf die staatlichen Einschränkungen, sondern auch ganz direkt auf die Pandemie (Quarantäne, Arbeitsausfälle) und individuelle Verhaltensänderungen zurückzuführen sind. Aus Angst und Vorsicht passen Menschen ihr Verhalten freiwillig an. Deshalb sei es auch im vergleichsweise weniger restriktiven Schweden zu massiven Wirtschaftseinbrüchen gekommen, schreibt Bütler. Ihr Fazit: «Selbst wenn die Schweiz alle Restriktionen lockerte, hätten wir wohl noch immer eine deutlich geringere Wirtschaftsleistung.»

  • Gesundheit oder Wirtschaft? Ob langfristig gesehen zwischen Gesundheit und Wirtschaft ein Zielkonflikt bestehe, sei sehr viel schwieriger zu beurteilen, schreibt Bütler. Einerseits, weil das Aufwiegen von Menschenleben gegen Wirtschaftsleistung heikel sei, und andererseits, weil man noch viel zu wenig über die weitere Entwicklung der Krankheit wisse. Ihr Fazit: «Tiefe wirtschaftliche Einbrüche müssten in Kauf genommen werden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen und eine zweite, wirtschaftlich vermutlich viel verheerendere Welle zu verhindern.»

  • Was tun? Die Kurzarbeit sichert das Einkommen und verhindert einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Das sei wichtig, denn sobald gesunde Firmen zahlungsunfähig seien, würden für den Neustart wertvolle Strukturen im Konkurs zerbrechen. Bütler schreibt, dass auch die Politik vom Missverhältnis zwischen Wissen und Risiken schlicht überfordert sei. Sie könne es eigentlich nur falsch machen: «Reagiert sie zurückhaltend und spät, sind die Schäden an Menschen und Wirtschaft gross. Reagiert sie kühn und rechtzeitig (oder allenfalls zu früh), wird der Vorwurf laut, sie habe überreagiert und so den Schaden verursacht.»

Und wenn wir schon bei der Wirtschaft sind. Zwei englischsprachige Tipps für die Ohren:

  • Die University of Chicago hat eine der berühmtesten Wirtschaftsfakultäten. In ihrem neuen Podcast «Pandemic Economics» berichten die Wissenschaftler aus ihrer Forschung und erzählen, was sie bereits über die Auswirkungen der Pandemie auf die Weltwirtschaft wissen – und was nicht.

Frage aus der Community: Wieso sind die Beatmungsgeräte in dieser Pandemie eigentlich so wichtig?

Bei einer schweren Corona-Erkrankung kann es zu Infektionen der Atemwege und Lungenentzündungen kommen, die sich negativ auf die Atmung auswirken und die Sauerstoffaufnahme erschweren. Eine künstliche Beatmung wird dann nötig, wenn die normale Atmung nicht mehr ausreicht, um den Körper am Leben zu erhalten. Dabei wird der Patient in ein künstliches Koma versetzt. Dann wird ihm ein Schlauch in die Luftröhre eingeführt, und die Maschine drückt den Sauerstoff in die Lunge. Diese Art der Lebenserhaltung ist nicht ungefährlich. Eine künstliche Beatmung kann schwere körperliche Langzeitschäden verursachen und kommt deshalb nur im Notfall zum Einsatz. Mit einer mechanischen Beatmung wollen die Ärzte der Lunge Zeit geben, um sich zu erholen. In vielen Fällen können Patienten so vor dem Tod bewahrt werden.

Übrigens: Haben Sie gewusst, dass eine Kaffeemaschine und ein Beatmungsgerät zu 80 Prozent aus denselben Bauteilen bestehen? Deshalb produziert der Schweizer Kaffeemaschinen-Hersteller Thermoplan neu auch Beatmungsgeräte.

Zum Schluss ein Blick nach Oxford, wo ein Corona-Impfstoff gerade für den klinischen Massentest vorbereitet wird.

Wissenschaftler auf der ganzen Welt forschen derzeit am Heiligen Gral der Corona-Krise: dem Impfstoff gegen Sars-CoV-2. Jetzt scheint einem Team der Universität Oxford ein Durchbruch gelungen zu sein: Professor Adrian Hill vom Jenner Institute hat einen Impfstoff kreiert – der von amerikanischen Forschern bereits erfolgreich an Affen getestet wurde.

Warum die Oxford-Wissenschaftlerinnen schneller sind als alle anderen? Sie hatten Vorlauf: Bereits letztes Jahr forschten Hill und sein Team an einem Impfstoff gegen einen Verwandten des jetzigen Coronavirus. Der Beweis der Ungefährlichkeit dieser Impfung für den Menschen wurde damals erbracht.

Nun planen die Wissenschaftler eine Studie mit 6000 Probanden bis Ende nächsten Monats – in der Hoffnung, dass der Impfstoff nicht nur sicher ist, sondern neben Affen auch Menschen gegen das Virus schützt. Hill steht vor einem Paradox: «Wir sind die Einzigen im Land, die sich für die nächsten Wochen anhaltend hohe Ansteckungszahlen wünschen, damit wir unseren Impfstoff testen können», sagt er.

Hintergrund dieses seltsamen Wunsches: Wenn durch das Social Distancing in Grossbritannien die Infektionszahlen sinken, werde man schlecht beweisen können, dass die Impfung den Unterschied gemacht habe. Studienteilnehmer, die ein Placebo erhalten, wären vermutlich gleich wenig dem Virus ausgesetzt wie jene, welche die Impfdosis erhalten. Das sei ein «Dilemma», vor dem alle Forscher stünden, sagt Professor Hill.

Bleiben Sie umsichtig, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund.

Bis morgen.

Elia Blülle und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Auch heute ist uns bei der Recherche wieder eine amüsante Geschichte begegnet. Und zwar hat der nobelpreisgekrönte Immunologe Peter Doherty die Social-Media-Plattform Twitter mit Google verwechselt. So hat er anstatt die Suchmaschine irrtümlicherweise seine rund 26’000 Follower auf Twitter nach den Öffnungszeiten eines Weinhändlers gefragt – und zwar kurz nach ein Uhr nachmittags. Der Nobelpreisträger arbeitet seit Wochen ununterbrochen an der Corona-Forschungsfront. Nun haben dem Professor ganz viele Australier ihre Hilfe angeboten und wollen ihn mit Wein versorgen. Ob sein Keller dafür gross genug ist?

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