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Salami, scheibchenweise

06.01.2021

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Liebe Leserinnen und Leser

Es muss Gesundheitsminister Alain Bersets gefühlt drölftausendste Bundesrats-Pressekonferenz gewesen sein heute Nachmittag in Bern. Im Auftritt wirkte er ein bisschen wie eine Lokomotive, die Schweres zu ziehen hat, nicht ganz so vorankommt, wie sie es will – und deshalb ab und zu kräftig schnaubt.

Beschlossen hat der Bundesrat heute: nichts. Oder, seien wir präzise, fast nichts: Er hat die Ausnahmeregelung für einzelne Kantone aufgehoben. Ab dem 9. Januar müssen sämtliche Restaurants sowie Kultur-, Sport- und Freizeitbetriebe geschlossen bleiben. Bisher hatten «Kantone mit günstiger Entwicklung» da Ausnahmen machen können. (Allerdings gibt es die sowieso nur noch in einigen wenigen Kantonen – und am Sonntag haben Neuenburg, die Waadt und das Wallis ihre Ausnahmen aufgehoben.)

Konkret geändert hat sich nach der heutigen Sitzung also nicht viel. Noch nicht, das könnte aber wohl bald geschehen. Und zwar will der Bundesrat die Massnahmen (die aktuell noch bis 22. Januar gelten) um fünf Wochen – bis Ende Februar – verlängern. Das hat er heute in seiner Sitzung besprochen.

«Es ist leider nicht in Sicht, die Massnahmen zu lockern», so Berset. Auch wenn es für gewisse Branchen derzeit sehr hart sei, müsse man sehen, dass die Bevölkerung hierzulande noch viel mehr Freiheiten habe als anderswo.

Was passiert als Nächstes?

Am 13. Januar will er definitiv über die Verlängerung entscheiden. Vorher sollen die Kantone sich das auch anschauen dürfen – das nennt sich Konsultation. Im Vorfeld der heutigen Pressekonferenz waren die Punkte und Szenarien, die im Bundesrat zur Diskussion anstehen, erneut in verschiedenen Medien durchgesickert. Das hatte in den vergangenen Wochen System: Immer wieder waren vor Pressekonferenzen Bersets Vorschläge geleakt worden – von wem, ist unklar.

Heute wirkte es jedenfalls fast so, als wolle der Gesundheitsminister sachte, aber mit Nachdruck die Bevölkerung, die Politik und die verschiedenen Interessenvertreter darauf vorbereiten, dass doch noch mehr kommen könnte. Damit dann niemand erstaunt ist, wenn es dann so weit ist. Wäre der Bundesrat ein Metzger, wäre er Branchenkönig: So fein gehobelt wird derzeit die Salami nirgendwo sonst.

Mit der derzeitigen epidemiologischen Situation unzufrieden sind nicht nur die wissenschaftlichen Expertinnen, sondern auch der Gesundheitsminister. «Eine starke Entlastung des Gesundheitspersonals haben wir nicht wie gewünscht gesehen», so Berset. Ein Blick nach Grossbritannien zeige bereits, was aufgrund des mutierten Virus auch hierzulande passieren könne.

Man bereite sich jetzt darauf vor, was bei einer weiteren Verschlechterung zu tun wäre. Auch solche Vorschläge wurden den Kantonen zur Konsultation geschickt.

Mögliche Verschärfungen sind die Homeoffice-Pflicht, die Schliessung von Läden (statt der aktuellen Sperrstunde), weitere Einschränkungen von Menschenansammlungen und weitere, Zitat: «Massnahmen am Arbeitsplatz». Betreffend Schulschliessungen sagte Berset: «Wir fordern die Kantone auf, bereit zu sein für Schliessungen oder andere Lösungen. Wir müssen bereit sein in diesem Winter, wo alles sehr schnell gehen kann.»

Das ist in der Tat so. Klar ist: Es gibt nicht eine allgemein gültige Perspektive, wie wir damit umgehen sollen. Im Hinblick auf das mutierte Virus ergeben strengere Massnahmen wohl Sinn. Für Menschen, die in der Pflege arbeiten, sind weniger Fälle ein Schritt weg von der Erschöpfung. Für alleinerziehende Eltern sind Schulschliessungen eine fast unmögliche Situation. Für jemanden, der ins Spital eingeliefert wird, sind freie Kapazitäten lebensrettend. Für jemanden, der eine Beiz führt, ist die verlängerte Schliessung im besten Falle eine äusserst schwierige Situation. Ein rasch kommunizierter Entscheid über eine Verlängerung oder eine Verschärfung der Massnahmen würde immerhin etwas mehr Planungssicherheit geben. Vielleicht denken wir – auch im Umgang miteinander – immer mal wieder an die unterschiedlichen Lebensrealitäten.

Das Merkmal einer Pandemie sei die ständige Unsicherheit, sagte Gesundheitsminister Berset heute an der Pressekonferenz. Das ist tatsächlich im Moment vielleicht die einzige Gewissheit, die wir haben.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Am Flughafen Zürich können sich abreisende Fluggäste neu per Speichelprobe testen lassen. Ab morgen Donnerstag soll das Angebot stehen, so der Flughafen. Das Resultat soll nach fünf Stunden vorliegen. Gedacht sind die Tests vor allem für Passagiere, deren Zielland einen negativen PCR-Test zur Einreise verlangt. Die Selbsttest-Kits kosten 195 Franken.

Die EU hat den zweiten Impfstoff zugelassen, jenen der US-Firma Moderna. Er sei zu über 90 Prozent wirksam, teilte die europäische Pharmabehörde mit. Dieser Impfstoff basiert auf derselben Technologie wie jener von Pfizer und Biontech – der in der Schweiz aktuell schon verimpft wird. Mit sogenannter Messenger-RNA werden Zellen dazu gebracht, das für das Virus typische Spike-Protein selber zu bauen. Der Moderna-Impfstoff wird unter anderem im Wallis produziert – und die Schweiz hat insgesamt rund 7,5 Millionen Impfdosen davon bestellt. Es gilt als wahrscheinlich, dass er in der Schweiz ebenfalls bald zugelassen wird und die Impfkampagne damit schnell an Fahrt aufnimmt.

Die BBC wird Schullektionen am Fernsehen und online übertragen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Grossbritannien wird im Schulfernsehen täglich 3 zusätzliche Stunden aus dem Lehrplan der Primarschule sowie mindestens 2 Stunden für die Sekundarstufe ausstrahlen. Dies als Begleitmassnahme zu den Schulschliessungen im Land. In der Schweiz hat SRF mit «mySchool» eine Plattform, die sich an Schulkinder richtet.

Im Raum Los Angeles (USA) können Patientinnen mit geringer Überlebenschance nicht mehr in eine Klinik eingewiesen werden. Aufgrund der Corona-Situation und der Überbelastung der Spitäler in Südkalifornien sind Rettungskräfte dazu angewiesen, Patienten mit etwa einem Herzstillstand, deren Wiederbelebung nicht vor Ort erfolgreich ist, nicht zu transportieren. Auch Sauerstoff ist knapp und soll rationiert werden. Die Bezirkspolitikerin Hilda Solis sprach von einer «menschlichen Katastrophe». Im Bezirk leben rund 10 Millionen Menschen, seit Beginn der Pandemie sind rund 11’000 Personen gestorben.

China verwehrt einem internationalen Expertinnenteam immer noch den Zugang zum Land. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zeigte sich «sehr enttäuscht». Das Team hätte Anfang Januar im chinesischen Wuhan die Ursprünge des Coronavirus untersuchen sollen.

Und zum Schluss: Etwas tun können

Winston Churchill nannte sie den «schwarzen Hund»: die Depression. Tatsächlich befällt sie auch einen beträchtlichen Teil der Menschen in der Schweiz. Insbesondere wenn das Jahr wechselt, die Tage kurz sind und die Pflichtenlisten lang, straucheln viele Menschen. Sie taumeln, fallen, erstarren. Manchmal nicht nur ein wenig, sondern so, dass sie beinahe oder ganz in einer (Winter-)Depression versinken.

Depressionen gehören zur Vielfalt des Lebens. Und sie schaffen grosses Leiden. Aber: Wir können mit ihnen umgehen lernen. Der hilfreiche Text unserer Republik-Kollegin Olivia Kühni will dazu einen Beitrag leisten. Er ist kein Ratgeber für Depressive. Sondern richtet sich an Freundinnen und Angehörige. An Brüder und Schwestern, Ehefrauen, Onkel, Arbeits­kolleginnen, beste Kumpel, Partner. Kurz: an alle, die einen geliebten Menschen im Tief unterstützen möchten, aber nicht genau wissen, wie das geht. Denn niemand zieht sich alleine am eigenen Schopf aus dem Sumpf.

Der Beitrag erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Aber vielleicht finden Sie darin den einen oder anderen Gedanken, der Sie weiterbringt. Denn, so viel sei bereits jetzt verraten: Was Sie tun, das zählt.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Oliver Fuchs und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Nicht lineares Fernsehen (auch bekannt als Video-on-Demand) hat seine Vorteile: Man kann Fernsehsendungen nachschauen – so auch den SRF-«Club» von gestern Abend. In der Diskussionsrunde wird der Frage «2021 – ein weiteres Corona-Jahr?» nachgegangen. Es diskutieren mit Moderatorin Barbara Lüthi: Lukas Engelberger (Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz), Marina Jamnicki (Kantonsärztin Graubünden), Christoph Berger (Präsident Eidgenössische Kommission für Impffragen), Christian Althaus (Epidemiologe der Universität Bern) sowie our very own Republik-Journalist Daniel Binswanger. Wir finden natürlich auch deshalb: Das Schauen lohnt sich!

PPPPS: Wir kuscheln uns in die dunkelroten Sessel, vielleicht liegt der Geruch von Popcorn in der Luft, der Saal wird dunkel, womöglich öffnet sich gar ein Brokatvorhang, die Spannung steigt: Vermissen Sie den Kinogang auch so? Der englische Regisseur Tom Kingsley hat für sein Laptop-Heimkino Abhilfe geschaffen – aber nicht mit seiner Katze gerechnet, die sich plötzlich als Catzilla gebärdet. Dramatisch!

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