Analog in digitalen Zeiten: Dominic Nahr entwickelt in einer ehemaligen Hoteldusche im Rothaus Fotos für eine seiner ersten Geschichten. Republik

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Tech-Publizist Evgeny Morozov im Interview – und Dominic Nahrs letzte Tonbildschau

04.01.2020

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Ladies and Gentlemen and everyone between

Falls Sie gerade erst den Rausch ausgeschlafen haben: Willkommen im neuen Jahr! Heute haben wir Folgendes für Sie:

Welche Rolle spielt der Klassenkampf im digitalen Zeitalter? Wie bekommen wir die Übermacht der Tech-Konzerne in den Griff? Wer rettet unsere Daten vor den Kraken – und damit auch die Hoffnung auf eine progressive Politik?

  • Kaum jemand hat zu Fragen wie diesen derart klare Positionen wie der Publizist Evgeny Morozov. Und kaum jemand bleibt gleichzeitig so differenziert wie er. Der 35-jährige Morozov blickt bereits auf eine erstaunliche Karriere zurück und hat sich in der amerikanischen Universitätslandschaft und Tech-Publizistik in kürzester Zeit einen grossen Namen gemacht. In einer Zeit, in der viele von uns glauben, die Menschheitsfragen seien nur noch ein Big-Data-Problem, fragt sich Morozov, wie sich das entwickelt hat. Und er verweist auf die Machtstrukturen hinter den Technologien. Dort, so Morozov im Gespräch mit Daniel Binswanger, verberge sich auch die einzige Chance für eine Wiederauferstehung der Sozialdemokratie – was deren «Zombie-Kräfte» jedoch noch nicht begriffen hätten.

  • Etwas Fundamentales scheint aus dem Gleichgewicht geraten zu sein in Deutschland. Eine harmlose Satire mit einem Kinderchor im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen zieht Entschuldigungen, Distanzierungen, Sondersendungen und schliesslich Hetze und Morddrohungen nach sich. Ist dieses Pseudo-Ereignis überhaupt wert, thematisiert zu werden? Ja, schreibt Daniel Binswanger in seiner Kolumne: Es geht in diesem Fall um sehr viel. Eine Demokratie ist nur so viel wert wie die öffentliche Debatte, auf der sie gründet. Und sie braucht ein Mediensystem, das sich gegen Einschüchterungen zur Wehr setzt. Ist das in Deutschland wirklich noch gegeben?

  • Die Tonbildschau von Fotograf Dominic Nahr kommt heute aus Mössna, Österreich, wo er in einem Chalet Zeit mit seinen Freunden verbringt. Es ist der 91. Ort, an den wir Sie seit dem Start der Republik in der Reihe «Unterwegs mit Nahr» mitnehmen – und der letzte. «Ein paar Bilder, wenig erklärender Text und immer ein grosses Staunen darüber, wie viele unterschiedliche Ecken, Winkel und Kanten die Welt hat», beschrieb eine Verlegerin kürzlich die Arbeiten von Dominic Nahr. Dem schliessen wir uns gerne an: Danke, Dominic, für 91 neue Blicke auf Bekanntes und erste Blicke auf Unbekanntes. Es war uns eine grosse Ehre und Freude! Kommende Woche startet ein neues visuelles Samstagsformat.

Und damit zum Rückblick auf das Beste der vergangenen Woche:

  • Frankreich, Haiti, Chile, Hongkong, Algerien, Irak, Iran, Libanon: Das Jahr 2019 war geprägt von sozialen Aufständen in fast allen Regionen der Welt. In einer Art virtuellen Internationale gingen Symbole des Protests wie die Gelbwesten aus Frankreich oder die Joker-Masken aus Chile um den Globus. Die Gründe für die Aufstände sind von Land zu Land, von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden, und doch gibt es Gemeinsamkeiten: Es ist eine Rebellion gegen die Alternativlosigkeit.

«Man kann die krasse Partei­nahme für Ignazio Cassis auch so lesen: Als würde sich ein verletztes Tier nochmals aufbäumen, um ein letztes Mal den Status quo zu bewahren»: Franziska Schutzbach. Joël Hunn
  • «Wie stark ein Land nach rechts rückt, hängt massgeblich davon ab, wie sich die bürgerliche Mitte verhält», sagt die Basler Geschlechterforscherin und Feministin Franziska Schutzbach. Unser Reporter Daniel Ryser hat mit ihr darüber gesprochen, ob «politische Korrektheit» totalitär ist, was eigentlich Gender Studies sind und ob 2019 der Fortschritt gewonnen oder verloren hat. Schutzbach zeigt sich trotz einigen Erfolgen der Rückwärtsgewandten zuversichtlich: «Mehr als ein Aufschieben der Veränderung wird nicht möglich sein».

Sany
  • Wenn morgen die Nazis die Macht übernehmen würden, wer würde ihnen folgen? Die US-Schriftstellerin und Journalistin Dorothy Thompson verfolgte nach dem Ersten Weltkrieg als Korrespondentin in Europa den Aufstieg der Nazis. 1941 schrieb Thompson für «Harper’s Magazine» den Essay «Who Goes Nazi?», in dem sie an einer Party verschiedene Menschentypen kategorisierte: geborene Nazis; die Nazis, welche die Demokratie zu Nazis gemacht hat; die garantierten Mitläufer; und jene, die niemals zu Nazis werden würden. Ihr Essay bleibt auch fast achtzig Jahre später von erschreckender Aktualität. Wer wird Nazi? Das lustige Gesellschaftsspiel.

  • Es ist die vielleicht entscheidendste Frage im Zusammenhang mit dem Klimawandel: Wie viel Kohlendioxid können wir noch ausstossen, ohne dass die Erderwärmung 1,5 Grad übersteigt? Je nach Berechnungsart fällt die Menge bedrohlich klein aus. Die Datenkolumne «Auf lange Sicht» zeigt, wie die Experten bei ihren komplexen Berechnungen genau vorgehen und wie sehr die Schätzungen auseinandergehen: Unser schrumpfendes Kohlenstoff­budget.

  • Die Welt mit Sorge zu betrachten, gilt als vernünftig, Optimismus wird belächelt. Die Medien berichten fast nur Schlechtes, und dieser Fokus aufs Negative verzerrt unser Bild der Wirklichkeit. Dabei dürfte 2019 als das beste Jahr in die Geschichte der Menschheit eingehen. Im letzten Jahrzehnt erhielten 325’000 Menschen Anschluss an Elektrizität, 200’000 an Trinkwasser, 650’000 ans Internet, und 170’000 Menschen entkamen der bittersten Armut – jeden einzelnen Tag. Zum Start ins neue Jahr servieren Ihnen Olivia Kühni und Simon Schmid eine geballte Ladung Gegengift.

«Wenn ich die Stimme dieser Menschen sein kann, dann werde ich das sein»: David Miranda am 23. Juni 2019 an der Pride in São Paulo. Van Campos/Fotoarena/Alamy
  • Morddrohungen, Bodyguards und Angstattacken gehören zu David Mirandas Alltag. Der 34-Jährige ist einer von zwei offen Schwulen oder Bisexuellen im brasilianischen Parlament. Er ist ein Schwarzer in einem Land, in dem Schwarze in der Politik untervertreten sind. Er wuchs in einem Armenviertel auf, während die meisten Politiker aus mächtigen Familien stammen. Er machte mit seinem Ehemann Glenn Greenwald die Snowden-Dokumente öffentlich. All das macht Miranda zur Zielscheibe von Präsident Jair Bolsonaro. Unsere Autorin Ruth Eisenreich hat David Miranda getroffen: Der Feind des Präsidenten.

Wir wünschen Ihnen ein schönes Wochenende.

Ihre Crew der Republik

www.republik.ch

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