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Schön herausgearbeitet! Ich denke, die meisten bürgerlichen Parteien sind mental noch im neoliberalen Denkmodus. Der wurde seit den 1980ern schleichend zum Synonym für "bürgerlich".

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Ja. Vor den 80ern waren die Wirtschaftsfuehrer noch eher die Patrons. Ihrer Verantwortung bewusst. Die wurden dann durch die CEOs abgeloest, welche nur fuer und mit Zahlen agierten/agieren. Da wurde ploetzlich gebundenes Kapital als totes Kapital identifiziert. Alles musste effizient sein. Und genau da sind die Buergerlichen auch jetzt noch.

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· editiert

In der Tat:

1980 besass das reichste Prozent der Schweizer 33 % des steuerpflichtigen Vermögens. Heute 40 %.
Quelle: UBS Center Public Paper #6

Je mehr dieser Anteil weiter wächst, umso mehr wächst der politische Einfluss des reichsten Prozents.

Politische Kampagnen, Parteien und Entscheidungen können so gegen die Interessen der übrigen 99 % der Schweiz fallen. Das ist keine gute Entwicklung.

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
·

Und wenn man die Vermögen dazurechnet, welche nicht versteuert werden, dann sind es laut Piketty wohl weit über 50%...

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Der grösste Teil der Vermögen, die nicht besteuert werden, sind Rentenansprüche. Berücksichtigt man diese bei den Berechnung der Ungleichheit, nimmt die Ungleichheit ab.

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Lieber Herr K., da haben Sie in der Tat recht, das ist ein wichtiger Aspekt. Zu grosse Vermögenskonzentration führt zu zu grosser Machtkonzentration und beschädigt die Demokratie. Der Modellfall für diese Entwicklung sind natürlich die USA, wo die sehr greifbaren Konsequenzen der Monetarisierung des power broking ja auch gut untersucht sind (etwa von Larry Barthels). Herzlich, DB

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Mitdenker
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Ich möchte hier mal noch das Thema der Abstimmungsprognosen-Veränderung in Bezug auf die Zeit bis zur Abstimmung in den Fokus stellen.
99%-Initiative, wie zuletzt die Konzernverantwortungsinitiative und manche anderen (grünen oder sozialen Anliegen) zuvor zeigen immer wieder dasselbe Muster: Anfänglich mehrheitliche Zustimmung schwindet mit zunehmender Dauer des "Abstimmungskampfes". Kann/muss man daraus schliessen, dass der "eigentliche Volkswille" jeweils von der Propaganda der Mächtigen gekauft wird?

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Allgemein erhält man den Eindruck, die rechten Abstimmungsgegner brauchen nur die Worte „Arbeitsplätze“ und „KMU“ zusammen mit ein paar reisserischen Slogans auf Plakate zu drucken, um das Stimmvolk zu überzeugen.

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Absurd besonders zB bei "KMU" ist, dass dieselben Gegner denselben KMUs die Mietzinsreduktion verweigert hatten, vor nicht allzulanger Zeit.
Zusätzlich zu "Arbeitsplätze" und "KMU" könnte man noch "Wohlstand" und "Mittelschicht" anführen.

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Lieber Herr S., dass organisierter Widerstand regelmässig eine so starke Wirkung entfaltet, ist tatsächlich bemerkenswert und legt den Gedanken nahe, der Volkswille werde gekauft. Allerdings gibt es ein Gegenargument: Soweit ich sehe gilt dieser Mechanismus nicht nur für grüne und linke Vorlagen sondern auch für rechte. Es scheint so zu sein, dass es einfacher ist ein neues Gesetz oder eine Initiative den Leuten madig zu machen als sie bis zum Ende zu verteidigen. Es scheint eine Art kampagnentechnisches Grundgesetz zu sein - unabhängig davon, was man durchbringen will. Herzlich, DB

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Treffende Analyse. Leider besteht bürgerliche Politik aber immer weniger im Valorisieren von Fleiss und Arbeit, sondern in der Abwertung von Gesellschaftsschichten die auch gerne etwas vom Reichtum hätten.

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Ich habe zwei Fragen zu diesem Artikel: Inwiefern schreiet die Privatisierung des Bildungs­markts voran­? Zweite Frage: Sind in der Vermögensverteilung die Vorsorgeguthaben (2.,und 3. Säule) enthalten?

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Zur Privatisierung des Bildungsmarkts: Haben Sie nicht bemerkt, wie die freie Schulwahl schon vor Jahren für Eltern immer wichtiger wurde, je mehr Neoliberale das Sagen hatten? Haben Sie bemerkt, wie die Kantonale Berufsfachschule zurückgespart wurde, keine Konkurrenzangebote für Privatschulen mehr machen durfte, und danach fast abgewickelt wurde? Dass das Deutsch-Angebot für Fremdsprachige fast nur noch von Privatschulen gemacht wird, allerdings viel teurer, und subventioniert nur noch bis B1. Sehen Sie wie im Namen des förderlichen Wettbewerbs die Konkurrenz bei Berufsfachschulen, Kitas, Sprachschulen, Weiterbildungskursen von Seiten privater Anbieter hemmungslos wächst? Wie die Lohnschraube bei Lehrern und Dozentinnen an sämtlichen staatlichen und subventionierten Schulen immer mehr angezogen wird? Dem Staat fehlt das Geld, um die frühere hohe Qualität der Bildung aufrechtzuerhalten und zu entwickeln. Hochbezahlte, hoch motivierte Lehrpersonen werden in Frührente geschickt. Aus Steuergeldern aufgebaute Infrastruktur geht verloren, und die Arbeitslosenkasse wird geschröpft, damit neue, private, grossmäulige Bildungsunternehmen abkassieren können, und die Bildungswilligen bezahlen zweimal, Steuern und ihre Kurse.

Schon das Wort „Bildungsmarkt“ hat etwas Perverses. Wie Gesundheitswesen, Kultur, Service Public schlechthin, darf Bildungswesen eigentlich nicht rentieren, das ist immer unmoralisch und kurzsichtig. Bildung braucht Investitionen. Bildung kostet. Vor dreissig Jahren war ich beeindruckt von der Qualität des Schweizer Bildungswesens. Jetzt wird das ganze immer mehr dem anglosächsischen Vorbild angeglichen, mit Bildung zuerst für eine Elite, die sie bezahlen kann.

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Der Begriff Bildungsmarkt stammt nicht von mir, sondern habe ich aus dem Artikel zitiert.
Was ich wissen möchte ist, ob und wie Stand heute, eine Berufslehre oder ein Studium an einer Fachhochschule oder Universität zunehmend privatisiert wird.

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Zur Privatisierung des Bildungsmarkts: Ein Beispiel ist die EB Zürich, kantonale Schule für Berufsbildung, die das Kurs- und Weiterbildungswesen aufgeben musste, weil der Kanton sie in diesem Bereich nicht mehr unterstützen wollte. Sprich (das ist meine Interpretation) das Business stattdessen den privaten Anbietern überlassen wollte. Aus einer Medienmitteilung des Kantons:

Aufgrund veränderter gesetzlicher Bestimmungen musste die Schule ab 2011 ihre Kurse kostendeckend anbieten. [...] Zwischenzeitlich hat die EB Zürich ihre Strategie dem veränderten Umfeld angepasst und sich weitgehend aus dem Markt für Weiterbildungen zurückgezogen.

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Kurse und Weiterbildung ist nicht das gleiche wie Ausbildung. Inwiefern wird die Ausbildung, also Grundschule, Berufslehre, Matura und Studium an Fachhochschulen und Universitäten privatisiert?

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Die bürgerliche Politik fusst auf völlig falschen Annahmen. Das Privateigentum ist heilig, Steuern sind Diebstahl und wer sich nicht selbst versorgen kann ist ein Schmarotzer.
Da Bürgerliche außerdem sehr konservativ sind, wird sich daran auch nichts ändern.
Darum werden hierzulande alle Vorlagen versenkt, welche eine gleichmäßigere Verteilung von Vermögen zur Folge hätten.
Die einzige Hoffnung besteht darin, dass der bürgerliche Teil der Bevölkerung eher alt ist und die Jungen eher zur Vernunft neigen, als die Alten, so traurig das auch ist.

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Das ist nicht traurig, sondern folgerichtig und stimmt, wie Sie selbst sagen, hoffnungsvoll. Wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse genügend stark pervertiert haben, muss es den Jungen irgendwann auffallen. Es war schliesslich auch ein Kind, das rief: Der Kaiser ist ja nackt.
Ich bin froh um die Initiative der Juso und meine mit Daniel Binswanger, dass steter Tropfen den Stein höhlen wird, wie schon früher manchmal und jetzt wohl immer öfter. So wie es ist, kann es nicht weiter gehen.

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Mit traurig meinte ich die Tatsache, dass die, meist vernünftigen, Forderungen der Jungen von der älteren, erfahreneren, Generation als unvernünftig abqualifiziert und ignoriert werden, bis es zur offensichtlichen Katastrophe kommt.

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Binswanger schreibt:

  • Bürgerliche Gesellschaften sind Mittel­schichts­gesellschaften. Und

  • Was ist ein zeitgemässer Begriff von Bürgerlichkeit?

Rund 50 Prozent der Vermögenden in der Schweiz wählen SVP oder FDP, da müsste das Etikett bürgerlich neu verteil werden.

Oder wie seit Blocher/Metzler festgestellt werden kann: Die SP ist die einzige bürgerliche und staatstragende Kraft im Land.

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Das ist eben - leider - der grösste Fehler der Initiative. Jemand, der ein Leben lang bescheiden in seinem Häuschen lebte und es dann verkauft, realisiert z.B. einen Kapitalgewinn von 500'000 (z.B. vor 40 Jahren gekauft für 200'00 und jetzt für 700'000 verkauft, die Unterhaltskosten mal unberücksichtigt). Der würde wohl von der Initiative erfasst. Die völlig falsche Zielgruppe. M.E. wäre der 1. Ansatz: Vermögenssteuer erheblich erhöhen, z.B. ein Minimalsatz von 1 % mit einer Freigrenze von z.B. 1 Mio.

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Ihr Beispiel tönt real etwa so: 200'000 kostete das "Häuschen" mit Grundstück vor 40 Jahren, heute lösen die verkaufenden Erben 700'000 allein für den Boden. Das Haus selbst ist wertlos. "Jemand", der zum Zeitpunkt des Kaufes um die 35 war, konnte sich das Haus damals dank einer Erbschaft leisten und ist erst kürzlich verstorben.

Den enormen Erlös verdanken die Begünstigten nicht "einem bescheidenen Leben voller Arbeit" des Erblassers oder der Erblasserin, sondern der Verfügbarkeit des ursprünglichen Erbes und dem ausgetrockneten Markt für die Anlage grosser Vermögen. Nicht nur Kapitalgewinne ab einer Freigrenze, auch das beschränkte Gut Boden müsste mit einer Revision des Bodenrechts dringend anders behandelt werden.

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Die Höhe der Freigrenze ist ein Vorschlag. Ich gehe davon aus, dass diese in dem eher bürgerlichen Parlament erhöht wird, und Beispiele wie ihres ausgenommen werden.

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Immobilientransaktionen sind ja bereits mit einer Handänderungssteuer belegt, die je nach Kanton gar nicht so niedrig ist. Es ist nicht zu erwarten, dass man einen Verkauf, wie Sie ihn beschreiben, der neuen Kapitalgewinnsteuer unterwerfen würde. Das wäre wirklich einigermassen absurd. Für Immobilientransaktionen mit langer Haltedauer müssten genau wie für Firmen relativ hohe Freibeträge zugestanden werden. Herzlich, DB

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Physiker
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In meinem Heimatkanton Graubünden ist die Grundstücksgewinnsteuer bei > 33 Jahren Besitz auf 49% reduziert.
Bei > 195‘000 ist der maximale Steuersatz fällig von 15%.
Die Juso Initiative stellt m.E. sicher, dass progressiver besteuert wird.
Im Beispielfall werden je ca. 7.5% an Kantonssteuer und Gemeindesteuer fällig. Die 500 TCH werden um 30% reduziert (halbe Teuerung seit 81).
Aktuell fallen also 52’000 Steuern an und falls der Verkauf einer selbstgenutzen Immobilie als Kapitaleinkunft zählen würde, zukünftig 68‘000 CHF.
Wäre dieser Anstieg der Grundstücksgewinnsteuer wirklich absurd?
Falls diese Steuererhöhung von 4% als ungerecht empfunden würde, könnte das Parlament den Betrag, ab dem die maximale Steuer fällig wird oder die Abschläge für eine lange Haltedauer erhöhen.
PS
Beim Erben einer Immobilie und anschliessendem Verkauf zählt das Datum des Erwerbs nicht des Erbfalls.

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Davon sollte/dürfte man ausgehen. Dennoch: wieder eine Komplexität mehr bei der Besteuerung. M.E. sollte wir Steuerregime entwickeln, die möglichst fair sind, nicht umgehen werden können, regelmässig ohne zu grosse Schwankungen anfallen, für den Steuerzahlen keine Liquiditätsprobleme schaffen und möglichst einfach zu erheben sind. Die Vermögenssteuer erfüllt m.E. diese Kriterien weitgehend. Sie ist allerdings zu tief. Vor allem bei grossen Vermögen. Eine Bundesvermögenssteuer ab einer Vermögensfreigrenze von 1 Mio. satzbeginnend mit 0,5 % progressiv bis z.B. 1 %. Eine grosszügige Freigrenze deshalb, weil es m.E. aus verschiedenen Gründen sinnvoll ist, selber vorzusorgen.

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Wer sagt denn, dass Kapitalgewinne (die die Bürgerlichen sowieso ausschliessen werden, da der Initiativtext Kapitalgewinne nicht zwingend mitmeint) nicht pro Jahr berechnet würde? Dann wären alle diese normalen Fälle nicht mehr betroffen.

Ausserdem: Hier auf die Tränendrüse zu drücken, wenn mensch von seinem leistungslosen Einkommen (in der Form von Kapitalgewinnen) endlich wieder einen Teil abgeben soll, ist schon etwas unverschämt: Was sollen sich die denken, die sich heute gar kein Haus mehr leisten können und ihr gesamtes Arbeitseinkommen versteuern müssen?

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Dieses Beispiel zeigt zwei grundsätzliche, systemische Probleme auf: 1. Dass eine Liegenschaft in 40 Jahren eine Wertsteigerung aufweist ist mit kaum etwas anderem Dinglichem vergleichbar. Oder haben Sie schon gehört, dass ein Auto, ich meine jetzt nicht ein Ferrari, der meist in der Garage steht, nach 15 Jahren Gebrauch mehr wert ist als neu? Nach 40 Jahren hat das meiste an einem Haus die Nutzungsdauer erreicht oder überschritten. Wenn man es ersetzt, darf man es beim Verkauf an die Erstellungskosten anrechnen.
2. Wertsteigerungen sind also meist künstlich geschaffen, z. B. , wenn die Lage aus irgendeinem Grund attraktiver geworden ist. Das ist dann auch ein Kapitalgewinn wie bei einer Aktie.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Wer mich kennt, dürfte nicht überrascht sein, dass ich gegen diese Initiative bin. Und zwar sehe ich folgende Probleme:

  1. Besteuert die Initiative nicht "reich sein", sondern "reich werden". Sie würde vor allem das reich werden erschweren, aber die bereits reichen Leute nicht besonders hart treffen. Wer Vermögensungleichheit bekämpfen möchte, sollte die Vermögenssteuern und ggf. Erbschaftssteuern erhöhen.

  2. Werden Kapitaleinkommen anders als der Vorschlag behauptet, nicht "gerecht" besteuert, sondern mit einem Aufschlag von 50% gegenüber Lohneinkommen. Dabei muss beachtet werden, dass Kapitaleinkommen (soweit steuerbar) ohnehin schon überproportional besteuert werden, da sie unregelmässig anfallen. Wer fünf Jahre lang je 100'000 CHF verdient, zahlt viel weniger Steuer als ein Unternehmer, der Risiken auf sich nimmt und drei Jahre nichts verdient, ein Jahr 50'000 CHF und ein Jahr 450'000 CHF, obwohl er unter dem Strich gleich viel Einkommen hatte. Damit wird das Eingehen unternehmerischer Risiken bestraft anstatt belohnt! Man kann das nennen wie man will, aber "gerecht" ist eine solche Besteuerung nicht.

  3. Grundsätzlich fände ich es besser, die Ursachen der zunehmenden Ungleichheit zu bekämpfen anstatt die Symptome. Das erfordert etwas mehr Gehirnschmalz, ist aber besser geeignet, unsere gesellschaftlichen Probleme nachhaltig zu lösen. Ich habe da einige Ideen, das würde aber den Rahmen dieses Kommentars sprengen.

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Eine Erbschaftsteuer wäre in der Tat die gerechteste Lösung. Bei einer solchen Vorlage wird dem Volk aber jedesmal erfolgreich vorgegaukelt, dass bei einer Annahme alle KMUs untergehen würden. Also muss man eben andere Strategien versuchen, vielleicht klappt's ja irgendwann.

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Kapitaleinkommen werden keineswegs "überproportional besteuert", sondern in vielerlei Hinsicht steuerlich privilegiert:

  1. Kapitalgewinne sind steuerfrei (mit Ausnahme der Grundstückgewinnsteuer)

  2. Steuerfreie Rückzahlung von Kapitaleinlagereserven

  3. Teilbesteuerung der Dividenden

  4. Kapitaleinkommen sind nicht sozialversicherungspflichtig

Ausserdem ist ihr Beispiel völlig sinnfrei: Die Unternehmensgewinnsteuer ist nicht progressiv, weshalb es für das Unternehmen keine Rolle spielt, in welchen Jahr der Gewinn erwirtschaftet wird. Für die Eigentümer ist es so, dass die Eigentümer bestimmen, wann und wie sie sich den Gewinn auszahlen. Schlaue Eigentümer lassen den Gewinn in der Firma und verkaufen diese später zu einem höheren Preis, wodurch sie die Gewinne komplett steuerfrei in ihr Privatvermögen überführen können. Etwas weniger gewiefte Eigentümer zahlen sich Dividenden aus, aber verteilen die Gewinne wenigstens gleichmässig, um der Steuerprogression zu entgehen. Kaum jemand dürfte so naiv sein, sich den Gewinn immer sofort auszuzahlen, egal wie viel Steuern darauf fällig werden.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Die grosse Mehrheit der Schweizer Unternehmen sind weder Aktiengesellschaften noch GmbHs. Und da geht das Einkommen meines Wissens Jahr für Jahr direkt auf die Steuerrechnung der Inhaber.

Es stimmt, dass es heute Möglichkeiten gibt, die ungleiche Besteuerung abzufedern. Es ist aber nicht so, dass Kapitalgewinne heute stets steuerfrei wären. Beispielsweise müssen Mitarbeiter, die mit ihren Mitarbeiterbeteiligungen einen Kapitalgewinn erzielen, diesen oft voll als Einkommen inkl. AHV und weitere Lohnnebenkosten versteuern.

Es gibt sicher Verbesserungsmöglichkeiten, aber die vorliegende Initiative schafft mehr Probleme, als sie löst.

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Zum ersten Punkt:
Jemand der jährlich über 100‘000 CHF (oder was dann festgelegt würde, könnte ja auch höher sein) an Kapitalgewinn erzielt ist meiner Ansicht nach bereits reich. Ausserdem würde der höhere Steuersatz ja erst ab dieser Grenze gelten, die Gewinne unterhalb der Grenze werden zum normalen Satz besteuert. Ausserdem kann die Grenze vom Parlament so festgelegt werden, dass es effektiv die Schwerreichen trifft.

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Das ist schlicht Blödsinn. Wer als Unternehmer Risiken eingeht, ist schon sehr gut abgesichert. Die Gewinnschwankungen betreffen ja nicht den Lohn des Unternehmers, sondern das Unternehmen und die Ausschüttungen an die Aktionäre. Wenn Unternehmer und Aktionär auf die gleiche Person fallen und diese Person das Risiko eingeht zu Zwecken der Steuerersparnis seinen Lohn tief, die Ausschüttungen aber hochzuhalten, dann ist er selber schuld.
Es geht hier um die steuerfreien Aktiengewinne Privater und reduziert besteuerte Dividenden. Diese Instrumente führen zur Besserstellung Vermögender, gegenüber Leuten, welche von ihrem Lohn leben müssen und nicht auf Hundertausende zurückgreifen können, um mit Aktienhandel Gewinne (oder Verluste) zu realisieren.
Ein Arbeitsloser kriegt auch nichts vom Steueramt zurück, nur weil er jetzt grad kein Einkommen mehr hat.

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Wer als Unternehmer Risiken eingeht, ist schon sehr gut abgesichert. Die Gewinnschwankungen betreffen ja nicht den Lohn des Unternehmers, sondern das Unternehmen und die Ausschüttungen an die Aktionäre.

Sie waren nie Unternehmer. Wenn ein Projekt schief geht kann es sein, dass sie Leute entlassen müssen. Allenfalls Assets verkaufen. Vielleicht kommt das Risiko nicht grad so sichtbar um die Ecke. Ein Projekt läuft gut an, hat Potential. Sie stellen Leute ein. Als Kleinunternehmer können sie nicht einfach Aktien verkaufen, da sie noch keine Aktiengesellschaft haben. Eine Aktien Emission ist eine eher laengerfristige Sache. Einen Kredit gibt's nur gegen Sicherheiten, welche den Kredit übersteigen. Vielleicht haben sie ein (noch nicht) abbezahltes Haeuschen. Als Sicherheit. Vielleicht bricht der Markt wegen eines Virus zusammen, vielleicht wegen einer Gesetzesänderung. Vielleicht kommt nur eine Durststrecke, welche länger ist wie erwartet. Das Geld reicht dafür nicht. Sie entlassen die Leute und das Haeuschchen ist weg. Soviel zum Risiko des Unternehmertums.

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Urs Fankhauser
Citoyen
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Man ist ja nicht grundsätzlich gegen mehr Gerechtigkeit, aber der hier zur Diskussion stehende Vorschlag ist grad nicht der richtige, viel besser würde man... weil nämlich... und überhaupt. Wenn das so weiter geht, bleibt am Ende nur noch eine mögliche Forderung übrig: Eat the Rich 👨🏽‍🍳

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Lieber Herr Fankhauser, da haben Sie in der Tat recht! Es nimmt mitunter auch amüsante Züge an. Beispielsweise ist nun in einigen bürgerlichen Gazetten zu lesen, da wäre eine Erbschaftssteuer doch viel sinnvoller - dieselben Gazetten natürlich, die die Erbschaftssteuer aufs Blut bekämpft haben. Die Rhetorik ist tatsächlich immer dieselbe, und dies ist ja nun auch schon die x-te Vorlage, welche Ungleichheit steuerlich reduzieren will und abgeschmettert wird (in der bundestätlichen Botschaft zur Initiative gibt es eine schöne Auflistung). Alle finden die exzessive Vermögensungleichheit bedenklich. Aber alle Massnahmen dagegen sind immer falsch. Herzlich, DB

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Ja, macht mal bizli fürschi! ;)

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Lieber Herr Weisser, vielen Dank für Ihren Beitrag. Teilweise leuchten mir Ihre Argumente ein, teilweise kann ich sei nicht nachvollziehen. Zu Punkt eins: Kaptialgewinnsteuern werden naturgemäss ja nur erhoben, wenn die Gewinne realisiert werden. Es ist also nicht unbedingt eine Behinderung auf dem Weg, reich zu werden. Man kann hübsch thesaurieren und verkauft erst, wenn man reich geworden ist. Eine Vermögenssteuer ist da für die Akkumulation schon beinahe hinderlicher: Man muss sie bezahlen, sobald man den Freibetrag überschreitet. Was mir ebenfalls nicht einleuchtet: Eine Kapitalgewinnsteuer trifft sehr reiche Leute genauso hart, wie weniger reiche Leute. Auch sie legen ihr Kapital ja an. Es sei denn, Sie wollen damit argumentieren, dass sehr reiche Leute besser Mittel haben, um die Steuern zu umgehen. Zu Punkt zwei: Das ist in der Tat eine "Ungerechtigkeit", aber in vielen Fällen können sie dieses Problem als Unternehmer umgehen. Durch Rückstellungen, Verlustvorträge etc. Es müssten schon sehr ungünstige Zwänge vorliegen, damit ein Unternehmer tatsächlich plötzlich so viel versteuern muss, obwohl er vorher jahrelang nichts verdient hat. Oder ein miserabler Steuerberater. Zu Punkt drei: Immer wenn Verteilungsprobleme thematisiert werden, hebt jemand den Finger und sagt, man muss bei den Ursachen ansetzen, was in der Regel heisst: besser ausbilden. Ich gebe Ihnen im Grundsatz ja völlig recht. Nur wissen wir inzwischen auch: Das reicht nicht. Es gibt überall auf der Welt eine Korrelation zwischen materieller Ungleichheit und Chancenungleichheit. Und man kann erstere nicht unter Kontrolle bringen, ausschliesslich indem man die letztere bekämpft. Herzlich, DB

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Oh ich sehe grade, mein Korrektur-Programm. Ich wollte natürlich nicht lieber Herr Weisser, sondern lieber Herr M. schreiben. Herzlich, DB

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Ja, es gibt bei der Kapitalgewinnsteuer mehr Aufschubmöglichkeiten und andere Tricksereien als bei der Vermögenssteuer. Das ist aber für mich eher ein Argument dagegen als dafür.

Beispielsweise ist ein Bekannter von mir extra von Schweden nach London gezogen, bevor er seine Firma verkauft hat, damit er keine Kapitalgewinnsteuern bezahlen musste. Wenn es um siebenstellige Steuerbeträge geht, beginnen die Leute kreativ zu werden.

Das ist ein grosser Vorteil der Vermögenssteuer: sie kommt schleichend. Wegen 0.5% Vermögenssteuer verlässt niemand das Land. Aber wenn der Fiskus einem auf einen Schlag 50% des Vermögens wegnehmen will (wie im Beispiel meines Bekannten), überlegt man sich das schon.

Hinzu kommt, dass die Kapitalgewinnsteuer vor allem denjenigen Geld wegnimmt, die es produktiv einsetzen, während die Vermögenssteuer in der Tendenz das Geld bei denen holt, die nichts damit anzufangen wissen. Letzteres ist volkswirtschaftlich viel sinnvoller.

Herzlich, LM

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Können Sie überblicksmässig auflisten, welche Ideen Sie haben zur Bekämpfung der Vermögensungleichheit?

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Zunächst mal stellt sich die Frage nach der Ursachen der zunehmenden Ungleichheit. Dazu gehören neben den bekannten Effekten der Digitalisierung und Globalisierung auch der gesellschaftliche und demographische Wandel. Beispielsweise nimmt die Ungleichheit mit der Alterung der Gesellschaft automatisch zu, da sich im Verlauf des Lebens die Vermögensunterschiede zwischen Kollegen gleichen Alters verstärken. Auch ist ein Teil der Ungleichheit in der Schweiz importiert, da es unter den Ärmsten und Allerreichsten überproportional viele Zuwanderer gibt (man vergleiche beispielsweise Sans-Papiers und Michael Schuhmacher). Hinzu kommen Änderungen des traditionellen Familienmodells. Eine Scheidung oder alleinerziehend zu sein gehören zu den grössten Armutsrisiken in der Schweiz. Gleichzeitig führt die Tatsache, dass gute Doppelverdiener oft später und weniger Kinder haben als ärmere Familien zu einer weiteren Vermögenskonzentration. Eine weiterer wichtiger Treiber sind die tiefen Zinsen, die in Kombination mit Einzonungsstops und anderen Einschränkungen Immobilienbesitzer reich machen und die Ungleichheit zwischen Mietern und Eigentümern signifikant anhebt.

Demzufolge würden alle politischen Massnahmen, die bei dem oben genannten Ursachen ansetzen, die Ungleichheit mindern. Beispiele dafür wären:

  • Abschaffung der Pauschalbesteuerung für reiche Zuwanderer wie den oben genannten Rennfahrer.

  • Fokus auf “Hilfe vor Ort” oder andere Massnahmen zur Prävention von Flüchtlingswellen. Langfristig hilft hier auch eine gute Klimapolitik, wenn es dadurch weniger Klimaflüchtlinge gibt.

  • Mehr Einzonen und generell Schaffung von mehr Wohnraum

  • Höhere Zinsen

  • Volle Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten, sehr hohe Pauschalabzüge für Kinder und alle weiteren Massnahmen, die dazu führen könnten, dass reiche Leute mehr Kinder haben und sich deren Vermögen beim Vererben stärker verteilt.

  • Liberale Abtreibungsgesetze (Abtreibungen finden oft bei Müttern statt, die ohnehin schon schwierige Lebensbedingungen haben und dann sind Kinder ein Armutsrisiko)

  • Konservatives Scheidungsrecht oder andere Massnahmen, die geeignet sind, die Anzahl der Scheidungen zu verkleinern bzw. Anzahl Eheschliessungen zu erhöhen.

  • Ev. eine Erbschaftssteuer mit einem “virtuellen Kind”: wenn jemand stirbt, wird seine Gemeinde wie ein zusätzliches Kind auf dem Pflichtteil begünstigt. Das erhöht nebenbei auch den Anreiz für Vermögende, mehr Kinder zu haben.

  • Viele weitere Ideen. Muss leider los. :) Insgesamt sehe ich aber nicht ein grosses Patentrezept, sondern ein Bündel vieler kleiner Massnahmen, die in der Summe wirken dürften.

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Ihren ersten Punkt teile ich vollständig. Wir haben eine Vermögenssteuer. Nur ist diese zu tief. Man könnte simpel z.B. ein Freigrenze von einer 1 Mio. festlegen, darüber liegende Vermögen z.B. mit mind. 0,5 % besteuern, steigend.

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Das ist bereits der Fall?

Beispiel Kanton Bern:

Einfache Steuer für Vermögen über 700 000: 0.13 %
Steueranlage (Stadt Bern): x 4.5
Steuerlast: 0.585%

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  1. Konfiskatorische Besteuerung ist heute nicht erlaubt. Es bräuchte eine neue Rechtsgrundlage. Und wie viel höher wäre die Kapitqlflucht damit wohl? Arbeit zu besteuern, ist nich viel schlechter, weil mehr wohlstandsvermindernde Ausweichbewegungen zu erwarten sind – und wir sind schon ein Hochlohnland.

  2. Unternehmer°innen dürften sich auch einen Lohn auszahlen (wie es bei Einezlunternehmen genau aussieht. weiss ich nicht). Das tun sie aber selten, weil darauf ca. 10 % Sozialbeiträge entrichtet werden müssen. Und bei der AHV z. B. ist die Umverteilung noch viel stärker. Ausserdem haben Unternehmer°innen bei der ganzen Vorsorge viel mehr Spielraum, wodurch sie schon diverse Vorteile haben.

Und ja, es wäre ökonomisch unbestrittenerweise viel sinnvoller, Erbschaften und Lotteriegewinne zu besteuern. Dazu gab es vor kurzer Zeit zwei Abstimmungen: Ersteres bleibt meist unbesteuert und Lotteriegewinne sind nach der Lobby-Vorzeigeleistuvg zum Geldspielgesetz bis 1 Mio. auch steuerfrei.

Oder noch besser, negative Externalitäten besteuern (Lenkungssteuern). Bspw. Treibhausgase, Luftschadstoffe, Pestizide, Stickstoffüberschüsse oder indirekt: Energie, Strom, Fleisch, Drogen, Autos etc.). Es gab auch da mal eine Abstimmung: unter 10 % Ja-Stimmen... Und das bundesrätlich Klima- und Energielenkunssystem (KELS) wurde vom damaligen Parlament (mit FDP-SVP–Mehrheit) auch versenkt.

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Danke für diesen wichtigen Beitrag. In der Tat: Arbeit ent- und Kapital stärker belasten, das entspricht durch und durch der bürgerlichen Moral, die Tüchtigkeit und Fleiss belohnen will.
Allerdings stelle ich mir vermehrt die Frage, ob nicht auch das Konzept der Meritokratie per se ein Problem darstellt. Vergessen wir nicht, dass der Begriff aus einer satirischen Dystopie stammt (Michael Young, 1958) und die Privilegierten ihre Position - nebst der Abstammung - schon immer (Adel = Kriegstüchtigkeit) mit einem vermeintlich besonderen Verdienst legitimiert haben. Im Umkehrschluss bedeutet Meritokratie doch stets, dass die Ärmeren weniger tüchtig, tugendhaft, tatkräftig sind. Vom Spott über den dummen Bauer bis zur Verachtung gegenüber Hartz-IV-Bezieherinnen zieht sich ein roter bzw. aristokratisch ('Herrschaft der Besten')-blauer Faden durch die Geschichte.
Die Würde jedes Menschen, ganz unabhängig von 'seiner' Leistung - die ohnehin nie nur individuell, sondern immer auch gesellschaftlich eingebettet bzw. interdependent ist - scheint mir die bessere Grundlage, von der aus die im Endeffekt immer gemeinsam erwirtschafteten Früchte der Gesellschaft verteilt werden sollen.
Jede/r nach ihren/seinen Fähigkeiten, jeder/m nach ihren/seinen Bedürfnissen, dies wäre die Formel einer wirklich freien Gesellschaft.

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Lieber D. B., Ihre Vorbehalte gegenüber dem Konzept der Meritokratie kann ich sehr gut verstehen. Es ging mir beim Hinweis darauf, dass wir ihren Grundsätzen nicht mehr gerecht werden, primär um eine Hinweis darauf, dass die bürgerlichen Parteien im Widerspruch zu agieren scheinen zu ihrer eigenen Wertebasis. Darf ich Sie auf meine eigene Meritokritik verweisen, die ich hier vor ein paar Monaten publiziert habe?
https://www.republik.ch/2021/02/06/…ritokratie

Herzlich, DB

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Danke, D. B., für diesen wichtigen Punkt! Meine Bedenken gingen in dieselbe Richtung und treffen sich im selben Fluchtpunkt. Denn der unsägliche Vorwurf des «Parasitismus» in der Meritokratie unserer totalen Arbeits- und Leistungsgesellschaft geht in beide Richtungen.

  • Nach «Unten»: faul, dumm, untüchtig, unfähig, unmoralisch – die Sozialsysteme «schmarotzend»

  • Nach «Oben»: dekadent, lebensuntüchtig, genusssüchtig, korrupt, unmoralisch – das Wirtschaftssystem «schmarotzend»

Trifft es im einem Fall den Bauer, «fremde», geflüchtete, asylsuchende, migrierte, heimatlose oder arbeitslose Menschen, so im anderen Fall den sog. «Blutadel», «Geldadel» und – als Sündenbock – den «Geldjuden» (der gleichzeitig als unten und oben, arm und reich, fremd und assimiliert, heimatlos und einheimisch, schwach und übermächtig imaginiert wird).

Dieser kolonialistisch-rassistische Vorwurf wird aus dem Zentrum, dem Globalen Norden auch gegen die Peripherie, den Globalen Süden gesagt. So hörte ich selbst von Schweizern und Europäern, dass die Menschen auf den Philippinen, also wo meine schwer arbeitenden Eltern herkommen, «faul» seien und deshalb «arm» seien – und die Kolonialherren ja «auch Gutes» bewirkten.

Im Epizentrum der Meritokratie steht ein [organizistisches bild der gesellschaft](https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Spencer – ein «Volkskörper» – in dem alle eine gewisse Funktion, einen gewissen Zweck haben und eine gewisse Leistung erbringen müssen. Diejenigen, die «schaffen», sind gesund bringed, diejenigen, die «raffen» oder «schmarotzen» krank machend.

Deshalb vielleicht reagiere ich auch ein wenig allergisch darauf, wenn «Geld arbeitet nicht. Du schon.» eine bürgerliche, d. h. fleissige, ehrgeizige, aber frustrierte Mittelklasse appellieren soll. Die aber, wenn in Bedrängnis, mit genau denselben Grundgedanken weniger den Progressiven zuwendet, sondern vielmehr den radikalen und fremdenfeindlichen Konservativen (siehe Republik/Kosmos-Anlass von Binswanger mit Natasha Strobl.

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Ich wünsche ich könnte die Initiative der Jusos anpreisen aber die greift zu kurz. Ich würde sogar sagen, dass Ungleicheiten zu bewaltigen als Täuschung gelten sollte, da es sich nie mit dem Kern des Problems befasst : Kapitalismus.

Solange gewinnbringender Eigentum nicht als Diebstahl erachtet wird, wird sich die Lage der Arbeitenden nie dauerhaft verbessern.

Die Annahme der Initiative wäre nur ein weiterer Teufelspakt.

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= Warum etwas tun, wenn man auch nichts tun kann?

Was sie Teufelspakt nennen, sehe ich eher als ein Ringen um soziale Gerechtigkeit in einer Demokratie.

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Danke. Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.

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Man ringt dabei aber nicht um soziale Gerechtigkeit. Man glaubt es zu tun, aber in Wahrheit ringt man um moralische Genugtuung.

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Der Artikel spricht am Rande ein Problem an, das in sehr vielen Bereichen besteht: "Was ist ein zeitgemässer Begriff von Bürgerlichkeit? (...) Die sogenannten bürgerlichen Parteien haben dazu enttäuschend wenig zu sagen. Was für eine Ironie, dass diese Debatte inzwischen von den Juso angeschoben wird."
Steuerpolitik ist dabei noch das geringste Übel. Der historische Ur-Ausdruck der Bürgerlichkeit müsste doch die Aufrechterhaltung bzw. Verteidigung der Menschenrechte sein, wurden diese doch gerade durch die Bürgerbewegung des 18. / 19. Jhd. überhaupt formuliert. Heute sind wir aber in der Situation, dass die angeblich so bürgerlichen Parteien es sich zur Mission gemacht zu haben scheinen, möglichst viele dieser Grundrechte auszuhebeln und abzuschaffen. Die SP macht da fleissig mit. Linke Kräfte sind nun seit Jahren nur noch mit verzweifelten Bemühungen beschäftigt, die Entwicklung aufzuhalten, meist erfolglos und zunehmend hoffnungsloser.
Das ist absurd: Die Linke setzt sich für urbürgerliche Grundwerte ein und wird dafür als extrem (negativ konnotiert) bezeichnet.

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Das Problem der heutigen Politik liege darin, dass die Sozialdemokratie nicht mehr die Interessen der arbeitenden Klasse vertritt. Die 99% Initiative wird z.B. von Teilen der SP (mit abstrusen Argumenten) abgelehnt, heisst sie verbünden sich mit dem 1% der Reichsten gegen die Arbeitnehmer.
Zeigt sich auch darin, dass Ronja Jansen den Wahlkampf (sehr geschickt, aber gefühlt) alleine bestreitet.
Und sich die Leute zunehmend nicht mehr vertreten fühlen von der Politik (kann zwar auch andere Gründe haben).

Dass, wenn man Kapitalgewinne besteuert haben will, im Umkehrschluss ein Arbeitsethos befürwortet wird, kann ich hier nicht herauslesen. Die Einnahmen sollen ja auch in die Sozialwerke fliessen.
Zuletzt danke, dass die 99% Initiative und die Ungleichheit (über 10% der Bevölkerung in der Schweiz ist von Armut betroffen) thematisiert wird!

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Lieber Anonym 2, da haben Sie schon einen Punkt: Die Einnahmen sollen in die Sozialwerke fliessen, dass ist soziale Umverteilung. Allerdings: In der Logik wäre es fast zwingend, nicht zwischen Lohneinkommen und Kapitaleinkommen zu unterscheiden. Ist es wirklich ein Unterschied, ob ein Finanzfachmann hohe Lohn-Boni bekommt oder über Aktiengewinne verdient? Die Initiative macht diesen Unterschied. Herzlich, DB

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Lieber Herr Binswanger, wäre es nicht schön, Kapitaleinkommen müssten nicht mehr besteuert werden, weil es diese gar nicht mehr gibt? Das ist sicher naiv und utopisch, man muss es so nennen, und doch könnte man es weiterverfolgen und eventuell auch einmal darüber schreiben.

Ohne Zins und monetären Gewinn könnte Nullwachstum realisiert werden und Kinder- und Sklavenarbeit würden vielleicht verschwinden. Umwelt und Artenvielfalt würden geschont und vielleicht könnten wir sogar das für den Menschen zuträgliche Klima retten, wenn nicht aus allem Profit herausgequetscht werden müsste.
'System Change' statt 'Climate Change', dafür würden andere Werte realisiert. Die Jak Medlemsbank steht dafür Modell. Was meinen Sie?

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Besten Dank für die Antwort! Denke schon das ist ein Unterschied. Vor allem da ich bei diversen Unternehmen ziemlich unbeschränkt Aktien haben kann, was beim Lohn schon deutlich schwieriger ist.

In den abstrusen Argumenten der rechten SPler wurde tatsächlich angeführt, dass es eine Steuerharmonie (oder Steuergerechtigkeit?) gebe, die besage, dass Lohn und Kapital nicht unterschiedlich besteuert werden dürfe. Nur wird Lohn besteuert, Kapital auch, Profite der Unternehmen auch, Kapitalgewinne aber nicht. Da ist doch ein Unterschied? Daher finde ich die 99% Initative auch viel cleverer als die 1:12 Initiative.

Warte hier gerne auch noch auf den Artikel von Steuerspezialist Constantin Seibt zur Initiative, um zu sehen wie er das einordnet...

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Nachtmensch/Eule
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Hier vielleicht ein Nebenpunkt, aber ich finde diese rhetorischen Verweise auf Frühaufstehen als Kennzeichen für moralischen Wert oder gar moralische Überlegenheit (ein weiteres Beispiel wäre der britische Liberaldemokrat Nick Clegg mit seinem «alarm clock Britain») gruselig. Frühaufstehen macht niemanden zu einem besseren Menschen, es ist schlicht ein Übel – ein in manchen Bereichen wohl notwendiges, aber eines, das wir als Gesellschaft doch möglichst wenigen Menschen antun sollten. Bei jeder Arbeit wäre zu fragen, ob sie wirklich zwingend in aller Herrgottsfrühe erledigt werden muss.
Wo aber sind die Politiker:innen, die, statt Frühaufstehende als moralisch besser zu feiern, lieber Ausschlafen für (möglichst) alle fordern? Und warum gibt es tatsächlich Erwerbstätige, die den brutal frühen Beginn ihrer Tage als positives Merkmal sehen, das sie etwa von Arbeitslosen und anderen angeblich «faulen» Mitmenschen abhebt? Warum kämpfen sie nicht lieber dafür, selber länger schlafen zu dürfen?

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Ich bin echt beeindruckt von diesem Artikel - ohne im Einzelnen ohne weiteres einverstanden sein zu müssen. Eine eindrückliche Auslegeordnung von interessanten gesellschaftlichen Konstellationen auf Ebene von Interessen, Positionen, politischen 'Herkünften' und Seilschaften.
Einzig wäre ich nicht so überrascht, dass eine solche Initiative von den JUSO's kommt; und ich wäre 'auch als Linker' nicht dagegen, dass sie durchkommt !
Danke für die reichen Hinweise !

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Oder weil die Privatisierung des Bildungs­markts voran­schreitet – und zugleich nur den obersten Einkommen offensteht.

Sehe ich nicht so.
Weiterbildungskurse sind aeh, nicht so effizient. Ich habe mich jahrelang fuer Weiterbildungskurse an einer FH eingesetzt. Erfolglos. Ein Problem, ein Kurs muss ordentlich gefüllt werden, sonst rentiert er nicht. Wenn öffentliche Stellen einen Kurs ausschreiben, muss er auch so durchgeführt werden auch wenn er eigentlich unterbelegt ist. Es gibt kein Doodle, wo der Durchführungszeitpunkt optimiert werden könnte. Mittlerweile wäre das, Homeoffice und Remotearbeits Infrastruktur sei Dank, eher moeglich. Fall ein Teilnehmer keine Zeit hatte, gibt's ein replay ab aufgezeichneter Konserve.
Die normalen Bildungswege bis zur Uni, oder FH sind kostenfrei im Sinne, dass kein Schulgeld anfällt.
Für Kitas bezahlen Geringverdiener fast nichts. Bei Vielverdienern kann es schon vorkommen, dass das Einkommen der Frau für die Kita draufgeht. Meist lohnt sich das trotzdem, und es ist ja nur eine kurze Zeit. Ich bin mir nicht sicher, ob wir Block Kindergarten haben, die den ganzen Tag Betreuung bieten.
Allenfalls sollte man den Kinderwunsch etwas zurückstellen, bis man beruflich etabliert ist, und nicht im Niedriglohnbereich stecken bleiben. Mit 20 ein Studium wegen eines Kindes abbrechen, und dann Stapler fahren ist, aeh ungünstig. Das Kind 5 Jahre später waer auch noch gut gewesen.

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Lieber Herr B., ich habe weniger Fortbildungen gemeint, als zum Beispiel er Zugang zur Matura über Privatgymnasien, oder etwa die stark zunehmende Vorbereitung auf die Jimi-Prüfung über private Nachhilfekurse. Auch der Zugang zu ausländischen Elite-Universitäten hängt überwiegend an den finanziellen Möglichkeiten des Elternhauses. Aber ja Sie haben recht: Es gibt in der Schweiz immer noch sehr gute öffentliche Schulen und staatliche Universitäten, wo es keine finanziellen Zugangshürden gibt. Herzlich, DB

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Ja, das ist richtig. Wenn das Soehnchen oder Toechterchen fuer den Familienstatus, resp fuer das Familienunternehmen unbedingt einen Titel benötigt gibt es die Möglichkeit an privaten Gymnasien und privaten Unis dazu zu kommen. In der realen Welt wird es damit schwierig sein. Dieser Weg bestand aber schon vor über 40 Jahren. Ich weiss nicht, ob diese Möglichkeit immer noch besteht, im Kanton Appenzell darf/durfte jeder eine Uni eröffnen. Ein Doktor dauerte dann seine 2-3 Jahre, die Anwesenheit vor Ort ist nicht erforderlich, ausser einem Briefkasten ist dort auch nichts. Dafür können sie 2-3 Doktoratskurse gleichzeitig belegen, wenn sie denken das zu benötigen.
An die ausländischen Eliteuniversitäten kommen sie auch als Inländer nur kostenlos hin, wenn sie gut genug sind. Die wirklich guten Studenten bekommen beim MIT, Stanford usw ein Stipendium von der Schule. Die weniger Guten muessen bezahlen. Mit etwas Pech, oder Fehlplanung so viel, dass sie ihr Leben lang am Abzahlen sind. Das Studium ist so nicht nur Reichen vorbehalten.
Hier in der Schweiz ist die Hürde eigentlich nur das Gymnasium. Bei limitiertem Interesse oder Fähigkeiten wählt man nachher ein eher einfacheres Fach für das Studium.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Lieber Daniel, vielen Dank für die Kontextualisierung der 99-Prozent-Initiative, welche u. a. Argumente von Piketty und Milanović aufnimmt. Wobei ich zugeben muss, dass mir dein framing einiges Unbehagen auslöst. Wie überhaupt die Anbiederung links-sozialdemokratischer Anliegen an rechts-bürgerliche Haltungen. Denn «die Valorisierung von Fleiss und Arbeit», «einer ehrgeizigen, gut gebildeten Mittel­schicht, die den Weg nach oben mehr und mehr versperrt sieht», weckt nur allzu schnell unschöne Ressentiments in Richtung von «schaffendes vs. raffendes Kapital». Eine Assoziation also, die – passend zu Jakob Tanners Artikel – rechts wie links eine antisemitische Komponente enthalten kann. Ich bin mir natürlich bewusst, dass weder Du, Daniel, noch die JUSO dies im Sinn hat. Dennoch bleibt bei mir dieser unauflösliche Rest von Unbehagen.

Die «Entkopplung einer neuen Oligarchie», die so neu nicht ist, sollte daher nicht so sehr auf diesen «Arbeits­ethos» abstellen, also mit moralischen Argumenten bekämpft werden, als vielmehr mit solchen der Gerechtigkeit und Fairness, also der ‹sozialen Solidarität› – halt auch auf die Gefahr hin, dass diese die «bürgerliche Gesellschaft […], die auf dem Fundament von Leistung, Bildung und Arbeit ruht» nicht erreicht. Doch ist dies, find' ich, die Vermeidung eines «Pakts mit dem Teufel» bzw. einer «Querfront» wert.

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Lieber Michel, mit Verlaub, das ist jetzt wirklich etwas absurd. Wenn potenzielle Assoziationen zu "raffendem/schaffendem Kapital" ein Disqualifizierung-Kriterium sind, dann ist strukturelle Kritik an zu hoher Kapitalkonzentration (nämlich mit dem Verweis darauf dass zu hohe Ungleichheit sich auch negativ auf Produktivität und Wachstum niederschlägt), also Kritik am flagrantesten ökonomischen Missstand unserer Epoche schlicht nicht mehr möglich. Dass man auch ganz andere Argumente gelten machen kann - und sollte -, eben die Forderung nach Gerechtigkeit und sozialer Solidarität ist sicherlich richtig, da haben wir keinen Dissens. Aber es bleibt dennoch interessant, dass die Juso nicht primär auf dieser Ebene argumentieren - und nicht argumentieren müssen (klares Symptom des Wandels der linken Wählerdemographie). Noch eine Nachfrage: Was löst Keynes Euthanasie des Rentiers bei Dir aus? Herzlich, DB

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Lieber Daniel, es ist mir bewusst, dass bei Slogans wie «Geld arbeitet nicht. Du schon.», welche auch einen «Appell an eine frustrierte Mittel­klasse» sein soll, meine Sorge bei anderen als Überempfindlichkeit, ja gar als Absurdität erscheint.

Gegen deine Reductio ad absurdum muss ich jedoch sagen, dass ich gerade den wesentlichen Unterschied mache zwischen einer systemisch-strukturellen Kritik und einer personalisierend-simplifizierenden Kritik und Rhetorik (siehe oben Iring Fetscher und Fabian Fischer). Zu ersterem zähle ich deine wie auch Pikettys oder Milanovićs Analysen. Zu Letzterem Slogans wie diese.

Vielleicht bin ich bei strukturellen Diskriminierungen, welche auch auf der sprachlich-symbolischen Ebene stattfinden, aufgrund meiner eigenen Diskriminierungserfahrung einfach etwas hellhöriger. Und natürlich bin auch ich nicht vor solchen Ausfällen gefeit.

Doch in einer Zeit, in der rhetorisch wieder aufgerüstet wird und von «Würmern», «Schmarotzern», «Kraken», ja aktuell sogar «Zecken» die Rede ist – und die Empörung gerade auch von linker und links-liberaler Seite nicht ausbleibt –, sollte man gegenüber «Kraken» (2. Bild im Slider, vgl. auch das antikapitalistische Kindertheater «Raffzahn Jack», der als Krake dargestellt wird)», «Parasiten» und überhaupt dem «Blinden Fleck» des «Antisemitismus im linken Spektrum» nicht schweigen. Auch und gerade wenn aus Geschichtsvergessenheit es gar nie so gemeint ist. Erst recht, wenn es dort vorkommt, wo man sich politisch selbst verortet. Auf die Gefahr hin als «Nestbeschmutzer» oder – wie gerade eben – als «beauftragter Troll» denunziert zu werden.

Sondern versuchen – Jakob Tanner nicht unähnlich – vergleichend zu erinnern, um zu lernen und zu verstehen – und die Eskalationsspirale zu verhindern.

Und ja, wenngleich manche bei «Euthanasie des Rentiers» an eine «Erlösung» eines leidenden Rens im Hohen Norden denken sollten, so würde ich den Ausdruck aus reinem Taktgefühl und Respekt gegenüber der Opfer und ihrer Nachkommen dieser – teilweise auch bei sog. «aufgeklärten Liberalen» unterstützten – rassistischen, sexistischen, klassistischen und kolonialistischen Praxis nicht mehr auf der Objektebene in den Diskurs führen (auf der Metaebene wie hier, ok). Beantwortet das deine Nachfrage?

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... ja, wenn man ein 'Ghürsch' in seinen Etikettenwald bekommt, "kann" es solche Probleme geben ;(

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"als vielmehr mit solchen (Argumenten) der Gerechtigkeit und Fairness, also der ‹sozialen Solidarität›", Fairness, ja.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Mein Unbehagen begann schon bei den Slogans (einer Initiative notabene, die ich in ihren Zielen unterstütze):

  • «Löhne entlasten. Kapital gerecht besteuern.» finde ich ok.

  • «Geld arbeitet nicht. Du schon.» hingegen nicht, da Assoziationen an «raffendes Kapital vs. schaffendes Kapital» weckend.

Falls dies die «ehrgeizige, gut gebildete Mittel­schicht, die den Weg nach oben mehr und mehr versperrt sieht» ansprechen soll, graut es mir, da – wie Jakob Tanners Artikel Umberto Eco indirekt zitiert – «der Appell an eine frustrierte Mittel­klasse» eine Eigenschaft des «ewigen Faschismus» ist.

Nach dem Soziologen Seymour Martin Lipset sei der «Faschismus in der sozioökonomischen Mittelschicht beheimatet», so dass in diesem Zusammenhang kann auch von einem «Extremismus der Mitte» gesprochen werden kann, der auch schon in der Republik thematisiert worden ist (vgl. Wilhelm Heitmeyer, Tariq Ali oder Didier Eribon):

«Die Mitte», stellt sich heraus, ist keine Antwort, es ist die Frage. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer etwa hat seit Jahren sehr eindrucks­voll und faktenreich über «den Extremismus der Mitte» geschrieben. Tatsächlich ist diese das Problem. Es sind nicht nur die Abgehängten, die die Rassisten, Nationalisten, Faschisten wählen. Es sind die «ganz normalen Leute» oder eben «ganz normale Männer», wie Christopher Brownings Buch über eine Polizei­einheit heisst, die im Zweiten Weltkrieg am Judenmord beteiligt war.

Und wie die Corona-Pandemie zeigte, mobilisiert gerade diese extreme Mitte durch «Marktradikale, Verschwörungs­gläubige und Antisemiten»:

Diese Rhetorik setzt gleichzeitig auf eine Banalisierung des Virus und auf apokalyptische Erzählungen vom Ende der bürgerlich-demokratischen Welt. Sie propagiert einen brutalen Sozial­darwinismus, völkisch und/oder marktradikal unterfüttert, der von einem Hass auf «das Schwache» geprägt ist.

Die Meritokratie der Mittelschicht (und die Oligarchie der Oberschicht) entwickelt sich bei der «frustrierten Mittelklasse», «die den Weg nach oben mehr und mehr versperrt sieht» und von «Prekarisierung» (früher hätte man gesagt «Proletarisierung») bedroht sieht, zu einem Sozialdarwinismus der «eigenverantwortlichen Egoisten»:

Es ist x-fach belegt, dass der Bildungs­grad der wichtigste Indikator für Trump-Sympathien darstellt und dass seine Wählerinnen typischerweise nicht die Stimmberechtigten sind, die sich am alleruntersten Ende der Einkommens­verteilung befinden. Das Trump-Phänomen hat mit kulturellem Ressentiment zu tun, viel direkter als mit materieller Benachteiligung. Aber dieses Ressentiment ist nicht gegen die Meritokratie als solche gerichtet. Im Gegenteil: Auch die bildungsfernen Amerikaner haben ihr Prinzip inzwischen verinnerlicht, nicht weniger als die akademische Mittelschicht.

Dieses «Oszillieren zwischen Verschwörungs­theorie (völkisch) und Sozial­darwinismus (marktradikal)» bietet dann die Steilvorlage für die sog. «Querfront» etwa eines Jürgen Elsässer (vgl. «Satan in Hollywood»):

Im Oktober 2007 plädierte Elsässer [...] für ein Querfrontbündnis «von links bis zur demokratischen Rechten» oder «von Lafontaine bis Gauweiler». Er folgte damit dem Rechtsextremisten Horst Mahler, der Oskar Lafontaines Eintreten für die Tobin-Steuer 1999 begrüßt hatte: Erstmals seit Adolf Hitler habe ein deutscher Politiker «einen Unterschied gemacht zwischen dem schaffenden Kapital und dem raffenden Kapital».

Das hat natürlich eine antisemitische Komponente. Der Politikwissenschaftler Iring Fetscher sage dazu:

Ruinierte Kleinbürger suchten die Schuld an ihrem Schicksal nicht im Privateigentum an Produktionsmitteln, also der kapitalistischen Wirtschaft als solcher, sondern bei einzelnen Institutionen, bei Börsen und Banken, welche mit den Juden identifiziert würden. Diese «pseudokonkrete Verschwörungstheorie» erfordert nach Fetscher erheblich weniger Intelligenz als die Einsicht in einen komplizierten ökonomisch-technischen Prozess.

Allgemein sei das Problem antisemitischen Antikapitalismus:

die Unterscheidung zwischen «schaffendem» und «raffendem Kapital». Ersteres wird positiv mit Deutschtum und Handarbeit konnotiert und als echte Wertschöpfung verstanden, letzteres dagegen pejorativ mit dem angeblich parasitären Zinsmechanismus, mit Börsenkapital und dem Judentum assoziiert. In diesem Denken werden abstrakte Wirtschaftszusammenhänge personifiziert bzw. personalisiert: Der Kampf richtet sich dann nicht gegen ein Wirtschaftssystem, sondern gegen Menschen, die davon vermeintlich oder real profitieren, weswegen der Politikwissenschaftler Fabian Fischer hier von einem «anthropomorphen Antikapitalismus» spricht.

Um den Kreis zu schliessen, weckt der Slogan «Geld arbeitet nicht. Du schon.» – so leid es mir tut – bei mir die Assoziation mit genau einem solchen «anthropomorphen Antikapitalismus».

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nebenbei bemerkt: dies scheint ein fast ausschliessliches männerkränzchen zu sein, nicht? ich selber denke, alles, was die bestehenden verhältnissen mit kleinen, nicht wirklich verletzenden nadelstichen piekst, ist in ordnung. erst essentielle veränderungen (zb abschaffung des privateigentums von grund und boden sowie des privateigentums an produktionsmitteln) schaffen bessere voraussetzungen für unsere welt.

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Die Idee des Ausgleichs zwischen arm und reich in der Schweiz ist löblich. Wenn er den bei Annahme der Initiative funktioniert. Im Vergleich zur Übermacht des Kapitals im heutigen "Ultrakapitalismus" weltweit, werden die Schweizer Jusos wohl wenig Chance damit haben, dass die Milliardäre des Landes mehr Steuern bezahlen und ich dafür eine bessere Rente erhalte oder die Pflegerinnen mehr Geld in der Tüte haben am Ende des Monats. In die Kraft der Demokratie von Roger de Weck lese ich, dass die Übermacht des Kapitals fast keine Schranken mehr kenne. Und weiter: "Der Produktionsfaktor Kapital hat sich mit einem neuen vierten Produktions- und Kontrollfaktor verknüpft - den Daten. Big Money und Big Data stehen im Bunde, das hat die Position des Kapitals ungemein gefestigt. Der Geld- und Datengewalt von Riesenkonzernen wissen die Demokratien wenig entgegenzusetzen. Den digitalen Ultrakapitalismus prägt ein dreifaches Machtgefälle: zwischen den Unternehmern und den Verbrauchern, die laufend ihre Verhaltensmuster, ihren wunden Punkte und sonstigen Daten zu ihrer Privatsphäre preis geben; zwischen den Auftrag- bzw. Arbeitgebern und den prekären Beschäftigten, da sich die digitale Welt für lose Arbeitsverhältnisse und ausufernde Arbeitszeiten eignet; schliesslich zwischen der raschen Ökonomie und der langsamen Demokratie, weil Gesetzgeber und Regulatoren der rasanten Entwicklung hinterherhinken." Eben so moniert de Weck den Abbau praktisch aller Kontrollen der weltweiten Kapitalflüsse. Und: "Das mobile Kapital spielt die Staaten gegeneinander aus." So kommen wir zum Problem der globalisierten Wirtschaft mit immer nationaleren Nationen. Ich werde der Initiative trotzdem zustimmen im Wissen, dass sie nicht hilft. Und das ist das nächste Problem.

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Was ich auch noch spannend finde, ist dass die 99-Prozent-Initiative bei den sonst so auf Gerechtigkeit erpichten Gesellschaftsliberalen (zu denen ich mich auch zähle) einiges weniger gut ankommt als die Ehe-für-alle-Initiative. Letztere kostet nichts, die Initiative 99-Prozent-Initiative könnte je nach Ausgestaltung wohl auch die Aktien und Pensionskassenrenditen der "brahmanischen Linken" (Piketty) tangieren.

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Citoyen
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Danke für diesen Artikel, ich unterschreibe jedes Wort.

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Der Beitrag finde ich auch gut recherchiert. Ein wichtiger Teil hätte noch ergänzt werden können. Die amtlichen Bewertungen der Steuerkantone haben, jedenfalls im Kanton Bern,
(im Kanton Bern hat im 2020 eine großangelegte Aktion stattgefunden, um die Liegenschaften neu zu bewerten, grundsätzlich halte ich dies für richtig. Es sind jedoch entscheidende Korrekturen bei den neuen Bewertungsgrundlagen nicht gemacht worden.)
vor allem in städtischen Gebieten einen großen Einfluss auf den Mittelstand. Die Eigenmietwerte wurden zum Teil beträchtlich erhöht, die Renten der baldigen Rentner fallen. Ich denke der Kanton Bern ist kein Einzelfall in der CH.
Zudem: Das Thema Klimawandel wurde bei der Neubewertung der Liegenschaften bzw. bei Wohneigentum einfach weggelassen, als ob in den letzten 20 Jahren sich nichts beim Klima geändert hat. Bald wird im Kanton Bern über den Klimaschutz abgestimmt. Sollte die Mehrheit der an die Urne gehenden Bürger des Kantons Bern den Klimaschutz wollen, müssten sofort die amtlichen Bewertungen des Wohneigentums wieder neu angepasst werden, um glaubwürdig zu sein. Ob dies die verantwortlichen Köpfen des Kantons Bern wissen und dann umsetzen, ist aus meiner Sicht sehr ungewiss, wäre aber notwendig.

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