Das Grobe überlässt er anderen

Mit Albert Rösti hat vor einem Jahr ein Anti-Klimaschützer, Anti-Naturschützer und Anti-SRGler das Infrastruktur­departement übernommen. Er trimmt es behutsam, aber zielstrebig auf SVP-Kurs.

Von Dennis Bühler, Priscilla Imboden (Text) und Illumüller (Illustration), 08.12.2023

Vorgelesen von Jonas Rüegg Caputo
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Es ist ein typischer Albert-Rösti-Moment. Er hält inne, schaut auf seine Notizen, blickt auf, lehnt sich nach vorne, lächelt den Journalisten freundlich an und sagt: «Bitte hören Sie mir jetzt wirklich zu.» Nein, es handle sich nicht um eine industrielle Tötung. Und ein Massaker sei es schon gar nicht. Man wolle doch nur zurück zu den Wolfs­beständen von vor drei Jahren: zwölf Rudel. «Niemand – kein Bundesrat und ich schon gar nicht – will einfach Wölfe abschiessen. Wir haben doch nichts gegen Wölfe!»

Na also. Der ist ja doch nicht so radikal, ist man versucht zu denken.

Es war schon immer Albert Röstis Gabe, krasse Aussagen mit freundlichem Lächeln und Berner Oberländer Gmögigkeit in Watte zu verpacken. So, dass sie ganz moderat erscheinen. So, dass sogar seine politischen Gegner nicken – und beruhigt vor sich hin dämmern.

Zwei Drittel der heute in der Schweiz lebenden Wölfe sollen getötet werden. Zweihundert von dreihundert Raubtieren, in nur zwei Monaten. Gleich am ersten Tag wurde ein erster Jungwolf seinem Rudel «entnommen», wie es beschönigend heisst. Man kann das befürworten oder nicht. Aber die Bezeichnung «industrielle Tötung» beschreibt die Folgen dieses Bundesrats­beschlusses zutreffend.

Die angestrebte Zahl von zwölf Wolfsrudeln entbehrt zudem jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Laut einer Studie wären nämlich 17 Wolfs­rudel erforderlich, damit die Schweiz ihren Beitrag zum Fortbestand der gefährdeten Art leisten kann. Wie verschiedene Quellen übereinstimmend berichten, hatte der Umwelt­minister zunächst sogar eine noch tiefere Zahl als zwölf Rudel vorgeschlagen.

Das zeigt: Im Departement Rösti geht Politik vor Wissenschaft.

Bei seiner Wahl in den Bundesrat vor einem Jahr ging die Befürchtung um, mit dem Erdöl- und Auto­lobbyisten und Befürworter einer SRG-Halbierung an der Spitze des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) habe man den Bock zum Gärtner gemacht. Die Energiestiftung SES sammelte Geld, um Rösti auf die Finger zu schauen, die Grünen schalteten einen Uvek-Watchblog auf. Zwölf Monate später enthält er lediglich acht Einträge, und auch von der Energie­stiftung ist nicht viel zu hören.

Kein Wunder, denn Albert Rösti geht nicht mit dem Holz­hammer vor, sondern viel subtiler.

Die Republik hat für diesen Artikel mit mehr als einem Dutzend Uvek-Mitarbeiterinnen gesprochen, mit Angestellten anderer Departemente und des Kantons Bern, mit Vertretern von Nichtregierungs­organisationen und Interessen­verbänden sowie mit mehreren langjährigen Weg­begleiterinnen Röstis.

Was im Wolfsdossier offensichtlich ist, zeigt sich auch bei praktisch allen anderen Themen des Departements: Rösti drückt ihnen ohne viel Aufhebens den SVP-Stempel auf.

Das geschieht weitgehend unbemerkt. Denn der 56-Jährige hat noch ein weiteres Talent, das ihn von anderen in Bundes­bern abhebt: Er lässt die Leute spüren, dass er sie ernst nimmt. Er hört ihnen zu, erinnert sich an sie, er kennt ihre Namen. Kurzum: Albert Rösti tritt nett auf, unprätentiös und aufrichtig. Letztlich wirkt er entwaffnend.

Das ist der Grund, warum ein Exodus von Mitarbeitern ausgeblieben ist, als er das Amt von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga übernahm – und etwa auf der wichtigen Stufe der Fachreferenten bis heute mehrere Sozial­demokratinnen arbeiten.

Rösti schaffe eine Nahbarkeit zu Leuten, beobachtet ein langjähriger Weggefährte, die auch Anders­denkende dazu verführe, sich ihm anzuvertrauen. «Das ist seine Geheim­waffe. Er kennt seine politischen Gegner wie kein anderer. Das nutzt er, um seine Politik durchzusetzen.»

Über sich selbst sagte Rösti im Podcast «Jahn trifft», er sei «eher sanfter Taktgeber» als einer, der «auf die Pauke haut». Nur: Das bedeutet keineswegs, dass sich Rösti nicht durchsetzen kann. Fürs Grobe sind in seinem Departement bloss andere zuständig.

1. Röstis rechte Hand

Röstis mit Abstand wichtigster Mitstreiter ist Yves Bichsel, als General­sekretär des Departements seine rechte Hand. Gemeinsam fahren sie morgens von ihrem Wohnort Uetendorf mit dem Auto nach Bern, gemeinsam bringen sie das Uvek auf Kurs.

Die Rollen sind dabei klar verteilt. Rösti gibt sich konziliant, bodenständig, kompromiss­bereit – und Bichsel agiert mit der Abriss­birne. Gegen innen gibt sich der 51-Jährige ruppig, gegen aussen intransparent. Eine Gesprächs­anfrage der Republik lehnt Bichsel ab.

«Wenn man Albert Rösti als Wolf im Schafspelz bezeichnen will, drängt sich bei Yves Bichsel eine andere Tier­metapher auf», sagt ein Uvek-Mitarbeiter, der beide gut kennt. Bichsel sei ein «Fuchs im Hühner­stall».

Als die Republik im Januar 2023 enthüllt, dass Rösti dem Gesamt­bundesrat die Ernennung Bichsels zum General­sekretär beantragt, kommt die rechte Presse nicht aus dem Schwärmen heraus. «Ein brillanter Kopf, ein Schnelldenker», jubeln der Chef­redaktor und der Politikchef des «Nebelspalters» in einem Podcast. Noch wichtiger aber ist ihnen etwas anderes: «Yves Bichsel ist ganz sicher politisch absolut auf Parteilinie.»

In der Tat hat er dies immer wieder unter Beweis gestellt. Im Jahr 2000 beginnt Bichsel als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der SVP Schweiz, dann wird er deren Presse­sprecher. In dieser Funktion wettert der studierte Chemiker gegen «ausländische Drogen­händler, die den Terror finanzieren» oder die «völlig übertriebene Angst­macherei vor Klima­katastrophen». Wenige Jahre später wiederholt er in einem ausführlichen Gespräch mit einem christlichen Radiosender: Es sei «unverantwortlich, den Leuten so Angst zu machen, indem man ihnen sagt, dass wir bald vertrocknen und was weiss ich für schlimme Sachen passieren».

Davon ist Bichsel wohl noch heute überzeugt. Jedenfalls berichtet ein Mitarbeiter, was der Uvek-General­sekretär von den Prognosen des Weltklima­rats hält, die den neuesten wissenschaftlichen Konsens zum Klima­wandel wiedergeben: An Sitzungen habe er gesagt, dessen jüngster Bericht sei bloss «einer von vielen zu diesem Thema».

Als Christoph Blocher Ende 2003 in den Bundesrat gewählt wird, holt er Bichsel in sein Justiz- und Polizei­departement, nach zweieinhalb Jahren macht er ihn zum stellvertretenden General­sekretär. Noch heute ist Blocher des Lobes voll. «Ich mochte Yves Bichsel sehr, weil er so gründlich war», sagt er auf Anfrage der Republik. «Wir arbeiteten hervor­ragend zusammen.»

Als Blocher nach einer Legislatur aus dem Bundesrat abgewählt wird, hat seine Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf für den linien­treuen SVPler keine Verwendung. Für kurze Zeit kehrt Bichsel als General­sekretär zur Partei zurück, dann wechselt er als Stabschef zu Bundesrat Ueli Maurer ins Verteidigungs­departement. 2016 wird Bichsel zum engsten Vertrauten des Berner Regierungsrats Pierre Alain Schnegg. Dieser macht ihn zum General­sekretär seiner Gesundheits- und Fürsorge­direktion, obwohl er gemäss Recherchen der Zeitung «Bund» in einem Assessment durchgefallen ist – wegen mangelnder Sozial­kompetenz.

Für schweizweites Aufsehen sorgt das Duo Schnegg/Bichsel mit der Ankündigung, die Sozialhilfe­leistungen so stark zu kürzen, wie es noch kein anderer Kanton getan hat: Es will den an Sozialhilfe­bezüger ausbezahlten Grund­bedarf um 8 Prozent senken, womit der Kanton Bern den von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe festgelegten Mindest­standard deutlich unterböte. Ausgearbeitet hat Schnegg die Vorlage, die von der Stimm­bevölkerung schliesslich an der Urne abgelehnt wird, ohne die Expertinnen der eigenen Verwaltung beizuziehen. Nur Bichsel diskutierte mit – auf Grundlage einiger weniger Zahlen aus der Asylsozialhilfe­statistik, die gemäss Schnegg jedoch mehr aussagen «als jede ausführliche Studie». Mitarbeiter seiner eigenen Direktion sprechen von einer «postfaktischen Politik».

Ob bei der Sozial­hilfe oder beim Wolf: Es interessiert weder Bichsel noch seinen politischen Vorgesetzten, was Expertinnen sagen. Oder was die gesetzlich vorgesehenen Abläufe sind: Bei der Sozial­hilfe entscheiden Schnegg und Bichsel, auf eine Vernehmlassung zu verzichten, obwohl sie rechtlich vorgeschrieben wäre; bei der neuen Jagd­verordnung handhaben es Rösti und Bichsel im Sommer 2023 genauso.

Yves Bichsel, der einer evangelischen Freikirche angehört, komme mit vorgefasster und unverrückbarer Meinung in die Sitzungen, berichten mehrere Personen, die mit ihm beim Kanton Bern zusammen­gearbeitet haben. Er sei «kein Mensch, der in einem diskursiven, dialektischen Prozess gute Lösungen anstrebt».

Bichsel sei «Blochers Aufpasser», unkten Medien, als Rösti vor elf Monaten seinen General­sekretär bestimmte. Er sei dem neuen Bundesrat von der Partei geschickt worden, damit dieser nicht zu sehr von der SVP-Linie abkomme. Doch Rösti brauchte wohl keine Aufforderung, Bichsel anzustellen, ist dieser doch ein «Freund», mit dem ihn politisch wie auch familiär viel verbindet. Bis zu seiner Wahl in den Bundesrat war Rösti während acht Jahren Gemeinde­präsident von Uetendorf – und Bichsels Ehefrau bis 2021 eines von sechs Exekutiv­mitgliedern an seiner Seite.

Bichsel ist nicht Röstis Aufpasser, er ist Röstis Vollstrecker.

Dasselbe gilt für seine persönlichen Mitarbeiter Matthias Müller und Carmen Inauen. Ersteren übernahm Bundesrat Rösti von seinem Vorgänger Ueli Maurer, Letztere von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher.

Vor allem Müller hat sich im Uvek in den letzten Monaten den Ruf eines knallharten Rechts­auslegers erworben: Der Mann, der während Jahren die Reden von Ueli Maurer schrieb und diese sogar als Buch herausgab, ist nun unter anderem für die Mitberichte zu Vorlagen von SP-Asylministerin Elisabeth Baume-Schneider zuständig. Und diese, so berichten es Mitarbeiterinnen beider Departemente, unterschieden sich bezüglich Polemik und Verunglimpfungen kaum von den Medien­mitteilungen der SVP.

2. Von Blocher lernen

Nach seiner Wahl in den Bundesrat fragt Rösti bei Blocher nach, worauf bei der Übernahme eines Departements zu achten ist. «Selbstverständlich habe ich meine Erfahrungen mit ihm geteilt», sagt Blocher. «Auch über meine Führungs­prinzipien habe ich mich mit ihm unterhalten.» Allerdings habe Rösti diese bereits gekannt. «Jeder, der in der Partei­leitung Einsitz nimmt, kennt sie, da ich sie an partei­internen Seminaren vermittle.»

Seither habe er Rösti mehrmals getroffen, das sei selbstverständlich. «Wir telefonieren nicht täglich. Aber wenn ich in Bern bin, frage ich, ob er Zeit für ein Treffen hat. Manchmal hat er Zeit.»

Auch SVP-Veranstaltungen lässt Rösti selten aus. Nach gerade mal 20 Tagen im Amt besucht er die Albisgüetli-Tagung, an der auch AfD-Politikerin Alice Weidel aufkreuzt, und verspricht, er werde alles daransetzen, den Kontakt zur Parteibasis aufrecht­zuerhalten. Danach tritt er an SVP-Anlässen in Frutigen, Holziken, Genf, Kerns, Kleindöttingen, Küssnacht und Wattwil auf. Ende August hält er an der grossen Wahlparty in der Zürcher Swiss Life Arena eine Rede. Rösti geniesst die Zuneigung der Parteigänger – und bleibt nicht selten bis tief in die Nacht.

Im Uvek spricht Bundesrat Rösti oft von «meinen Leuten», wenn er eine Entscheidung plant. Dabei meint er nicht etwa die Schweizer Bevölkerung, sondern die Wähler­basis der SVP. Der Volkspartei gegenüber fühlt er sich verpflichtet.

Als Departements­vorsteher agiert Rösti vorsichtiger als Blocher. Kein Personal­stopp am ersten Tag, keine gross angelegte Sparübung nach dem ersten Quartal. Doch auch er beauftragt nach einem halben Jahr seine Amts­direktoren, «Handlungs­spielräume» aufzuzeigen. Sie sollen darlegen, worauf verzichtet werden müsste, wenn gespart werden würde, und worauf verzichtet werden könnte, wenn neue Aufgaben hinzukämen.

Mit Rösti könne man zufrieden sein, sagt Blocher: «Sehr sogar.» Für eine seriöse Bilanz sei es allerdings noch zu früh, denn im ersten Amtsjahr habe er viele Altlasten abzutragen gehabt, die er von seiner Vorgängerin geerbt habe. «Seine Zeit beginnt nun erst richtig.»

3. Schönfärben bei der Biodiversität

Bereits zeigen sich allerdings neue Hierarchien im Departement. Während das Bundesamt für Strassen und das Bundesamt für Energie aufgewertet wurden, hat das Bundesamt für Umwelt weniger Gewicht als zu Zeiten von Bundesrätin Sommaruga. Was für den Ausbau der Strassen und die Strom­versorgung hinderlich ist, ist unter der neuen Führung nicht erwünscht.

So wird das Arten­sterben, das ungebremst voranschreitet, als Problem herunter­gespielt. In der Medienmitteilung zum neuesten Bericht über die Biodiversität vom vergangenen Mai steht, 17 Prozent der Arten seien «vom Aussterben bedroht» oder «stark gefährdet», weitere 16 Prozent seien «verletzlich». Viele ökologisch wertvolle Lebens­räume seien in den letzten Jahr­zehnten «kleiner geworden». Bei der Publikation des letzten Biodiversitäts­berichts im Jahr 2017, während der Amtszeit von Bundesrätin Doris Leuthard, klang die entsprechende Medienmitteilung deutlich dramatischer: «Fast die Hälfte der untersuchten Lebens­räume und mehr als ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten sind bedroht.»

Hat sich die Situation in den letzten sechs Jahren derart verbessert? Keineswegs, wie eine genaue Lektüre des Berichts zeigt: Nach wie vor gelten mehr als ein Drittel der Tier- und Pflanzen­arten in der Schweiz als bedroht. Doch das Bundesamt für Umwelt hat in seiner Mitteilung die Kategorie «ausgestorbene Arten» weggelassen und die Kategorie «verletzlich» separat aufgeführt. «Das widerspricht der internationalen Praxis bei der Bericht­erstattung über gefährdete Arten», sagt Raffael Ayé, Geschäfts­leiter der Naturschutz­organisation Birdlife.

Dieses Vorgehen habe System, sagt eine Insiderin: «Alle Medien­mitteilungen werden mit dem Rotstift redigiert, alle krassen Zahlen heraus­gestrichen.» Die Medienstelle des Bundesamtes für Umwelt bestreitet dies: «Das Bafu weist den Vorwurf der Beschönigung zurück», schreibt sie auf Anfrage, erklärt die neue Darstellungsart aber nicht.

Doch das ist nicht alles. Es gibt auch Hinweise, dass Ziele abgeschwächt werden, damit sie einfacher zu erreichen sind. So steht im Bericht zur Wirkung des Aktionsplans Biodiversität vom vergangenen Juni, der insgesamt ein gutes Zeugnis ausstellt: «Die Beschleunigung der Umsetzungs­arbeiten ging jedoch mit einer Reduktion der Ziele und damit einer geringeren Wirkung der Massnahmen und Projekte (…) einher.» Das Bundesamt erklärt auf Anfrage, die Ziele seien aus Ressourcen­gründen nicht erreicht worden, der Bundesrat habe die Frist zur Umsetzung des Aktionsplans Biodiversität deshalb im vergangenen Juni um ein Jahr verschoben.

Problemlösung à la Rösti: Wenn die Bedrohung weniger gross erscheint, muss auch weniger dagegen unternommen werden, in der Landwirtschaft, im Landschafts­schutz.

4. Lieber Energie als Klima

Umweltminister Rösti nimmt das Wort «Klima­wandel» nur dann in den Mund, wenn es nicht anders geht. Etwa wenn er in einem Interview direkt danach gefragt wird. In seinen Reden kommt der Begriff so gut wie nie vor. Ein weiterer Wink an seine Basis.

Vor zweieinhalb Jahren hat Rösti als Nationalrat und Erdöl-Lobbyist im Referendums­komitee dazu beigetragen, das CO2-Gesetz an der Urne zu bodigen. Der neue Vorschlag seiner Vorgängerin Sommaruga, der nicht genügt, um die Pariser Klimaschutz­ziele zu erreichen, kommt kurz vor Weihnachten ins Parlament. Rösti wird sich kaum dafür einsetzen, ihn zu verschärfen. Auch beim Klimaschutz­gesetz, das im Juni von der Stimm­bevölkerung angenommen wurde, bremst er: Statt es Anfang 2024 in Kraft zu setzen, wartet er ein Jahr lang zu.

Viel lieber als über Klima­politik spricht Rösti über Energie­politik, genauer: über Energie­versorgung. Hier ist der ehemalige Präsident des Wasser­wirtschaftsverbands in seinem Element. Er hat sich sofort ins Zeug gelegt und das neue Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energie durchs Parlament gebracht, stets mit wachsamem Blick auf dessen Mehrheits­fähigkeit. Noch als Nationalrat war er eine der treibenden Kräfte hinter dem Gesetz, das den Bau alpiner Solaranlagen forciert. Damit trägt er dazu bei, die Energie­sicherheit der Schweiz zu erhöhen. Er befürwortet auch – gegen die SVP – den Ausbau der Windkraft.

Bei der wichtigsten Frage in diesem Bereich allerdings liegt er auf Partei­linie: Obwohl ein Strom­abkommen mit der Europäischen Union für die Versorgungs­sicherheit zentral wäre, hat Rösti wenig Lust, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Er relativiert dieses vom Bundesrat beschlossene Ziel regelmässig – und missachtet damit das Kollegialitäts­prinzip. Es brauche «nicht um jeden Preis» ein Strom­abkommen mit Brüssel, sagte er im September. Worauf ihm der Präsident von Swissgrid widersprach, der Eigentümerin der Schweizer Übertragungs­netze: Ein solches Abkommen sei «zwingend nötig», andernfalls gefährde die fortschreitende Entkoppelung der Schweiz vom europäischen Strommarkt die Netzstabilität.

Im November doppelte Rösti in einem Interview nach. Auf die Frage, wie sicher die Versorgung ohne Strom­abkommen mit der EU sei, antwortete er: «Ich war gerade kürzlich in Frankreich, und da hat mir die Energie­ministerin gesagt, dass wir – egal, was auf regulatorischer Ebene passiert – auf Frankreich zählen können.» Diese mündliche Zusage habe er auch von Deutschland und Italien erhalten.

Auf Anfrage der Republik, ob es dazu inzwischen etwas Schriftliches gebe, verwedelt das Bundesamt für Energie und verliert sich in allgemeinen Aussagen. Bei den erwähnten Zusicherungen gehe es «um die bestehenden, alltäglichen Stromhandels­beziehungen mit der Schweiz». Sie seien «auch ohne Strom­abkommen wichtig». Was nichts anderes heisst als: Es gibt keine Garantie, schon gar nicht, wenn der Strom knapp wird.

Beim Thema Atomkraft strebt Rösti eine Wende an, diesmal mit Unterstützung des Bundesrats. Regelmässig wiederholt er, die energie­politische Diskussion müsse «technologie­offen» geführt werden. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass das Verbot neuer Kernkraft­werke aufgehoben werden soll, das die Bevölkerung vor sieben Jahren beschlossen hat. Erste Schritte sind bereits unternommen worden: So befürwortet der Bundesrat neuerdings ein Postulat von FDP-Präsident Thierry Burkart, das einen Bericht verlangt, der aufzeigen soll, wie bestehende AKWs subventioniert werden können, um länger zu laufen. Und wie neue Kernkraft­werke gebaut werden können.

Es ist klar: Rösti bereitet den Boden für ein AKW-Revival in der Schweiz.

5. Wider die Verkehrs­verlagerung auf die Schiene

Albert Rösti erzählt gerne, wie er als Schulbub mit dem Zug von Kandersteg nach Frutigen fuhr. Das sagt er, weil er weiss, dass Bahnfahren in der Schweiz populär ist. Und das Bild des lockigen Buben aus dem Bergdorf im Zug­abteil sympathisch. Aber vor allem sagt er es, weil er weiss, dass er, der ehemalige Auto­lobbyist, als Verkehrs­minister unter genauer Beobachtung steht.

So geht er auch hier behutsam, aber zielstrebig vor. Im Podcast «Jahn trifft» sagte er, es sei in diesem Bereich zwar vieles von seiner Vorgängerin Sommaruga aufgegleist gewesen. Doch er habe versucht, zu justieren und zu agieren, bevor er reagieren musste.

Was er damit meint: Zwar war der Ausbau der Autobahnen schon vor seinem Amtsantritt aufgegleist. Rösti aber sorgte dafür, dass noch etwas dazu­kam: Im März sagte er, es fehle noch ein Projekt aus der Romandie. So kam es, dass die nationalrätliche Verkehrs­kommission das Paket kurz darauf mit zwei Teilstrecken der Autobahn zwischen Genf und Lausanne ergänzte. «Das war der Rösti-Stempel auf dem Programm», sagt Martin Winder, Projekt­leiter Verkehrs­politik beim Verkehrs-Club der Schweiz (VCS). Ebenso stellte sich Albert Rösti hinter die Motion seines Partei­kollegen Erich Hess, die den sechsspurigen Ausbau der Autobahnen Bern–Zürich und Genf–Lausanne verlangt. Auch dieses Projekt wird nun beschleunigt.

Dabei schlägt er einen langjährigen Konsens der Verkehrs­forschung in den Wind: «Man sagt, wer Strassen sät, wird Verkehr ernten. Ich sage jeweils: Das ist nicht so – die Leute sind ja schon auf der Strasse, einfach im Stau.»

Beim öffentlichen Verkehr tritt Rösti zwar nicht offensiv auf die Bremse, sondern führt den bisher geplanten Ausbau weiter. Doch beim Verhältnis zwischen Strasse und öffentlichem Verkehr definiert er das politische Ziel sachte, aber folgenreich um. So sagte er: «Es macht Sinn, den ÖV dort zu verstärken, wo er mit dem Privat­verkehr nicht wettbewerbs­fähig ist, und umgekehrt.» Das tönt auf den ersten Blick ganz vernünftig. Aber es heisst: Dort, wo die meisten Menschen hin- und herreisen, wo die Platz­verhältnisse am engsten sind, soll die Strasse ausgebaut werden: beispielsweise auf der Strecke Bern–Zürich.

Das ist eine Abkehr von der bisherigen Verkehrs­politik und widerspricht der langfristigen Klima­strategie des Bundesrats, laut der eine «stärkere Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene» erforderlich ist. Röstis Verkehrs­politik entspricht vielmehr dem Partei­programm der SVP, in dem zu lesen ist: «Die linke Politik setzt zu einseitig auf die Bahn und bestraft den Individual­verkehr.»

6. Alle Register gezogen, um die SRG zu schwächen

Auch in der Medienpolitik zeigt sich, wie geschickt Albert Rösti vorgeht, um SVP-Überzeugungen zum Durchbruch zu verhelfen. Zwar spricht sich das ehemalige Mitglied des Initiativ­komitees öffentlich nicht mehr für die Halbierungs­initiative aus, die die Radio- und Fernseh­gebühren von 335 auf 200 Franken senken möchte, womit die SRG ihre Leistungen drastisch reduzieren müsste.

Doch er signalisiert, dass er die SRG weiterhin für viel zu gross und üppig finanziert hält: Auf Röstis Antrag hin hat der Bundesrat Anfang November beschlossen, die Gebühren mittelfristig auf 300 Franken zu senken und den Teuerungs­zuschlag von 70 Millionen Franken zu streichen. Diese Entscheidungen liegen in der Kompetenz der Regierung, sie benötigt weder die Zustimmung des Parlaments noch jene der Stimm­bevölkerung.

Im Vorfeld des Bundesrats­entscheids hatte Rösti sämtliche Register gezogen.

Erstens verkürzte er die Dauer der Ämter­konsultation und des Mitberichts­verfahrens: Statt wie vorgesehen drei Wochen dauerten diese lediglich ein paar Tage. Damit erschwerte er die Aufgabe der SRG-freundlichen SP-Bundesräte, Alternativen zu Röstis Antrag aufzuzeigen. Den Vorwand dazu hatte ihm eine Klausur mit der SRG-Spitze geboten, die er angeblich hatte abwarten wollen. Nur: Von diesem Treffen liess sich Rösti kein bisschen von seiner wohl längst getroffenen Entscheidung abbringen. Allerdings nutzte er den kommunikativen Spielraum, der sich ihm durch die Angaben der SRG-Führung eröffnete: Diese hatte ihm erklärt, dass wegen seiner Pläne rund 900 Stellen abgebaut werden müssten – eine Zahl, die sie später auch öffentlich machte. Rösti selbst sprach vor den Medien verharmlosend von «mehreren hundert Stellen».

Zweitens nahm je eine grosse Zeitung in den beiden Sprach­regionen Röstis Antrag vorweg: Drei Tage vor der Bundesrats­sitzung berichteten die «NZZ am Sonntag» und «Le Matin Dimanche» ausführlich über seinen Vorschlag – zu einem Zeitpunkt, als er den anderen Departementen noch gar nicht vorlag. Auch dieser Schach­zug erhöhte für den Bundesrat die Hürden, eine vom Antrag abweichende Entscheidung zu treffen.

Drei Wochen später sorgte ein Personal­entscheid der Landes­regierung für erneutes Stirnrunzeln: Auf Ersuchen Röstis wählte sie SVP-Politiker Hans-Ueli Vogt zum SRG-Verwaltungsrat. Und das, obwohl sich Vogt als Nationalrat kaum für Medien­politik interessiert hatte – abgesehen von der Idee, die Zivilprozess­ordnung zuungunsten der Medien zu verändern (was in der grossen Kammer schliesslich nur die SVP unterstützte).

7. «Wir sind gekommen, um zu bleiben»

Auch sonst hat Albert Rösti damit begonnen, seine Getreuen in verschiedenen Gremien zu platzieren. Er machte SVP-Regierungsrat Stefan Kölliker zum Präsidenten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutz­kommission und Alt-SVP-Nationalrat Andreas Aebi zum Chef des Fonds Landschaft Schweiz. Alt-SVP-Nationalrat Walter Wobmann, Präsident der Föderation Motorrad­fahrer der Schweiz, ist neuerdings Mitglied der eidgenössischen Kommission gegen Lärm.

Das alles ist nur der Anfang. «Wir sind gekommen, um zu bleiben», sagte Uvek-Generalsekretär Yves Bichsel im Januar zur NZZ. «Unser Fokus liegt auf den kommenden acht bis zwölf Jahren.» Denn für einen Kurswechsel brauche es einen langen Atem und Hartnäckigkeit, beides bringe er mit.

Rösti selbst hat bei seinem Amts­antritt intern verlauten lassen, er sei gekommen, um zehn Jahre zu bleiben. Damit hat er genügend Zeit, um Gesetze wirksam zu verlangsamen oder zu beschleunigen. Und weil in dieser Zeitspanne mit einer Ausnahme alle seine Amts­direktoren pensioniert werden, wird er ohne viel Aufhebens eigene Leute einsetzen können.

Albert Rösti kann mit seiner charmanten, gewinnenden Art die Umwelt-, Verkehrs-, Energie- und Kommunikations­politik der Schweiz knallhart auf SVP-Kurs umlenken.

Sein erstes Jahr als Bundesrat zeigt, dass er das auch will.

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