Briefing aus Bern

Ins Restaurant nur noch mit Covid-Pass, neuer Angriff auf Medien­freiheit – und die Schweiz beendet Evakuierung aus Kabul

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (156).

Von Philipp Albrecht, Dennis Bühler und Bettina Hamilton-Irvine, 26.08.2021

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National- und Stände­räte planen, die Zivil­prozess­­ordnung zuungunsten der Medien zu verändern. Damit würde es einfacher, die Veröffentlichung von kritischer Bericht­erstattung zu verhindern oder zu verzögern. Nun zeigen Recherchen der Republik, dass ein weiterer Frontal­angriff auf die Medien­freiheit bevorsteht, der – sollte er von Erfolg gekrönt sein – Journalistinnen noch deutlich stärker einschränken würde.

Im Juni hat der Ständerat beschlossen, das Wort «besonders» aus dem Artikel 266 der Zivil­prozess­­ordnung zu streichen – ein einziges Wort bloss, doch eines, das es in sich hat. Bisher nämlich darf ein Gericht nur dann eine vorsorgliche Massnahme gegen periodisch erscheinende Medien anordnen, wenn «die drohende Rechts­verletzung der gesuch­stellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann»; künftig soll ein «schwerer Nachteil» genügen.

Eigentlich wollte die national­rätliche Kommission für Rechts­fragen am vergangenen Freitag entscheiden, ob sie ihrem Rat diese Änderung zur Annahme empfiehlt. Weil sie wegen lang­wieriger Diskussionen über andere Geschäfte in Verzug geraten war, brach sie die Detail­beratung aber schon nach wenigen Minuten ab und verschob sie in den Oktober. Doch die vorhandene Zeit hatte SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt genügt, um seine Vorstellungen einer Revision der Zivil­prozess­ordnung zu skizzieren.

Vogt will – anders als der Stände­rat – noch bei einer weiteren Passage des Artikels 266 ansetzen. Dort heisst es bisher, dass ein Gericht nur zu einer (super)provisorischen Massnahme greifen darf, wenn «offensichtlich» kein Recht­fertigungs­grund für die drohende Rechts­verletzung vorliegt. Der Politiker und Professor für Privat- und Wirtschafts­recht beantragt nun, dass eine vorsorgliche Massnahme neu schon dann angeordnet werden darf, wenn die gesuch­stellende Partei «glaubhaft» machen kann, dass es keinen solchen Recht­fertigungs­grund gibt. Damit, sagt Vogt auf Anfrage, würden Personen besser davor geschützt, «dass über sie in den Medien berichtet wird, weil diese die Neugier der Menschen befriedigen und damit Geld verdienen wollen».

Seinen Antrag begründet der SVP-National­rat mit dem Bedeutungs­verlust traditioneller Medien. ​​«Der besondere Schutz der Medien in der Zivil­prozess­ordnung basiert auf ihrer Bedeutung für die Meinungs­bildung in der Demokratie, die sie vor dem Internet-Zeitalter hatten.» Heute aber könne über das Internet und die sozialen Medien auch jede Privat­person Miss­stände und Macht­missbräuche aufdecken und publik machen, so Vogt. «Die traditionellen Medien stehen darum in einem Wettbewerb um Klicks und Aufmerksamkeit, der zum Über­schreiten von Grenzen und zu Persönlichkeits­verletzungen verleitet.» Eine Sonder­ordnung für die Medien sei heute nicht mehr gerechtfertigt.

«Glaubhaft» statt «offensichtlich»: Wenn es Vogt gelingt, eine Mehrheit der National- und Stände­räte hinter sich zu scharen, würde die Hürde für vorsorgliche Massnahmen markant gesenkt; die bisherige Balance zwischen der Medien­freiheit und dem Recht auf Privat­sphäre veränderte sich einschneidend. Ausgeschlossen ist das nicht. Wie die Republik erfahren hat, kündigten die Kommissions­mitglieder der FDP- und der Mitte-Fraktion vergangene Woche Unter­stützung an. Und auch die noch unentschlossenen Grünen stellen sich Vogt nicht entschieden entgegen.

Anders die SP und die Grün­liberalen. «Aus meiner Sicht braucht es keine Gesetzes­änderung, die medien­spezifischen ZPO-Regeln haben sich bewährt», sagt stellvertretend GLP-National­rat Beat Flach. Anpassungen brauche es bloss im Verfahren: Rechts­schutz solle während sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr gewähr­leistet werden, nicht nur werktags zu Bürozeiten.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Covid: Bundesrat erwägt, Zertifikats­pflicht auszuweiten

Worum es geht: Der Bundesrat schlägt vor, dass das Covid-Zertifikat in Zukunft an deutlich mehr Orten zum Einsatz kommt. Während aktuell Clubs und Tanz­lokale ein Zertifikat verlangen müssen, das nachweist, dass jemand geimpft, genesen oder negativ getestet ist, soll die Pflicht ausgeweitet werden auf Innen­bereiche von Restaurants, auf Veranstaltungen in Innen­bereichen wie Konzerte, Theater, Kino und Sport­events sowie auf Privat­anlässe wie Hochzeiten. Betroffen sind auch Museen, Zoos, Fitness­center und Hallen­bäder, ausgenommen sind Betriebe, die nur Aussen­bereiche haben. An seiner Sitzung vom Mittwoch hat der Bundesrat entschieden, diese Massnahmen gegen die Ausbreitung des Corona­virus vorsorglich bei den Kantonen und Sozial­partnern in Konsultation zu geben. Er hat zudem beschlossen, dass der Bund die Test­kosten für das Covid-Zertifikat ab dem 1. Oktober nicht mehr übernimmt.

Warum Sie das wissen müssen: Seit einigen Wochen steigt die Zahl der Spital­einweisungen von ungeimpften Corona-Patientinnen stark an. Grund dafür ist vor allem die tiefe Durchimpfungs­rate: In der Schweiz sind nur 56 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, während es in der EU 63 Prozent sind. Geht die Entwicklung so weiter, werden die Schweizer Spitäler voraussichtlich in wenigen Wochen überlastet sein. Dies würde auch deutlich mehr Covid-Tote bedeuten und ebenso, dass andere medizinische Eingriffe verschoben werden müssten – worunter die Gesundheits­versorgung aller leiden würde. Weil es zwei bis drei Wochen dauert, bis sich Massnahmen­verschärfungen auswirken, will der Bundesrat nicht warten, bis die Spitäler am Limit sind. Er will aber auch nicht mehr ganze Branchen schliessen oder bestimmte Aktivitäten verbieten. Deshalb setzt er nun vor allem auf eine Ausweitung der Zertifikats­pflicht. Das Covid-Zertifikat steht jedoch in gewissen Kreisen schon heute in der Kritik: So beschlossen die SVP-Delegierten am Samstag die Nein-Parole zum Covid-19-Gesetz. Kritisiert wird vor allem das Covid-Zertifikat, welches von National­rat Jean-Luc Addor (VS) als «Instrument der Diskriminierung» bezeichnet wird.

Wie es weitergeht: Die Konsultation bei den Kantonen und Sozial­partnern dauert bis zum 30. August. Gemäss Gesundheits­minister Alain Berset sollen die Massnahmen, die nun in die Vernehmlassung geschickt werden, aber nur angewendet werden, wenn es wirklich nötig sei. Das angepasste Covid-19-Gesetz kommt am 28. November nochmals an die Urne. Berset machte gestern klar, dass ein Nein verheerende Folgen hätte, weil dann das Covid-Zertifikat nicht mehr eingesetzt werden könnte. Stattdessen stünden bei einer Über­lastung der Spitäler dann wieder komplette Schliessungen von einzelnen Branchen zur Debatte.

Afghanistan: Justiz­ministerin wehrt sich gegen Kritik

Worum es geht: Knapp zehn Tage nachdem die Taliban Kabul übernommen haben, hat die Schweiz ihre Evakuierungs­­aktion abgeschlossen. Bis zum Dienstag­abend hat das Aussen­departement 292 Personen aus Afghanistan ausgeflogen, inklusive eigener lokaler Mitarbeiterinnen. 66 Personen waren für den nächsten Flug ab Kabul eingeplant. 141 Afghanen, die mit einem humanitären Visa ausgereist waren, wurden in der Nacht auf Dienstag in der Schweiz empfangen, wo sie Asyl erhalten werden. Derweil prüft Aussen­minister Ignazio Cassis, ob auf Schweizer Boden eine Afghanistan-Konferenz durch­geführt werden könnte.

Warum Sie das wissen müssen: Für ihren Entscheid, aus Afghanistan nur gerade die 230 lokalen Angestellten des Bundes und ihre Familien in der Schweiz aufzunehmen, wird Justiz­ministerin Karin Keller-Sutter heftig kritisiert. Die Schweizerische Flüchtlings­­hilfe fordert humanitäre Sofort­hilfe, Visa­erleichterungen für afghanische Geflüchtete, beschleunigte Familien­zusammen­führungen und ein zusätzliches Resettlement-Kontingent für humanitäre Notlagen. Die Grünen bezeichnen den Entscheid des Bundes­­rats als Hohn und verlangen, die Schweiz müsse 10’000 besonders bedrohte Menschen aus Afghanistan aufnehmen. Auch Städte wie Bern, Zürich und Genf drängen den Bundesrat zum Handeln. Doch bereits vor einem knappen Jahr, als das griechische Flüchtlings­lager Moria in Flammen stand und die grössten Schweizer Städte Flüchtlinge aufnehmen wollten, stellte sich der Bundesrat auf den Stand­punkt, das sei rechtlich nicht möglich. Auch jetzt sagt Keller-Sutter, die Schweiz habe «faktisch gar keine Möglichkeit», Menschen ausser Landes zu bringen.

Wie es weitergeht: Statt mehr Geflüchtete aufzunehmen, setze sich der Bundes­rat für humanitäre Hilfe vor Ort und in den Nachbar­staaten Afghanistans ein, sagt Justiz­ministerin Keller-Sutter. Auf diplomatischer Ebene soll analysiert werden, ob eine Afghanistan-Konferenz zur Lösung der Krise beitragen könnte. Möglich wäre beispiels­weise eine Geber­konferenz, in der über humanitäre Hilfe verhandelt wird. FDP-Aussen­politiker Damian Müller schlägt derweil vor, die Schweiz solle alle involvierten Akteure, darunter neben den Taliban auch die USA, Russland und China, an einen Tisch einladen, um die inter­nationale Rolle des Landes zu verhandeln.

Asylverfahren: Evaluationen zeigen erhebliche Mängel auf

Worum es geht: Seit zweieinhalb Jahren ist das beschleunigte Asyl­verfahren in Kraft. Zwei vom Staats­sekretariat für Migration (SEM) in Auftrag gegebene Evaluationen haben nun erhebliches Verbesserungs­potenzial aufgezeigt. Beim SEM zeigt man sich dennoch zufrieden – während die Flüchtlings­hilfe, das Uno-Flüchtlings­hilfswerk UNHCR und das «Bündnis unabhängiger Rechts­arbeit im Asyl­bereich» Kritik üben.

Warum Sie das wissen müssen: Seit dem 1. März 2019 werden Asyl­gesuche in einem beschleunigten Verfahren beurteilt. Die Verfahren sollten so schneller zu einem Abschluss kommen, ohne an Fairness und Genauigkeit einzubüssen. Doch eine Evaluation zeigt nun, dass die neuen Verfahren nach wie vor deutlich länger als vorgesehen dauern, nämlich durchschnittlich 55 statt 29 Tage (vor der Asyl­rechts­revision waren es 210 Tage). Der zweite der beiden Berichte kritisiert die Qualität der Entscheide: Bei rund einem Drittel der analysierten Einzel­dossiers seien formale Fehler oder fehlende Abklärungen festgestellt worden. Flüchtlings­organisationen übten diese Woche sowohl an den Evaluationen als auch inhaltlich Kritik. Zum einen sei die Qualität der Verfahren mangelhaft, zum anderen das Verfahrens­tempo deutlich zu hoch, was zu Fehlern führe, die für Asyl­suchende existenz­gefährdend sein könnten. Beim SEM kommt man dagegen zum Schluss, das beschleunigte Asyl­verfahren habe sich «grund­sätzlich bewährt».

Wie es weitergeht: Noch wurde das neue Asyl­system keinem echten Stress­test ausgesetzt. 2019 war die Zahl der Fälle mit 1000 bis 1300 pro Monat vergleichs­weise tief, danach ging sie wegen der Pandemie weiter zurück. Im von internationalen Krisen geprägten Jahr 2015 waren insgesamt fast 40’000 Asyl­gesuche gestellt worden.

Monopol­stellung missbraucht: Post zahlt Millionen­busse

Worum es geht: Nach vier Jahren gibt die Schweizerische Post ihren Wider­stand gegen ein Urteil der Wettbewerbs­­kommission (Weko) auf. Es geht um eine Busse in Höhe von 22,6 Millionen Franken, die der Konzern schuldet, weil er seine Monopol­stellung ausgenutzt hat. Mit einem komplexen Preis­system für Gross­kunden hat die Post den Wettbewerb eingeschränkt. Konkret erhielten Kunden, die jährlich Briefe im Wert von über 100’000 Franken versendeten, bei einem anderen Service Rabatt. Damit verstiess die Post gegen das Kartell­gesetz. Die Anzeige kam von drei Verbänden aus dem Versand­handel und der Logistik sowie von der Post-Konkurrentin Quickmail AG. Die Unter­suchung begann bereits 2011 und gipfelte sechs Jahre später in einer 277-seitigen Verfügung. Die damalige Post-Chefin Susanne Ruoff akzeptierte die Busse nicht und reagierte mit einer Beschwerde, die ihr Nachfolger Roberto Cirillo nun zurückzieht.

Warum Sie das wissen müssen: Post und Swisscom sind so etwas wie Stamm­kunden der Weko. Immer wieder müssen die Grals­hüter des Wettbewerbs beim Staats­konzern Post und bei der staats­nahen Swisscom einschreiten. Beide besitzen in ihren Branchen eine historisch bedingte Macht­­position, die sie wiederholt gegen private Anbieter ausnutzen. Der Konkurrenz­druck ist in den letzten Jahren gewachsen, während die Politik schritt­weise den Schutz des Monopols abgebaut hat. Nun sind beide Konzerne in einer Phase, in der sie sich mit neuen Angeboten im Markt durch­setzen müssen.

Wie es weitergeht: Wann die Busse bezahlt wird, ist noch offen. Klar ist, dass weitere Gerichts­kosten dazu­kommen werden. Letztes Jahr hat Konzern­chef Roberto Cirillo eine neue Konzern­strategie vorgestellt, heute Donners­tag will er über erste Resultate informieren. Der Rückzug der Beschwerde gegen die Weko ist laut Post Teil dieses neuen Kurses. Lang­fristiges Ziel ist es aber, mit neuen Angeboten wieder nachhaltig rentabel zu werden.

Verlust der Woche

Die Rivalität zwischen Basel und Zürich ist legendär – und zeigt sich längst nicht nur auf dem Fussball­platz, wo Spiele zwischen dem FCB und dem FCZ als Hoch­risiko­veranstaltungen gelten. Doch während Basel im Fussball seit vielen Jahren überlegen ist, hat Zürich im Direkt­­vergleich der Städte sonst vielerorts die Nase vorn. Auffällig ist jedoch, dass die Stadt Zürich, die grösser ist, schneller wächst und für Zuzügerinnen besonders attraktiv ist, sich kaum für Basel interessiert, während viele Basler die Zürcherinnen mit Leidenschaft hassen. Das zeigt sich nur schon daran, dass es in Basel unzählige Zürcher-Witze gibt, während in Zürich niemand auf die Idee käme, Witze über Baslerinnen zu erfinden. Die Antipathie verstärken dürfte nun ausgerechnet ein Schaffhauser: Claudio Kuster, persönlicher Mitarbeiter von Ständerat Thomas Minder, hat nämlich heraus­­gefunden, dass der Kanton Basel-Stadt bei den eidgenössischen Wahlen aufgrund der demografischen Verschiebungen voraus­sichtlich einen National­rats­sitz verlieren wird. Woher er das weiss? Kuster errechnet die Sitzzahl jeweils noch vor der Bundes­verwaltung, gestützt auf die Bevölkerungs­zahlen des Bundes­amts für Statistik – und lag bisher noch nie falsch. Zukommen wird der Sitz ausgerechnet dem Rivalen Zürich. Gopferdelli!

Illustration: Till Lauer

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