Briefing aus Bern

Lob für Schweizer Uno-Mission, Nationalrat will Milliarden für Auto­bahnen – und Sonder­ermittler Marti tritt ab

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (238).

Von Dennis Bühler, Angela Gross und Lukas Häuptli, 01.06.2023

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Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Was hatte die SVP im Vorfeld den Teufel an die Wand gemalt. «Mit dem Beitritt zum Uno-Sicherheitsrat zerstören SP, Grüne, GLP, Mitte und FDP mutwillig eines der wertvollsten Güter der Schweiz: die Neutralität», schrieb die Partei im März 2022 in einer Medien­mitteilung. Dies, nachdem auch ihr letzter Versuch gescheitert war, die Schweizer Kandidatur für das mächtigste politische Gremium der Welt zu verhindern.

Seit fünf Monaten ist die Schweiz Mitglied im Uno-Sicherheitsrat. Gestern Mittwoch, 31. Mai, ist ihre erste einmonatige Präsidentschaft abgelaufen (im Oktober 2024 wird sie ein zweites Mal den Vorsitz übernehmen, bevor sie Ende nächsten Jahres aus dem Sicherheits­rat ausscheiden wird).

Es zeigt sich: Weder hat die Schweiz ihre Neutralität aufgeben müssen, noch stört man sich auf internationalem Parkett an dieser. «Die ganze Schweizer Neutralitäts­debatte kommt mir ein bisschen narzisstisch vor», sagt Richard Gowan im Gespräch mit der Republik: «Ich habe die Nase voll davon.» Gowan ist Experte für Sicherheits­fragen und leitet die Uno-Abteilung bei der Analyse- und Beratungs­organisation International Crisis Group in New York.

Ähnlich sieht es Sara Hellmüller, Assistenz­professorin am Geneva Graduate Institute. Sie dokumentiert die Aktivitäten der Schweiz im Sicherheitsrat im Rahmen eines Forschungs­projekts. «Die Neutralität war in New York in den letzten fünf Monaten genauso wenig Thema wie die Schweizer Weigerung, Waffen­exporten in die Ukraine zuzustimmen», sagt sie. «Das gibt vor allem innen­politisch zu reden.»

Gowan und Hellmüller erteilen der Schweizer Uno-Mission eine gute Zwischennote. «Schweizer Diplomaten argumentierten immer, dass der Sicherheitsrat effizienter arbeiten könnte», sagt der US-amerikanische Experte: «Im vergangenen Monat haben sie bewiesen, dass sie dieser Rhetorik gerecht werden können.» Und die Schweizer Expertin lobt, dass das Team von Diplomatin Pascale Baeriswyl die Plattform genutzt habe, um einen Beitrag für den Welt­frieden und die internationale Stabilität zu leisten.

An der grössten Heraus­forderung sei die Schweiz allerdings gescheitert, sagt Gowan. Zwar habe sie ihr Bestes versucht, um die Aufmerksamkeit auf den Krieg im Sudan zu lenken. Die Gegenwehr der drei afrikanischen Rats­mitglieder sei aber zu gross gewesen. «Dass der Rat keinen wirklichen Beitrag für Frieden im Sudan geleistet hat, ist frustrierend», sagt er.

Der grösste Test für die Schweizer Delegation stehe noch bevor: Im Juli muss das Mandat verlängert werden, das Nothilfe­lieferungen über die türkische Grenze in syrische Rebellen­gebiete ermöglicht. Dafür setzt sich die Schweiz gemeinsam mit Brasilien ein. Im Januar habe Russland einer halbjährigen Verlängerung ohne viel Aufheben zugestimmt, im kommenden Monat aber werde der Widerstand markant stärker ausfallen, sagt Gowan. «Ich denke, dass die Russen am Ende einen Kompromiss eingehen werden. Aber es ist durchaus möglich, dass Moskau wie bereits 2022 sein Veto einsetzen wird, um den Rest des Rats einzuschüchtern. Die Schweiz wird in dieser schmerzhaften Angelegenheit hart und entschlossen auftreten müssen.»

Auch danach werde es kaum ruhiger werden, glaubt Gowan. «Die Schweizer Diplomaten werden bis zum 1. Januar 2025 keinen richtigen Schlaf finden», sagt er. «Die Ratsdiplomatie ist unendlich anstrengend und unendlich herausfordernd.»

Und damit zum Briefing aus Bern.

Nationalrat genehmigt Projekte für Strassen­ausbau

Worum es geht: Der Nationalrat hat am Dienstag Kredite in der Höhe von 5,3 Milliarden Franken für den Ausbau verschiedener Autobahn­abschnitte genehmigt. Das sind 900 Millionen Franken mehr, als der Bundesrat beantragt hatte. Daneben will die grosse Kammer 8,8 Milliarden Franken in den Unterhalt bestehender Strassen investieren.

Warum Sie das wissen müssen: In der Schweiz nimmt der Verkehr auf der Strasse und auf den Schienen zu. Um die Staus zu reduzieren, möchte eine Mehrheit aus SVP, FDP und Mitte das Nationalstrassen­netz weiter ausbauen. Am Dienstag gab der Nationalrat grünes Licht für die Realisierung von fünf Autobahn­projekten. Geplant sind unter anderem ein Rhein­tunnel bei Basel und eine dritte Röhre beim Rosenberg­tunnel in St. Gallen. Daneben soll die Autobahn beim Wankdorf in Bern auf acht Spuren erweitert werden. Die Projekte sind Teil des sogenannten strategischen Entwicklungs­programms, das bis 2030 Projekte für total 11,6 Milliarden Franken vorsieht. Das Parlament entscheidet alle vier Jahre über den nächsten Ausbau­schritt des Programms. Die links-grüne Minderheit im Nationalrat wollte das Geschäft an den Bundesrat zurückweisen. Milliarden­schwere Investitionen in den Strassenbau würden dem Klima schaden und auf Kosten der Biodiversität gehen, schreiben die Grünen in einer Mitteilung. SP-Nationalrätin und Pro-Natura-Präsidentin Ursula Schneider Schüttel sagte im Rat, um die vom Bundesrat gesetzten Klimaziele zu erreichen, müsse der Autoverkehr reduziert und der öffentliche Verkehr gefördert werden. Der Verkehrs­minister und frühere Auto-Schweiz-Präsident Albert Rösti erklärte, ihm seien Investitionen in den öffentlichen Verkehr genauso wichtig wie Investitionen in die Strasse.

Wie es weitergeht: Die Umwelt­organisation Umverkehr hat bereits jetzt angekündigt, dass sie das Referendum gegen den Strassenausbau ergreifen wird. Zunächst wird aber der Ständerat die Vorlage beraten.

Ständerat will Mindest­betrag von Kantonen an Prämien­verbilligungen

Worum es geht: Der Ständerat möchte, dass die Kantone künftig einen Mindest­betrag für individuelle Prämien­verbilligungen aufwenden müssen. Er geht beim Gegen­vorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP aber deutlich weniger weit als Bundesrat und Nationalrat. Hingegen konnten sich die beiden Räte beim Gegen­vorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei im Grundsatz einigen. So sollen in Zukunft Kosten- und Qualitätsziele für das Gesundheits­wesen eingeführt werden.

Warum Sie das wissen müssen: Wegen der steigenden Gesundheits­kosten müssen Versicherte für die Krankenkassen­prämien immer tiefer ins Portemonnaie greifen. Laut Bundesamt für Gesundheit könnte es im Herbst erneut zu einer deutlichen Erhöhung der Krankenkassen­prämien kommen. Die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP verlangt, dass ein Haushalt nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkassen­prämien aufwenden muss. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab und möchte mit seinem Gegenvorschlag die Kantone stärker in die Pflicht nehmen. Der Nationalrat hatte dem Gegen­vorschlag, der Mehrkosten für die Kantone im Umfang von 493 Millionen Franken vorsieht, zugestimmt. Das geht dem Ständerat, der die Kosten für die Kantone möglichst tief halten möchte, zu weit. Am Dienstag hat die kleine Kammer einem Kompromiss seiner Gesundheits­kommission zugestimmt, der die Kantone zusätzlich 356 Millionen kosten würde. Die SP-Initiative dürfte an der Urne gute Chancen haben, warnte Kommissions­sprecher Erich Ettlin (Mitte). Deshalb sei das Risiko zu gross, ohne Gegen­vorschlag in die Abstimmung zu gehen.

Wie es weitergeht: Die SP kritisiert den Entscheid des Ständerats. Der Gegen­vorschlag reiche «bei weitem» nicht aus, um die Bevölkerung zu entlasten, schreibt die Partei in einem Communiqué. Der Nationalrat, der als Nächstes wieder am Zug ist, müsse den Entscheid dringend korrigieren.

Sonderermittler Marti tritt ab

Worum es geht: Peter Marti, ausser­ordentlicher Staatsanwalt des Bundes, hat die Leitung des Strafverfahrens gegen Peter Lauener, den ehemaligen Medienchef von Bundes­präsident Alain Berset, abgegeben. Marti macht für den Schritt persönliche Gründe geltend, wie es in einer Mitteilung vom letzten Donnerstag heisst.

Warum Sie das wissen müssen: Marti hatte das Verfahren wegen Verdacht auf Amtsgeheimnis­verletzung im Mai 2021 eröffnet. In einer ersten Phase verdächtigte er Lauener, einen zunächst geheimen Bericht zur Crypto-Affäre einem Tamedia-Journalisten weiter­gegeben zu haben. Der Verdacht erwies sich als haltlos; Marti musste diesen Teil des Verfahrens im März 2023 einstellen. In einer zweiten Phase warf der Sonder­ermittler dem ehemaligen Berset-Mitarbeiter vor, Ringier-Medien mit vertraulichen Informationen zu den Corona-Massnahmen des Bundesrats versorgt zu haben. Später stellte sich heraus, dass Marti die angeblichen Beweise dafür, nämlich unzählige E-Mails, womöglich wider­rechtlich beschafft hatte. Der Fall erregte unter anderem Aufsehen, als CH Media im Januar 2023 Einvernahme­protokolle und Mails aus dem Verfahren veröffentlichte. In der Folge setzten die Geschäftsprüfungs­kommissionen des Parlaments eine Arbeitsgruppe zum Fall ein.

Wie es weitergeht: Nach Martis Abgang hat die Aufsichts­behörde über die Bundes­anwaltschaft entschieden, die Leitung des Verfahrens gegen Lauener der Bundes­anwaltschaft zu übertragen. Ausstehend ist unter anderem ein Entscheid des Zwangs­massnahmen­gerichts Bern; dieses muss entscheiden, ob Marti angebliche Beweismittel rechtmässig erhoben hat oder nicht.

Hauseigentümer der Woche

Am 18. Juni stimmen die Schweizer Stimm­berechtigten bekanntlich über das Klimaschutz-Gesetz ab. Sollte es an der Urne ein Ja geben, werden Haus­eigentümerinnen künftig vom Bund mit zusätzlichen Mitteln finanziell unterstützt – etwa dann, wenn sie ihre Ölheizung durch eine klima­freundliche Wärmepumpe ersetzen. Darum erstaunt die Position des Schweizer Hauseigentümer­verbands (HEV): Er lehnt die Vorlage ab. Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser gab darauf im «SonntagsBlick» bekannt, dass er nach 10-jähriger Mitgliedschaft aus dem HEV ausgetreten sei. Noser findet es «respektlos», dass der Verband beim Klimaschutz-Gesetz die SVP-Kampagne übernehme. Zahlreiche HEV-Mitglieder folgten Noser und traten ebenfalls aus. Das wiederum freut den Verband für umweltbewusste Hausbesitzerinnen Casafair, der sich für ein Ja am 18. Juni ausspricht. Innerhalb einer Woche konnte Casafair (Noser sei Dank) 250 neue Mitglieder gewinnen. Das seien so viele wie sonst innerhalb von drei Monaten, sagte Geschäfts­führerin Kathy Steiner. Einmal mehr zeigt sich: Hauseigentümer sind eben nicht immer gleich Hauseigentümer.

Illustration: Till Lauer

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