SVP bringt Zuwanderung aufs Tapet, Schweizer Erfolg im Uno-Sicherheitsrat – und Nationalbankverluste bringen Kantone zum Sparen
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (218).
Von Angela Gross, Carlos Hanimann und Priscilla Imboden, 12.01.2023
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Sollten Sie es noch nicht gemerkt haben, das Thema des Wahljahres 2023 wird – grosse Überraschung! – die Zuwanderung. Man konnte es zuerst in der NZZ lesen, Mitte Dezember, als SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi ankündigte, demnächst eine Zuwanderungsinitiative zu lancieren. Am nächsten Tag standen, wieder in der NZZ, die Details der geplanten, aber noch nicht ganz beschlossenen Initiative. Und am übernächsten Tag erschien bei den zahlreichen Regionalzeitungen von CH Media die «Recherche», dass der immer noch nicht lancierte SVP-Schlager «Nachhaltigkeitsinitiative» heissen werde. Spätestens als SVP-Präsident Marco Chiesa an der «Waldweihnacht» der SVP Schaffhausen teilnahm, um der dortigen Kantonalsektion die «Marschrichtung» vorzugeben, da wussten dann wirklich alle, worüber im Wahljahr 2023 gesprochen und geschrieben werden soll.
Und so ging das Jahr dann auch tatsächlich los. Die «SonntagsZeitung» spielte mit einem Themenschwerpunkt zur Zuwanderung die Begleitmusik zur SVP-Kadertagung in Bad Horn. SP-Krokodil Peter Bodenmann erklärte SVP-Krokodil Christoph Blocher in der NZZ, dass man halt Mindestlöhne einführen und die Pauschalbesteuerung abschaffen müsse (was Blocher abstritt); die «NZZ am Sonntag» versuchte in der aufgeflammten Zuwanderungsdebatte irgendwie dagegenzuhalten und irgendwie auch nicht. Und im «SonntagsBlick» forderte Swiss-Life-Präsident und SVP-Financier Rolf Dörig, man müsse das Saisonnierstatut wieder einführen – zurück zur Barackenschweiz und zum Verstecken von Kindern vor den Behörden.
Nun zeigt die Erfahrung, dass es sich mit der SVP und den Medien wie mit dem Hund und dem Stöckchen verhält. Aber dass nach dreissig Jahren Agendasetting von rechts aussen immer noch alle so beflissen springen, das war dann doch ein wenig erstaunlich.
Dabei braucht die Schweiz, ganz nüchtern betrachtet, nicht weniger, sondern mehr Schweizer. Dieses Land hat kein Platz-, sondern ein Demokratieproblem: Ein Viertel der bald neun Millionen Einwohnerinnen der Schweiz hat kein Stimmrecht. In Basel könnten die Stimmberechtigten bald in der Minderheit sein, in der thurgauischen Grenzstadt Kreuzlingen ist das schon heute so. Ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss unter dem Namen «Aktion Vierviertel» will das ändern und fordert in einer Volksinitiative ein Grundrecht auf Einbürgerung. Lanciert werden soll die Initiative in zwei Wochen.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Uno-Sicherheitsrat: Erster Erfolg für die Schweiz
Worum es geht: Die Schweiz konnte als neues Mitglied im Uno-Sicherheitsrat einen ersten Erfolg verzeichnen. Gemeinsam mit Brasilien war sie massgebend an einer Kompromisslösung beteiligt, die Nothilfelieferungen über die türkische Grenze in syrische Rebellengebiete für weitere sechs Monate ermöglicht. Laut Uno ist diese grenzüberschreitende humanitäre Hilfe für die Menschen vor Ort überlebenswichtig.
Warum Sie das wissen müssen: Die Schweiz sitzt seit Anfang Januar erstmals im Uno-Sicherheitsrat, heute spricht Aussenminister Ignazio Cassis erstmals vor dem Gremium. Der aus fünfzehn Mitgliedern bestehende Rat ist das zentrale Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen. Die Schweiz trägt als Uno-Mitglied bereits seit zwanzig Jahren die dort beschlossenen Resolutionen mit. Als nicht ständiges Mitglied des Sicherheitsrats kann sie nun die nächsten zwei Jahre aktiv mitgestalten. Die Schweiz hat angekündigt, sich für den Klimaschutz einzusetzen, den Frieden zu fördern und die Zivilbevölkerung zu schützen. Vertreten wird die Schweiz im Sicherheitsrat durch Pascale Baeriswyl, die von 2016 bis 2019 Staatssekretärin des Aussendepartements war.
Wie es weitergeht: Die erste aktive Mitarbeit deutet bereits an, wie die Schweiz künftig im Gremium arbeiten wird. Statt sich auf Herkulesaufgaben wie den Frieden in der Ukraine oder die internationale atomare Abrüstung zu stürzen, wird sich die Schweiz wohl vor allem als Vermittlerin in der diplomatischen Feinarbeit nützlich machen wollen.
Nationalbank: Kein Geld für Bund und Kantone
Worum es geht: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat für das letzte Jahr einen Verlust von rund 132 Milliarden Franken verbucht. Grund dafür sind laut SNB-Präsident Thomas Jordan die negativen Entwicklungen am Finanzmarkt.
Warum Sie das wissen müssen: Der Rekordverlust der SNB hat Folgen für Bund und Kantone. Für sie gibt es dieses Jahr keine Gewinnausschüttungen. In den vergangenen zwei Jahren erhielten Bund und Kantone jeweils sechs Milliarden Franken von der Nationalbank. Davon bekam der Bund gemäss Vereinbarung zwei Milliarden, die Kantone insgesamt vier Milliarden Franken – verteilt je nach Grösse der Wohnbevölkerung. Überraschend kommt der SNB-Verlust für die Kantonsregierungen nicht. Bereits Ende des letzten Jahres hatte sich dies abgezeichnet. Unerfreulich sei das natürlich trotzdem, sagt Ernst Stocker, Präsident der kantonalen Finanzdirektorinnen.
Wie es weitergeht: Eine Mehrheit der Kantone hatte die Gewinne der SNB bereits im Jahresbudget eingeplant. Sie werden die fehlenden Einnahmen mit Einsparungen kompensieren. Sparen ist auch beim Bund angesagt. Über die detaillierte Finanzplanung wird der Bundesrat im Frühling entscheiden.
Wohlstandsbericht: Ungleichheit in der Schweiz nimmt zu
Worum es geht: Die ungleiche Verteilung von Wohlstand in der Schweiz hat zugenommen. 1 Prozent besitzt in der Schweiz 44 Prozent des Gesamtvermögens. Das zeigt eine Analyse des Bundesrats, die Mitte Dezember publiziert wurde.
Warum Sie das wissen müssen: Die Schweiz hat verglichen mit anderen Ländern eine sehr hohe Vermögenskonzentration. Sie sei vergleichbar mit Ländern wie Brasilien, Russland oder Mexiko, sagte der Wohlstandsforscher Marius Brülhart dem «Blick». Vermögen werde in der Schweiz vor allem vererbt. Da die Erbschaftssteuer gesenkt und in vielen Kantonen für direkte Nachkommen sogar abgeschafft wurde, bleibe das Geld in den Familien. Im Vergleich zum Vermögen blieb die Ungleichverteilung der Einkommen laut dem Bericht des Bundesrats stabil und liegt leicht unter dem europäischen Durchschnitt. Dennoch gehe die Lohnschere in der Schweiz weiter auf, schreibt der Schweizerische Gewerkschaftsbund in seinem kürzlich publizierten Verteilungsbericht. Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen würden durch steigende Lebenskosten und vor allem die Krankenkassenprämien überproportional belastet.
Wie es weitergeht: Den Bericht zur Wohlstandsverteilung hat der Bundesrat im Auftrag der Wirtschaftskommission des Nationalrats verfasst. Der Auftrag ist damit erfüllt.
Aussenpolitik: Erneute Abfuhr für das Europagesetz
Worum es geht: Die Aussenpolitische Kommission des Ständerats hat zum zweiten Mal Nein gesagt zu einem Vorstoss für ein Europagesetz. Mit dem Gesetz möchte der Nationalrat die Blockade mit der EU lösen.
Warum Sie das wissen müssen: Die Beziehungen mit der EU sind blockiert. Der Nationalrat will den Bundesrat mit dem Vorstoss verpflichten, im Rahmen eines «strukturierten politischen Dialogs» die institutionellen Fragen zu klären und die Beziehungen mit der EU weiterzuentwickeln. Denn derzeit tut der Bundesrat wenig, um die Blockade zu überwinden.
Wie es weitergeht: Der Vorstoss zum Europagesetz dürfte nach der deutlich erfolgten Nein-Empfehlung der Kommission im Ständerat abgelehnt werden. Damit wäre er gescheitert. Das einzige politische Druckmittel, das dann in der Europafrage bleibt, ist die Europa-Initiative, die von der Operation Libero, den Grünen und weiteren Organisationen getragen wird. Sie verlangt, dass die Schweiz Verhandlungen mit der EU aufnimmt und das Verhandlungsresultat dem Parlament vorlegt.
Aufpasser der Woche
Neo-Bundesrat Albert Rösti macht Yves Bichsel zu seinem Generalsekretär. Bichsel, der früher für Bundesrat Christoph Blocher, in der SVP-Parteizentrale und zuletzt für den Berner SVP-Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg gearbeitet hat, gilt als Hardliner und Scharfmacher. Mit Bichsel an Röstis Seite kann die Zürcher SVP aufatmen. Denn nichts fürchtete sie mehr, als dass sich der zur Harmonie neigende Kandersteger Rösti im Bundesrat von der Parteilinie absetzen würde – wie es einst schon Adolf Ogi tat, der andere Bundesrat aus Kandersteg. Yves Bichsel wird schon aufpassen.
Illustration: Till Lauer