Serie «Für alles gewappnet» – Folge 1

Tom Huber/Connected Archives

Wie überstehe ich den Tod?

Jetzt gehts ums Ganze: Sie wollen ewig leben? Sieben Schritte auf dem Weg in die Unsterblichkeit. Die Serie zum Jahreswechsel, Folge 1.

Von Anna Traussnig (Text) und Bettina Hamilton-Irvine (Übersetzung), 21.12.2023

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Stellen Sie sich vor, Sie wären lebendig, für immer. Um es mit den Worten des sehr toten Freddie Mercury zu sagen:

«Ist das das wirkliche Leben, ist es nur Fantasie?»

Für eine wachsende Gruppe von Enthusiasten wäre ein Ja auf Ersteres die richtige Antwort: Mit dem richtigen Lebensstil und den richtigen Hacks können Sie für Ihren Körper ein paar kostbare Extra-Jahrzehnte herausholen oder zumindest so lange, bis die Wissenschaft der Zukunft aufholt und ihr Versprechen einlöst, uns ewiges Leben zu bescheren. (Damit wir uns hier richtig verstehen: Der letzte Teil ist vorläufig nur Fantasie.)

Ob Sie also davon träumen, zu einer Gottheit zu werden, oder ob Sie einfach nur genüsslich in Ihre Neunziger hinein­schlendern wollen, hier sind unsere Tipps, die Sie auf dem Weg zur Unsterblichkeit unterstützen:

1. Werden Sie reich

Langlebigkeit ist ein teures Hobby. Ein grosser Haufen Geld kann entsprechend als Bollwerk fungieren zwischen Ihnen und lebens­verkürzenden Miss­geschicken. Suchen Sie sich also zuerst einmal einen grossen Haufen Geld.

Der einfachste Weg, dies zu erreichen, ist, am richtigen Ort geboren zu werden. Idealer­­weise auf einem grossen Haufen Geld.

Wenn Ihnen dieser Weg verschlossen bleibt, gibt es beliebte Alternativen wie das Heiraten einer reichen Person oder das Unternehmertum. Seien Sie sich jedoch bewusst, dass Letzteres einen grossen Einsatz erfordert. Es wird daher möglicher­weise nötig sein, andere Aktivitäten zurück­zustellen, mit denen Sie sich sonst beschäftigt hätten, zum Beispiel das Leben zu geniessen, Kinder gross­zuziehen oder erfüllte Liebes­beziehungen zu haben. Sie wollen ja schliesslich leistungs­fähig bleiben.

Nicht zu empfehlen sind: Berufstätigkeit, Lotto spielen.

2. Bleiben Sie gesund

Jetzt, wo die Frage der Ressourcen geklärt ist, sollte eine gesunde Lebens­weise Ihre oberste Priorität werden.

Kalibrieren Sie zuerst Ihre Morgen­routine. Sie sollte spätestens um 5 Uhr beginnen. Das behaupten zumindest viele erfolgreiche Menschen, und die müssen es ja wissen, weil sie so erfolgreich sind. In Ihrem neuen, optimierten Leben dreht sich alles um Sie, also begrüssen Sie den Tag mit einer Meditation, um Ihre Gedanken auf die Umlauf­bahn rund um die Sonne Ihrer strahlenden Persönlichkeit zu schicken.

Setzen Sie Ihr Programm fort mit derjenigen Sportart, die derzeit als die beste zur Verringerung von Gehirn­entzündungen gilt. Sie hassen Unterwasser-Powerlifting? Schade aber auch. Denn nun gilt es, einen Pool zu bauen und einen Trainer zu engagieren.

In Bezug auf Ihre Ernährung sollten Sie sich möglichst gründlich über die blauen Zonen informieren, diese magischen Oasen, in denen die Menschen über­durchschnittlich lange leben. Aber seien Sie gewarnt: Während Ihrer Recherche könnten Sie an einen Punkt kommen, an dem Sie sich fragen, ob grillierte Sardinen und Favabohnen wirklich so viel wert sind im Vergleich zu anderen Besonderheiten des Lebens in den blauen Zonen – zum Beispiel Freunden, Familie und der Tatsache, dass man sich nie mit dem verdammten Wecker abgeben muss (oh, es ist schon wieder 5 Uhr morgens!).

Schieben Sie diese Gedanken am besten beiseite und mixen Sie sich einen kretischen Frühstücks­smoothie. Zwei Sardinen, viel frisches Grünzeug, ein Esslöffel Öl, ein Spritzer Zitrone und ein halbes Glas Tsipouro. Yámas! Wenn Sie Ihr Essen trinken, haben Sie mehr Zeit, um die Zukunft zu gestalten.

3. Nehmen Sie Ihre Vitamine

NMN, TMG, ALA, Resveratrol, Metformin usw.: Entdecken und schlucken Sie jede Anti-Aging-Verbindung, die es gibt. Wenn Sie nicht mehr Pillen einnehmen als ein DJ im Berliner Berghain, machen Sie etwas falsch.

Ebenfalls falsch wäre: darauf zu warten, dass die Regulierungs­behörden aufholen. Das beste Zeug ist halt oft ziemlich illegal.

Richtig ist hingegen: Lassen Sie Ihr «biologisches Alter» regelmässig testen und verwenden Sie diese Zahl als Massstab, um die Wirksamkeit Ihrer verschiedenen Nahrungs­ergänzungs­mittel zu beurteilen.

4. Bleiben Sie am Puls der Zeit

Sie haben nun also Ihre Pillen. Coolio. Und jetzt?

Biogerontologie ist ein sich rasant entwickelndes Gebiet. Besuchen Sie nach Möglichkeit eine Langlebigkeits­konferenz. Glücklicher­weise gibt es eine in Ihrer Nähe. Für 4500 Dollar pro Person für zwei Tage sind Sie dabei. Ein Schnäppchen!

Sie können dort mit Ihrem biologischen Alter prahlen oder sich mit anderen über die besten Medikamenten­händler austauschen. Und Sie erfahren alles über seltsame und wundersame experimentelle Therapien, von sanften wie dem Einatmen von sauerstoff­armer Luft bis hin zu knallharten wie der Telomerase-Gentherapie von Bioviva, bei der man in eine Klinik in Bogotá fliegt, bevor man mit einer Nadel in das Nasen­loch gestochen wird. Interessiert?

Ganz generell gilt: Stürzen Sie sich auf neue Forschungs­ergebnisse wie ein Löwe auf eine Gazelle. Inter­mittierendes Fasten mag heute in Mode sein, aber vielleicht kommt morgen eine Studie heraus, die zeigt, dass der Verzehr von Lebens­mitteln den oxidativen Stress reduziert, wenn die Sonne einen 15-Grad-Winkel mit der Erde bildet. Dann wissen Sie, was Sie zu tun haben.

5. Leben Sie Ihr Leben

Es lohnt sich nur, Ihr Leben zu verlängern, wenn Sie es tatsächlich leben.

Weil alte Menschen eine Last sind, umgeben Sie sich lieber mit jungem Blut (im wahrsten Sinne des Wortes). Tauschen Sie also Ihre Partnerin oder Ihren Partner aus, sobald Sie einen Hauch von Alter riechen oder wenn diese(r) älter als 25 geworden ist. Was gut genug für Leonardo DiCaprio ist, ist auch gut genug für Sie.

Planen Sie jedes Jahr ein paar Wochen «Erlebniszeit» ein. Sie sind schliesslich ein viel beschäftigter Mensch, das dürfen Sie durchaus mit Intensität ausgleichen.

Gute Orte, um sich wirklich lebendig zu fühlen, sind: ein Unterwasser-Haikäfig, ein Raumschiff, die Spitze des Mount Everest, eine Küche mit Gordon Ramsay.

Weniger gute Orte: U-Boote auf dem Weg zur Titanic.

6. Spenden Sie für wohltätige Zwecke

In Sachen Philanthropie sollten Sie langfristig denken und sich auf sogenannte «existenzielle Bedrohungen» konzentrieren. Also Dinge, die die gesamte Menschheit auslöschen könnten – inklusive und vor allem Sie selber. Spenden Sie also für das Forschungs­zentrum für AI-Ausrichtung, das Asteroiden-Ablenkungs­programm der Nasa und andere sinnvolle Projekte.

Ja, die Klima­erwärmung ist sicher auch ein Problem, und Gesundheits­fragen sind wichtig, aber seien wir ehrlich: Ein vermögender Mensch wie Sie wird in der näheren Zukunft nicht an einer Dürre oder an der Ruhr sterben.

7. Planen Sie Ihren Abgang

Vielleicht bekommen Sie eine Krankheit, die mit Geld nicht zu heilen ist. Oder Sie werden 80, 90 oder 100 Jahre alt, und die Wissenschaft hat immer noch nicht die Kurve gekriegt. Auf jeden Fall zahlt es sich aus, auf Ihren Abgang vorbereitet zu sein.

Planen Sie deshalb Ihre postmortale Überführung in eine Kryogenik-Einrichtung. Knapp 180’000 Franken für den ganzen Körper, 70’000 Franken nur für das Gehirn: Wir haben Sie gewarnt, Langlebigkeit ist teuer – selbst dann noch, wenn man mit dem Leben abgeschlossen hat.

Legen Sie sich dann in einen Behälter mit flüssigem Stickstoff und warten Sie, bis die Wissenschaft endlich die Kurve gekriegt hat.

Natürlich ist es möglich, dass Sie dann aufwachen und feststellen, dass die Oberflächen­temperatur der Erde 55 Grad erreicht hat, dass ein Superstamm der Ruhr grassiert und dass Ihr Stickstoff­tank der einladendste Ort auf dem Planeten geworden ist.

Und dann wünschten Sie sich vielleicht, Sie wären tot.

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