Der Bundesrat will vorsichtig öffnen, die Abstimmungsvorlagen vom 7. März – und der dümmste Satz der Woche
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (135).
Von Reto Aschwanden, Dennis Bühler und Cinzia Venafro, 18.02.2021
Vor lauter Nachrichten den Überblick verloren? Jeden Donnerstag fassen wir für Sie das Wichtigste aus Parlament, Regierung und Verwaltung zusammen.
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Er ist eingeknickt. Zumindest ein bisschen. Der Bundesrat tat gestern das, was man von ihm erwartet hatte: Er kündigte Lockerungen an. Rechtsbürgerliche Kreise hatten zuvor mächtig Druck gemacht. Unter dem Slogan «Es reicht, Herr Bundesrat Berset» hatten SVP und (Jung-)Freisinnige eine Petition mit fast 300’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei deponiert.
Ab März dürfen wir also wieder shoppen und vielleicht vier Wochen später, kurz vor Ostern, auf einer Gartenterrasse ein Glas Wein trinken. Alle vier Wochen ein bisschen mehr Normalität – das ist das neue Credo der Landesregierung. Die epidemiologische Lage lasse dies zu, sagt Gesundheitsminister Alain Berset, auch wenn ihm dabei anscheinend nicht ganz wohl ist. «Ja, wir gehen ein Risiko ein», wiederholte er bei der Pressekonferenz mehrmals: «Aber wir glauben, wir können uns das leisten. Wir brauchen es alle.» Ganz besonders die kommende Generation. «Die Jugend zahlt einen hohen Preis», erklärte Bundespräsident Guy Parmelin. Darum sollen die ersten Lockerungen an dieser Gruppe ausgerichtet sein.
Und so sieht der Plan aus, den der Bundesrat den Kantonen in die Konsultation gibt.
Ab dem 1. März sollen Läden, Museen und Lesesäle von Bibliotheken öffnen können, ebenso auch Aussenbereiche von Zoos, botanischen Gärten sowie Sport- und Freizeitanlagen.
Im Freien dürfen sich wieder 15 Personen treffen.
Jugendliche bis 18 Jahre dürfen wieder «den meisten sportlichen und kulturellen Aktivitäten nachgehen». So sind etwa Band- und Chorproben für unter 18-Jährige wieder möglich. Zudem dürfen Jugendliche auch sportliche Wettkämpfe austragen.
Kinder unter 12 Jahren sind neu von der Testpflicht bei der Einreise in die Schweiz ausgenommen. Einreisende wie Lastwagenfahrer müssen kein Formular mehr ausfüllen, und neben PCR-Tests sind auch Antigen-Schnelltests zugelassen.
Ab 1. April folgt dann – vorausgesetzt, die Zahlen gehen bis dahin nicht wieder durch die Decke – der zweite Öffnungsschritt:
Restaurants dürfen im Aussenbereich wieder Gäste bewirten.
Kultur- und Sportveranstaltungen sollen in «eng begrenztem Rahmen» möglich sein.
Neue Beschlüsse fällte der Bundesrat auch bei den Unterstützungsmassnahmen für Unternehmen und Arbeitslose. So stockt er den Topf für die Härtefallhilfen auf 10 Milliarden Franken auf. Grösseren Unternehmen mit Filialen in mehreren Kantonen will der Bund neu direkt unter die Arme greifen. Und Arbeitslose sollen für die Monate März bis Mai 66 zusätzliche Taggelder erhalten.
Schliesslich demonstrierte der Bundesrat bei der Medienkonferenz am Mittwoch auch kollegiale Geschlossenheit. «Sieht er aus wie ein Diktator?», sagte Bundespräsident Guy Parmelin und zeigte auf Berset, dem jüngst in Zeitungskommentaren entsprechende Allüren vorgehalten wurden. Und Ueli Maurer, nicht gerade für seine Treue zum Kollegialitätsprinzip bekannt, gab sich wohlwollend loyal: «Sie müssen uns nicht spalten», meinte er in Richtung Medien, «wir haben gar nichts gegen Herrn Berset.»
Da sind wir aber froh. Und wenden uns damit weiteren Nachrichten aus dem Bundeshaus sowie den nationalen Abstimmungen vom 7. März zu. Entschieden wird dann über das E-ID-Gesetz, die Verhüllungsinitiative und das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Hier erfahren Sie in aller Kürze, worum es dabei geht und wer sich mit welchen Argumenten wie positioniert.
Das E-ID-Gesetz
Worum es geht: Wer online shoppen oder seine Steuererklärung ausfüllen will, muss sich identifizieren. Bisher ist dazu eine Vielzahl von Log-ins nötig. Mit der elektronischen Identität, kurz E-ID, soll die Identifizierung im Internet einfach und sicher geregelt werden. Ausgestellt werden soll dieser digitale Pass von staatlichen oder privaten Stellen. Der Bund prüft, ob die Person, die eine E-ID beantragt, diejenige ist, für die sie sich ausgibt. Die Aufzeichnungen über die Nutzung liegen dann beim jeweiligen Provider.
Wer dafür ist: SVP, FDP, die Mitte, Wirtschaftsverbände
Wer dagegen ist: SP, Grüne, GLP, Netzaktivistinnen
Was die Befürworterinnen sagen: Die E-ID macht das Leben einfacher, weil man nicht mehr an den Schalter muss, sondern die Dinge online erledigen kann. Zudem ist sie eine Art Passepartout, weil sie all die verschiedenen Log-ins und Passwörter, die wir heute brauchen, überflüssig macht. Durch die staatliche Prüfung ist das System sicher, zudem sorgt das E-ID-Gesetz für Transparenz und Datenschutz. Und weil andere Länder bereits elektronische IDs kennen, muss die Schweiz nachziehen, um den Wirtschaftsstandort nicht zu schwächen.
Was die Gegner sagen: Mit der E-ID droht die Privatisierung des digitalen Passes. Weil private Provider die E-ID ausstellen können, gelangen sensible Informationen bis hin zu biometrischen Daten in die Hände von gewinnorientierten Unternehmen. Weil jede Nutzung aufgezeichnet würde, wäre der Datenschutz nicht gewährleistet und Missbrauch möglich. Die Schweizer Lösung ist nicht kompatibel mit der EU. Seniorenverbände fürchten, älteren Menschen könnte die E-ID von privaten Unternehmen aufgezwungen werden.
Das Verhüllungsverbot
Worum es geht: Niemand soll sein Gesicht verhüllen: nicht in Amtsstellen, nicht im öffentlichen Raum, im Restaurant oder im öffentlichen Verkehr. Auch in der Natur und in Sportstadien gälte das Verhüllungsverbot. Ausgenommen wären Sakralstätten, einheimisches Brauchtum wie die Fasnacht und gesundheitliche Massnahmen wie jetzt während der Pandemie. Dies verlangt die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», auch Burka-Initiative genannt. Lanciert wurde sie vom SVP-nahen «Egerkinger Komitee», welches bereits 2009 hinter der erfolgreichen Minarettinitiative stand.
Wer dafür ist: SVP, EDU, FDP Waadt
Wer dagegen ist: SP, Grüne, GLP, die Mitte, FDP Schweiz
Was die Befürworter sagen: Die Gesichtsverhüllung symbolisiert die Unterdrückung der Frau und steht im Widerspruch zum Gebot der Gleichberechtigung der Geschlechter. Zudem gehört es in aufgeklärten Ländern wie der Schweiz zu den Grundwerten, dass man sich gegenseitig ins Gesicht blicken kann. Das Verbot führt zu mehr Sicherheit und Ordnung, weil die Polizei konsequent gegen vermummte Straftäter vorgehen kann.
Was die Gegnerinnen sagen: Voll verschleierte Frauen sind in der Schweiz kein Problem, argumentiert der Bundesrat und stützt sich auf eine aktuelle Forschungsarbeit der Universität Luzern. Nach dieser leben in der Schweiz keine 40 Frauen, die einen sogenannten Nikab tragen. Ein Verhüllungsverbot dient nicht der Gleichberechtigung, sondern der Bevormundung von Frauen durch Kleidervorschriften. Zudem zeigt die Erfahrung aus Frankreich, dass ein Verbot kontraproduktiv wirken kann.
Das Freihandelsabkommen mit Indonesien
Worum es geht: 2018 schloss der Bundesrat ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Indonesien. Damit soll der Handel zwischen der Schweiz und Indonesien erleichtert werden: Die meisten Produkte aus der Schweiz sind bei der Einfuhr nach Indonesien steuerbefreit. Im Gegenzug gewährt die Schweiz Indonesien zollfreien Zugang für industrielle Produkte. Beim Import von Palmöl – einem der wichtigsten Rohstoffe Indonesiens – sinken die Zölle um 20 bis 40 Prozent. Palmöl darf aber nur unter bestimmten Nachhaltigkeitsvorgaben importiert werden. Gegen das Abkommen wurde das Referendum ergriffen.
Wer dafür ist: GLP, die Mitte, FDP, SVP und EDU
Wer dagegen ist: Grüne, SP, EVP, Juso
Was die Befürworter sagen: Die Schweiz ist eine Exportnation, der Zugang zu Märkten ist für sie fundamental wichtig. Bereits jetzt hat die Schweiz mehr als 30 Freihandelsabkommen mit mehr als 40 Ländern der EU und der Efta unterzeichnet. Das Abkommen mit Indonesien schütze zudem die Umwelt, da sich beide Staaten zu den Menschenrechten, zum Schutz des Regenwaldes und zu einer nachhaltigen Palmölproduktion bekennten.
Was die Gegner sagen: Die Palmölproduktion in Indonesien verursacht grosse ökologische und soziale Probleme. Lokale Bäuerinnen werden verdrängt, Zehntausende Quadratkilometer Regenwald wurden in den letzten Jahren für Palmölplantagen gerodet. Ein solches Abkommen erschwert zudem die Produktion von nachhaltigeren Alternativen in der Schweiz wie etwa Raps- und Sonnenblumenöl. Und nicht zuletzt seien die Nachhaltigkeitskriterien «zahnlos» und die Kontrollmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten ungenügend.
Und damit zu den weiteren Themen unseres Briefings aus Bern.
Medienförderung: Etappensieg für kleinere Verlage
Worum es geht: Der Bundesrat will die Medien finanziell stärker unterstützen, der Ständerat ebenso. Nun hat die zuständige Kommission des Nationalrats beschlossen, welche Anträge sie ihrer Kammer Anfang März unterbreiten wird. Dabei entschied sie sich für einen Kompromiss zwischen den Anliegen der kleinen und mittelgrossen Verlage einerseits und denjenigen der Grossverlage andererseits; diese waren über die Eckwerte der Onlineförderung zuletzt in einen wüsten Streit geraten.
Warum Sie das wissen müssen: Im wichtigsten Streitpunkt schlug sich die Nationalratskommission auf die Seite der kleineren Verlage: Die Holdingklausel soll im Gesetz verbleiben. Sie sieht vor, dass die kleinen Medienanbieter gegenüber den grossen Verlagshäusern überproportional gefördert werden, weswegen die Spitze des Verlegerverbands um TX-Chef Pietro Supino und CH-Media-Chef Peter Wanner dagegen lobbyiert hatte. Konkret bewirkt die Holdingklausel, dass die 8 grössten Anbieter von den 30 Millionen Franken Onlineförderung 54 Prozent erhalten sollen; die restlichen 46 Prozent gingen an rund 100 kleinere und mittlere Verlagshäuser, die auf einen Auflagenanteil von 23 Prozent kommen. Einen Teilsieg verbuchten die grossen Verlage hingegen beim degressiven Verteilschlüssel: Geht es nach der Kommission, kann der Bund ein Onlinemedium in Zukunft mit maximal 60 Prozent seines digital erzielten Umsatzes unterstützen – der Bundesrat und der Ständerat hatten für einen Höchstsatz von 80 Prozent votiert.
Wie es weitergeht: Der Nationalrat diskutiert die Vorlage am 2. März, eine Woche später ist der Ständerat am Zug. Doch dürfte die Frühjahrssession nicht ausreichen, um alle Differenzen zwischen den beiden Parlamentskammern auszuräumen. In Kraft treten dürfte die Medienförderung somit frühestens Anfang 2022. Weitere Verzögerungen sind nicht ausgeschlossen.
Pflanzenschutzmittel: Bundesrat setzt neuen Fokus
Worum es geht: Ob ein Pflanzenschutzmittel zugelassen wird, entscheidet in Zukunft nicht mehr das Bundesamt für Landwirtschaft, sondern das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit. Federführend ist dann somit das Innendepartement, nicht mehr das Wirtschaftsdepartement. Zudem soll das Bundesamt für Umwelt verstärkt in den Zulassungsprozess einbezogen werden. Dies hat der Bundesrat am Mittwoch entschieden. Mit dieser Neuorganisation dürfte künftig die Frage ins Zentrum rücken, wie neue Pflanzenschutzmittel auf Mensch und Umwelt wirken. Dennoch kritisieren die Umweltverbände WWF, Greenpeace und Pro Natura in einer gemeinsamen Medienmitteilung, die Reform bleibe unvollständig und gehe «trotz hoher Dringlichkeit unverständlich langsam voran».
Warum Sie das wissen müssen: Vor zwei Jahren kritisierte ein Bericht einer Beratungsfirma das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel als zu intransparent und monierte, es berücksichtige den Umweltaspekt zu wenig. Daraus hat der Bundesrat nun die Konsequenzen gezogen. Dass er genau jetzt handelt, dürfte mit zwei anstehenden Volksabstimmungen zu tun haben: Die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative wollen die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln einschränken. Es ist mit einem hitzigen Abstimmungskampf zu rechnen. So sagte Bauernverbandspräsident Markus Ritter bereits vor einem Jahr, er könne sich nicht erinnern, seit seinem Amtsantritt jemals ähnlich «radikale Vorstösse» auf dem Tisch gehabt zu haben. Diese Woche verkündete Martin Keller, Chef des Agrarkonzerns Fenaco, die Initiativen richteten sich nicht primär gegen sein Unternehmen, das mit Pestiziden, Dünger und Mastfutter Milliarden verdient, sondern gefährdeten die Existenz Hunderter Bauernfamilien.
Wie es weitergeht: Über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative wird am 13. Juni abgestimmt. Beiden Vorlagen werden gute Chancen eingeräumt.
Virenschaden der Woche
Der Award für den dümmsten Satz der Woche geht diesmal an Alois Gmür, seines Zeichens Mitte-Nationalrat aus Schwyz und von Beruf Braumeister. (Sein Bier verkauft der Abtreibungsgegner übrigens trotz gelegentlichen Differenzen auch der linksautonomen Reitschule in Bern – dies als Funfact fürs nächste Mal, wenn Sie mit einem Einsiedler Bier anstossen.) Gmür, im Bundeshaus geschätzt als gmögiger Typ und gefürchtet als Law-and-Order-Politiker, feierte diese Woche an der grössten illegalen Party des Landes: dem Fasnachtsumzug in Einsiedeln. Rund 1000 Personen versammelten sich im Klosterdorf – viele ohne Hygienemaske – und feierten den traditionellen «Sühudiumzug». Schutzkonzept? Fünferregel? War da was? Es hagelte Bussen, es kam zu Ausschreitungen, die Menschen hätten «überbordet», sagte die Kapo Schwyz. Und Gmür? Der findet: «Es ist Virus gegen Virus, Fasnachtsvirus gegen Coronavirus. Ich hoffe, das Fasnachtsvirus siegt.» Einem Innerschweizer versaut schliesslich auch eine tödliche Krankheit nicht die fünfte Jahreszeit. Oder wie es Gmür mit stolzem Blick auf die Lokalgeschichte ausdrückt: «Selbst während der Spanischen Grippe hat die Fasnacht in Einsiedeln stattgefunden.» Na dann, Prost.
Illustration: Till Lauer