Und das sollen die Bösen in der Klimadebatte sein? Zwei Kühe auf dem Bergbauernhof von Daniela und Christoph Bach.

Das Klima und die Kühe

Niemand ist vom Klimawandel stärker betroffen als die Bauern. Trotzdem tun die meisten praktisch nichts, um weniger Treibhausgase zu verursachen. Woran liegt das? Drei Hofbesuche.

Von Jeremias Schulthess (Text) und Joan Minder (Bilder), 18.02.2020

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Jetzt auch noch unsere Kühe.

Wie kaum etwas anderes gehören die Wieder­käuer zum Heimat­inventar der Schweiz. Aber sie schaden dem Klima. Und zwar gewaltig. Gut ein Zehntel der Treibhaus­gase in der Schweiz fällt auf das Rindvieh zurück – ein Teil davon ist Methan, ein Teil Lachgas aus der Gülle.

Müssen wir wegen der Klimakrise nun ganz auf unsere Kühe verzichten? Seit Jahrhunderten wirtschaften die Schweizer Bauern mit ihnen. Eine Schweiz ohne Käse und Glocken­gebimmel – ist das überhaupt vorstellbar?

Ich will wissen, wie Landwirte darüber denken. Meine Suche führt mich auf den Hof eines Bauern, der neue Wege geht, zu traditionellen Landwirten, die von Greta nichts wissen wollen, und zum obersten Schweizer Bauern, der jede Kritik am eigenen Stand abblitzen lässt.

Vor allem erfahre ich: Das Potenzial für eine klima­schonende Land­wirtschaft ist gross, aber fast niemand will etwas am bestehenden System ändern.

Aber zuerst zum Problem.

Das Flotzmaul, die Verschmelzung von Naseneingang und Oberlippe beim Rind.

Kühe furzen und rülpsen Methan – ein Gas, dessen Treibhaus­effekt etwa 25-mal so gross ist wie der von CO2. Im Stall und auf den Weiden entsteht aus den Kuhfladen Lachgas. Zwar nur in sehr kleinen Mengen, dafür ist der Treibhaus­effekt bei diesem Gas etwa 300-mal so gross wie der von CO2.

Die Wiederkäuer sind die grössten Verursacher von Treibhaus­gasen in der Landwirtschaft. Insgesamt ist die Landwirtschaft laut Treibhausgas­inventar für genau 13 Prozent der klimaschädlichen Gase in der Schweiz verantwortlich – 75 Prozent davon entfallen laut einer Studie von Agroscope auf das Rindvieh.

In den 1990er-Jahren gingen die Emissionen zurück, weil auch die Viehbestände stark zurück­gingen. Seit 2000 blieben die Emissionen jedoch etwa gleich. Die Zahl der Bauern und der Kühe nimmt indes weiterhin ab.

Unvermeidlich: Kühe machen Mist …
… und aus den Fladen entweicht Lachgas.

Eine Kuh ist aber nicht eine Kuh – in Hinsicht auf das Klima zumindest. Hochleistungs­kühe verursachen mehr Methan als weniger produktive Kühe. Es gilt vereinfacht gesagt: Je mehr Milch eine Kuh gibt, desto mehr Methan stösst sie aus. Und da die Bauern immer mehr Hochleistungs­kühe halten, sinken die Treibhaus­gase nicht proportional zur Abnahme der Rinderzahl.

Praktisch unveränderter Ausstoss

Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft

19902000201020173,3 Nutztiere1,1 Hofdünger1,6 Böden0,0 Sonstiges024 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente

Quelle: Bundesamt für Umwelt

Auch die Gleichung «weniger Bauern gleich weniger Emissionen» geht nicht ganz auf. Es gibt zwar weniger Betriebe, die bestehenden werden aber immer grösser, und die landwirtschaftliche Nutzfläche geht nur langsam zurück.

Ich frage mich, ob es Landwirte gibt, die sich um das Klima bemühen. Die Bauern­vereinigung IP-Suisse vermittelt mir einen Milchbauern, der bewusst klimaschonend produziert.

Sein Hof liegt im luzernischen Schüpfheim. Ein Dorf in der Talsohle zwischen zwei Hügeln. Ein Bioladen, ein Denner und ein Döner-Imbiss säumen den Weg entlang der Hauptstrasse. In den Seiten­strassen lockert sich das Dorfbild auf. Der Nebel legt sich über das Tal und frisst ein Haus nach dem anderen auf.

Beat Emmenegger schaut auf Schüpfheim hinab.

Der Hof von Beat Emmenegger liegt auf einer Anhöhe über dem Dorf. Im Stall ist es hell, und es riecht angenehm frisch. Etwa 50 Kühe liegen, fressen und koten hier.

Futterzusatz und Ausmistroboter

Emmenegger, gross gewachsen, stellt sich auf den Mauer­vorsprung, der den Stall von der Scheune trennt, und blickt wie ein Dirigent über seine Kühe. «Vor 20 Jahren hat niemand über Methan gesprochen», sagt er. «Damals wusste gar niemand, was das ist.» Jetzt sei das anders. «Für manche ist es mehr ein Thema, für andere weniger.»

Für ihn ist es ein Thema.

Emmeneggers Stall ist ein Vorzeigeobjekt …
… und an den Ausmistroboter haben sich die Tiere längst gewöhnt.

Was Emmenegger fürs Klima tut, ist zunächst banal: Seine Kühe leben im Schnitt ein bis zwei Jahre länger als die Schweizer Durchschnitts­kuh. Die Kühe verursachen so in ihrer Lebenszeit weniger Methan pro Liter Milch. Grund dafür ist, dass eine Kuh erst nach etwa zweieinhalb Jahren Milch gibt, nachdem sie ihr erstes Kalb hatte. Und diese unproduktive Aufzucht fällt bei einer längeren Lebenszeit der Kuh weniger stark ins Gewicht, führt also zu einer besseren Methan-Bilanz pro produzierter Milchmenge.

Ausserdem verfüttert Bauer Emmenegger seinen Kühen Leinsamen, was dazu führt, dass im Pansen­magen weniger Methan entsteht. Und er lässt seine Kühe ausser im Winter jeden Tag auf der Weide grasen. Dort entstehen aus den Kuh­exkrementen weniger klimaschädliche Gase als im Stall.

Es piepst im Stall. Ein Gefährt, das einem Staubsauger­roboter ähnlich sieht, fährt seine Bahnen ab. Die Kühe kennen das Geräusch und gehen zur Seite. Der Ausmist­roboter, den Emmenegger 2009 als einer der ersten Landwirte in Europa erwarb, wischt zwei- bis dreimal pro Tag die dreckigen Flächen. Je schneller die Exkremente wegkommen, desto weniger Ammoniak und Lachgas entstehen im Stall.

«Vor 20 Jahren hat niemand über Methan gesprochen, damals wusste gar niemand, was das ist»: Beat Emmenegger.

Was der 47-Jährige tut, tut er aus Überzeugung. Denn klima­freundliche Landwirtschaft zahlt sich nicht aus. Im Gegenteil: Emmenegger hat einen Zusatzaufwand.

IP-Suisse lanciert nun ein Punkte­system, das Anreize für eine klima­freundliche Produktion schaffen soll. Die Vereinigung will damit die Treibhausgas-Emissionen bei ihren Mitgliedern um 10 Prozent senken.

Emmenegger macht bei einem Pilot­projekt von IP-Suisse mit. Dort gilt er als Vorzeige­bauer. Möglichst viele Landwirte sollen künftig so produzieren wie er. Wie viel Treibhausgas der Luzerner Landwirt mit seinen Massnahmen einspart, lässt sich aber nicht sagen, da es auf seinem Hof keine Messungen gab.

Alles braucht seine Zeit

Einer, der solche Messungen auf einigen Höfen durchgeführt hat, ist Daniel Bretscher vom Forschungs­institut Agroscope. Am Telefon zitiert der Biologe aus internationalen Studien, erklärt die Rahmen­methode des Treibhausgas­inventars und hat auf jede noch so spezifische Frage eine ausführliche Antwort parat.

Bretscher hat 300 Betriebe auf ihre Treibhausgas­bilanz untersucht und ist zum Schluss gekommen: Es gibt grosse Unterschiede. Manche Betriebe produzieren etwa fünfmal weniger Treibhaus­gase als andere – bei vergleichbarer Produktionsmenge.

Warum passen die Landwirte ihre Arbeitsweise nicht einfach an und produzieren nur noch klima­freundlich? Das sei nicht so einfach, erklärt Bretscher. Die Massnahmen, die sie ergreifen müssten, seien zum Teil schwer umsetzbar. Das heisst: aufwendig und teuer.

Was macht einen Betrieb klimafreundlich? Die Faktoren sind vielschichtig:

  • Der Umgang mit der Gülle. Beim Lagern und Ausbringen der Gülle entsteht unter bestimmten Umständen Lachgas. Bretscher spricht von Dünge­effizienz. Es werde häufig noch zu viel Gülle respektive Stickstoff verwendet, was die Natur belaste und schlecht fürs Klima sei.

Wer hätte jetzt nicht gern Internet mit Geruchsfunktion?
  • Die Art des Stalles. Beim Anbinde­stall entsteht weniger Lachgas als beim Laufstall, weil die verschmutzte Oberfläche kleiner ist. Die Unterschiede punkto Treibhaus­gase seien zwischen den Stalltypen jedoch eher klein, sagt Bretscher.

  • Die Zusammensetzung der Herde. Betreibt der Bauer Mutterkuh­haltung oder Milch­wirtschaft, und wie lange leben seine Kühe? Je nachdem, wie die Herde zusammen­gesetzt ist, ist auch die Treibhausgas­bilanz besser oder schlechter. Je länger eine Kuh lebt, desto effizienter.

Bretscher schätzt, dass das Gesamt­potenzial zur Reduktion von Treibhaus­gasen bei etwa 20 Prozent liege – bei gleich­bleibenden Tierbeständen. Aber das sei in erster Linie eine theoretische Annahme und in der Praxis nur schwer zu erreichen. «Bauern können nicht einfach von heute auf morgen ihren Stall umbauen, eine Biogas­anlage installieren oder die Kuhrasse wechseln. Das braucht seine Zeit.»

Auch könne man nicht davon ausgehen, dass alle Landwirte ihren Kühen Leinsamen verfüttern würden. Denn diese sind verhältnis­mässig teuer. Grundsätzlich hätten es die erforderlichen Massnahmen schwer, da sie Know-how, Zusatz­aufwand und ein grundsätzliches Umdenken erforderten.

Das effektivste Mittel zur Senkung der Treibhaus­gase ist für Bretscher klar: weniger Fleisch essen, weniger Kühe halten. «Um das Netto-null-Ziel wie vom Bundesrat vorgeschlagen bis 2050 zu erreichen, kommt die Landwirtschaft fast nicht darum herum, die Vieh­bestände zu reduzieren.»

Existenzangst im Berggebiet

Was halten Bauern in den entlegensten Berggebieten von dieser Idee? Von ihnen wird manchmal gesagt, sie seien immun gegen Veränderungen und Ideen aus dem Tal. Stimmt das wirklich, oder sind gerade Bergbauern, die noch stärker vom Klima­wandel betroffen sind, für das Thema sensibilisiert?

Nicht einmal 10 Autominuten östlich von Gstaad: Bergbauernhof von Daniela und Christoph Bach.

Im Berner Turbachtal, nahe Gstaad, lebt das Ehepaar Bach. Laufstall, Fotovoltaik­anlage auf dem Dach – alles andere als verschlossen, denke ich und rufe an: «Klimawandel? Ja klar, darüber können wir uns gerne unterhalten», sagt Christoph Bach und lädt mich zu sich ein.

Die einspurige Strasse schlängelt sich dem Turbach entlang immer tiefer ins Tal. Hier winken sich alle Autofahrer per Handgruss zu, und die Leute verwenden Wörter, die es nur hier oben gibt.

Dicke Schneeflocken wehen mir ins Gesicht, als ich den Hof der Bachs erreiche. Am Küchentisch gibt es warmen Tee. «Den Klimawandel, den spüren wir schon», sagt Daniela Bach. Es sei «chli wärmer» und trockener, und das Unkraut sowie die Büsche wüchsen schneller. Und das Wasser werde doch eher knapp.

Daniela und Christoph Bach haben seit 16 Jahren einen Laufstall – als Einzige im Tal.

Müssen die Bauern also etwas tun, um weniger Treibhaus­gase zu produzieren? «Ja, sicher», erklärt Christoph Bach und macht eine Pause. «Aber wir Bauern sind auch nicht an allem schuld.» Pestizide, schlechte Luft – die Bauern seien schon für so vieles der Sündenbock.

Dass nun plötzlich so viel über Treibhaus­gase und Methan gesprochen werde, findet Christoph Bach doch etwas seltsam: «Die Leute halten hier oben seit Jahrhunderten Kühe, und jetzt, seit zehn Jahren, soll das ein grosses Problem sein?» Natürlich gebe es Verbesserungs­potenzial, ergänzt Daniela Bach. Zum Beispiel, die Gülle in einer Biogas­anlage zu verwerten. Darüber werde im Tal gerade diskutiert, und die Bachs sind grundsätzlich dafür offen. Daniela Bach fügt aber an: «Man muss einfach sehen: Das System der Kuh ist nun mal so, dass sie dieses Gas produziert.»

Wie der Prozess funktioniere, wisse man schon, «aber was wir daran ändern können, wissen wir nicht». Die Bachs haben vor 16 Jahren einen Laufstall gebaut – alle anderen Bauern im Tal haben bis heute Anbinde­ställe. «Damals hiess es, das müssten alle Bauern haben, damit es die Tiere besser hätten. Heute heisst es, das ist schlecht fürs Klima.»

Der Rechen räumt den Mist automatisch weg …
… damit die Kühe auf dem Hof des Ehepaares Bach dem Klima etwas weniger schaden.

Dass nun eine junge Frau aus Schweden alles infrage stellt, was bisher gang und gäbe war, verstehen die Bachs nicht ganz. Greta habe «hia obna» wohl nicht so viele Anhänger.

Im Gespräch wird klar: Die Bachs haben andere Prioritäten als den Klimaschutz. Es geht um ihre Existenz. Und die wird immer wieder bedroht. Zum Beispiel durch neue Beschlüsse in Bern oder Vorstösse wie die Trinkwasser­initiative. Diese sei der «Tod für die produzierende Landwirtschaft», sagt Christoph Bach und drückt mir ein Faktenblatt des Bauern­verbandes in die Hand.

Der bäuerliche Zielkonflikt

Ich studiere die Argumente und beschliesse, mir den Bauern­verband etwas genauer anzuschauen. Was tut der mächtige Lobby­verband fürs Klima?

Worb, kurz nach Neujahr. Der Bauern­verband lädt auf einen Schweine­masthof nahe bei Bern. Es ist Jahres­medien­konferenz. Die Autos parkieren in einer langen Schlange vor dem Hof. Journalisten werden per Shuttlebus angekarrt. Der Verbands­präsident, Markus Ritter, spricht vor Fernseh­kameras, in der Scheune sitzen bereits die Delegierten der kantonalen Bauern­vereinigungen. Die Veranstaltung ist fast eine reine Männerangelegenheit.

Ritter spricht von einem «Schicksals­jahr» für die Bauern. Seit er Verbands­präsident sei, könne er sich nicht erinnern, so radikale Vorstösse auf dem Tisch gehabt zu haben. Er meint die Trinkwasser­initiative, die praktisch alle Pestizide und den Zukauf von Futter verbieten will, und er meint die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» (Pestizid­initiative), die er als etwas harmloser einstuft. Seine Botschaft: Werden diese Initiativen angenommen, können die Schweizer Bauern ihre Betriebe dichtmachen.

Im Anschluss an den offiziellen Teil gibt es Mostbröckli vom Duroc-Schwein und Rivella in Plastik­bechern. Ein Delegierter spricht mich an und erklärt im lockeren Gespräch, dass das mit dem Klimawandel nicht so sei, wie wir Medien es verbreiten würden. Ich solle doch mal etwas über Sonnen­aktivitäten lesen. Diese hätten sich in den letzten Jahren massiv verändert und würden ein ganz neues Licht auf die Klima­diskussion werfen.

Ich entscheide mich dafür, das Gespräch ohne Widerworte zu beenden und gehe nach draussen, um vom Verbands­präsidenten die offizielle Haltung zum Thema Klima zu erfahren.

Herr Ritter, Daniel Bretscher von Agroscope schätzt, dass die Landwirtschaft bis zu 20 Prozent der Treibhaus­gase reduzieren könnte, mit baulichen und nährstofflichen Massnahmen. Warum wird das nicht gemacht?
Wenn man zum Beispiel bauliche Massnahmen anschaut, wird deutlich: Hier gibt es einen Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Umwelt­schutz. Im Laufstall können sich die Tiere frei bewegen. Die Exkremente werden dort aber direkt auf Beton­platten abgesetzt, und die entsprechenden Gase können direkt in die Atmosphäre entweichen. Auf der anderen Seite sind Anbinde­ställe eigentlich besser fürs Klima, weil die Gase in einem geschlossenen System bleiben. Dieser Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Umwelt ist sehr schwer aufzulösen. Es geht darum, ein Optimum für beides zu erreichen.

Aber Freilauf­ställe schliessen doch nicht aus, dass man klima­freundlich produziert. Es gibt auch Massnahmen, die sich in Laufställen umsetzen lassen.
Welche denn?

Zum Beispiel Futterzusätze wie Leinsamen.
Da gebe ich Ihnen recht. Aber der Zielkonflikt bleibt. Wir sind darauf angewiesen, zusammen mit der Forschung Ziele zu konkretisieren und auf die verschiedenen Ansprüche abzustimmen.

Sie betreiben Klientel­politik, deshalb ändert sich nichts – auch nicht in Richtung klimafreundliche Produktion.
Es ist grundsätzlich richtig, dass wir den eigenen Mitgliedern verpflichtet sind. Sonst hätten wir unseren Auftrag nicht richtig verstanden. Einen Teil der Verantwortung bei der Reduktion von klimaschädlichen Gasen haben wir, und diese Verantwortung versuchen wir auch wahrzunehmen, wie alle anderen auch – aber im Rahmen der realistischen Möglichkeiten. Wenn 75 Prozent der Gase aus natürlichen Prozessen entstehen, kann man nicht viel tun. Man kann nicht die Kühe abstellen oder aufhören, die Böden zu bewirtschaften. Das muss man realistisch sehen.

Sie bestreiten nicht, dass es Ihnen in erster Linie darum geht, den Status quo zu bewahren?
Nein, es geht nicht ums Bewahren. Aber es ist ganz klar unser Auftrag, für die Anliegen der Bauern­familien einzustehen.

Ihre Existenz zu sichern.
Das ist sicher eines unserer Grundziele, die wir haben.

Was sagen Sie zur Forderung, es sollte in der Schweiz weniger Kühe geben?
Die Frage ist: Was wäre die Alternative? Wenn wir die Viehbestände reduzieren, bedeutet das, dass wir noch mehr Lebens­mittel importieren müssen. Bereits heute importieren wir rund 40 Prozent – und zwar aus Ländern, bei denen wir keinen Einfluss auf die Produktion haben. Die andere Konsequenz ist, dass wir mehr Handels­dünger importieren müssten. Ich bin klar der Meinung, dass wir dort, wo wir sowieso stark vom Ausland abhängig sind, nicht noch mehr importieren sollten.

Der oberste Schweizer Bauer spricht gerne darüber, wie nachhaltig die Schweizer Bauern bereits sind und warum sie Veränderungen nur schwer ertragen.

Letzten Sommer lancierte Ritter eine Kampagne zum Thema Klima. Aber so vehement, wie er gegen einschneidende Massnahmen kämpft, kauft man ihm sein Engagement fürs Klima nicht wirklich ab.

Seine Killerargumente, Kühe verursachten halt Methan und weniger Kühe bedeuteten mehr Importe, heissen so viel wie: Wir tun genug fürs Klima, mehr liegt nicht drin.

Groteske Milchproduktion

Stimmt das denn, dass wir mehr importieren müssten, wenn weniger Kühe auf Schweizer Wiesen weideten? Das frage ich einen der grössten Kritiker der Schweizer Agrar­politik, Andreas Bosshard vom Verein Vision Landwirtschaft.

Als ich anrufe, klingt er gehetzt, er ist gerade unterwegs. Wir vereinbaren einen späteren Telefon­termin. Nun nimmt er sich eine Stunde Zeit, seine Positionen auszuführen. Bosshard widerspricht fast allem, was Ritter sagt.

Zum Import-Argument sagt er: «Wenn die Schweizer Land­wirtschaft ihre Klimaziele erreichen will, geht es in einigen Regionen nicht anders als damit, die überhöhten Tierbestände abzubauen.»

Die Milchproduktion habe in der Schweiz «geradezu grotesk ineffiziente Züge angenommen». Jährlich werden Hundert­tausende Tonnen Kraftfutter importiert, um noch mehr Kühe zu halten und «noch mehr Milch aus ihnen heraus­zupressen». Damit erziele die Schweiz einen Milch­überschuss – was unter anderem zu den immer tieferen Milch­preisen führe. Dabei verwerte die Kuh das Kraftfutter «extrem ineffizient».

Bosshard kritisiert die Subventionen für die Land­wirtschaft: «Wir investieren Jahr für Jahr knapp 4 Milliarden Franken in die Land­wirtschaft, aber schaffen es nicht, Anreize zu setzen, um eine effizientere und damit klima­schonendere Produktion zu fördern.»

Das Thema Klima müsste viel offensiver angegangen werden, sagt Bosshard. «Es ist nicht so, dass die Land­wirtschaft nur in der Pflicht steht. Immer mehr Landwirte sehen das Thema als Chance, von der sie direkt profitieren könnten – sofern der Bund die Weichen richtig stellt.»

Die Landwirte könnten nicht nur klimaneutral produzieren, die Landwirtschaft könnte sogar klimapositiv sein – es würden also mehr Treibhaus­gase gebunden als ausgestossen. Das geht zum Beispiel, indem Landwirte gezielt den Humus im Boden aufbauen. Damit wird Kohlenstoff gespeichert. Der Boden funktioniert als CO2-Senke.

Darin könnten neue Geschäfts­modelle für Landwirte liegen. Denkbar sei zum Beispiel ein Handel mit Emissions­zertifikaten: Bauern speichern Kohlenstoff im Boden und können damit wettmachen, was andere Branchen in ihren CO2-Reduktions­zielen noch nicht erreichen.

Aber klar sei, dass bei jeder Umstrukturierung auch Verlierer resultierten. «Das läuft doch in der ganzen Wirtschaft so. Werden Elektro­autos gefördert, verlieren die Hersteller von Brennstoff­motoren ihre Markt­stellung. Warum sollte das in der Landwirtschaft anders sein?»

Müssten die Bachs also ihre Kühe aufgeben und neue Geschäfts­bereiche suchen? Nein, sagt Bosshard. «Es sind meist nicht Kleinbetriebe, die die Probleme verursachen. Das Problem sind die Höfe, die stark expandieren, zu grosse Ställe bauen und jetzt auf Gedeih und Verderb ihre grosse Viehherde mit zugekauftem Futter über die Runden bringen müssen.»

«Die Leute halten hier oben seit Jahrhunderten Kühe, und jetzt, seit zehn Jahren, soll das ein grosses Problem sein?»: Christoph Bach versteht nicht alles in der Klimadiskussion.
Kräuter machen das Heu auf dem Bergbauernhof im Turbachtal besonders gut.

Bosshard weist mich auch auf einen anderen landwirtschaftlichen Bereich hin. Einen, in dem die CO2-Reduktion ziemlich gut klappt.

Beim Gemüse klappts

Die Rede ist von der Gemüse­produktion. Hier ist der Struktur­wandel schon voll im Gange. Bis vor 20 Jahren heizten Gemüse­bauern ihre Gewächs­häuser mit viel Öl und Gas – was im Winter zu einer verheerenden CO2-Bilanz der heimischen Tomaten und Gurken führte. Heute haben viele ihre Gewächs­häuser besser isoliert und heizen mit Holz­schnitzeln, Fernwärme oder Geothermie.

Die CO2-Emissionen sanken seit 2002 pro Fläche Gewächshaus um 35 Prozent, hat die Energie-Agentur der Wirtschaft berechnet. Die Gemüse­bauern müssen sich wie die Industrie an verbindliche Reduktions­ziele halten. Wenn sie diese nicht erreichen, fallen Kompensations­zahlungen an.

Die Migros hat sogar angekündigt, sie wolle bis 2025 nur noch Schweizer Gemüse verkaufen, das CO2-neutral produziert wurde – was zu einem heftigen Disput mit den Gemüseproduzenten führte. Die PR-Aktion wirkt zwar etwas unverhältnis­mässig: 2017 verursachten Gewächs­häuser nur 0,2 Millionen Tonnen CO2, Nutztiere hingegen 5,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Aber der Kontrast wird deutlich: Ähnliche Vorstösse zum Klimaschutz gibt es im Bereich der Nutztiere nicht.

Und was gibt die Politik den Bauern vor? Die Antwort ist einfach: nichts.

In der «Klimastrategie für die Landwirtschaft» aus dem Jahr 2011 werden 24 Massnahmen aufgezählt, mit denen die Landwirtschaft klima­freundlicher produzieren könnte. Es sind schon damals genau die Punkte, die Bretscher anspricht: weniger Gülle verwenden, die Herde anders zusammen­setzen. Bei den Landwirten sind die Massnahmen bis heute aber grösstenteils unbekannt.

Der Bundesrat hat 2017 ein Reduktionsziel für die Landwirtschaft formuliert. Und vergangenen Herbst erklärte er, die Schweiz müsse bis 2050 klimaneutral sein. Welche Rolle dabei die Land­wirtschaft spielt, bleibt aber unklar.

Gerade hat der Bundesrat die neue Agrar­politik bekannt gegeben, die ab 2022 für vier Jahre gelten soll. Die Landwirtschaft soll ökologischer werden, erklärte der Bundesrat vergangene Woche. Das heisst: weniger Pestizide, weniger Treibhausgase.

Doch ob die skizzierten Massnahmen angenommen werden und tatsächlich greifen, bleibt offen. Die Massnahmen sollen freiwillig sein und finanzielle Anreize schaffen, damit Bauern ihre Kühe länger leben lassen und weniger Düngemittel verwenden.

Das seien allerdings noch viel zu zaghafte Schritte, findet Bosshard von der Vision Landwirtschaft. «Noch immer verpasst es der Bundesrat aufzuzeigen, wie die Landwirtschaft fit gemacht werden soll, um in Zukunft wenigstens das Umwelt­recht einzuhalten.»

In anderen Ländern läuft die Diskussion deutlich radikaler als in der Schweiz. Dänemark beispiels­weise will seine Land­wirtschaft bis 2050 klimaneutral gestalten. Ähnlich grosse Anstrengungen sehen zum Beispiel auch die Niederlande, Irland oder Neuseeland vor.

Exot unter Bauern

Der Luzerner Bauer Emmenegger hat nicht auf politische Vorgaben gewartet. Er handelt aus Überzeugung. Wenn seine Arbeits­weise wertgeschätzt wird – umso besser.

Klimafreundliche Landwirtschaft zahlt sich nicht aus, sie bringt Bauern wie Beat Emmenegger sogar einen Zusatzaufwand.

Er sei wohl in mancher Hinsicht ein Exot, sagt Emmenegger, während wir in seiner Stube sitzen und über das Dorf schauen. Der Nebel hat sich mittlerweile verzogen, die Dächer glitzern im Sonnenlicht.

Andere Landwirte investieren in Traktoren, Emmenegger baut sich dafür ein neues Haus, das komplett mit Holz beheizt wird. Seine zwei Traktoren – Marken IHC und McCormick – sind über 40 Jahre alt, aber sie würden ihren Zweck noch einwandfrei erfüllen.

Ausserdem spielte Emmenegger viele Jahre Fussball beim FC Schüpfheim – etwas, das für manche seltsam wirke. Ein Bauer, der Fussball spielt? Bereits sein Vater, der aktiv war beim Verein, sei kritisch beäugt worden. Die Leute hätten damals gesagt: «Was hat der hier verloren, der muss doch seine Kühe melken!»

Vielleicht sei es das, was ihn von anderen unterscheide, sagt Emmenegger. «Ich verkehre nicht nur in Bauern­kreisen, bin nebst dem Hof offen für Hobbys, informiere mich, wenn mich etwas interessiert.» So hat sein Engagement fürs Klima begonnen.

Zur Debatte: Müssen jetzt die Kühe weg?

Bedroht der Klima- und Umweltschutz das Überleben der Schweizer Bauern? Oder könnten sie – ganz im Gegenteil – nicht nur klimaneutral wirtschaften, sondern mehr Treibhaus­gase binden, als sie ausstossen? Läge darin gar die Zukunft der Landwirtschaft? Müssen die Viehbestände reduziert werden, wenn der Bund sein Netto-null-Ziel bis 2050 erreichen will? Oder ist es schlicht übertrieben, dass plötzlich so viel über Treibhaus­gase gesprochen wird, wo doch die Schweizer seit Jahrhunderten Kühe halten? Hier gehts zur Debatte.

Zum Autor

Jeremias Schulthess ist freischaffender Journalist aus Basel. Seine früheren Stationen waren die «Basel­landschaftliche Zeitung», die «Tageswoche» sowie die «Rundschau» vom Schweizer Fernsehen. Für die Republik schrieb er zuletzt über den Basler Wohnungsmarkt.

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