Der Zerfall des Verlegerverbands

Das Parlament berät in den kommenden Wochen erneut über staatliche Millionen für die Presse. Ausgerechnet in dieser heissen Phase für die Schweizer Medienpolitik ist der Verleger­verband so zerstritten wie nie zuvor. So sehr, dass Ringier auf die angekündigte Rückkehr in den Branchenverband verzichtet.

Eine Recherche von Dennis Bühler, 12.02.2021

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«Ringier ist ab sofort wieder Mitglied im Verband Schweizer Medien»: Mit diesen Worten sorgte Pietro Supino, der Präsident des Verleger­verbands, am 8. Januar 2020 für verblüffte Gesichter. Spontan applaudierten die Teilnehmerinnen der Dreikönigs­tagung, des traditionellen Stelldicheins des Verbands. Dann trat Ringier-CEO Marc Walder als Überraschungs­gast auf die Bühne und bestätigte, was man nach fünf Jahren Streit kaum für möglich gehalten hätte: dass sein Verlag, zu dem unter anderem der «Blick» und die Energy-Sender gehören, in den Kreis der Schweizer Verleger zurückkehrt.

«Wir gehen davon aus, dass über 70 Prozent aller Einnahmen aus der Digital­werbung mittlerweile ins Ausland abfliessen», sagte Walder. «Damit die Vielfalt und Unabhängigkeit des Medien­angebotes in der Schweiz erhalten werden kann, müssen wir rasch zielführende Lösungen finden. Das geht nur gemeinsam.» In einem Interview ergänzte der Ringier-Chef am selben Tag, von der Rückkehr in den Verband erhoffe er sich «eine Stärkung des Medien­standorts Schweiz. Nicht mehr und nicht weniger.» Und kündigte an, auch das Gemeinschafts­unternehmen Ringier Axel Springer Schweiz trete dem Verband wieder bei, das unter anderem die «Schweizer Illustrierte», die «Handels­zeitung» und die «Bilanz» herausgibt.

Die Medienindustrie jubelte. Verbandspräsident Supino frohlockte, mit der Rückkehr könne die Verlags­branche wieder geeint auftreten; Andrea Masüger, der den Bündner Somedia-Verlag im Verbands­präsidium vertritt, freute sich, dass die Verleger «wieder mit einer Stimme» sprechen könnten; und Matthias Ackeret, der Verleger und Chefredaktor des Branchen­portals «Persoenlich.com», schrieb die Sache zur Romanze hoch: Das neue Jahr habe bei Supino und Walder mit «Schmetterlingen im Bauch» begonnen, was beweise, dass «in Zeiten der Klimaerwärmung jede Eiszeit ein Ende hat».

Doch nun, ein gutes Jahr später, zeigen Recherchen der Republik: Alles gar nicht wahr – Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz sind bis heute nicht in den Verleger­verband zurückgekehrt.

Was ist da genau los?

Eklat am Zürichberg

Um das zu verstehen, zunächst ein Blick zurück: Wie kam es überhaupt zum Konflikt, der vor bald sechs Jahren einen Keil zwischen die mächtigen Schweizer Verlage getrieben hat?

Im August 2015 geben die SRG, Swisscom und Ringier bekannt, gemeinsam eine Werbe­allianz namens Admeira zu gründen. Dies gerät vor allem Tamedia-Chef Pietro Supino in den falschen Hals, der damals zwar noch Vizepräsident, aber bereits die starke Figur im Verleger­verband ist. Kurz zuvor hat er in einem viel beachteten Essay in der NZZ noch ein Werbe­verbot auf allen Kanälen und Plattformen des öffentlichen Rundfunks gefordert. Und nun spannt das wichtige Verbands­mitglied Ringier allen Ernstes mit der SRG zusammen, dem erklärten Feind?

An einer Präsidiums­sitzung kommt es im Restaurant Sonnenberg hoch über der Stadt Zürich zum Eklat. Nicht nur wird Ringier-CEO Walder das Dossier «Elektronische und Neue Medien» entzogen, er wird auch vor die Tür geschickt, wo er wie ein Schulbub darauf warten muss, wie seine Kollegen im Präsidium über ihn richten. Zwei Tage später tritt Ringier per sofort aus dem Verband aus. «Der Verband manövriert sich mit seiner radikalen Haltung ins Abseits», sagt Walder. Die Rede ist von «unüberwindbaren Differenzen mit einzelnen Mitgliedern», gemeint ist: mit Supinos Tamedia.

Zur Serie: Tamedia Papers – eine Familie, Geld, Macht und Medien

Wem gehört die Zeitung, die Sie morgens zum Kaffee lesen? Das Online­portal, das Sie in der Mittags­pause anklicken? Die Geschichte einer reichen und mächtigen Verleger­familie. Und was sie mit ihren Medien macht. Zum Auftakt der Serie.

Monatelang liefern sich Supino und Walder ein Fernduell: Sie bekämpfen sich publizistisch, werben sich gegenseitig hochrangige Mitarbeiterinnen ab, ziehen gegeneinander vor Gericht, engagieren dafür eigens hoch dotierte PR-Agenturen (Hirzel-Neef-Schmid-Konsulenten auf der einen, Furrerhugi auf der anderen Seite).

Es ist nichts weniger als eine Privatfehde zweier Personen, die zwar den Jahrgang – 1965 – teilen, die unterschiedlicher aber kaum sein könnten, wie die Fach­publikation «Schweizer Journalist» damals zum Verbands­knatsch schreibt: «Da ist Walder. Sein originäres Talent ist es, einen journalistischen Text zu erfassen. 120 Sekunden genügen ihm, um zu wissen, ob ein Artikel brauchbar ist oder nicht. Das originäre Talent von Pietro Supino wiederum ist es, einen Businessplan in 120 Sekunden daraufhin zu analysieren, ob es noch Sparpotenzial gibt oder nicht.»

Gemeinsam gegen Google und Facebook

Wie geht die Geschichte dieser Fehde weiter?

Nach vierjähriger Eiszeit stehen die Zeichen im Herbst 2019 erstmals wieder auf Annäherung. Zwischen­zeitlich ist die No-Billag-Initiative, die eine Abschaffung der Radio- und Fernseh­gebühren zum Ziel hatte, hochkant abgelehnt worden. Vor allem aber hat sich Supino in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts – unter anderem durch den Kauf des Werbevermarkters Goldbach – endgültig zum Branchen­primus aufgeschwungen.

Im Oktober 2019 gründen Ringier, Tamedia, NZZ, CH Media und die SRG eine «Digital-Allianz», Marc Walder ist beim Projekt federführend. Grundlage ist die Erkenntnis, gegen die globalen Player Google und Facebook höchstens dann eine Chance zu haben, wenn man ihnen vereint entgegentritt. Es ist die Not, die zur Kooperation zwingt: Zwischen 2012 und 2018 haben die Verleger pro Jahr ein Werbe- und Verkaufs­volumen von rund einer Milliarde Franken verloren, den Grossteil davon an die Konkurrenz aus den USA.

Das Ziel der Verlage ist es, dank der «Digital-Allianz» den Werbe­kunden künftig genauso gut über die Vorlieben der Nutzer Auskunft geben zu können, wie das Google und Facebook schon seit mehr als einem Jahrzehnt tun. Dafür sollen sich die Nutzerinnen einmal auf einer der Online­plattformen registrieren und danach Zugriff auf das digitale Angebot von rund 30 Schweizer Medien­titeln erhalten. Noch ist die Registrierung freiwillig, 2021 soll sie – wegen Corona mit Verspätung – Pflicht werden.

Kurzzeitig kann man im Herbst 2019 also tatsächlich den Eindruck gewinnen, als spräche die Medien­branche auf einmal wieder mit einer Stimme.

Doch der Schein trügt. Hinter den Kulissen gärt es wie in den Zeiten, als sich Supino und Walder in aller Öffentlichkeit bekriegten.

Neuerlicher Konflikt

In den Jahren 2020 und 2021 werden in der Schweizer Medien­politik die Weichen für die Zukunft gestellt. Die Frage, die es in Bern zu klären gilt, lautet: Soll der Staat die Förderung der gedruckten Presse stark ausbauen und neu auch Online­medien unterstützen?

Geschlossen aufzutreten wäre für den Verleger­verband jetzt so wichtig wie schon lange nicht mehr. Stattdessen werden die entscheidenden Jahre in die Geschichte eingehen als Jahre, in denen Supino die Verbündeten gleich scharenweise davonlaufen.

Wie die Republik von mehreren voneinander unabhängigen, mit den Vorgängen vertrauten Personen weiss, kommt es im Frühjahr 2020 erneut zum Streit. Mit dem Ergebnis, dass Ringier darauf verzichtet, in den Verleger­verband zurück­zukehren, obwohl Walder dies bereits angekündigt hatte. Der Ringier-CEO zürnt, weil ihm der Verleger­verband gleich an zwei Fronten die Unter­stützung verwehrt.

Zum einen sprechen sich Supino und Co. dagegen aus, dass künftig auch Zeitschriften von der indirekten Presse­förderung profitieren, die seltener als wöchentlich erscheinen – von diesem Passus sieht Walder unter anderem seinen «Beobachter» und die «Bilanz» benachteiligt. Statt sich mit ihm solidarisch zu zeigen, findet Walder, sei der Verband mal wieder sich selbst am nächsten. Das Kalkül der anderen Verleger lautet in etwa wie folgt: Je mehr Zeitungen und Zeitschriften am Kuchen partizipieren, desto kleiner wird jedes Stück – also lassen wir die Ringier-Zeitschriften erst gar nicht partizipieren. Beim Bundesrat setzt sich der Verleger­verband mit dieser Haltung durch, der Ständerat erklärt im Juni 2020 dann aber auch Zeitschriften mit zweiwöchigem Erscheinungs­rhythmus für förderwürdig.

Die Debatte im Nationalrat steht erst bevor.

Zum anderen stört sich Walder daran, dass der Verleger­verband keine Hilfe leistet, als Ringier einen Entscheid des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) an die nächste Instanz weiterzieht. Dabei geht es um die Frage, ob die wöchentlich erscheinende «Handels­zeitung» von der Posttaxen­verbilligung profitieren soll. Nein sagt zuerst das Bakom, und im Herbst 2020 dann auch das Bundesverwaltungsgericht. Begründung: Die «Handels­zeitung» gehöre nicht zur förderungs­würdigen Regional- und Lokalpresse, sondern sei der Kategorie «Spezialpresse» zuzurechnen, da sie sich an einen spezifischen, vorwiegend wirtschaftlich interessierten Leserkreis richte.

Nebst der fehlenden Unterstützung des Verbands bei diesen beiden eher technischen – aber monetär wichtigen – Fragen erbost Walder kurz nach der Dreikönigstagung Anfang 2020 auch ein Angriff, den er persönlich nimmt: Unmittelbar nachdem die Mobiliar-Versicherung bei Ringier eingestiegen ist und für 25 Prozent der Aktien rund 400 Millionen Franken bezahlt hat, berichtet die zu Supinos Tamedia gehörende «SonntagsZeitung», 70 Prozent der Einnahmen flössen nicht in das Medien­unternehmen, sondern in die Taschen von Walder und der Besitzer­familie Ringier. Trifft das zu, hat Ringier in einer Medienmitteilung die Unwahrheit verbreitet. Dort heisst es, der «grösste Teil» des Geldes sei für die Entwicklung des Verlags vorgesehen.

Doch laut Walder ist es Supinos Tamedia, die Fake News verbreitet. «Wir sind alle perplex, dass Zeitungen von Tamedia wider besseres Wissen solche Unwahrheiten publizieren», sagt Walder später in der «NZZ am Sonntag».

«Den Wiedereintritt nicht vollzogen»

Für Supino stellt die gescheiterte Ringier-Rückkehr eine empfindliche Niederlage dar. Um gegenüber der Politik im medialen Schicksals­jahr weiterhin Geschlossenheit vorzugaukeln, einigt man sich darauf, die Tatsache zu verschweigen, dass der Verleger­verband und der einflussreiche Ringier-Verlag unverändert getrennte Wege gehen.

Und doch hätte darauf kommen können, wer 2020 genau hingeschaut und hingehört hat. So führt der Verband in seiner online einsehbaren Mitgliederliste korrekter­weise weder Ringier noch Ringier Axel Springer Schweiz auf. Und als Marc Walder im November am Rande des Swiss Media Forum die anderen Verleger sowie SRG-Chef Gilles Marchand zur Teilnahme an einem runden Tisch auffordert, um offene medien­politische Fragen zu klären, antwortet er auf die Frage, wer daran teilnehmen soll: «Die SRG, eine vom Verband Schweizer Medien definierte Delegation und Ringier.»

Auf Anfrage der Republik betont Walder, die Rückkehr in den Verband sei Anfang 2020 wirklich geplant gewesen. «Wie es manchmal halt geschieht, ist dann aber eine Diskussion mit einem Teil der Mitglieder des Verbands­präsidiums um die Förderung der Zeitschriften entbrannt, bei der wir keine Einigung erzielen konnten. Deshalb haben wir den Wieder­eintritt nicht vollzogen.» Es sei jedoch durchaus vorstellbar, dass Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz im Verlauf des Jahres 2021 zurück­kehren würden.

Kontaktiert hat die Republik im Vorfeld dieses Beitrags auch Pietro Supino. Der Verbands­präsident und TX-Chef zog es vor, unsere sechs konkreten Fragen unbeantwortet zu lassen, und schickte stattdessen eine ausführliche, knapp 1000 Zeichen umfassende, allgemein gehaltene Stellungnahme – mit dem Hinweis, dieses Statement dürfe «nicht verändert und nur integral wieder­gegeben werden». Dieser Forderung kommen wir nicht nach, da sie journalistischen Gepflogenheiten widerspricht: Es ist nicht die Aufgabe von Journalistinnen, als Sprachrohr zu dienen, sondern Informationen zu gewichten und einzuordnen. Dazu gehört auch die Auswahl von Zitaten.

Medienpolitik ist entgleist

Medienpolitisch geht es im Jahr 2020 nicht so schnell vorwärts, wie sich das die Branche erhofft hat.

Zunächst geht es im April um die Frage, ob der Bund den wegen der Pandemie unter einem drastischen Einbruch der Inserate­einnahmen leidenden Verlagen Sofort­hilfe zukommen lässt. Mit zwei Notverordnungen will Medien­ministerin Simonetta Sommaruga insgesamt 78 Millionen Franken sprechen, unterliegt im Bundesrat aber. Ausschlaggebend ist das Gebaren der TX Group, wie sich die vormalige Tamedia neuerdings nennt: Obwohl Supino in seinen Redaktionen Kurzarbeit eingeführt hat, beharrt er darauf, den Aktionären für das Jahr 2019 eine Dividende in Höhe von 37,1 Millionen Franken auszuzahlen.

Das führt im Verleger­verband zu harscher Kritik. Sogar Supinos Vize Peter Wanner, der die Überzeugungen des TX-Chefs sonst mehrheitlich teilt, sagt im Interview mit der Republik: «Ein Dividenden­verzicht hätte in dieser schwierigen Situation der gesamten Branche geholfen.» Dass der Bundesrat Ausschüttungen zurzeit nicht gerne sehe, könne er teilweise nachvollziehen, so der CH-Media-Verleger. «Es soll und darf keinesfalls der Eindruck entstehen, Steuergeld könnte in die Taschen der Aktionäre wandern.»

Auch bei der langfristiger angelegten Medien­förderung knorzt es: Nachdem der Ständerat im Sommer dem vom Bundesrat geschnürten Massnahmen­paket im Grundsatz zugestimmt hat, kommt es im Nationalrat und in seiner für Medien­politik zuständigen Kommission im Herbst zu einem wüsten Hin und Her um die Online­förderung. Daran, dass das Geschäft entgleiste, ist der Verleger­verband alles andere als schuldlos.

Unmittelbar vor der entscheidenden Kommissions­sitzung distanziert sich Vizepräsident Wanner von der offiziellen Haltung des Verbandes, das Paket als Ganzes zu unterstützen. Er stört sich an der im Gesetzes­entwurf vorgesehenen Holding­klausel und der Degression – zwei Instrumente, die dafür sorgen sollen, dass kleine und mittlere Verlage überproportional von der staatlichen Förderung profitieren. Supino teilt Wanners Haltung.

In der Folge spricht sich die nationalrätliche Medien­kommission dafür aus, die Online­förderung vom Rest des Massnahmen­pakets abzuspalten, wird vom Nationalrats­plenum aber zurück­gepfiffen. Die Republik hat mehrfach über das Hüst und Hott berichtet. Kommende Woche befasst sich die Kommission erneut mit der Medienförderung.

Gelingt es ihr dieses Mal, die Beratungen abzuschliessen, ist am 2. März zum zweiten Mal das Plenum an der Reihe; andernfalls werden die Entscheide über die Vorlage und somit auch ihr allfälliges Inkraft­treten nochmals um mehrere Monate verzögert.

Gilbert Bühler, Verleger der Freiburger Nachrichten AG und Präsidiums­mitglied des Verlegerverbands, kritisierte schon letzten Herbst: «Der Begriff ‹Kakofonie› beschreibt das Bild, das der Verband zuletzt hinter­lassen hat, perfekt.» Im Januar 2021 platzt Bühler der Kragen endgültig. Gemeinsam mit Christof Nietlispach von der Freiämter Regionalzeitungen AG gründet er eine Interessengemeinschaft «Kleine und mittlere Verlage».

Die Kleinen begehren auf

Der Verlegerverband steht vor der grössten Zerreiss­probe der letzten zwei Jahrzehnte. Es sind nun nicht mehr nur Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz, die auf Konfrontations­kurs zum Präsidenten Pietro Supino gehen. Sondern zwei Präsidiums­mitglieder, die für sich in Anspruch nehmen dürfen, für die kleinen und mittelgrossen Verlage zu sprechen – für Redaktionen, die in der föderalistischen Schweiz für Medien­vielfalt sorgen und den Stimm­bürgerinnen so informierte Entscheide ermöglichen.

Innert weniger Tage gelingt es Bühler und Nietlispach, rund zwei Dutzend Zeitungen aus der Deutsch­schweiz für ihre IG zu gewinnen: Dabei sind unter anderem der «Bote der Urschweiz», die «Engadiner Post», die «Luzerner Landzeitungen» und der «Wohler Anzeiger». Mit Stampa Svizzera tritt zudem der Tessiner Ableger des Verleger­verbands bei – und die Westschweizer Sektion Médias Suisses erklärt öffentlich, die Positionen der IG zu teilen. Kurzum: Supino verliert die Gefolgschaft.

Was aber will die IG überhaupt?

«Wir möchten, dass das Massnahmen­paket so in Kraft gesetzt wird, wie es der Bundesrat vorgesehen hat», sagt Gilbert Bühler zur Republik. «Also mit einer Holding­klausel und einem degressiven Verteil­schlüssel.» Ohne eine überproportionale Unter­stützung könnten kleine und mittlere Medien­unternehmen nicht überleben, so der Freiburger Verleger. «Dann nimmt die Medien­konzentration ihren Lauf, die Vielfalt schwindet. Denn anders als Tamedia und CH Media profitieren wir Kleinen nicht von Skaleneffekten.»

Bleiben die beiden vom Bundesrat vorgesehenen Instrumente im Gesetz, werden die rund 100 kleinen und mittleren Verlage voraussichtlich 46 Prozent der jährlich 30 Millionen Franken aus dem Online-Fördertopf erhalten, obwohl sie «nur» einen Auflagenanteil von 23 Prozent ausmachen; den 8 grössten Verlags­häusern bliebe immer noch mehr als die Hälfte der vorgesehenen Finanzhilfe. Doch den Grossen, die im Verbands­präsidium den Ton angeben, ist das zu wenig.

Sie sehen darin eine «massive Wettbewerbs­verzerrung und Gering­schätzung ihrer publizistischen Leistung», wie sie am vergangenen Wochenende in einer Medienmitteilung schreiben. Seit Jahren hätten sie in neue Onlineangebote investiert und seien «strukturell und in der aktuellen Krise überproportional vom Rückgang der Werbeeinnahmen betroffen». Während Bühler und Nietlispach ihre Unterschrift verweigert haben, trägt die Mitteilung die Namen von Präsident Supino, seinem Vize Peter Wanner, Hanspeter Kellermüller von der NZZ, Beat Lauber vom Schaffhauser Verlag Meier + Cie. und Andrea Masüger von Somedia.

Im Gespräch mit der Republik macht sich Ringier-CEO Marc Walder, der mangels Verbands­mitgliedschaft als Aussen­stehender agiert, für einen Mittelweg stark. «Die Holding­klausel muss wohl bleiben, auch wenn das die Grossen nicht gerne sehen», sagt er. «Dafür könnten sich die Kleinen mit einer weniger steilen Degression zufrieden­geben. Ein solch klassischer Kompromiss ist deutlich besser, als in der aktuellen, historisch herausfordernden Phase die gesamte Vorlage scheitern zu lassen – die digitale Transformation verlangt uns derzeit alles ab, und die Umsatz­einbussen durch Corona akzentuieren das Ganze noch einmal dramatisch.»

Der gegenwärtige Zustand des Verbandes bereitet Walder Sorgen. «Dieser öffentlich ausgetragene Streit schadet allen. Die Politik schaut zu und schüttelt den Kopf. Zu Recht.»

Das Ziel: Marktbereinigung

Von den 30 Millionen Franken, die für den Online-Fördertopf vorgesehen sind, wird Tamedia rund 5 bis 8 Millionen Franken erhalten.

Auch bei den anderen beiden Säulen der Medien­förderung ist Supino der mit Abstand grösste Nutzniesser: Die Erhöhung der Posttaxen­verbilligung und die Ausweitung der Subventionen auf die Frühzustellung von gedruckten Zeitungen bedeuten für ihn einen wahren Geldsegen.

Vorsichtig geschätzt wird die TX Group etwa ein Drittel der 90 Millionen Franken kassieren, die hier vorgesehen sind.

Die SP, die Grünen und die Grünliberalen haben angekündigt, dass es für sie nicht infrage kommt, die Print­subventionierung auszubauen, wenn die Online­förderung gestrichen wird. Auch wenn die drei Parteien mit 83 der insgesamt 200 Sitze im Nationalrat keine Mehrheit haben, ist das Risiko, dass dann die gesamte Vorlage abstürzt, beträchtlich – immerhin lehnt die SVP (53 Sitze) bis anhin ja jegliche staatliche Medien­förderung ab.

Auf den ersten Blick erstaunt deshalb, dass Supino die Online­förderung derart vehement ablehnt. Warum bloss tut er das?

Die Antwort ist wohl simpel: Weil er – im Gegensatz zu allen anderen Schweizer Verlegern – nicht auf die staatliche Unterstützung angewiesen ist. Zur Erinnerung: In den letzten fünf Jahren hat die TX Group 852 Millionen Franken Reingewinn erzielt und ihren Aktionären 225 Millionen Franken Dividenden ausbezahlt. (Dennoch hat sie die Sparschraube bei ihren Redaktionen immer weiter angezogen.)

Supino kann es sich leisten, sich zurück­zulehnen und zuzusehen, wie sich der Markt langsam, aber sicher bereinigt. Sprich: wie kleine und mittlere Verlage reihum in Konkurs gehen oder zum Verkauf gezwungen werden.

Jene Unternehmen, die ihn interessieren, kauft er auf und integriert sie in sein System – ein System, das auf einer Mantel­redaktion pro Sprachregion fusst, die alle Zeitungen des Konzerns mit deckungs­gleichen überregionalen Inhalten beliefert. Für den Kauf entscheidend wird nicht der Leser-, sondern der Werbemarkt sein. Wenn nicht alles täuscht, hat Supino bloss ein Fernziel im Visier: die markt­beherrschende Stellung.

Ein Lobbyingvehikel?

Die abgeblasene Rückkehr von Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz, die IG der kleineren und mittleren Verlage, die anstehenden wichtigen medien­politischen Weichen­stellungen: Der vor 1899 gegründete Verleger­verband ist Anfang 2021 an einem Punkt angekommen, an dem er sich entscheiden muss, wessen Anliegen er vertreten und wem er dienen möchte.

Gibt er sich damit zufrieden, ein Lobbying­vehikel des mächtigsten Medien­moguls des Landes zu sein? Oder versucht er, die teilweise divergierenden Interessen zu einem Kompromiss zu bündeln, der allen Verlagen – und idealerweise der Gesellschaft – zugutekommt?

Vor fünf Jahren schrieb das Fachmagazin «Schweizer Journalist» in einer Analyse zum damaligen Verleger­knatsch: «Der Verband ist zu einem Vorzimmer von Tamedia-Präsident Supino geworden. Die Strategie des Verbandes wird von Supino bestimmt. (…) Supino hat den Verband sozusagen an sich gerissen und setzt ihn als Kampf­truppe gegen die Widersacher um Ringier und Walder ein.»

An Supinos Allmacht hat sich seither nichts geändert. Ausser, dass es inzwischen nicht mehr nur gegen Ringier geht. Sondern gegen die Branche.

Zur Transparenz

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