Briefing aus Bern

Ms Europa auf Besuch in Brüssel, Grüne wollen klima­positive Schweiz – und der Skandal um die nutzlosen Masken

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (132).

Von Dennis Bühler, Bettina Hamilton-Irvine und Cinzia Venafro, 28.01.2021

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Alles digital, alles normal? Nein, beim Rahmenabkommen mit der EU reicht keine Videokonferenz. Egal, ob es nun um «Nach­verhandlungen» oder «Präzisierungen» geht: Da braucht es Gespräche von Angesicht zu Angesicht.

Deshalb hatte die neue Ms Europa im Schweizer Aussendepartement, Livia Leu, auf ein physisches Treffen insistiert, obwohl die EU vorgeschlagen hatte, pandemiegerecht am Bildschirm zu verhandeln. Am letzten Donnerstag unternahm Leu, geschützt mit helvetisch gebrandeter Atemschutzmaske, ihre erste Amtsreise nach Brüssel.

Leu ist die Nachfolgerin von Roberto Balzaretti, dem Aussenminister Ignazio Cassis das Dossier Rahmenabkommen mit der EU Ende letzten Jahres entzog. Cassis veranstaltete damals, vom restlichen Bundesrat und den Parteien unter Beschuss, ein regelrechtes Erdbeben in seinem Departement. Denn nach wie vor ist der Aussenminister auf der Suche nach dem bei seinem Amtsantritt angekündigten «Reset»-Knopf im vertrackten EU-Dossier.

Eine neue Schmiedin musste her, um mit dem Rahmenabkommen das heisseste Politeisen unter der Bundeshaus­kuppel endgültig aus dem Feuer zu ziehen. Dieses ist innenpolitisch immer wieder für tot erklärt worden (Die-Mitte-Präsident Gerhard Pfister: «Es hat ja noch nie gelebt!»). Während die SVP seit Beginn der Verhandlungen vor acht Jahren versucht, das Rahmenabkommen zur neuen EWR-Abstimmung hochzustilisieren, und Frontalopposition betreibt, ist es auch von linker Seite unter Beschuss. Die Sozialpartner fürchten um den Lohnschutz, Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschafts­bunds, prognostiziert polnische Löhne für Schweizer Handwerker, würde das Vertragswerk so unterzeichnet.

Nach drei erfolglosen Unterhändlern soll es nun die neue Staatssekretärin Livia Leu richten, die bei ihrer Ernennung «Verhandlungs­kreativität» versprach. Wie kreativ Leu bei ihrem Besuch in Brüssel tatsächlich sein musste, ist leider nicht bekannt. Denn die Position des Bundesrats ist geheim. Die Schweizer Regierung hat Leu aus taktischen Gründen zwar ein Verhandlungs­mandat erteilt und die roten Linien definiert, diese aber nicht kommuniziert.

Auch Leu lässt sich nicht in die Karten blicken. «Wir haben jetzt einen Prozess angefangen, und wir werden uns auch weiter sehen», ist alles, was sie sich vorläufig entlocken lässt.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Impfung: Keine Vorzugsbehandlung für Parlamentarier

Worum es geht: Die eidgenössischen Räte treffen sich Anfang März zur Frühlingssession – trotz Pandemie. Zwar müssen die Parlamentarie­rinnen gemäss dem strengen Schutzkonzept im Bundeshaus neu auch Maske tragen, wenn sie an ihren mit Plexiglas geschützten Plätzen sitzen. Trotzdem forderten die Präsidenten des National- und Ständerats in einem Brief, dass Parlamentarier, die einer Risikogruppe angehören, bevorzugt geimpft werden. Doch die Kantone liessen die Räte abblitzen.

Warum Sie das wissen müssen: Auch Parlamentarierinnen waren irritiert über das Begehren. So wies SP-Nationalrätin Samira Marti darauf hin, dass auch Lehrpersonen, die einer Risikogruppe angehören, nicht prioritär geimpft werden, während Mitte-Nationalrat Christian Lohr klarstellte, er wolle keine Privilegien, obwohl er zur Risikogruppe gehöre. Wenn nötig, müsse man die Session halt verschieben.

Wie es weitergeht: Die National- und Ständeräte müssen also warten, wie die Restbevölkerung auch. Derweil wehrt sich das Bundesamt für Gesundheit gegen die Kritik am langsamen Tempo der Impfkampagne. Man sei auf Kurs, sagt Vizedirektorin Nora Kronig. Sie gehe davon aus, dass die verlangsamte Lieferung des Impfstoffs im «zweiten Teil des ersten Quartals» ausgeglichen werden könne. Bisher hat der Bund 15,8 Millionen Impfdosen bei Moderna, Pfizer/Biontech und Astra Zeneca bestellt.

Konzernverantwortung: Glencore macht Rückzieher

Worum es geht: In der heissen Phase des Abstimmungskampfs zur Konzern­verantwortungs­initiative versuchte der Rohstoff- und Bergbau­konzern Glencore, Kritik an seiner bolivianischen Mine mittels super­provisorischer Verfügung zu unterbinden. Nachdem das Zuger Obergericht dies Ende November ablehnte, hat Glencore sein Rechtsbegehren nun definitiv zurückgezogen.

Warum Sie das wissen müssen: Am 29. November scheiterte die Volksinitiative, bei der es um Sorgfaltspflichten und Haftungsfragen in einer globalisierten Welt ging, am Ständemehr. Vorausgegangen war dem Entscheid einer der heftigsten Abstimmungskämpfe der jüngeren Geschichte, im Zuge dessen die Gegner der Initiative auch Gerichte bemühten. Nachdem das Initiativkomitee auf Flyern über «unmenschliche Bedingungen» in einer bolivianischen Glencore-Mine berichtet hatte, verlangte das Unternehmen, derlei Aussagen zu unterlassen. Dass das Gericht dazu keine Hand bot, überrascht die Initiantinnen nicht: Kinderarbeit und Umweltzerstörung in der besagten Mine seien hinreichend dokumentiert. Ohne Gerichtsentscheid bleibt auch der Versuch der Jungfreisinnigen, beim Bundesgericht gegen die Landeskirchen vorzugehen. Die Richter wiesen die Beschwerde noch vor der Abstimmung ab. Die Bundeskanzlei hingegen bezeichnete das Engagement der Kirchen im Abstimmungs­kampf kürzlich als «zumindest grenzwertig».

Wie es weitergeht: Eine Glencore-Sprecherin sagte letzte Woche, trotz Rückzug des Antrags auf superprovisorische Massnahmen sei die juristische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen. «Wir prüfen nun die Option eines ordentlichen Verfahrens gegen die Verantwortlichen der Abstimmungs­kampagne.»

Grüne wollen schärfere Massnahmen in der Klimapolitik

Worum es geht: Die Grüne Partei hat ihren im vergangenen Sommer vorgestellten Klimaplan an ihrer Delegierten­versammlung vom vergangenen Samstag verabschiedet – und ihn in mehreren Punkten verschärft.

Warum Sie das wissen müssen: Die Grünen verlangen in ihrem Klimaplan politische und technische Massnahmen sowie einen grundlegenden Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft: weg von einer Konsum­gesellschaft hin zu Solidarität und Bescheidenheit. Bis 2030 soll die Schweiz klimaneutral werden, wobei mindestens die Hälfte der Emissionen im Inland zu reduzieren sei. Spätestens ab 2040 soll die Schweiz dann klimapositiv sein, womit sie im In- und Ausland netto zur Reduktion der Emissionen in der Atmosphäre beitrüge. Erreicht werden soll dieses Ziel unter anderem mit einem Verbot von neuen fossil betriebenen Fahrzeugen und neuen Erdölheizungen ab 2025. Die wichtigste Verschärfung betrifft den Finanzplatz: Er soll seine Investitionen nicht erst bis ins Jahr 2035 in erneuerbare Energien lenken, sondern bereits bis 2025.

Wie es weitergeht: Die Jungpartei forderte sogar Klima­positivität bis 2035 statt 2040. Obwohl dies an der Delegiertenversammlung abgelehnt wurde, wollen die Grünen das Ziel prüfen. Dass die Jungen Grünen die Emissionen im Inland zudem bis 2030 um 75 statt um 50 Prozent reduzieren wollen, bezeichnete Nationalrat Bastien Girod hingegen als «Schnellschuss». Aus Sicht der Wissenschaft sei eine Reduktion der Emissionen um mehr als 70 Prozent unmöglich.

Chinesische Parteispione im Schweizer Konsulat

Worum es geht: Angestellte des Schweizer Konsulats in Shanghai sind gleichzeitig Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas. Das zeigt eine geleakte Liste. Dies sei nicht ungewöhnlich, sagt China-Experte Sebastian Heilmann: Es gehöre zum Kerngeschäft der chinesischen Nachrichten­dienste, diplomatische Vertretungen zu bearbeiten.

Warum Sie das wissen müssen: Die geleakte Liste enthält rund 1,9 Millionen Namen von Parteimitgliedern aus der Region Shanghai. Empfänger der Liste war eine Gruppe von Parlamentariern aus verschiedenen demokratischen Ländern – aus der Schweiz sind SVP-Nationalrat Yves Nidegger sowie SP-Nationalrat Fabian Molina dabei. Molina betont, dies laufe den internationalen Regeln zuwider, nach denen die Diplomatie funktioniere: So dürfe der Gaststaat der Schweiz nicht vorschreiben, wen sie anstellt. Für Nidegger ist problematisch, dass die Schweiz 1950 akzeptierte, diplomatische Beziehungen nach den Regeln von China einzugehen.

Wie es weitergeht: wahrscheinlich so wie bisher. Das Schweizer Aussendepartement will zwar, gestützt auf eine Risikoanalyse, «allfällige Sicherheits­massnahmen definieren». Es stellt jedoch auch klar, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei nicht untersagt sei.

Crypto-Affäre: Dem Whistleblower solls an den Kragen

Worum es geht: Es war einer der spektakulärsten Spionagefälle der letzten Jahre: Die Zuger Firma Crypto verkaufte jahrzehntelang manipulierte Chiffriergeräte – US- und deutsche Geheimdienste konnten die verschlüsselte Kommunikation mithören. Vergangenen Februar flog die Affäre auf. Jetzt hat die Aufsichtsbehörde über die Bundes­anwaltschaft einen ausserordentlichen Staatsanwalt eingesetzt. Peter Marti soll die von den Geschäftsprüfungs­kommissionen eingereichte Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses prüfen.

Warum Sie das wissen müssen: Der Crypto-Skandal wirft ein schlechtes Licht auf die Schweizer Diplomatie. Nun ist aber intern Feuer im Dach: Im Zuge der Aufarbeitung der Crypto-Affäre waren Informationen aus dem vertraulich klassifizierten Entwurf des Inspektionsberichts an die Medien gelangt. Die Aufsichtsbehörde über die Bundes­anwaltschaft bezeichnet die Veröffentlichung dieser Informationen als «schwerwiegenden institutionellen Schaden».

Wie es weitergeht: Wie Marti bei seiner Untersuchung des Falls vorgehen wird, bleibt vorerst sein Geheimnis: Für Medien steht Marti ausdrücklich «im derzeitigen Verfahrensstadium nicht zur Verfügung».

Medienpolitik: Kleine Verlage wenden sich von Verlegerverbandspräsident Pietro Supino ab

Worum es geht: Der Verlegerverband ringt weiterhin um seine Position zur geplanten staatlichen Medienförderung. Nachdem die Republik im letzten August aufgedeckt hatte, wie Verbandspräsident Pietro Supino und sein Vize Peter Wanner im Hintergrund die vom Bundesrat vorgesehene Online­förderung bekämpft hatten – obwohl der Verband diese offiziell unterstützte –, kam es nun zum Eklat: Kleine und mittlere Verlage gründeten eine Interessengemeinschaft, um die Medienvielfalt in der Schweiz zu stärken.

Warum Sie das wissen müssen: Die Interessengemeinschaft macht sich explizit stark für die im bundesrätlichen Massnahmen­paket vorgesehenen Instrumente, die verhindern sollen, dass der grösste Teil der Onlineförderung von jährlich 30 Millionen Franken zu den grossen Verlagen fliessen. Geht es nach dem Bundesrat, werden die acht grössten Verlage 54 Prozent der Onlinegelder erhalten; die übrigen 46 Prozent gingen an die rund 100 kleinen und mittleren Zeitungstitel, obwohl sie nur 23 Prozent der Auflage auf sich vereinen. Diese überproportionale Unterstützung sei zentral, damit unabhängige Lokal- und Regionaltitel weiterhin ihren demokratie­politischen Beitrag leisten können, teilt die neue Interessen­gemeinschaft mit. Deren Initiatoren Gilbert Bühler von der Freiburger Nachrichten AG und Christof Nietlispach von der Freiämter Regional­zeitungen AG hatten schon im Spätsommer 2020 gegen Supino und Wanner aufbegehrt. Beide verbleiben vorerst im Präsidium des Verlegerverbands. Man beabsichtige keine Abspaltung, sagt Bühler.

Wie es weitergeht: Mitte Februar berät die zuständige Kommission des Nationalrats bereits zum dritten Mal über das bundesrätliche Massnahmen­paket, dem der Ständerat im Grundsatz bereits im letzten Juni zugestimmt hat. Kann sich die Kommission durchringen, die Vorlage dieses Mal zu Ende zu beraten, ist im März der Nationalrat an der Reihe. In Kraft treten wird das Paket frühestens Anfang 2022. Währenddessen spitzt sich die Medienkonzentration rasant zu. Zuletzt kündigte die zur TX Group gehörende Tamedia an, ihre Zürcher Redaktionen zusammenzulegen.

Skandal der Woche

Sie haben sich mit dem Verkauf von Schutzmasken vergoldet – und gleich zwei sündhaft teure Sportwagen erstanden, als die ersten Millionen auf ihrem Konto landeten. Nun geraten die «Maskenkids» in Bedrängnis: Die Zürcher Jung­unternehmer Mitte 20 haben der Schweizer Armee mutmasslich teilweise gefälschte FFP2-Masken verkauft, unter anderem mit Schimmel­befall. Insgesamt kaufte die Schweiz 1,5 Millionen Masken für knapp 10 Franken pro Stück – 14 Millionen Franken gingen an die Firma Emix. Rund 100’000 Masken musste die Armee laut Sprecher Stefan Hofer «direkt vernichten», weitere wurden zurückgerufen. Die Jung­unternehmer hingegen betonen, die Armee hätte ihre Masken geprüft und in «keinem einzigen Fall die gute Qualität der von Emix Trading gelieferten Masken gerügt oder infrage gestellt». Sicher jedoch ist: Der Handel mit minderwertigen FFP2-Masken und Produkt­fälschungen kann strafrechtlich verfolgt werden. Bei der Staatsanwalt­schaft des Kantons Zürich wurde bereits Anzeige gegen Emix wegen Wucher eingereicht.

Illustration: Till Lauer


Gegendarstellung von Tamedia

Die Republik hat im «Briefing aus Bern» vom 28. Januar 2021 ausgeführt, Tamedia-Verleger Pietro Supino habe «im Hintergrund die vom Bundesrat vorgesehene Online­förderung bekämpft […] – obwohl der Verband diese offiziell unterstützte». Das ist falsch. Richtig ist, dass Verleger Pietro Supino und Tamedia die Position des Verbands Schweizer Medien stets vertreten haben und entgegen der wiederholten Unterstellung der Republik auch informell nicht davon abgewichen sind.

Tamedia, Februar 2021

Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest und stützt sich auf die folgenden Quellen: Stellung­nahme von Pietro Supino vom 25. August 2020; Stellungnahmen des Verbands Schweizer Medien vom 20. August 2020 Nr. 1, 2 und 3 sowie vom 28. August und vom 10. September 2020.

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