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Tamedia forciert die Medien­konzentration

Der grösste Schweizer Medienverlag verfährt in Zürich ähnlich wie in Bern und schafft eine kantonale Einheitsredaktion für «Tages-Anzeiger», «Landbote», «Zürichsee-Zeitung», «Zürcher Unterländer» und «Zürcher Oberländer».

Von Dennis Bühler, 13.01.2021

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Seit einigen Jahren gleichen sich der «Tages-Anzeiger» und die Zürcher Regionalzeitungen wie ein Ei dem anderen: Sie teilen sich die Inland-, Ausland-, Wirtschafts-, Kultur- und Sportbericht­erstattung. Unterschiede gibt es nur noch in der kantonalen und lokalen Berichterstattung.

Ab Juni ist es mit der Hälfte dieser verbliebenen Unterscheidbarkeit vorbei: Dann übernimmt ein «Redaktionsnetzwerk Zürcher Zeitungsverbund» mit rund 90 Journalistinnen und Journalisten die kantonale Berichterstattung für die Tamedia-Zeitungen «Tages-Anzeiger», «Landbote», «Zürichsee-Zeitung» und «Zürcher Unterländer» sowie den «Zürcher Oberländer», an dem der Verlag zwar beteiligt ist, an dem er aber keine Aktienmehrheit hält.

In einem Communiqué betonte Tamedia, alle Titel blieben eigenständig. Das stimmt allerdings vorwiegend mit Blick auf ihre Bezeichnung. Auch wenn es alle Zeitungen in Zukunft im Abo oder am Kiosk zu kaufen gibt, werden sie sich nur noch auf der Frontseite, im Lokalteil sowie bezüglich Seitenumfang der übrigen Ressorts unterscheiden. Dennoch behauptete der Leiter der neuen Einheitsredaktion in einem Interview des Branchenportals «persoenlich.com», für die Leserinnen und Leser ergebe sich keine Verschlechterung. Vielmehr sei man im Verbund redaktionell stärker. «Wir können mehr Energie in die wichtigen und guten Geschichten stecken. Die neue Organisation sichert darum auch unseren Qualitätsjournalismus.»

Mit dem Verlust von Vielfalt geht ein Verlust von Arbeitsplätzen einher. Wie viele Stellen abgebaut werden, ist offen. Im besten Fall soll durch Kündigungen «nur» eine einstellige Anzahl Vollzeitstellen abgebaut werden, hiess es am Dienstag an einer internen Mitarbeiter­information. Dies bedingt allerdings eine Fluktuation in zweistelliger Prozenthöhe, was kaum realistisch ist: In der seit mehr als einem Jahrzehnt unter einer Finanzierungskrise leidenden und neuerdings zudem von der Corona-Pandemie gebeutelten Medienbranche gibt zurzeit kaum jemand freiwillig seinen Job auf. Bei Tamedia gilt schon seit vergangenem Sommer ein Einstellungsstopp: Stand Ende November wurden alleine bei den Zürcher Regionalzeitungen sieben Vollzeitstellen nicht wieder besetzt.

Die gestrige Ankündigung in Zürich erinnert an jene in Bern vor zweieinhalb Monaten: Ende Oktober gab Tamedia das Ende des sogenannten «Berner Modells» bekannt. Dieses liess die «Berner Zeitung» und «Der Bund» eine eigenständige Lokal-, Regional- und Kultur­berichterstattung machen. Mitte 2021 werden die Redaktionen zusammengelegt, ab dann kommt die gesamte Berichterstattung aus einer Hand. Dass die Titelseiten der beiden Tageszeitungen weiterhin verschieden gestaltet sein sollen: reine Fassade.

Das Versprechen des Kriegsgewinners

Mit der Bildung einer kantonalen Zürcher Einheitsredaktion ritzt Tamedia-Verleger Pietro Supino an einem Versprechen, das er vor gut zehn Jahren abgab, nachdem er den «Zürcher Zeitungskrieg» gegen die Landzeitungen und die NZZ für sich entschieden hatte. Die Zeitungen würden unabhängig bleiben, sagte er damals. Ein Bekenntnis, das Tamedia 2012 wiederholte.

Lanciert hatte Tamedia ihren Angriff gegen die Landzeitungen «Zürichsee-Zeitung», «Zürcher Unterländer» und «Zürcher Oberländer», an denen die NZZ Minderheits­beteiligungen besass, Anfang 2005 mit einer «Tages-Anzeiger»-Regionalausgabe am linken Seeufer. Zuvor hatten die regionalen Verleger hoch dotierte Übernahmeangebote ausgeschlagen – im Wissen, dass die Stadtzürcher Tamedia ihre traditionsreichen Blätter nach dem Kauf bald eingestampft hätte, um danach in den Regionen Tagi-Abos zu verkaufen. Er habe sich damals zeitweise wie in einem Film von Alfred Hitchcock gefühlt, erzählte Theodor Gut, der Verleger der «Zürichsee-Zeitung», später.

Im Herbst 2006 erhielt der Tagi vier weitere regionale Splitausgaben: am rechten Seeufer, im Oberland, im Unterland und in der Stadt Zürich. Die schon damals auf Synergien und Gewinn getrimmte Tamedia liess sich die Offensive einiges kosten: Um im Werbe- und Inseratemarkt an Attraktivität zu gewinnen, schuf sie insgesamt 80 neue Arbeitsplätze. Auf die Frage, wie lange der Konzern bereit sei, Geld in die Regionalausgaben zu buttern, sagte das für die Expansion zuständige Geschäftsleitungs­mitglied Rolf Bollmann erstaunlich ehrlich: «So lange, bis der Zeitungsmarkt bereinigt ist.»

So war es dann auch.

Zwar verbündeten sich die «Zürichsee-Zeitung», der «Zürcher Oberländer» und der «Zürcher Unterländer», um gegen die finanzstarke Konkurrenz aus der Stadt anzukommen: Sie gründeten eine gemeinsame Mantelredaktion, welche die Berichterstattung über die Ressorts Kanton Zürich, Inland, Ausland, Wirtschaft, Kultur und Vermischtes übernahm. Doch letztlich half auch das nichts.

Im April 2010 verkündete Tamedia die Übernahme der Landzeitungen. Die regionalen Verleger erhielten zweistellige Millionensummen, die NZZ die bis dahin Tamedia gehörende «Thurgauer Zeitung». In einem Interview, das tags darauf ausgerechnet in der aufgekauften «Zürichsee-Zeitung» erschien, behauptete ihr neuer Chef Pietro Supino: «Gestern war ein guter Tag für alle Lesenden.» Das Tauschgeschäft von Tamedia und NZZ sei ein «gemeinsamer Beitrag zur Stärkung der Presselandschaft», die drei gekauften Regional­blätter würden völlig unabhängige Titel bleiben.

Minus 229 Stellen in 16 Monaten

Ein halbes Jahr später gab Tamedia bekannt, dass 37 Mitarbeiter entlassen werden, weil die Lokalredaktionen der Landzeitungen per Anfang 2011 mit den Redaktionen der Tagi-Splitausgaben zusammengelegt würden. Zehn Tage später erfolgte der nächste Schritt: Durch die Fusion der Mantel­redaktionen des Winterthurer «Landboten» und der Zürcher Landzeitungen gingen 12 weitere Stellen verloren. Damit hatte der Verdrängungs­wettbewerb die Landzeitungen ihre eigenständige Existenz und rund 50 Journalistinnen den Job gekostet. Konzernweit hatte Tamedia damals innert 16 Monaten gar 229 Stellen von Journalisten abgebaut, wie die «Weltwoche» berechnete.

Ab 2014 liessen sich die Landzeitungen die internationalen und nationalen Mantelseiten von der ebenfalls zu Tamedia gehörenden «Berner Zeitung» liefern; seit Anfang 2018 kommt die nationale und internationale Berichterstattung von einer deutsch- und einer französischsprachigen Tamedia-Redaktion. Mit der gestrigen Ankündigung wird nun noch der letzte Bereich zusammengeführt, in dem sich die Landzeitungen und der «Tages-Anzeiger» unterschieden: Ab 2014 schrieb eine Kantonsredaktion in Winterthur Artikel über die Stadt und den Kanton Zürich, die im «Zürcher Unterländer», im «Zürcher Oberländer» und in der «Zürichsee-Zeitung» erschienen. Mit dem «Tages-Anzeiger» gab es auf kantonaler Ebene keine Zusammenarbeit.

Nun also erfolgt der letzte Schritt der Zürcher Medien­konzentration: Ab Juni wird Tamedia Zeitungen herausgeben, die sich wie zu Zeiten der Tagi-Splitausgaben (fast) nur im Lokalteil unterscheiden. Anders als damals wird bloss das Etikett lauten: «Zürcher Unterländer» statt «Tages-Anzeiger, Ausgabe Zürcher Unterland». So soll der Leserschaft vorgegaukelt werden, sie halte noch immer ihr bewährtes, traditionsreiches Blatt in den Händen.

Vor allem aber werden sich die Zeitungen anders als zu Zeiten des «Zürcher Zeitungskriegs» nicht mehr in Konkurrenz zueinander befinden. Der gestrige Tag markiert deshalb auch den endgültigen Sieg des Tagi-Splitmodells. Und den endgültigen Triumph von Verleger Pietro Supino in seinem Zürcher Heimmarkt.

Übrigens: Wirtschaftlich geht es dem Tamedia-Verlag, der sich seit Anfang 2020 TX Group nennt, unverändert gut. In den letzten fünf Jahren hat er 852 Millionen Franken Reingewinn erzielt und seinen Aktionären 225 Millionen Franken Dividenden ausbezahlt.

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