FDP gegen Urlaub für Väter, Bauernlobby gegen eine grünere Landwirtschaft – und bald Lohndeckel für Staatsbetriebe?
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (112).
Von Philipp Albrecht, Elia Blülle, Dennis Bühler, Bettina Hamilton-Irvine, Carlos Hanimann, Brigitte Hürlimann und Cinzia Venafro, 27.08.2020
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Was hat die Schweiz in der letzten Woche beschäftigt? Weil sich die Zahl der Neuinfektionen langsam, aber sicher hocharbeitet, steht das Coronavirus wieder hoch oben auf der Liste. Damit Sie sich nicht durch die Flut von Newstickern und Meldungen kämpfen müssen, haben wir die wichtigsten Corona-Nachrichten für Sie zusammengefasst:
In der Schweiz und in Liechtenstein wurden gestern Mittwoch 383 neue Corona-Ansteckungen gemeldet – das ist der höchste Wert seit April. Am Dienstag waren es 202 bestätigte Fälle, am Montag 157, am Sonntag 276.
Mit 61 Neuansteckungen auf 100’000 Einwohnerinnen in den letzten zwei Wochen hat Frankreich diese Woche den Schweizer Grenzwert für die Quarantäne-Liste überschritten. Im Gegenzug könnte die Schweiz bald auf der Quarantäne-Liste des Vereinigten Königreichs landen. Sie liegt mit 20,7 Corona-Fällen pro 100’000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen nun über dem Quarantäne-Grenzwert der britischen Regierung von 20.
Als achter Kanton führt das Wallis am nächsten Montag eine Maskenpflicht in Läden ein. Im Kanton Freiburg gilt sie ab morgen Freitag, im Kanton Zürich ab heute Donnerstag. Bereits obligatorisch sind Schutzmasken in Verkaufsläden in Basel-Stadt, Waadt, Genf, Jura und Neuenburg.
136’000 Firmen oder jedes fünfte KMU in der Schweiz hat im Zusammenhang mit Covid-19 einen vom Bund abgesicherten Kredit bezogen. Ausbezahlt wurden bisher 16,8 Milliarden Franken, was 42 Prozent der zur Verfügung gestellten Mittel entspricht. In 845 Fällen wurde abgeklärt, ob ein Missbrauch vorliegt.
In den letzten zwölf Monaten ist die Zahl der Erwerbstätigen in der Schweiz um 1,6 Prozent gesunken. Die Zahl sei seit 1993 nie mehr so stark zurückgegangen, teilte das Bundesamt für Statistik letzten Donnerstag mit. Die Arbeitslosenquote stieg von 4,2 auf 4,6 Prozent, die wöchentliche Arbeitszeit sank um 9,5 Prozent.
Der Bundesrat hat gestern Mittwoch entschieden, die Corona-Schutzmassnahmen im Asylbereich bis Ende Juni 2021 zu verlängern. Sie sehen unter anderem vor, dass Asylbewerberinnen auch per Telefon oder Videocall befragt werden können. Im Moment sei nicht absehbar, wie lange die Pandemie noch dauern werde, schreibt der Bundesrat.
Ausserdem: ein Update zur Medienpolitik.
Onlinemedien-Förderung vor dem Aus: Wie es kommt, dass die grössten Verleger im Land Millionen vom Staat erhalten sollen (und nur sie).
Und damit zum Briefing aus Bern.
Bundesanwalt: Parlament macht Weg frei für Strafverfahren
Worum es geht: Die zuständigen Kommissionen des Parlaments haben am Montag die Immunität des Bundesanwalts Michael Lauber aufgehoben. Nun steht den Ermittlungen gegen Lauber nichts mehr im Weg. Er wird verdächtigt, im Rahmen unprotokollierter Treffen mit Fifa-Chef Gianni Infantino, dem Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold und weiteren Personen sein Amt missbraucht, das Amtsgeheimnis verletzt und jemanden begünstigt zu haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Warum Sie das wissen müssen: In seiner letzten Woche im Amt sorgt Michael Lauber noch einmal für historische Schlagzeilen: Nie zuvor ist die Immunität eines Bundesanwalts aufgehoben worden, nie zuvor ist gegen einen Bundesanwalt ein Strafverfahren geführt worden. Damit nimmt das vermutlich letzte Kapitel in der Affäre Lauber seinen Anfang: Ein ausserordentlicher Staatsanwalt wird nun ermitteln und die Fragen zu klären versuchen, welchen Zwecken die nicht protokollierten Treffen mit der Fifa-Spitze und dem Walliser Strafverfolger dienten und ob es dabei zu strafrechtlichem Fehlverhalten der beteiligten Personen kam.
Wie es weitergeht: Die Bundesversammlung soll in der Herbstsession über die Einsetzung eines ausserordentlichen Staatsanwalts entscheiden. In der Wintersession soll das Parlament eine neue Bundesanwältin wählen. Bis dahin werden Laubers Geschäfte von seinen Stellvertretern übernommen.
Schlappe für Bundesrat: Landwirtschaftsreform vertagt
Worum es geht: Die Wirtschaftskommission des Ständerats will das Reformpaket «Agrarpolitik ab 2022» auf Eis legen. Sie verlangt vom Bundesrat bis spätestens 2022 einen Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik. Stimmt der Ständerat dem Antrag seiner Kommission zu, wirft dies den Bund bei der Landwirtschaftspolitik zurück auf Feld eins – nach jahrelangen Vorarbeiten der Bundesverwaltung.
Warum Sie das wissen müssen: Der Entscheid der Kommission geht auf intensives Lobbying des Bauernverbands zurück. Der Verband bekämpft die Agrarreform, weil ihm der Vorschlag des Bundesrats zu grün ist. Werde die Reform sistiert, biete dies «die Chance, die einseitige Agrarpolitik zu einer glaubwürdigen Ernährungspolitik umzubauen», findet der Verband. Einen grünen Touch erhielt die Reform allerdings primär wegen zweier Volksinitiativen, über die im kommenden Jahr abgestimmt wird: die Trinkwasserinitiative und die Pestizidinitiative. Weil diese dem Bundesrat zu radikal sind, enthält die Agrarreform als Alternative auch Massnahmen zur Reduktion von Nährstoffen und Pestiziden. Die Mehrheit in der Kommission soll übrigens nur dank eines Kuhhandels zustande gekommen sein: Der Bauernverband habe dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse versprochen, im Gegenzug die Konzernverantwortungsinitiative zu bekämpfen, über die Ende November abgestimmt wird.
Wie es weitergeht: Der Ständerat wird sich im Dezember mit dem Antrag seiner Kommission befassen. Wegen der nun absehbaren Verzögerung ist es wahrscheinlich, dass die Stimmbevölkerung 2021 über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative entscheiden wird, ohne zu wissen, ob das Parlament die Schraube in den beiden Bereichen von sich aus anzieht.
Richterwahl ohne Parteibüchlein: Bundesrat ist dagegen
Worum es geht: Im August 2019 hat ein Initiativkomitee rund um Immobilieninvestor Adrian Gasser die Justizinitiative eingereicht: Sie verlangt, dass Bundesrichter nicht länger nach dem Parteiproporz bestimmt werden und sich nicht der Wiederwahl stellen müssen. Nun ist klar: Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.
Warum Sie das wissen müssen: Das Schweizer Richterwahlverfahren ist ein weltweites Unikum und kein Ruhmesblatt. Es wird unter anderem von der Antikorruptionsgruppe des Europarats kritisiert – und zwar in erster Linie wegen der Mandatssteuer, die alle Richterinnen der Schweiz ihren Parteien jährlich abzuliefern haben. Problematisch sei auch das Wiederwahlverfahren der Richter: Dieses führe dazu, dass wegen einzelner Urteile die Nichtwiederwahl drohe. Der Bundesrat erwähnt zwar ebenfalls ein «gewisses Spannungsverhältnis zwischen einer unabhängigen Amtsführung und dem zurzeit praktizierten System». Trotzdem lehnt er die Initiative ohne Gegenentwurf und Gegenvorschlag ab. Er stört sich vor allem am Losverfahren: Gemäss Initiativtext soll eine unabhängige Fachkommission die geeigneten Richterkandidaten bestimmen, aus denen dann die offenen Posten per Losentscheid besetzt würden – um jegliche Einflussnahme zu verunmöglichen. Der Bundesrat hält dieses Verfahren für ungeeignet und systemfremd.
Wie es weitergeht: Die Botschaft des Bundesrats kommt nun in die zuständige Kommission und wird anschliessend im Parlament beraten. Es ist mit einer breiten Ablehnung zu rechnen, da keine der politischen Parteien auf die Mandatssteuer der Richterinnen verzichten will – oder auf die Einflussnahme, was die Besetzung der Richterbank betrifft.
Vaterschaftsurlaub: FDP will nun plötzlich doch nicht
Worum es geht: Mit 134 Nein- zu 133-Ja-Stimmen haben die FDP-Delegierten die Nein-Parole für die Abstimmung über den Vaterschaftsurlaub beschlossen. Begründet wird der Entscheid damit, dass der angestrebte Vaterschaftsurlaub alte Rollenmodelle zementiere und den Firmen hohe Kosten verursache.
Warum Sie das wissen müssen: Die FDP hat im Parlament noch deutlich für die Vorlage gestimmt, die Vätern nach der Geburt ihres Kindes zwei Wochen bezahlten Urlaub einräumen will. Nun kämpft die Partei an der Seite der SVP plötzlich gegen die Vorlage und brüskiert damit vor allem die FDP-Frauen. Sie sprachen sich deutlich für den Vaterschaftsurlaub aus und schrieben, die Schweiz sei «immer noch ein familienpolitisches Entwicklungsland». Mit dem Vaterschaftsurlaub werde «ein kleiner Schritt hin zur Gleichstellung» getan. Der äusserst knappe Parolenentscheid zeigt, dass die drittgrösste Partei der Schweiz in der Ausrichtung ihrer Familienpolitik tief gespalten ist.
Wie es weitergeht: Am 27. September kommt der Vaterschaftsurlaub zur Abstimmung. Ausser der FDP und der SVP befürworten alle wichtigen Parteien die Vorlage. Gemäss Umfragen des Meinungsforschungsinstituts GFS Bern wird sie von 63 Prozent unterstützt und von 35 Prozent abgelehnt.
Nationalrat stimmt über Lohndeckel für Staatskonzerne ab
Worum es geht: Die Chefinnen von SBB, Post, Ruag, Skyguide, Suva, SRG und Swisscom sollen künftig maximal einen Bundesratslohn erhalten. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK) hat die Vorlage vergangene Woche dem Parlament überwiesen. Das Maximum hat sie bei 1 Million Franken festgelegt.
Warum Sie das wissen müssen: Die Topverdiener in den Staatskonzernen sitzen an der Spitze von SBB und Post. Sie beziehen jährlich rund 1,2 Millionen Franken – inklusive Pensionskassenbeiträgen. Obwohl ihre Löhne in den letzten zehn Jahren nicht spürbar angestiegen sind, bleiben sie ein Politikum, Kritiker sprechen gar von «Lohnexzessen». Die Pro-Service-public-Initiative von 2016 verlangte unter anderem, dass Kader nicht mehr als ein Mitglied des Bundesrats verdienen sollten. Gerechnet wurde damals mit dem Bundesrats-Jahreslohn von knapp 500’000 Franken. Die Initiative scheiterte zwar an der Urne, doch der Lohndeckel blieb populär. Die damalige SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer hatte drei Tage vor der Abstimmung eine parlamentarische Initiative für einen Lohndeckel eingereicht. Nach diversen Anpassungen und einer Vernehmlassung kommt das Anliegen nun in den Nationalrat. Bürgerliche Politikerinnen haben inzwischen ein Maximum von 1 Million durchgesetzt. Im neuen Betrag ist auch die durchschnittliche Rentenleistung enthalten, die eine Bundesrätin nach ihrer Amtszeit beziehen kann. Gleichzeitig soll auch der bislang deutlich höhere Toplohn der Swisscom Teil des neuen Gesetzes werden. Dies, obwohl hier eine Mehrheit der Vernehmlasser eine Ausnahme verlangte, da der Telecomkonzern dem Aktienrecht unterliegt. CEO Urs Schaeppi verdiente letztes Jahr 1,76 Millionen Franken.
Wie es weitergeht: Der Nationalrat stimmt in der Herbstsession über die Vorlage ab. Danach befindet die vorberatende Kommission des Ständerats darüber, bevor schliesslich die kleine Kammer abstimmt. Sind sich beide Kammern einig, ist der Lohndeckel noch dieses Jahr unter Dach und Fach.
Schluss: Tessiner Chiesa ist neuer SVP-Chef
Er ist von der SVP-Findungskommission vor wenigen Wochen aus dem Hut gezaubert worden, jetzt ist er gewählt: Der Tessiner Ständerat Marco Chiesa ist neuer Präsident der SVP. Die Parteidelegierten haben ihn am Wochenende «grossmehrheitlich» an ihre Spitze gesetzt. Wie viele Stimmen Chiesa genau erhalten hat, konnte nicht mehr eruiert werden: Bereits beim Auszählen gab es tosenden Applaus. Anders als sich zuvor abzeichnete, kam es nicht zu einer Kampfwahl zwischen Chiesa und dem Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer. Dessen Kandidatur wurde gerade noch rechtzeitig zurückgezogen – von Benjamin Fischer, Präsident der Zürcher SVP. «Klar: Jetzt bin ich natürlich der Trottel. Aber das ist mir gleich. Ich habs ja nicht für mich gemacht, sondern für die Partei», sagt Heer im Interview mit der Republik. Die Partei hat nach der DV erst mal andere Sorgen: Denn obwohl die Parteileitung das Maskentragen empfohlen hatte, folgten die wenigsten der 400 dicht beieinandersitzenden Politiker dem Rat. Für den abtretenden Präsidenten Albert Rösti wäre es «das Schlimmste, was uns geschehen könnte», wenn nun alle in Quarantäne müssten. Klar ist: Den Abstimmungskampf für die Begrenzungsinitiative würde es sehr erschweren.
Illustration: Till Lauer