Briefing aus Bern

Wieso die Prämien jetzt nicht explodieren, warum Krippen kein Geld bekommen – und wie die Energie­wende weitergehen soll

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (96).

Von Philipp Albrecht, Andrea Arežina, Dennis Bühler, Bettina Hamilton-Irvine, Brigitte Hürlimann und Cinzia Venafro, 09.04.2020

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Die Corona-Krise kostet die Schweiz Milliarden – gerade auch im Gesundheits­wesen. Müssen Sie im nächsten Jahr deshalb mit massiv gestiegenen Krankenkassen­prämien rechnen?

Wenn Sie das glauben, sind Sie in guter Gesellschaft. Auch Politikerinnen von links bis rechts warnen bereits vor dem «Prämienschock». Der FDP-Gesundheits­politiker Joachim Eder beispiels­weise, bis vergangenen Winter noch Ständerat, befürchtet Schlimmes: «Das Parlament muss die Explosion der Krankenkassen­prämien auffangen!»

FDP-Ständerat Damian Müller fordert einen runden Tisch: Nach einem Rettungs­paket für die Wirtschaft brauche es auch ein Paket für das Gesundheits­wesen. Ihm schliesst sich die SP-Gesundheits­politikerin Barbara Gysi an, die auf die Prämien­last für Familien hinweist. Heute gehen im Schnitt 14 Prozent des Familieneinkommens für Prämien drauf.

Doch so nachvollziehbar diese Befürchtungen sind: Sie sind unbegründet. Es wird nächstes Jahr nicht zu einem Prämien­schock kommen. Denn die Höhe der Prämien im Jahr 2021 wird nicht von den Kosten dieses Jahres beeinflusst. Die Basis ist eine Prognose der anfallenden Ausgaben für das Jahr 2021.

Doch es gibt noch weitere Gründe, wieso es zu keiner Prämienexplosion kommen wird. Jede Kranken­kasse muss Rücklagen bilden, um ausser­ordentliche Gross­ereignisse zu überstehen – so verlangt es das Gesetz. Gemeinsam haben die Kassen aktuell ein Polster von gut 8 Milliarden Franken, mehr als doppelt so viel wie verlangt. Was aber, wenn gewisse Kassen mehr Ausgaben haben als andere? In diesem Fall kann auf einen Sicherungs­fonds zurück­gegriffen werden, der für kurzfristige Liquiditäts­engpässe gedacht ist.

Und zu guter Letzt ist es nicht einmal sicher, dass die Kranken­kassen aufgrund der Corona-Krise überhaupt höhere Ausgaben haben werden. Zwar ist die Behandlung von Corona-Patienten auf den Intensiv­stationen teuer. Davon müssen die Kranken­kassen aber maximal 45 Prozent übernehmen, den Rest bezahlt die öffentliche Hand. Gleichzeitig dürfen zurzeit keine aufschiebbaren Behandlungen vorgenommen werden.

Aus all diesen Gründen dürfen wir davon ausgehen, dass auf den Corona-Schock nicht auch noch ein Prämien­schock folgen wird.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Vorab, was der Bundesrat gestern entschieden und bekannt gegeben hat: Der «Lockdown light» wird bis zum Sonntag, 26. April, verlängert. Dann sollen die Massnahmen für die Bekämpfung der Sars-CoV-2-Pandemie schrittweise gelockert werden. «Das Licht am Ende des Tunnels wird sichtbar», sagte Gesundheits­minister Alain Berset gestern an einer Medienkonferenz. Über die Etappen der Lockerung wird der Bundesrat am 16. April entscheiden. Ausserdem will die Regierung die Luftfahrt mit Liquidität versorgen. Mehr dazu erfahren Sie im aktuellen Covid-19-Uhr-Newsletter von gestern Abend.

Wie es mit dem Parlament weitergeht

Worum es geht: Die Parlaments­büros haben die ersten Traktanden für die ausser­ordentliche Session festgelegt, die ab dem 4. Mai in den Bernexpo-Hallen stattfindet. Beraten werden nur dringende Geschäfte, die mit der Corona-Krise zu tun haben. Die Kommissionen dürfen unter gewissen Auflagen Sitzungen per Videokonferenz durchführen.

Warum Sie das wissen müssen: Nachdem das Parlament Mitte März seine Session abgebrochen hat, ist der politische Betrieb stillgelegt, der Bundesrat trifft Entscheide im Allein­gang. Ab dem 4. Mai bis maximal zum 8. Mai wird das Parlament jedoch trotzdem nochmals zusammen­kommen – vor allem, um nachträglich die dringlichen Notkredite zu bewilligen, die der Bundesrat im Zusammen­hang mit der Corona-Krise gesprochen hat. Traktandiert ist auch die Genehmigung des Assistenz­dienstes der Armee. Ab Montag sind die zuständigen Kommissionen im Bundeshaus zusammengekommen, um die Geschäfte vorzubereiten. Vor der Sonder­session können Kommissionen auch per Video­konferenz tagen, solange sie «Skype for Business» benutzen und keine als «vertraulich» klassifizierten Geschäfte beraten.

Wie es weitergeht: Das definitive Programm für die ausser­ordentliche Session werden die Büros der beiden Kammern am 1. Mai beschliessen. Stand jetzt soll die Sommer­session wie geplant vom 2. bis zum 19. Juni stattfinden. Die Parlaments­büros wollen nach der ausser­ordentlichen Session entscheiden, wo und unter welchen Bedingungen.

Viel Geld für Firmen, kein Geld für Krippen

Worum es geht: Der Bundesrat hat am letzten Freitag beschlossen, den Rahmen für die Bürgschafts­kredite für Firmen im Rahmen der Corona-Krise von 20 auf 40 Milliarden Franken zu verdoppeln. Kein Geld bekommen hingegen die Kinder­krippen: Der Gesamtbundesrat hat Sozialminister Alain Bersets Plan gestoppt, sie mit knapp 100 Millionen Franken zu unterstützen.

Warum Sie das wissen müssen: Die Krippen befinden sich in einer schwierigen Situation. Der Bund hat sie für system­relevant erklärt und verpflichtet, offen zu bleiben. Gleichzeitig werden die Eltern angewiesen, ihre Kinder nach Möglichkeit selber zu betreuen – bezahlen müssen sie aber trotzdem. Entsprechend verärgert reagiert der Kita-Verband Kibesuisse auf den Entscheid des Bundesrats: Man sei «fassungslos», heisst es in einer Medienmitteilung; der Schweiz drohe eine folgen­schwere Betreuungskrise.

Wie es weitergeht: Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Bundesrat in dieser Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen hat. Gemäss «Tages-Anzeiger» ist auch ein Teil der bürgerlichen Bundes­räte nicht grundsätzlich gegen eine Bundes­hilfe. SP-Bundesrat Berset hofft zudem auf die Unter­stützung des Parlaments. Wohl nicht zu Unrecht: Die Sozial­kommission des Ständerats forderte den Bundesrat am Dienstag auf, Kitas zu unterstützen. Diese seien durch die Krise in ihrer Existenz bedroht.

Arbeitslosigkeit um 15 Prozent angestiegen

Worum es geht: Die Coronakrise treibt die Arbeits­losigkeit in die Höhe: Der Anteil Menschen auf Jobsuche stieg im März von 2,5 auf 2,9 Prozent. Derzeit verlieren in der Schweiz pro Werktag rund 2000 Personen ihre Arbeitsstelle.

Warum Sie das wissen müssen: Normaler­weise sinkt jeweils im März die Arbeits­losigkeit – etwa wegen erhöhter Bautätigkeit. Nicht dieses Jahr: 135’624 Personen waren Ende März arbeitslos, 17’802 oder 15 Prozent mehr als Ende Februar. Im Vergleich zum März 2019 beträgt die Zunahme sogar 21 Prozent. Der Lockdown hat dazu geführt, dass das Gastgewerbe kurzfristig kein Personal anstellte und in den Skigebieten die Saison abrupt endete. Der starke Anstieg überrascht sogar Boris Zürcher, Direktor für Arbeit beim Bund, wie er in einem Interview einräumte. Offenbar hat die Kurzarbeit nicht ganz den gewünschten Effekt: «Wir haben mit der Kurzarbeits­entschädigung ein Instrument, das Entlassungen im Prinzip vermeiden sollte. Wir haben dieses Instrument auch massiv geöffnet.»

Wie es weitergeht: Das Staats­sekretariat für Wirtschaft geht von einem weiteren Anstieg der Arbeits­losigkeit aus. In welchem Ausmass, hängt von der Dauer des Lockdown ab. Eine Prognose dazu will beim Bund derzeit niemand machen.

Gletscherinitiative: Bundesrat sagt Nein zu Fossil-Verbot

Worum es geht: Die im Herbst 2019 zustande gekommene Gletscher­initiative will die Treibhausgas­emissionen bis 2050 auf null senken. Nun hat der Bundesrat das Umwelt­departement beauftragt, einen direkten Gegen­entwurf auszuarbeiten. Das Grund­anliegen teilt er.

Warum Sie das wissen müssen: Als verletzliches Alpen­land habe die Schweiz ein «ureigenes Interesse daran, den Klima­wandel zu begrenzen», teilte der Bundesrat am letzten Freitag mit. Im Gegensatz zu den Initianten will er aber kein explizites Verbot fossiler Energie­träger in der Verfassung verankern, womit Parlament und Kantone bei der Umsetzung des Netto-null-Ziels einen grösseren Spielraum erhielten. Das Initiativ­komitee zeigt sich skeptisch, ob das Anliegen ohne Verbot zu erreichen ist.

Wie es weitergeht: Das Umwelt­departement wird den Gegen­vorschlag bis zum Spätsommer erarbeiten, der Bundesrat schickt ihn dann in die Vernehm­lassung. Abgestimmt wird nicht vor 2022. Laut einer ersten Umfrage stösst das Anliegen in der Bevölkerung auf Sympathie.

Energiewende: Bundesrat will Subventionen verlängern

Worum es geht: Bis 2050 möchte der Bundesrat den CO2-Ausstoss auf netto null senken. Um das zu erreichen, schlägt er diverse Anpassungen am Energiegesetz vor: Unter anderem will er Investitions­anreize setzen und der Strom­branche Planungs­sicherheit für den Ausbau der erneuerbaren Energien verschaffen. An der seit längerem geplanten Liberalisierung des Strom­markts hält er fest.

Warum Sie das wissen müssen: Für die Förderung der Strom­produktion aus erneuerbaren Energien zahlen Konsumenten in der Schweiz pro Jahr fast 1,2 Milliarden Franken – dazu sagte die Stimm­bevölkerung 2017 Ja, als sie das Energie­gesetz annahm. Dieses sieht befristete Subventionen vor: bis 2023 für Biogas, Wind und Geothermie, bis 2030 für Solar­anlagen, Holz und Wasserkraft. Nun will sie der Bundesrat bis 2035 verlängern. Die Einspeise­vergütungen will er durch Investitions­beiträge ersetzen, die Unter­stützung für Grosswasser­kraftwerke verdoppeln. Zudem sollen neu auch Privat­haushalte ihren Strom­lieferanten frei wählen können. Nicht abrücken will der Bundesrat von seinem Ziel, den Strommarkt zu liberalisieren – eine Voraussetzung, falls die Schweiz ein Abkommen mit der EU abschliessen und so Zugang zum europäischen Strommarkt erlangen will. Die Verhandlungen dazu starteten vor bald 13­ Jahren.

Wie es weitergeht: Während der bis Mitte Juli laufenden Vernehmlassung haben alle interessierten Kreise die Gelegenheit, sich zu den Vorschlägen zu äussern. Danach überarbeitet das Bundesamt für Energie die Vorlage gemäss den Vorgaben des Bundesrats. Im kommenden Jahr berät und entscheidet das Parlament über das Gesetz.

Bundesanwalt droht mit rechtlichen Schritten

Worum es geht: Bundes­anwalt Michael Lauber will mit rechtlichen Schritten gegen eine von der Aufsichts­behörde beschlossene vorüber­gehende Lohnkürzung vorgehen.

Warum Sie das wissen müssen: Der Chef der Staats­anwaltschaft des Bundes wurde im September vom Parlament nur knapp für eine dritte Amtszeit wiedergewählt. Sein Vorgehen rund um die Fifa-Strafverfahren wurde von der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft harsch gerügt; Lauber habe mehrfach die Unwahrheit gesagt, illoyal gehandelt, falle durch Uneinsichtigkeit auf und zeige im Kern ein falsches Berufs­verständnis. Wegen seiner «erheblichen Pflicht­verletzungen» will die Aufsichts­behörde Laubers Lohn von rund 300’000 Franken ein Jahr lang um 8 Prozent kürzen. Wie die Zeitungen von CH Media berichten, will der Bundes­anwalt diese Lohnkürzung vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechten. Ihm stünde danach noch der Weg vors Bundes­gericht offen.

Wie es weitergeht:
Laubers Umgang mit der Kritik der Aufsichts­behörde stösst in der Politik auf Unverständnis. Regula Rytz, Partei­chefin der Grünen, fordert gar, es sei ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Bundes­anwalt einzuleiten. Support bekommt sie von der Basel­bieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter.

Der Konflikt der Woche

Gelbe Viren auf rotem Grund statt gelber Sterne auf rotem Grund: Die «Weltwoche» hat Ärger mit dem chinesischen Botschafter in der Schweiz, Geng Wenbing. Dieser protestiert gegen einen Artikel und dessen Illustration und fordert von Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel eine Entschuldigung sowie die Löschung des Artikels im Online­archiv. Der Artikel sei Fake News und die Illustration «Lästerung gegen die chinesische National­flagge». Brisant: Geng Wenbing schreibt monatlich eine Kolumne in der «Weltwoche», die letzte erschien im Januar. Wie Köppel gegenüber CH Media sagt, sei der Botschafter weiterhin «herzlich dazu eingeladen, in der ‹Weltwoche› seine Sicht der Dinge kundzutun». Nachdem der «Weltwoche» Ende letzten Jahres vorgeworfen wurde, für Geld eine chinafreundliche Berichterstattung zu forcieren, kommt der Konflikt Köppel offensichtlich nicht ungelegen: Die Reaktion der Botschaft zeige, dass in seinem Magazin auch Platz für Kritik an China sei.

Illustration: Till Lauer

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