Briefing aus Bern

Ein paar Milliarden, ein Provokateur, ein Abkommen – und Bussen im Kinder­garten

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (44).

Von Andrea Arezina, Dennis Bühler und Mark Dittli, 14.02.2019

Teilen9 Beiträge9

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

Der Politologe Claude Longchamp sagte jüngst im «Sonntags­Blick»: «Noch nie hat der Wahlkampf so früh begonnen

Für die FDP mag das zutreffen. Sie schulte ihre Leute Anfang Februar darin, Wählerinnen und Wähler an deren Haustür von sich zu überzeugen.

Den anderen drei Bundesrats­parteien hingegen blieb bislang kaum Zeit für Wahlkampf: Sie mussten Schlüssel­positionen mit neuem Personal besetzen. Bei der SP und der CVP haben erfahrene Mitarbeiter die Generalsekretariate verlassen; und die SVP tat sich bei der Suche nach einem Wahlkampf­leiter für die Romandie schwer (dazu weiter unten mehr).

Die grösste Oppositions­partei, die Grünen, hat das Wahljahr im Januar mit der Verabschiedung eines neuen Legislatur­programmes lanciert. Doch das ist keine Besonderheit des Wahlkampfes 2019, sondern seit langem die Regel – Gleiches tat Anfang Jahr beispielsweise auch die SVP. Und ohnehin: Partei­programme werden kaum darüber entscheiden, wer im Herbst die National- und Ständerats­wahlen gewinnen wird.

Viel wichtiger ist die Mobilisierung der Wählerschaft – und da sind vor allem die Sektionen der Parteien gefordert. Nicht ohne Grund besagt ein Bonmot, nationale Wahlen würden in den Kantonen entschieden. Zumindest in fünf Kantonen denkt man vorerst an etwas anderes: In Appenzell Ausserrhoden, Baselland, Luzern, Zürich und im Tessin gilt es in den kommenden Monaten, die Kantonsrats­wahlen erfolgreich über die Bühne zu bringen. Sie werden ein erster Gradmesser für den Formstand der Parteien sein.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Verschätzt – um Milliarden

Worum es geht: um viel Geld. Die Staatsrechnung schliesst mit knapp 3 Milliarden Franken Überschuss, rund 2,7 Milliarden Franken mehr als budgetiert. Das bringt Finanz­minister Ueli Maurer (SVP) in Erklärungsnot. Prognostiziert wurde nämlich ein erheblich tieferer Betrag: ein Plus von 294 Millionen Franken.

Was Sie wissen müssen: Der Überschuss bei der Staatsrechnung bildet keine Ausnahme. Schon in den letzten Jahren waren weniger Einnahmen prognostiziert worden, als dann tatsächlich verzeichnet wurden. Das liegt unter anderem am Mechanismus der 2003 eingeführten Schuldenbremse: Ihretwegen dürfen die Ausgaben über einen Konjunktur­zyklus hinweg nicht höher sein als die Einnahmen. Das heisst: Die Finanz­verwaltung muss für das kommende Jahr jeweils Schätzungen machen. Das scheint nicht gerade ihre Königs­disziplin zu sein. Die grösste Abweichung gab es aktuell bei der Verrechnungssteuer, wo 1,6 Milliarden Franken mehr eingenommen wurden als erwartet. Zur Verteidigung der Finanz­verwaltung muss aber gesagt werden: Präzise Prognosen sind hier schwierig, weil grosse Unter­nehmen die Rückerstattung der Verrechnungs­steuer hinauszögern, um auf das Geld keine Zinsen zahlen zu müssen.

Wie es weitergeht: Der Bund wird das Geld gut gebrauchen können. Beispielsweise für die erwarteten Mehr­ausgaben, sollte die Steuer-AHV-Vorlage im Mai angenommen werden, oder auch für die Umsetzung der Energiewende.

Provokateur wird Wahlkampfleiter

Worum es geht: Im Frühling 2017 zog sich Oskar Freysinger aus der Öffentlichkeit zurück, nachdem er aus der Walliser Kantons­regierung abgewählt worden war. Nun ist das Enfant terrible zurück in der Politik: Der 58-Jährige orchestriert den Wahlkampf der SVP in der Romandie.

Was Sie wissen müssen: In der Deutsch­schweiz ist die SVP viel erfolgreicher als ennet des Röstigrabens. Kam sie hier bei den letzten nationalen Wahlen 2015 auf einen rekordhohen Wähler­anteil von 32,9 Prozent, erreichte sie in der Romandie lediglich 21 Prozent. Die Ernennung Freysingers zum Wahlkampf­leiter offenbart eines der Haupt­probleme der UDC, wie die SVP im französischsprachigen Raum heisst: Sie verfügt bloss über sehr wenige Aushänge­schilder. Nicht aus Überzeugung, sondern notgedrungen setzt sie nun auf abgehalfterte Politiker wie Freysinger und Yvan Perrin.

Wie es weitergeht: Freysinger kennt sowohl inhaltlich als auch in seiner Tonalität keine Berührungs­ängste gegenüber ganz rechts. Man dürfe sich im anstehenden Wahlkampf auf den politischen Zweihänder gefasst machen, verkündete er diese Woche entsprechend. «Jetzt ist fertig Weichspüler-SVP (…), Schluss mit politischer Korrektheit.» Ob Freysinger mit diesem Kurs Erfolg haben wird? Eher nicht. Politologe Georg Lutz jedenfalls analysierte schon 2016, die SVP habe in der Romandie kein Problem mit der Mobilisierung, sondern schlicht ein geringeres Wähler­potenzial als in der Deutsch­schweiz. «Neue Wähler gibt es nur in der Mitte. Die Linke hat den linken Rand im Griff, die SVP den rechten. Wenn die Partei Mitte-rechts besser mobilisieren und ihre Wählerbasis verbreitern wollte, müsste sie moderatere Töne anschlagen.» Das ist noch immer zutreffend. Doch dafür ist Freysinger mit Sicherheit der falsche Mann.

Schweiz rüstet sich für den Brexit

Worum es geht: Die Schweiz und das Vereinigte Königreich haben ein Handels­abkommen unterzeichnet. Der britische Handels­minister Liam Fox traf am Montag seinen Schweizer Amts­kollegen, Bundesrat Guy Parmelin, in Bern. Fox schwärmte, dies sei ein «unglaublich wichtiger Tag».

Was Sie wissen müssen: Bern und London hatten sich im Dezember auf das Abkommen geeinigt, am Montag folgte die offizielle Unterzeichnung. Der Vertrag ist primär eine Versicherungs­police: Er soll das Wirtschafts­verhältnis zwischen den beiden Staaten regeln, falls es Ende März wegen des Brexit zu einem chaotischen Austritt Gross­britanniens aus der EU kommen sollte. Das soeben unterzeichnete Handels­abkommen kopiert weitgehend die Regeln in Kategorien wie Freihandel, Beschaffungs­wesen und Land­wirtschaft, die heute zwischen der Schweiz und den EU-Mitgliedern gelten. Die für die Schweiz wichtigsten Güter­ströme, zum Beispiel im Bereich Pharma, sind mit dem Abkommen abgesichert. Einige Produktkategorien aus der Maschinenindustrie sind im Vertragswerk allerdings vorläufig nicht geregelt. Beim führenden Verband der Schweizer Maschinen­industrie Swissmem ist man jedoch zuversichtlich, dass auch hier eine gute Lösung gefunden werden wird.

Wie es weitergeht: Falls London und Brüssel doch noch einen Deal für einen geordneten Austritt schliessen, gelten auch für das Verhältnis zwischen der Schweiz und Gross­britannien die vorgesehenen Übergangs­fristen bis Ende 2020. Erst anschliessend würden die Bestimmungen des neuen Handels­abkommens in Kraft treten.

Thurgauer wollen Bussgelder im Kindergarten

Worum es geht: Spricht ein Kind im Kindergarten schlecht Deutsch, sollen seine Eltern dafür gebüsst werden können. Das fordert eine grosse Mehrheit im Thurgauer Kantonsrat per Motion.

Was Sie wissen müssen: Die Forderung ist nicht ganz neu. Bereits 2015 beschloss das Thurgauer Parlament: Eltern, deren Kinder noch keine Landes­sprache sprechen, sollen den Deutsch­unterricht ihres Nachwuchses mitfinanzieren müssen. Vier Privat­personen klagten und bekamen vor Bundesgericht recht – der Volksschul­unterricht muss unentgeltlich bleiben. Das Ganze hatte eine unbeabsichtigte Neben­wirkung: Nach dem Entscheid des höchsten Schweizer Gerichts mussten die Eltern auch für Schullager nicht mehr bezahlen. Die treibende Kraft im Thurgau, SVP-Kantonsrat Urs Schrepfer, fühlte sich missverstanden. Er habe einzig die Sprach­defizite der Kinder beheben wollen, sagt er heute, das Ziel sei nicht gewesen, die Finanzierung der Schullager zu gefährden. Gemeinsam mit Kollegen unternahm Schrepfer einen zweiten Versuch: Sie wollen die Bundes­verfassung so abschwächen, dass Eltern, die sich zu wenig um die sprachliche Integration kümmern, zur Kasse gebeten werden können. Diese Eltern sollen künftig für den Deutsch­unterricht ihres Nachwuchses oder für die Anwesenheit von Dolmetschern bei Eltern­gesprächen bezahlen müssen. Das Kantons­parlament stimmte dem Vorstoss nun zu.

Wie es weitergeht: Jetzt ist der Thurgauer Regierungsrat gefordert. Er soll eine sogenannte Standes­initiative ausarbeiten, verlangt eine grosse Mehrheit der Kantons­rätinnen und Kantonsräte. Mit Standes­initiativen können Kantone Einfluss auf die Bundes­verfassung nehmen. Wenn National- und Ständerat die Standes­initiative annehmen, folgt eine Volks­abstimmung. Bis dahin dürfte es aber noch mehrere Jahre dauern – wenn es denn überhaupt je so weit kommt.

Debatte zum Briefing aus Bern

Wo sollen wir nachhaken? Wie beurteilen Sie unsere Arbeit? Hier geht es zur Debatte.

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!