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Eine Leerstelle, eine Liebeserklärung und Neues vom Baukartell

12.05.2018

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Ladies and Gentlemen

Eigentlich sind wir es als Journalisten gewohnt, dass unsere Arbeit so viel bewirkt wie der Kaffee und die Zigarette dazu: einen milden Wirbel in Ihrem Kopf. (Quasi als milde, im besten Fall anregende Vergiftung.)

Aber sonst? Nichts.

Das ist manchmal hart. Man sitzt öfter Leuten gegenüber, die ihre Hoffnung in einen setzen – auf Gerechtigkeit, auf den Verkauf eines Produkts oder einer Idee oder auch auf ein Fitzelchen persönliche Ewigkeit.

Und man weiss: Man kann nichts bieten als diesen winzigen Wirbel – im stillen Ozean des Vergessens.

Zu unserer Überraschung lief es bei der Baukartell-Geschichte anders. Offen gesagt haben wir noch nie eine Geschichte gesehen, die auf derart verschiedenen Ebenen Wirkung hatte.

Hier ein kleines Update der Neuigkeiten:

• Ein erster Rücktritt: Vor bereits zwei Wochen trat der Regierungsratskandidat der BDP, Andreas Felix, von seiner Kandidatur zurück. Er war als Geschäftsleiter des Baumeisterverbands nicht mehr haltbar.

• Ein Antritt: Der Liedermacher Linard Bardill ist neu parteiloser Kandidat für die Regierung. Aus dem Ärger heraus, dass von den verbliebenen Kandidaten weiterhin mehrere im Baukartell-Sumpf stecken.

• Ein Minirücktritt: Der Bündner Ständerat Stefan Engler trat von seinem Nebenjob als Verwaltungsratspräsident der Baufirma Lazzarini AG zurück. Diese hatte von der Weko die zweithöchste Strafe wegen der Absprachen erhalten.

• Der Grosse Rat setzte eine Untersuchungskommission zur Durchleuchtung des Baukartell-Skandals ein – die erste PUK, seit der Kanton Graubünden existiert.

• FDP-Regierungsratskandidat Christian Rathgeb reichte wegen des Sonderkommando-Polizeieinsatzes gegen den Zeugen Adam Quadroni Strafanzeige gegen unbekannt ein. Die Untersuchung wird von auswärts geleitet, durch den ehemaligen leitenden Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich Andreas Brunner.

• Damit bringt Rathgeb den Bündner Polizeichef Walter Schlegel in die Bredouille – pikanterweise ist dieser vielleicht bald Rathgebs Kollege: Er ist Regierungsratskandidat der SVP. (Zur Hebung seines Images veröffentlichte Schlegel danach einen Dankesbrief an ihn durch einen im Baukartell-Fall völlig unverdächtigen Politiker: Donald Trump.)

• In der «Südostschweiz» schrieben der Verleger Hanspeter Lebrument und der CEO Andrea Masüger eine Breitseite gegen die Ermittlungen der Wettbewerbskommission und die Recherchen der Republik. Und bekamen von der Presse Gegenfeuer: «Wie Verleger den Journalismus aufgeben».

• Die «Rundschau» berichtete über das Baukartell und den Fall Quadroni. Und bringt mit einer neuen Information den BDP-Regierungsrat Jon Domenic Parolini in Verlegenheit. Dieser war 2009 als Gemeindepräsident von Quadroni über das Baukartell aufgeklärt worden. Und behauptete später, dessen Beweise hätten nicht dazu ausgereicht, irgendwelche Massnahmen zu treffen. Die «Rundschau» enthüllte, dass Parolini nach Quadronis Besuch doch welche traf: Er rief die Bauunternehmer an, um ihnen zu sagen, sie sollten das Spielchen in Scuol nicht versuchen.

• Ebenfalls in Verlegenheit bringt Parolini das rätoromanische Magazin «Cuntrasts»: weil es ermittelte, dass Parolini die erste Aktennotiz erst 2012 machte – nachträglich, als die Weko bereits informiert war.

• Nach dem «Rundschau»-Bericht sprach Moderator Sandro Brotz mit dem Bündner CVP-Regierungsrat Mario Cavigelli. Dieser zog es vor, lieber tausend Aktenordnersätze zu äussern, als dem Zeugen Quadroni sein Bedauern auszusprechen. (Und bekam in einer Umfrage der «Südostschweiz» keine schmeichelhaften Noten.)

• Die Republik machte seit der Baukartell-Serie rund 800 Abonnenten vorwärts und hat nun rund 21’000 zahlende Leserinnen. (Gut, das ist eine profane Geschäftsnachricht, aber Sie als Verlegerinnen interessieren sich vielleicht dafür.)

Aber alles Obige ist weniger überraschend als die nächste Nachricht:

Der Student Natanael Wildermuth begann nach der Lektüre der Republik ein Crowdfunding zur Unterstützung des Whistleblowers Adam Quadroni. Dieses brach die bisherigen Rekorde von Wemakeit, der grössten Crowdfunding-Seite der Schweiz. Innert acht Tagen spendeten knapp 1200 Leute über 130’000 Franken.

Die Story ist die folgende: Wildermuth las die Baukartell-Serie in der Republik. Er war berührt – vom Schicksal Quadronis. Aber auch, weil er seine Zukunft ebenfalls in der Baubranche plant: Er ist Holzbau-Fachingenieur-Student in Bern und hat das Ziel, Unternehmer zu werden. Er rief Quadroni an und löcherte ihn mit Fragen – und war mit den Antworten zufrieden. Er beschloss, Geld für Quadronis Gerichtsprozesse zu sammeln. Um halb zehn Uhr abends rief er Alt-Bundesrichter Giusep Nay an, der im Republik-Forum geschrieben hatte, man müsse Quadroni auch mit Taten unterstützen. Nay war erfreut und übernahm die Aufsicht über die Verwendung der Gelder.

Wildermuth kontaktierte Freunde, befragte Experten – er hatte erfreulicherweise gerade zwei Wochen Ferien – und setzte mit Nay als Ghostwriter das Crowdfunding auf. Dieses wurde vorletzten Freitag aufgeschaltet. Darauf brach eine Welle von grösseren Spenden und freundlichen Mails aus der ganzen Schweiz los. (Jemand spendete sogar aus Hongkong.) Innerhalb von einer Woche waren die Rekorde der Crowdfunding-Seite gebrochen.

Um ehrlich zu sein: Hier auf der Redaktion sind wir verblüfft, gerührt, erneut verblüfft. Weil, wie gesagt: Artikel verändern im Leben sonst nur so viel wie ein Wirbel Zigarettenrauch.

Also: Falls Sie dabei waren beim Quadroni-Crowdfunding – unsere verblüffte, gerührte, erneut verblüffte Hochachtung! Falls Sie nicht dabei waren, haben Sie noch zwanzig Tage Gelegenheit dafür: Sie finden das Crowdfunding hier.

Und falls Sie weitere Neuigkeiten interessieren: Wir recherchieren weiter. Bleiben Sie uns noch einige Wochen treu. Es ist – leider – noch längst nicht alles gesagt.

Damit zum Tagesgeschäft:

Daniel Binswanger zeigt, dass Oscar Wildes Satz «Ein Zyniker ist ein Mensch, der von jedem Ding den Preis und von keinem den Wert kennt» nicht nur auf Zyniker, sondern die ganze Volkswirtschaftslehre zutrifft: Die Ökonomen schaffen es nicht mehr, zwischen solider Wert- und parasitärer Wertabschöpfung zu unterscheiden. Diese winzige Leerstelle in der Theorie hat verblüffend konkrete Auswirkungen.

Dominic Nahr befindet sich gerade in Deutschland, genauer: in Hannover. Eine Liebeserklärung an eine auffällig unauffällige Stadt.

Und damit zum Besten der Woche:

• Sieglinde Geisel interviewte den Schriftsteller Peter Bichsel. Dieser warnt vor dem Lesen, danach noch mehr vor dem Schreiben – und gibt trotzdem die klügste Definition dieses nicht zu empfehlenden Berufs: «Schreiben hat mit Können nichts zu tun, es ist ein andauerndes Umgehen mit dem Nicht-Können.»

• Unser Wirtschaftsredaktor Simon Schmid hat vielleicht ein kleines Genre erfunden. Er schrieb gleichzeitig zwei Artikel zur Vollgeld-Initiative: einen für Dummies. Und einen für Nerds.

• Mona Fahmy brachte den dritten Teil ihrer grossen Serie zur Wahl im Libanon: die Gewinner. Und die Verlierer. (Der grösste Erfolg bleibt allerdings: Alle Kandidaten haben bis jetzt überlebt.)

So. Damit bleibt uns nichts mehr zu sagen, als dass Sie uns als Publikum verblüfft haben. So wie einige unserer Artikel auch.

Ihre Crew von der Republik

www.republik.ch

PS: Hajo Seppelt ist einer der besten Dopingrechercheure weltweit. Das heisst auch: einer der Hartnäckigsten. Das macht ihn unbeliebt, besonders in Russland. Gestern wurde dem ARD-Journalisten die Einreiseerlaubnis für die Fussball-WM in Russland entzogen. Seppelt stehe, so die offizielle Begründung, auf einer Liste mit «unerwünschten Personen». Nähere Auskünfte würden nicht gegeben.

Wenn Sie nähere Auskünfte wünschen, lesen Sie Ariel Hauptmeiers Porträt von Hajo Seppelt. Und noch direkter geht es am 4. Juni, genau zehn Tage vor WM-Start: Dann lädt die Republik zur Podiumsdiskussion über Sportpolitik mit Seppelt, Grit Hartmann (Journalistin) und Matthias Kamber (unabhängiger Experte und ehemaliger Direktor von Antidoping Schweiz). Moderator ist Mikael Krogerus («Das Magazin» und «No. 1»). Anmelden können Sie sich hier, und wir können Ihnen versprechen: Seppelt wird der Zutritt zum Letzigrund nicht verweigert.

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