Schweiz soll Sanktionen gegen Russland endlich ernst nehmen, neue Regeln für Grossbank(en) – und harsche Kritik an Cassis
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (273).
Von Dennis Bühler und Basil Schöni, 11.04.2024
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Es waren deutliche Worte, die Scott Miller, US-Botschafter in der Schweiz, vor einem Jahr gegenüber der NZZ wählte. Man habe zur Kenntnis genommen, dass die Schweiz 7,75 Milliarden Franken russisches Vermögen eingefroren habe. Doch sie könnte auch 50 bis 100 Milliarden mehr blockieren. «Sanktionen sind nur so stark wie der politische Wille dahinter», sagte Miller.
Es war nur ein Beispiel dafür, wie das befreundete Ausland vergangenes Jahr Druck auf die Schweiz ausübte. Im April 2023 schrieben die Botschafter der G-7-Staaten und jener der EU einen Brief an die Schweiz. Sie wurden noch konkreter als der US-Botschafter: Man sei besorgt über Schlupflöcher in den Schweizer Gesetzen, die Sanktionsumgehungen ermöglichten. Und man fordere die Schweiz auf, der internationalen Taskforce Repo beizutreten, die von den G-7-Staaten, der EU und Australien kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gegründet wurde. Damit sollten die Sanktionen gegen Russland koordiniert werden.
Dass das Ausland die Schweiz in der Taskforce haben will, erstaunt nicht. Als weltweit wichtigster Handelsplatz für russische Rohstoffe hätte die Schweiz einen wichtigen Hebel gegen die russische Wirtschaft in der Hand. Doch die hiesige Sanktionspolitik ist durchzogen von Schlupflöchern – und wird verantwortet von einer zögerlichen Behörde.
Die Schweiz soll international besser kooperieren, das fand auch die grüne Nationalrätin Franziska Ryser. Sie forderte in einer Motion den Beitritt der Schweiz zur Repo-Taskforce. Die zuständige Kommission der grossen Kammer stimmte dem Vorhaben dieser Tage knapp zu. Als Nächstes wird sich das Plenum des Nationalrats damit befassen.
Doch da könnte es in die andere Richtung gehen. Wie die NZZ berichtete, weibelt die Generalsekretärin von Guy Parmelins Wirtschaftsdepartement gegen Rysers Motion, weil eine Annahme die Neutralität gefährden würde.
Spannend wird, wie sich das Ausland in dieser Sache verhält. Historisch gesehen bewegte sich die Schweiz nämlich immer wieder aufgrund des internationalen Drucks. Auch wenn sie anfangs unwillig war.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Too big to fail: Bundesrat präsentiert neue Regeln
Worum es geht: Ein gutes Jahr nach der staatlich unterstützten Übernahme der Credit Suisse durch die UBS hat der Bundesrat am Mittwoch die Ergebnisse einer Evaluation der Regulierung systemrelevanter Banken präsentiert. Insgesamt sieht er 22 Massnahmen vor, um eine neuerliche Grossbankenkrise zu verhindern. Die Wichtigsten: striktere Kapitalanforderungen, neue Kompetenzen für die Finanzmarktaufsicht (Finma) und staatlich abgesicherte Liquiditätshilfen. Andere Ideen hat der Bundesrat verworfen – etwa die Zwangsaufspaltung der systemrelevanten Banken, Bonusdeckel oder die Ausweitung des Einlegerschutzes. Zusammenfassend: Der Bundesrat will bloss sanfte Korrekturen am bisherigen Regelwerk. Wie die Tamedia-Zeitungen gestützt auf ein internes Dokument berichten, verlangten die Finma, die Nationalbank und das Staatssekretariat für Wirtschaft deutlich schärfere Regeln für die UBS, als sie der Bundesrat nun beschlossen hat.
Warum das wichtig ist: Seit der globalen Finanzkrise vor 15 Jahren hat kein Ereignis den Schweizer Finanzplatz so erschüttert wie der Untergang der CS im März 2023. Der Bericht der Landesregierung soll nun aufzeigen, was es braucht, damit sich Vergleichbares nicht wiederholt – zumal das Klumpenrisiko mit der Megabank UBS noch einmal grösser geworden ist. Allerdings sollen fast alle neuen Massnahmen nicht nur für die global operierende UBS gelten, sondern auch für die inlandorientierten Finanzinstitute Raiffeisen, Zürcher Kantonalbank und Postfinance. In ersten Stellungnahmen von Fachleuten und Parteien überwiegt die Kritik. Die NZZ bezeichnet den Krisenplan als «Flickwerk», während das Finanzportal «Tippinpoint» betont, die UBS werde mit den neuen Regeln gut leben können. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth tituliert Finanzministerin Keller-Sutter in einem Communiqué als UBS-Lobbyistin.
Wie es weitergeht: Im Sommer wird der Bericht der Wettbewerbskommission zur Übernahme der Credit Suisse veröffentlicht, Ende Jahr jener der parlamentarischen Untersuchungskommission PUK. Danach will der Bundesrat zwei Pakete zur Umsetzung der neuen Too-big-to-fail-Regulierung präsentieren: Eines wird Änderungen umfassen, die die Regierung eigenmächtig umsetzen kann, das andere Vorschläge für Änderungen auf Gesetzesebene, die vom Parlament beschlossen werden müssen. Angesichts der Machtverhältnisse in der Legislative droht dann eine weitere Verwässerung der Regeln.
Ukraine- und Entwicklungshilfe: Cassis in der Kritik
Worum es geht: Der Bundesrat will 5 Milliarden Franken an den Wiederaufbau der Ukraine zahlen. Das hat er am Mittwoch entschieden. In einem ersten Schritt, nämlich bis 2028, sollen dafür 1,5 Milliarden Franken aus dem Budget des Bundes für die Internationale Zusammenarbeit (IZA) aufgewendet werden.
Warum das wichtig ist: Aussenminister Ignazio Cassis, der für die Ukraine-Hilfe des Bundes verantwortlich ist, steht wegen dieses Geschäfts seit Wochen in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, er setze sich zu wenig dafür ein, dass das IZA-Budget unangetastet bleibt und die Ukraine-Hilfe über einen Spezialfonds finanziert wird. So kritisierte die Organisation Alliance Sud, der Entscheid des Bundesrats «zerstöre die bewährte Entwicklungszusammenarbeit». Die SP wiederum schrieb von einem «desaströsen» Beschluss der Regierung. Bereits heute gibt die Schweiz weit weniger Geld für die Entwicklungszusammenarbeit aus, als die Uno als Ziel vorgibt. Gemäss diesem sollen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit fliessen.
Wie es weitergeht: Cassis wird von der SP und von Nichtregierungsorganisationen weiterhin kritisiert werden. Das dürfte ihm allerdings egal sein, da er anscheinend entschieden hat, sich bei seiner alle vier Jahre anstehenden Wiederwahl ganz auf die Unterstützung von FDP und SVP zu verlassen.
Wohnungsnot: Die Macht der Immobilienbesitzer
Worum es geht: Der Mieterverband warnt vor der Annahme zweier parlamentarischer Initiativen, die der Präsident des Hauseigentümerverbandes, Hans Egloff, als SVP-Nationalrat eingereicht hatte. Die FDP plädiert für ein bis zwei Etagen höhere Gebäude in den Städten. Und eine Recherche von «Watson» zeigt, wie sich SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin den kürzlich vorgestellten «Aktionsplan Wohnungsknappheit» von der Baulobby diktieren liess.
Warum das wichtig ist: Auf dem Wohnungsmarkt läuft seit Jahren vieles schief. Doch was muss getan werden, um dieser Entwicklung entgegenzutreten? Bei dieser Frage gehen die Antworten in der Schweizer Politik weit auseinander. Während SP-Nationalrätin Jacqueline Badran im Republik-Interview die Abzockermentalität vieler Vermieter kritisierte, kommt das Parlament in schöner Regelmässigkeit nicht den Mieterinnen, sondern den Immobilienbesitzern entgegen. So endete am Mittwoch die Vernehmlassungsfrist zu Egloffs Vorstössen: «Anfechtung des Anfangsmietzinses nur bei Notlage des Mieters», heisst die eine, «Beweisbare Kriterien für die Orts- und Quartierüblichkeit der Mieten schaffen» die andere. Der Hauseigentümerverband unterstützt die Vorstösse euphorisch, der Mieterverband bezeichnet sie als «hochgefährlich». Die «Watson»-Recherche zeigt, wie ungleich die Macht der beiden Interessenverbände verteilt ist: Interne Dokumente, die die Redaktion gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhielt, zeigen, dass das Departement von Bundesrat Parmelin bei den Arbeiten für den im Februar vorgestellten «Aktionsplan Wohnungsknappheit» schon bei der Zusammenstellung der Einladungsliste für den «runden Tisch» systematisch die Immobilienbranche bevorzugte – und ihr danach fast jeden Wunsch erfüllte.
Wie es weitergeht: Als Nächstes wird die Stimmbevölkerung über die vom Parlament beschlossene erleichterte Kündigung bei Untermiete und bei Eigenbedarf befinden. Gegen beide Beschlüsse hatte der Mieterverband das Referendum ergriffen und problemlos genügend Unterschriften gesammelt. Zur Abstimmung kommt es voraussichtlich im Herbst.
Geschäftsidee der Woche
«Härteste Sozialvorsteherin der Schweiz»: Martina Bircher lässt keine Gelegenheit aus, ihrem Ruf alle Ehre zu machen. Dies bewies die SVP-Nationalrätin und Vize-Stadtpräsidentin von Aarburg (AG) dieser Tage bei einem Spaziergang mit einem Redaktor der «NZZ am Sonntag». Sie zeigte ihm, welche Brennpunkte ihre Gemeinde zum «Gegenteil der heilen Dörflischweiz» machten – und pries ihre eigenen Erfolge: Habe die Sozialhilfequote 2017 noch mehr als 6 Prozent betragen, sei sie inzwischen auf 1,9 Prozent gesunken; im gleichen Zeitraum habe sie die Kosten von 5,5 auf unter 3 Millionen Franken gedrückt. Geht es nach Bircher, soll ihr radikaler Sparkurs nun schweizweit Schule machen: Mit ihrem Start-up Bircher Consulting will sie anderen Kommunen helfen, die Sozialhilfekosten zu senken. Nicht gratis und franko, versteht sich, sondern gegen Bezahlung. Geld aus dem Sozialhilfebudget anderer Gemeinden für die eigene Tasche statt für die Ärmsten: welch gewiefte Geschäftsidee!
Illustration: Till Lauer