Das Ausland sanktioniert, die Schweiz schaut weg
Die internationale Kritik an den Schweizer Russland-Sanktionen lässt nicht nach. Zu Recht: Noch immer können russische Oligarchen zahlreiche Schlupflöcher nutzen.
Von Basil Schöni, 06.07.2023
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Menschen töten ist teuer. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine gibt Russland jeden Monat rund fünfeinhalb Milliarden Dollar für sein Militär aus. Doch der russische Staat ist reich. Er kann sich das Töten leisten.
Wer an der Spitze eines Staates steht und weit weg von den Schlachtfeldern bleibt, für den ist Krieg eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein Weg, diese Rechnung kaputtzumachen, sind Sanktionen. Das Töten teurer machen, um es zu stoppen.
Schon bevor Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, hatten die EU und die USA ihre ersten Sanktionen verhängt. Rund eine Woche nach dem Einmarsch übernahm die Schweiz das Gesamtpaket der Massnahmen der EU.
Doch mit der Übernahme ist es nicht getan. Sanktionen müssen auch durchgesetzt werden. Und genau da bemühe sich die Schweiz viel zu wenig, findet das befreundete Ausland. Es erhöhte den Druck in den letzten Monaten so weit, dass selbst Diplomatinnen undiplomatisch wurden.
Im letzten März griff der US-Botschafter in einem Interview mit der NZZ das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) frontal an. Auf die Frage, ob die Behörde genug tue, um die Sanktionen durchzusetzen, sagte er: «Vor allem das Seco selber glaubt, es tue genug. Aber das ist nicht erstaunlich in einem Land, das historisch wenig operative Erfahrungen mit Sanktionen hat.»
Und weiter: «Ich hoffe sehr, dass sich die Seco-Staatssekretärin Helene Budliger Artieda weiterhin in aller Sorgfalt mit diesem Dossier auseinandersetzt. Gewisse ihrer Kommentare beunruhigen mich allerdings etwas, weil sie den Nutzen von Sanktionen infrage stellt.»
Bereits vorher hatten die USA ihren Druck auf die Schweiz erhöht, wie Recherchen der Republik nun zeigen. Sie beschäftigen seit Januar 2023 einen Treasury attaché in ihrem diplomatischen Korps in der Schweiz. Das bestätigt die amerikanische Botschaft in Bern auf Anfrage. Solche Attachés seien unter anderem damit beauftragt, wichtige Informationen über verbotene Finanzaktivitäten an das Gastgeberland zu vermitteln und die Interessen der USA in Fragen der nationalen Sicherheit und der globalen Wirtschaftspolitik voranzutreiben.
Ein vorläufiger Höhepunkt wurde Anfang April erreicht, als die Botschafter der G-7-Staaten und jener der EU einen Brief an die Schweiz schrieben. Darin verlangten sie, gegen Anwälte vorzugehen, die unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses Firmenstrukturen zur Verschleierung der Herkunft von Geldern aufbauen. Ausserdem forderten sie, die Schweiz solle der internationalen Taskforce «Repo» (Russian elites, proxies, and oligarchs) beitreten, um den Informationsfluss zu verbessern und Vermögenswerte besser identifizieren, sperren und beschlagnahmen zu können.
Wie das Seco mitteilt, fand knapp zwei Wochen nach dem G-7-Brief ein Treffen der Seco-Chefin Helene Budliger Artieda mit dem US-Sanktionsverantwortlichen Brian Nelson statt. Der Repo-Taskforce beizutreten, lehnt die Schweiz aber nach wie vor ab.
Die Kritik am Schweizer Sanktionsregime ist deutlich. Und sie kommt nicht von ungefähr. Zwar übernimmt die Schweiz von der EU jeweils die Liste der sanktionierten Personen und Unternehmen sowie die generellen Massnahmen wie den Preisdeckel für Erdölprodukte. Doch bei der Umsetzung weicht sie immer wieder von der EU ab. Und öffnet damit Schlupflöcher im Sanktionsregime.
1. Die Schweiz schaut nicht über den Tellerrand
Das beginnt bereits bei der Frage, von wem die Schweiz überhaupt Sanktionen übernimmt. Das Embargogesetz erlaubt es, Sanktionen der Uno, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder von den wichtigsten Handelspartnern zu übernehmen. In der Praxis werden aktuell aber nur die Massnahmen der EU gegen Russland übernommen.
Gerade was den wichtigen Rohstoffsektor betrifft, greift das allerdings zu kurz. Mit Vitol, Trafigura, Glencore, Gunvor und Mercuria haben die fünf umsatzstärksten Rohstoffhändler der Welt wichtige Handelsbüros in Genf und Zug. Damit spielt der Schweizer Rohstoffhandelsplatz in einer ganz anderen Liga als jener der EU.
Das weiss auch Elisabeth Bürgi Bonanomi, die am Centre for Development and Environment der Universität Bern den globalen Rohstoffhandel untersuchte. Die Schweiz sei hier vielmehr mit den USA zu vergleichen. «Man sollte analysieren, inwiefern die US-Sanktionen auch den Rohstoffhandel betreffen, und gegebenenfalls diese Massnahmen übernehmen. Der alleinige Fokus auf die EU reicht nicht aus.»
Die Schweiz scheint jedoch generell nicht sehr gewillt, vom Ausland zu lernen. Die Repo-Taskforce der G-7-Staaten, der EU und Australiens (der die Schweiz trotz mehrfacher Aufforderung nicht beitreten will) kümmert sich darum, die gemeinsamen Sanktionen durchzusetzen. In einem Dokument über Techniken der Sanktionsumgehung schreibt sie: «Vermögenstransfers an Familienmitglieder oder nahe Partner geschehen manchmal in der Zeit unmittelbar vor einer Sanktionierung oder kurz danach. Das kann auf einen Umgehungsversuch durch die sanktionierte Person und den Akteur, der den Transfer vermittelt hat, hindeuten.»
2. Die Schweiz lässt sich (und den Sanktionierten) Zeit
Es wäre also entscheidend, dass Sanktionen ohne Vorlaufzeit eingeführt und dann so schnell wie möglich umgesetzt werden. Passivität unmittelbar vor und nach einer neuen Massnahme ermöglicht es sanktionierten Personen, ihre Vermögenswerte in Sicherheit zu bringen.
Hier klafft die nächste Lücke im Schweizer Sanktionsregime. Jedes Mal, wenn die EU ein neues Sanktionspaket beschliesst, vergehen rund fünf Tage, bis die Schweiz die aktualisierte Liste der sanktionierten Personen übernimmt. Daran ändert offenbar auch nichts, dass die Schweiz bereits seit letztem Jahr gelegentlich zu Sitzungen der EU-Taskforce «Freeze and Seize» eingeladen wird.
«Diese Verzögerungen sind eine Folge davon, dass die Schweiz international nicht kooperieren will», sagt dazu der Strafrechtsprofessor und Geldwäschereiexperte Mark Pieth. «Wenn man die neuen Sanktionen nur aus dem EU-Amtsblatt kennt und dann eine Woche braucht, um sie zu übernehmen, ist das betroffene Geld definitiv weg. Die Gangster lesen das EU-Amtsblatt auch.»
Die Republik hat beim Seco nachgefragt, ob es im Voraus über neue Sanktionen informiert werden will und ob es Bemühungen in diese Richtung unternommen habe. Das Seco schreibt dazu, dass man diese Frage mit der EU aufgenommen habe, als Nichtmitglied der EU aber nicht an den Diskussionen vor dem Erlass von Sanktionsmassnahmen teilnehmen könne.
Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte auf Anfrage, es sei an der Schweiz, auf Basis ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen zu beurteilen, ob sie die EU-Sanktionen ohne zeitliche Verzögerung übernehmen könne.
3. Die Schweiz macht schwammige Verordnungen
Wenn die EU also eine Massnahme ergriffen und die Schweiz sich ihre fünf Tage Zeit genommen hat, giesst die Regierung die neue Sanktion in einen Verordnungstext. Eine reine Formalität, könnte man meinen. Doch so einfach ist es nicht.
«Sanktionen sind viel einfacher umsetzbar, wenn Bestimmungen klar und einfach formuliert sind», sagt Elisabeth Bürgi Bonanomi. Die Regeln in der Sanktionsverordnung seien aber gerade nicht einfach verständlich. «Die Verordnung enthält viele Ausnahmebestimmungen und Details. Man versteht nicht auf Anhieb, wer genau betroffen ist. Beispielsweise, welche Tätigkeiten von Anwältinnen unter die Bestimmungen fallen.»
Das hat Folgen für die zweite kritische Phase, die Zeit direkt nachdem eine Massnahme eingeführt wurde. Das zeigte sich exemplarisch im März 2022. Es sei nicht klar, ob die Steuerverwaltungen unter die Meldepflicht gemäss der Sanktionsverordnung des Bundes fielen, sagte damals der Leiter des Rechtsdiensts der Bündner Steuerverwaltung gegenüber einem Reporterteam von SRF.
Erst am 1. April, vier Wochen nachdem die Verordnung in Kraft getreten war, publizierte das Seco ein Merkblatt, das den Kantonen klarmachen sollte, wie sie die Verordnung genau umzusetzen hatten.
4. Die Schweiz weiss nicht, wem was gehört
Doch auch ein Merkblatt reicht nicht. Damit eine Behörde die Sanktionen sinnvoll umsetzen kann, muss sie auch wissen, wer von einem Vermögenswert überhaupt profitiert, also wer der sogenannte wirtschaftlich Berechtigte ist. Die EU hat bereits 2015 ein Instrument eingeführt, das dies erleichtern soll. In einer Richtlinie verpflichtete sie ihre Mitgliedsstaaten, ein Register zu führen, in dem für jede Firma die wirtschaftlich Berechtigten einzutragen sind. Damit sind diese Daten zentral verfügbar und können effizient zur Ahndung von Geldwäscherei oder Sanktionsverstössen genutzt werden.
Die Schweiz hat kein solches Register. Wenn das Seco Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten braucht, muss es in jedem einzelnen Fall bei der betroffenen Firma selbst oder der involvierten Bank nachfragen.
«Ein Transparenzregister in der Schweiz ist überfällig», sagt dazu Geldwäschereiexperte Mark Pieth. «Die internationale Geldwäscherei-Taskforce Gafi empfiehlt das schon seit Jahren. Die EU hat es längst umgesetzt, wir sind mal wieder die Letzten.» Ein solches Register könnte nicht nur für die Behörden Transparenz darüber schaffen, wem ein Vermögenswert wirklich gehört. Auch Journalisten und die Zivilgesellschaft würden profitieren, wenn das Register denn öffentlich ist.
Lieber spät als nie, dachte sich wohl der Bundesrat im Oktober 2022 – nach sieben Monaten Russland-Sanktionen. Er beauftragte das Finanzdepartement, eine Gesetzesvorlage für ein Transparenzregister vorzulegen. Wenn es nach der Regierung geht, soll dieses aber nur Behörden zugänglich sein.
Im Rahmen derselben Vorlage will der Bundesrat zudem Anpassungen «etwa im Bereich Rechtsberufe» prüfen. Das könnte dem Geschäft der Anwälte und Treuhänderinnen einen Riegel vorschieben, die ihren Klienten helfen, über undurchsichtige Firmenstrukturen Gelder zu verstecken.
Wie das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen auf Anfrage mitteilte, wird die Gesetzesvorlage kommenden August in die Vernehmlassung geschickt. Bis das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt und ein Transparenzregister angelegt ist, dürfte es aber noch Jahre dauern. Für die Massnahmen gegen Russland wird das nicht mehr viel nützen.
5. Die Schweiz interessiert sich nur für die Schweiz
Schaut man sich die Schweizer Sanktionspraxis an, drängt sich schnell die Frage auf, ob dieses Land überhaupt gewillt ist, den Einfluss wahrzunehmen, den es eigentlich hätte. Das sieht man auch am Umgang mit sogenannt rechtlich unabhängigen Tochterunternehmen im Ausland.
Ein Beispiel: Im April berichtete die «Financial Times» über die Firma Open Mineral Ltd, die ihren Sitz in Abu Dhabi hat. Sie gehört zu hundert Prozent der Open Mineral AG, einer Firma aus dem Kanton Zug. Zwischen August des vergangenen und Januar dieses Jahres importierte die Tochterfirma laut dem Bericht russisches Gold im Wert von 44 Millionen Dollar nach Abu Dhabi.
Obwohl die Sanktionsverordnung seit August verbietet, mit russischem Gold zu handeln, betrachtet sich das Seco als nicht zuständig. Da es sich um eine rechtlich unabhängige Tochterfirma im Ausland handle, unterstehe diese nicht den Schweizer Sanktionen. Wann genau eine Tochtergesellschaft als «rechtlich unabhängig» gilt, konnte das Seco der «Financial Times» allerdings nicht sagen. Man entscheide von Fall zu Fall, es gebe keine generellen Richtlinien.
Dieses Territorialitätsprinzip zieht sich durch die ganze Schweizer Sanktionspraxis: Nur wer in der Schweiz sein Domizil hat, unterliegt den Massnahmen. Das gilt auch für Schweizer Bürgerinnen. Wenn diese im Ausland leben, betreffen die Sanktionen sie nicht.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Paramount Energy and Commodities DMCC, eine Firma mit Sitz in Dubai (die mutmasslich auch etwas mit einer gleichnamigen Firma aus Genf zu tun hat). Deren Direktor ist laut Recherchen der «Financial Times» Schweizer Staatsbürger. Doch weil er nicht in der Schweiz lebt, gilt die Sanktionsverordnung des Bundesrats für ihn nicht.
Dass das auch anders ginge, zeigen die EU und die USA. Deren Sanktionsverordnungen gelten für alle ihre Bürger – auch wenn sie im Ausland domiziliert sind. Die EU hat zudem eine generelle Nichtumgehungsklausel in ihr Sanktionsregime geschrieben, die ein Vorgehen wie jenes des Goldhändlers mit Tochterfirma in Abu Dhabi unter Strafe stellt.
Die Schweiz wählt derweil den Weg des kürzesten Hebels. Wo sie einen Grund findet, um nicht durchzugreifen, greift sie nicht durch – auch wenn sie könnte.
6. Die Schweiz lässt die Geldverstecker Geld verstecken
Und dann sind da noch die sogenannten Berater. Aus verschiedenen Leaks ist bekannt, dass Schweizer Treuhand- und Anwaltskanzleien sehr reichen Leuten helfen, ihre Vermögen über verschachtelte Firmenstrukturen zu verstecken.
Im Zusammenhang mit Russland wird das beispielsweise dem Luzerner Treuhänder Alexander Studhalter vorgeworfen. Er habe viel Geld für den mittlerweile sanktionierten Oligarchen Suleiman Kerimow gewaschen. In der Region Luzern habe er für derartige Geschäfte mindestens zwei Dutzend Strohleute rekrutiert. Im April belegten die USA Alexander Studhalter, dessen zwei Söhne und verschiedene seiner Firmen mit Sanktionen.
Die USA haben ihren Bürgerinnen (egal wo sie sich aufhalten) im Mai 2022 verboten, Trust- oder Firmengründungen für Personen in Russland durchzuführen. In der Schweiz ist das nach wie vor legal.
Dass diese Branche kaum reguliert wird, ist politisch gewollt. 2019 hatte der Bundesrat dem Parlament einen Gesetzesvorschlag für das neue Geldwäschereigesetz vorgelegt. Demnach wären Personen, die für Dritte Firmen oder Trusts gründen, verwalten oder führen, dem Gesetz unterstellt gewesen. Das Wort «Berater» kam im Änderungsvorschlag des Bundesrates 17-mal vor. Bei der Variante, die das Parlament 2021 schliesslich annahm, tauchte es kein einziges Mal mehr auf. Heute untersteht nur dem Geldwäschereigesetz, wer Geld auch tatsächlich «berührt». Reine Beratungstätigkeiten, wie sie auch die G-7 kritisiert, sind davon nicht betroffen.
Doch die Russland-Sanktionen stützen sich nicht primär auf das Geldwäschereigesetz, sondern auf das Embargogesetz und die zugehörige Sanktionsverordnung. In Artikel 16 der Verordnung steht: «Personen und Institutionen, die (…) von wirtschaftlichen Ressourcen wissen, von denen anzunehmen ist, dass sie unter die Sperrung (…) fallen, müssen dies dem Seco unverzüglich melden». Damit würden auch Berater, die für ihre Klientinnen Firmen gründen oder verwalten, der Meldepflicht unterstehen. Doch weil viele dieser Berater auch Anwälte sind, ist der Schweizerische Anwaltsverband der Meinung, dass das Anwaltsgeheimnis dies verbietet.
Der Republik sagte das Seco vergangenen Februar, dass diese Frage nur durch die Gerichte abschliessend geklärt werden könne. Ob ein solcher Fall überhaupt je vor ein Gericht kommen wird, ist aber zweifelhaft. Bis dahin haben Anwaltskanzleien, die in diesem Graubereich gute Geschäfte machen, kaum etwas zu befürchten.
Oft träge und noch öfter nicht willens
All diese Schweizer Eigenheiten haben zur Folge, dass schwer abzuschätzen ist, wie viel russisches Vermögen tatsächlich hierzulande liegt und wie viel davon unter die Sanktionen fallen müsste. Klar ist, dass die Schweiz bisher ein beliebter Standort für Geld und Firmen aus Russland war.
Die Schweizerische Bankiervereinigung schätzte im März 2022, dass russische Kunden rund 150 Milliarden Franken auf Schweizer Banken deponiert haben. Und die Schweizer Botschaft in Moskau sagte 2021, dass etwa 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels über die Schweiz abgewickelt werden.
Dass so viel russisches Geld in der Schweiz liegt, hat auch damit zu tun, dass dessen Eigentümer die Schweiz mögen. Die NGO Public Eye zählte im Mai letzten Jahres 32 Oligarchinnen mit Verbindungen in die Schweiz. Die meisten sind an Firmen beteiligt, die ihren Sitz hier im Land haben. Von einigen weiss man auch, dass sie (zumindest in der Vergangenheit) viel Geld bei Schweizer Banken hielten. Viele dieser Dinge sind nur dank Datenlecks wie den «Pandora Papers» oder den «FinCen Files» bekannt.
Auch Rohstofffirmen siedeln sich aus guten Gründen in der Schweiz an. «Der Rohstoffsektor ist sehr intransparent», erklärt Robert Bachmann von Public Eye. «Diese Firmen sind unter anderem in der Schweiz, weil ihnen hier wenig Fragen gestellt werden. Und umgekehrt gibt es ein politisches Interesse, dass das möglichst lange so bleibt. Darum ist die Schweiz sehr zurückhaltend bei der Regulierung dieser Branche.»
Von einigen Firmen und Personen weiss man also, dass sie in der Schweiz sitzen. Doch das ist bloss das Hellfeld, die Dunkelziffer ist gross. Wer viel Vermögen hat, weiss meist, wie man es vor neugierigen Augen versteckt. Über Briefkastenfirmen oder Drittpersonen wird verschleiert, wer tatsächlich die Kontrolle über eine Firma, ein Bankkonto oder einen anderen Vermögenswert hat.
Oft werden komplexe Verschachtelungen gebaut: Eine Person in Land A besitzt eine Firma in Land B, die wiederum eine Firma in Land C besitzt und so weiter. Wie das Recherchenetzwerk OCCRP berichtet, können solche Strukturen bis zu 23 Schichten enthalten. Das macht es extrem schwierig, zu bestimmen, wem ein Vermögenswert am Ende wirklich gehört.
Wie es weitergeht, ist unklar. Die Schweiz ist oft träge, noch öfter aber nicht willens, Finanzgeschäfte effektiv zu regulieren. Die grossen Sprünge der letzten Jahrzehnte machte sie kaum je freiwillig, sondern erst unter hohem internationalem Druck. Das war in den 1990er-Jahren bei den nachrichtenlosen Vermögen so. Und 2008/2009 beim Fall des Bankgeheimnisses.
So stark wie der Druck in den letzten Monaten zunahm, ist es gut möglich, dass sich die Schweiz bald wieder bewegen muss. Allzu sehr darüber reden mögen die Verantwortlichen freilich nicht. Auf den Vorwurf des US-Botschafters, dass die Seco-Chefin den Nutzen von Sanktionen infrage stelle, erwiderte diese im «Tages-Anzeiger»: «Scott Miller und ich verstehen uns bestens. Er interessiert sich sehr für das Schweizer System der Berufslehre.»
Nur finanzieren die Schweizer Berufslehren keinen Krieg in Osteuropa.