Das Ausland sanktioniert, die Schweiz schaut weg

Die internationale Kritik an den Schweizer Russland-Sanktionen lässt nicht nach. Zu Recht: Noch immer können russische Oligarchen zahlreiche Schlupf­löcher nutzen.

Von Basil Schöni, 06.07.2023

Vorgelesen von Patrick Venetz
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Menschen töten ist teuer. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine gibt Russland jeden Monat rund fünfeinhalb Milliarden Dollar für sein Militär aus. Doch der russische Staat ist reich. Er kann sich das Töten leisten.

Wer an der Spitze eines Staates steht und weit weg von den Schlacht­feldern bleibt, für den ist Krieg eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein Weg, diese Rechnung kaputt­zumachen, sind Sanktionen. Das Töten teurer machen, um es zu stoppen.

Schon bevor Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, hatten die EU und die USA ihre ersten Sanktionen verhängt. Rund eine Woche nach dem Einmarsch übernahm die Schweiz das Gesamt­paket der Massnahmen der EU.

Doch mit der Übernahme ist es nicht getan. Sanktionen müssen auch durch­gesetzt werden. Und genau da bemühe sich die Schweiz viel zu wenig, findet das befreundete Ausland. Es erhöhte den Druck in den letzten Monaten so weit, dass selbst Diplomatinnen undiplomatisch wurden.

Im letzten März griff der US-Botschafter in einem Interview mit der NZZ das Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) frontal an. Auf die Frage, ob die Behörde genug tue, um die Sanktionen durch­zusetzen, sagte er: «Vor allem das Seco selber glaubt, es tue genug. Aber das ist nicht erstaunlich in einem Land, das historisch wenig operative Erfahrungen mit Sanktionen hat.»

Und weiter: «Ich hoffe sehr, dass sich die Seco-Staats­sekretärin Helene Budliger Artieda weiterhin in aller Sorgfalt mit diesem Dossier auseinander­setzt. Gewisse ihrer Kommentare beunruhigen mich allerdings etwas, weil sie den Nutzen von Sanktionen infrage stellt.»

Bereits vorher hatten die USA ihren Druck auf die Schweiz erhöht, wie Recherchen der Republik nun zeigen. Sie beschäftigen seit Januar 2023 einen Treasury attaché in ihrem diplomatischen Korps in der Schweiz. Das bestätigt die amerikanische Botschaft in Bern auf Anfrage. Solche Attachés seien unter anderem damit beauftragt, wichtige Informationen über verbotene Finanz­aktivitäten an das Gastgeber­land zu vermitteln und die Interessen der USA in Fragen der nationalen Sicherheit und der globalen Wirtschafts­politik voran­zutreiben.

Ein vorläufiger Höhepunkt wurde Anfang April erreicht, als die Botschafter der G-7-Staaten und jener der EU einen Brief an die Schweiz schrieben. Darin verlangten sie, gegen Anwälte vorzugehen, die unter dem Schutz des Anwalts­geheimnisses Firmen­strukturen zur Verschleierung der Herkunft von Geldern aufbauen. Ausserdem forderten sie, die Schweiz solle der internationalen Taskforce «Repo» (Russian elites, proxies, and oligarchs) beitreten, um den Informations­fluss zu verbessern und Vermögens­werte besser identifizieren, sperren und beschlag­nahmen zu können.

Wie das Seco mitteilt, fand knapp zwei Wochen nach dem G-7-Brief ein Treffen der Seco-Chefin Helene Budliger Artieda mit dem US-Sanktions­verantwortlichen Brian Nelson statt. Der Repo-Taskforce beizutreten, lehnt die Schweiz aber nach wie vor ab.

Die Kritik am Schweizer Sanktions­regime ist deutlich. Und sie kommt nicht von ungefähr. Zwar übernimmt die Schweiz von der EU jeweils die Liste der sanktionierten Personen und Unter­nehmen sowie die generellen Massnahmen wie den Preis­deckel für Erdöl­produkte. Doch bei der Umsetzung weicht sie immer wieder von der EU ab. Und öffnet damit Schlupf­löcher im Sanktions­regime.

1. Die Schweiz schaut nicht über den Tellerrand

Das beginnt bereits bei der Frage, von wem die Schweiz überhaupt Sanktionen übernimmt. Das Embargo­gesetz erlaubt es, Sanktionen der Uno, der Organisation für Sicherheit und Zusammen­arbeit in Europa (OSZE) oder von den wichtigsten Handels­partnern zu übernehmen. In der Praxis werden aktuell aber nur die Massnahmen der EU gegen Russland übernommen.

Gerade was den wichtigen Rohstoff­sektor betrifft, greift das allerdings zu kurz. Mit Vitol, Trafigura, Glencore, Gunvor und Mercuria haben die fünf umsatz­stärksten Rohstoff­händler der Welt wichtige Handels­büros in Genf und Zug. Damit spielt der Schweizer Rohstoff­handelsplatz in einer ganz anderen Liga als jener der EU.

Das weiss auch Elisabeth Bürgi Bonanomi, die am Centre for Development and Environment der Universität Bern den globalen Rohstoff­handel untersuchte. Die Schweiz sei hier vielmehr mit den USA zu vergleichen. «Man sollte analysieren, inwiefern die US-Sanktionen auch den Rohstoff­handel betreffen, und gegebenenfalls diese Massnahmen übernehmen. Der alleinige Fokus auf die EU reicht nicht aus.»

Die Schweiz scheint jedoch generell nicht sehr gewillt, vom Ausland zu lernen. Die Repo-Taskforce der G-7-Staaten, der EU und Australiens (der die Schweiz trotz mehrfacher Aufforderung nicht beitreten will) kümmert sich darum, die gemeinsamen Sanktionen durchzusetzen. In einem Dokument über Techniken der Sanktions­umgehung schreibt sie: «Vermögens­transfers an Familien­mitglieder oder nahe Partner geschehen manchmal in der Zeit unmittelbar vor einer Sanktionierung oder kurz danach. Das kann auf einen Umgehungs­versuch durch die sanktionierte Person und den Akteur, der den Transfer vermittelt hat, hindeuten.»

2. Die Schweiz lässt sich (und den Sanktionierten) Zeit

Es wäre also entscheidend, dass Sanktionen ohne Vorlauf­zeit eingeführt und dann so schnell wie möglich umgesetzt werden. Passivität unmittelbar vor und nach einer neuen Massnahme ermöglicht es sanktionierten Personen, ihre Vermögens­werte in Sicherheit zu bringen.

Hier klafft die nächste Lücke im Schweizer Sanktions­regime. Jedes Mal, wenn die EU ein neues Sanktions­paket beschliesst, vergehen rund fünf Tage, bis die Schweiz die aktualisierte Liste der sanktionierten Personen übernimmt. Daran ändert offenbar auch nichts, dass die Schweiz bereits seit letztem Jahr gelegentlich zu Sitzungen der EU-Taskforce «Freeze and Seize» eingeladen wird.

«Diese Verzögerungen sind eine Folge davon, dass die Schweiz international nicht kooperieren will», sagt dazu der Strafrechts­professor und Geldwäscherei­experte Mark Pieth. «Wenn man die neuen Sanktionen nur aus dem EU-Amtsblatt kennt und dann eine Woche braucht, um sie zu übernehmen, ist das betroffene Geld definitiv weg. Die Gangster lesen das EU-Amtsblatt auch.»

Die Republik hat beim Seco nachgefragt, ob es im Voraus über neue Sanktionen informiert werden will und ob es Bemühungen in diese Richtung unternommen habe. Das Seco schreibt dazu, dass man diese Frage mit der EU aufgenommen habe, als Nicht­mitglied der EU aber nicht an den Diskussionen vor dem Erlass von Sanktions­massnahmen teilnehmen könne.

Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte auf Anfrage, es sei an der Schweiz, auf Basis ihrer rechtlichen Rahmen­bedingungen zu beurteilen, ob sie die EU-Sanktionen ohne zeitliche Verzögerung übernehmen könne.

3. Die Schweiz macht schwammige Verordnungen

Wenn die EU also eine Massnahme ergriffen und die Schweiz sich ihre fünf Tage Zeit genommen hat, giesst die Regierung die neue Sanktion in einen Verordnungs­text. Eine reine Formalität, könnte man meinen. Doch so einfach ist es nicht.

«Sanktionen sind viel einfacher umsetzbar, wenn Bestimmungen klar und einfach formuliert sind», sagt Elisabeth Bürgi Bonanomi. Die Regeln in der Sanktions­verordnung seien aber gerade nicht einfach verständlich. «Die Verordnung enthält viele Ausnahme­bestimmungen und Details. Man versteht nicht auf Anhieb, wer genau betroffen ist. Beispiels­weise, welche Tätigkeiten von Anwältinnen unter die Bestimmungen fallen.»

Das hat Folgen für die zweite kritische Phase, die Zeit direkt nachdem eine Massnahme eingeführt wurde. Das zeigte sich exemplarisch im März 2022. Es sei nicht klar, ob die Steuer­verwaltungen unter die Melde­pflicht gemäss der Sanktions­verordnung des Bundes fielen, sagte damals der Leiter des Rechts­diensts der Bündner Steuer­verwaltung gegenüber einem Reporter­team von SRF.

Erst am 1. April, vier Wochen nachdem die Verordnung in Kraft getreten war, publizierte das Seco ein Merkblatt, das den Kantonen klarmachen sollte, wie sie die Verordnung genau umzusetzen hatten.

4. Die Schweiz weiss nicht, wem was gehört

Doch auch ein Merkblatt reicht nicht. Damit eine Behörde die Sanktionen sinnvoll umsetzen kann, muss sie auch wissen, wer von einem Vermögens­wert überhaupt profitiert, also wer der sogenannte wirtschaftlich Berechtigte ist. Die EU hat bereits 2015 ein Instrument eingeführt, das dies erleichtern soll. In einer Richtlinie verpflichtete sie ihre Mitglieds­staaten, ein Register zu führen, in dem für jede Firma die wirtschaftlich Berechtigten einzutragen sind. Damit sind diese Daten zentral verfügbar und können effizient zur Ahndung von Geld­wäscherei oder Sanktions­verstössen genutzt werden.

Die Schweiz hat kein solches Register. Wenn das Seco Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten braucht, muss es in jedem einzelnen Fall bei der betroffenen Firma selbst oder der involvierten Bank nachfragen.

«Ein Transparenz­register in der Schweiz ist überfällig», sagt dazu Geldwäscherei­experte Mark Pieth. «Die internationale Geldwäscherei-Taskforce Gafi empfiehlt das schon seit Jahren. Die EU hat es längst umgesetzt, wir sind mal wieder die Letzten.» Ein solches Register könnte nicht nur für die Behörden Transparenz darüber schaffen, wem ein Vermögens­wert wirklich gehört. Auch Journalisten und die Zivil­gesellschaft würden profitieren, wenn das Register denn öffentlich ist.

Lieber spät als nie, dachte sich wohl der Bundesrat im Oktober 2022 – nach sieben Monaten Russland-Sanktionen. Er beauftragte das Finanz­departement, eine Gesetzes­vorlage für ein Transparenz­register vorzulegen. Wenn es nach der Regierung geht, soll dieses aber nur Behörden zugänglich sein.

Im Rahmen derselben Vorlage will der Bundesrat zudem Anpassungen «etwa im Bereich Rechts­berufe» prüfen. Das könnte dem Geschäft der Anwälte und Treuhänderinnen einen Riegel vorschieben, die ihren Klienten helfen, über undurchsichtige Firmen­strukturen Gelder zu verstecken.

Wie das Staats­sekretariat für internationale Finanz­fragen auf Anfrage mitteilte, wird die Gesetzes­vorlage kommenden August in die Vernehmlassung geschickt. Bis das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt und ein Transparenz­register angelegt ist, dürfte es aber noch Jahre dauern. Für die Massnahmen gegen Russland wird das nicht mehr viel nützen.

5. Die Schweiz interessiert sich nur für die Schweiz

Schaut man sich die Schweizer Sanktions­praxis an, drängt sich schnell die Frage auf, ob dieses Land überhaupt gewillt ist, den Einfluss wahr­zunehmen, den es eigentlich hätte. Das sieht man auch am Umgang mit sogenannt rechtlich unabhängigen Tochter­unternehmen im Ausland.

Ein Beispiel: Im April berichtete die «Financial Times» über die Firma Open Mineral Ltd, die ihren Sitz in Abu Dhabi hat. Sie gehört zu hundert Prozent der Open Mineral AG, einer Firma aus dem Kanton Zug. Zwischen August des vergangenen und Januar dieses Jahres importierte die Tochter­firma laut dem Bericht russisches Gold im Wert von 44 Millionen Dollar nach Abu Dhabi.

Obwohl die Sanktions­verordnung seit August verbietet, mit russischem Gold zu handeln, betrachtet sich das Seco als nicht zuständig. Da es sich um eine rechtlich unabhängige Tochter­firma im Ausland handle, unterstehe diese nicht den Schweizer Sanktionen. Wann genau eine Tochter­gesellschaft als «rechtlich unabhängig» gilt, konnte das Seco der «Financial Times» allerdings nicht sagen. Man entscheide von Fall zu Fall, es gebe keine generellen Richtlinien.

Dieses Territorialitäts­prinzip zieht sich durch die ganze Schweizer Sanktions­praxis: Nur wer in der Schweiz sein Domizil hat, unterliegt den Massnahmen. Das gilt auch für Schweizer Bürgerinnen. Wenn diese im Ausland leben, betreffen die Sanktionen sie nicht.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Paramount Energy and Commodities DMCC, eine Firma mit Sitz in Dubai (die mutmasslich auch etwas mit einer gleichnamigen Firma aus Genf zu tun hat). Deren Direktor ist laut Recherchen der «Financial Times» Schweizer Staats­bürger. Doch weil er nicht in der Schweiz lebt, gilt die Sanktions­verordnung des Bundes­rats für ihn nicht.

Dass das auch anders ginge, zeigen die EU und die USA. Deren Sanktions­verordnungen gelten für alle ihre Bürger – auch wenn sie im Ausland domiziliert sind. Die EU hat zudem eine generelle Nicht­umgehungs­klausel in ihr Sanktions­regime geschrieben, die ein Vorgehen wie jenes des Gold­händlers mit Tochter­firma in Abu Dhabi unter Strafe stellt.

Die Schweiz wählt derweil den Weg des kürzesten Hebels. Wo sie einen Grund findet, um nicht durch­zugreifen, greift sie nicht durch – auch wenn sie könnte.

6. Die Schweiz lässt die Geld­verstecker Geld verstecken

Und dann sind da noch die sogenannten Berater. Aus verschiedenen Leaks ist bekannt, dass Schweizer Treuhand- und Anwalts­kanzleien sehr reichen Leuten helfen, ihre Vermögen über verschachtelte Firmen­strukturen zu verstecken.

Im Zusammenhang mit Russland wird das beispiels­weise dem Luzerner Treuhänder Alexander Studhalter vorgeworfen. Er habe viel Geld für den mittlerweile sanktionierten Oligarchen Suleiman Kerimow gewaschen. In der Region Luzern habe er für derartige Geschäfte mindestens zwei Dutzend Strohleute rekrutiert. Im April belegten die USA Alexander Studhalter, dessen zwei Söhne und verschiedene seiner Firmen mit Sanktionen.

Die USA haben ihren Bürgerinnen (egal wo sie sich aufhalten) im Mai 2022 verboten, Trust- oder Firmen­gründungen für Personen in Russland durch­zuführen. In der Schweiz ist das nach wie vor legal.

Dass diese Branche kaum reguliert wird, ist politisch gewollt. 2019 hatte der Bundesrat dem Parlament einen Gesetzes­vorschlag für das neue Geldwäscherei­gesetz vorgelegt. Demnach wären Personen, die für Dritte Firmen oder Trusts gründen, verwalten oder führen, dem Gesetz unterstellt gewesen. Das Wort «Berater» kam im Änderungs­vorschlag des Bundesrates 17-mal vor. Bei der Variante, die das Parlament 2021 schliesslich annahm, tauchte es kein einziges Mal mehr auf. Heute untersteht nur dem Geldwäscherei­gesetz, wer Geld auch tatsächlich «berührt». Reine Beratungs­tätigkeiten, wie sie auch die G-7 kritisiert, sind davon nicht betroffen.

Doch die Russland-Sanktionen stützen sich nicht primär auf das Geldwäscherei­gesetz, sondern auf das Embargo­gesetz und die zugehörige Sanktions­verordnung. In Artikel 16 der Verordnung steht: «Personen und Institutionen, die (…) von wirtschaftlichen Ressourcen wissen, von denen anzunehmen ist, dass sie unter die Sperrung (…) fallen, müssen dies dem Seco unverzüglich melden». Damit würden auch Berater, die für ihre Klientinnen Firmen gründen oder verwalten, der Melde­pflicht unterstehen. Doch weil viele dieser Berater auch Anwälte sind, ist der Schweizerische Anwalts­verband der Meinung, dass das Anwalts­geheimnis dies verbietet.

Der Republik sagte das Seco vergangenen Februar, dass diese Frage nur durch die Gerichte abschliessend geklärt werden könne. Ob ein solcher Fall überhaupt je vor ein Gericht kommen wird, ist aber zweifelhaft. Bis dahin haben Anwalts­kanzleien, die in diesem Grau­bereich gute Geschäfte machen, kaum etwas zu befürchten.

Oft träge und noch öfter nicht willens

All diese Schweizer Eigenheiten haben zur Folge, dass schwer abzuschätzen ist, wie viel russisches Vermögen tatsächlich hierzulande liegt und wie viel davon unter die Sanktionen fallen müsste. Klar ist, dass die Schweiz bisher ein beliebter Standort für Geld und Firmen aus Russland war.

Die Schweizerische Bankier­vereinigung schätzte im März 2022, dass russische Kunden rund 150 Milliarden Franken auf Schweizer Banken deponiert haben. Und die Schweizer Botschaft in Moskau sagte 2021, dass etwa 80 Prozent des russischen Rohstoff­handels über die Schweiz abgewickelt werden.

Dass so viel russisches Geld in der Schweiz liegt, hat auch damit zu tun, dass dessen Eigentümer die Schweiz mögen. Die NGO Public Eye zählte im Mai letzten Jahres 32 Oligarchinnen mit Verbindungen in die Schweiz. Die meisten sind an Firmen beteiligt, die ihren Sitz hier im Land haben. Von einigen weiss man auch, dass sie (zumindest in der Vergangenheit) viel Geld bei Schweizer Banken hielten. Viele dieser Dinge sind nur dank Datenlecks wie den «Pandora Papers» oder den «FinCen Files» bekannt.

Auch Rohstoff­firmen siedeln sich aus guten Gründen in der Schweiz an. «Der Rohstoff­sektor ist sehr intransparent», erklärt Robert Bachmann von Public Eye. «Diese Firmen sind unter anderem in der Schweiz, weil ihnen hier wenig Fragen gestellt werden. Und umgekehrt gibt es ein politisches Interesse, dass das möglichst lange so bleibt. Darum ist die Schweiz sehr zurück­haltend bei der Regulierung dieser Branche.»

Von einigen Firmen und Personen weiss man also, dass sie in der Schweiz sitzen. Doch das ist bloss das Hellfeld, die Dunkel­ziffer ist gross. Wer viel Vermögen hat, weiss meist, wie man es vor neugierigen Augen versteckt. Über Briefkasten­firmen oder Dritt­personen wird verschleiert, wer tatsächlich die Kontrolle über eine Firma, ein Bank­konto oder einen anderen Vermögens­wert hat.

Oft werden komplexe Verschachtelungen gebaut: Eine Person in Land A besitzt eine Firma in Land B, die wiederum eine Firma in Land C besitzt und so weiter. Wie das Recherche­netzwerk OCCRP berichtet, können solche Strukturen bis zu 23 Schichten enthalten. Das macht es extrem schwierig, zu bestimmen, wem ein Vermögens­wert am Ende wirklich gehört.

Wie es weitergeht, ist unklar. Die Schweiz ist oft träge, noch öfter aber nicht willens, Finanz­geschäfte effektiv zu regulieren. Die grossen Sprünge der letzten Jahrzehnte machte sie kaum je freiwillig, sondern erst unter hohem internationalem Druck. Das war in den 1990er-Jahren bei den nachrichten­losen Vermögen so. Und 2008/2009 beim Fall des Bank­geheimnisses.

So stark wie der Druck in den letzten Monaten zunahm, ist es gut möglich, dass sich die Schweiz bald wieder bewegen muss. Allzu sehr darüber reden mögen die Verantwortlichen freilich nicht. Auf den Vorwurf des US-Botschafters, dass die Seco-Chefin den Nutzen von Sanktionen infrage stelle, erwiderte diese im «Tages-Anzeiger»: «Scott Miller und ich verstehen uns bestens. Er interessiert sich sehr für das Schweizer System der Berufs­lehre.»

Nur finanzieren die Schweizer Berufs­lehren keinen Krieg in Osteuropa.

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