Nicht ganz verdichtet

Warum Wohnen immer teurer wird und der Schweiz bald Zehntausende Wohnungen fehlen. Elf Fragen und Antworten zur Wohnungsnot.

Von Philipp Albrecht (Text) und Saskja Rosset (Bilder), 23.08.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
0:00 / 29:44

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:

Obdach gesucht: In den Schweizer Städten herrscht Wohnungsnot.

«Hier entstehen 124 moderne Stadt­wohnungen und Gewerbe­flächen.» Die Ankündigung auf der Tafel hinter dem rostigen Zaun wurde vor langer Zeit mit FC-Zürich-Stickern und Filzstift-Graffiti verziert.

Auf dem Hügel dahinter wächst es wild, manchmal grasen da Schafe, Wohnungen gibt es keine. Die Überbauung «im Bürgli» hätte zur Verdichtung der Stadt beitragen sollen. Geplant waren vor allem 2½- und 3½-Zimmer-Wohnungen. Bezugsbereit 2021.

Doch Nachbarn wollten nicht ein 167 Meter langes Betonwerk vor die Nase gesetzt bekommen. Sie rekurrierten und bekamen am Ende vor Bundes­gericht recht. Dabei wäre bezahlbarer Wohnraum dringend nötig, nicht nur hier im Zürcher Kreis 2.

Einsprachen wie diese verstärken die Wohnungsnot. Und die ist besonders in urbanen Gebieten gross. Die Leerstands­quoten sinken genauso wie die Anzahl inserierter Wohnungen. Laut einer Analyse der Immobilien­beratungsfirma Wüest Partner sind schweizweit aktuell so wenige Objekte zur Miete ausgeschrieben wie seit Anfang 2009 nicht mehr.

Doch die Einsprachen sind nicht alleine für den fehlenden Wohnraum verantwortlich. Im Jahr der nationalen Wahlen streitet die Politik über Ursachen und Lösungen. Eine Einordnung mit Expertinnen­stimmen tut not. Darum liefern wir Antworten auf die drängendsten Fragen – und zeigen auch auf, weshalb auf dem Bürgli­hügel bald doch noch gebaut werden könnte.

  1. Was läuft da schief auf dem Wohnmarkt?

  2. Warum gibt es überhaupt zu wenig Wohnungen?

  3. Wieso werden nicht mehr Wohnungen gebaut?

  4. Wo herrscht Wohnungsnot?

  5. Warum bauen die Städte und Genossenschaften nicht mehr eigene Wohnungen?

  6. Weshalb wird nicht schneller gebaut?

  7. Wie stark steigen nun die Zinsen?

  8. Was ist der Referenz­zinssatz und wozu ist er eigentlich gut?

  9. Wie viel Gewinn darf man überhaupt mit Miet­wohnungen machen?

  10. Wie kann man als Mieter verhindern, abgezockt zu werden?

  11. Was schlägt die Politik vor?

1. Was läuft da schief auf dem Wohnmarkt?

Zwei Probleme kommen zusammen. Erstens wird Wohnen gerade aus verschiedenen Gründen teurer, und zweitens gibt es in absehbarer Zeit nicht genügend Wohnungen für alle. Das erste Problem, die Wohn­kosten, ist auf wirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen zurück­zuführen. Das zweite Problem, die Wohnungsnot, hat mehrere kontrovers diskutierte Ursachen.

Fangen wir mit den Kosten an. Dass die Wohn­kosten gestiegen sind und noch weiter steigen werden, hat mit Russlands Angriffs­krieg gegen die Ukraine zu tun. Weil dadurch Öl und Gas teurer wurden, stiegen unter anderem die Preise für das Heizen und das Warm­wasser. Gleichzeitig trieb der Krieg, gemeinsam mit den konjunkturellen Folgen der Pandemie, die Preise für zahlreiche Güter und Dienst­leistungen nach oben. Die dadurch verursachte Inflation liess wiederum die Zinsen ansteigen.

Während der letzten zehn Jahre war Geld sehr billig zu haben, Bank­kredite für den Immobilien­erwerb wurden mit historisch tiefen Zinsen beglichen. Nun wirkt sich der Zins­anstieg auch auf die Mieten aus. Im Juni wurde zum ersten Mal seit 15 Jahren der Referenz­zinssatz angehoben. Ab Herbst müssen viele Haushalte deshalb mehr Miete bezahlen (mehr dazu lesen Sie bei Punkt 7: Wie stark steigen nun die Mietzinsen?).

Zu den Bildern

Die Fotografin Saskja Rosset hat über fünf Jahre den Rück- und Neubau der Genossenschafts­siedlung Brüderhofweg in Zürich dokumentiert. Zwischen 2016 und 2021 entstanden hier 293 dringend benötigte zahlbare Wohnungen.

Aber Wohnungen werden nicht nur teurer, sondern auch rarer.

Im Jahr 2026 werden voraus­sichtlich über 50’000 Wohnungen fehlen. «Die Schweiz hat ein Bevölkerungs­wachstum, dem eine unzureichende Neubau­tätigkeit gegenüber­steht», sagt Ursina Kubli, Leiterin Immobilien­research der Zürcher Kantonal­bank (ZKB), auf Anfrage. «Wohnen müssen alle. Und viele präferieren die Stadt.»

2. Warum gibt es überhaupt zu wenig Wohnungen?

Es gibt mehrere Ursachen. Eine davon ist die zunehmende Wohnungs­nachfrage in den Zentren. Sie ist laut Wüest Partner zu 67 Prozent auf den sogenannten «Wanderungs­saldo» zurück­zuführen. Gemeint ist damit nicht nur die Zuwanderung aus dem Ausland, sondern auch die aus anderen Kantonen. Weitere 24 Prozent sind dem gestiegenen Wohlstand und «Individualisierungs­trends» geschuldet. Und die restlichen 9 Prozent sind damit zu erklären, dass die Menschen immer älter werden.

Hinter dem abstrakten Begriff «Individualisierungs­trend» steckt unter anderem der steigende Bedarf nach Wohnfläche. Früher waren die Wohnungen kleiner geschnitten, heute wollen viele zusätzlichen Raum für Hobbys, Besuch oder Homeoffice. Laut einer ETH-Studie sind Wohnungen, die zwischen 2000 und 2020 im Kanton Zürich gebaut wurden, im Schnitt 17,4 Prozent grösser als der Durch­schnitt aller bestehenden Wohnungen.

Auch die erwähnte demografische Entwicklung führt dazu, dass weniger Personen auf mehr Fläche wohnen. In vielen Fällen geschieht das unfreiwillig: Ältere Menschen bleiben oft in ihren Wohnungen, auch nachdem der Ehepartner gestorben ist. Sei es, weil sie nicht ins Altersheim wollen, weil sie sich keinen Umzug mehr zumuten oder weil sie in ihrem Ort keine kleinere Wohnung zu einem günstigeren Zins finden. Eine Erhebung des Bundesamts für Statistik zeigt, dass ein Senioren­haushalt durch­schnittlich 71,2 Quadrat­meter Wohn­fläche pro Person beansprucht, während der Durchschnitt über die Gesamt­bevölkerung bei 46,6 Quadrat­metern liegt.

Aber nicht nur ältere Menschen leben zunehmend allein. 49 Prozent der Haushalte in Basel werden nur von einer Person bewohnt, in Bern sind es 46 Prozent und in Zürich 44 Prozent. In Basel und Zürich zeigen die Zahlen zudem, dass die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen am häufigsten in Ein-Personen-Haushalten vertreten ist. Der Single-Haushalt ist seit den 1990er-Jahren die häufigste Haushalts­form in der Schweiz.

«Home alone» ist der Standard

Schweizer Haushaltsstruktur nach Personen inklusive Prognose

1 Person
2 Personen
3 Personen
4 Personen
5 Personen und mehr
197020 % 28 % 19 % 17 % 16 % 199032 % 32 % 15 % 15 % 6 % 201037 % 33 % 13 % 12 % 5 % 203036 % 33 % 13 % 12 % 6 % 205038 % 33 % 12 % 12 % 5 %

Quelle: BFS (für die Jahre 1970, 1990 und 2010), ZKB (2030 und 2050).

Die weiterhin hohe Scheidungsrate wirkt sich ebenfalls auf die Wohn­bedürfnisse aus. Trennt sich ein Paar mit Kindern, ist eine zusätzliche Wohnung nötig, die wiederum Platz für die Kinder bieten muss.

Dazu kommt, dass sich ein grosser Teil der Bevölkerung immer mehr Wohnraum leisten kann. Seit 2015 hat der Anteil der Wohn­kosten am Haushalts­budget von 15,3 auf 13,8 Prozent abgenommen. Einzig für das einkommens­schwächste Fünftel der Haushalte gilt dies nicht. Hier sind die Ausgaben fürs Wohnen in den letzten drei Jahrzehnten gestiegen.

Auf dem Immobilien­markt machen sich auch die derzeit knapp 70’000 Ukrainerinnen in der Schweiz bemerkbar, die gemäss Wüest Partner «vermehrt herkömmliche Miet­wohnungen nachfragen». Zahlen aus dem Kanton Basel-Stadt zeigen, dass dort im März 2022 knapp 20 Prozent der privat untergebrachten Ukrainer in einem eigenen Haushalt wohnten. Neun Monate später waren es bereits fast 60 Prozent.

In den offiziellen Zuwanderungs­zahlen sind die Menschen aus der Ukraine nicht eingerechnet. Doch auch ohne sie lässt sich dort ein starkes Wachstum nachweisen: Die ständige ausländische Wohn­bevölkerung nahm letztes Jahr um über 80’000 Menschen zu. Es sind mehrheitlich ausgebildete Arbeits­kräfte aus EU-Staaten.

«Es spricht für den Erfolg des Standortes Schweiz, dass diese Menschen hierher­ziehen und hier arbeiten wollen», sagt Donato Scognamiglio von der Immobilien­beratungsfirma IAZI. Und angesichts des Fachkräfte­mangels seien wir auf sie angewiesen. «Nur haben wir jetzt das Problem, dass das Angebot auf dem Immobilien­markt nicht mit der Nachfrage mithalten kann.»

3. Wieso werden nicht mehr Wohnungen gebaut?

Weil es immer unattraktiver wird, in Immobilien zu investieren. Den kurzfristig grössten Einfluss auf die schrumpfende Bautätigkeit haben die steigenden Zinsen.

Donato Scognamiglio rechnet vor: «Wenn Sie ein Grundstück besitzen und darauf sechs Wohnungen bauen, kostet Sie das rund 3 Millionen. In den letzten Jahren haben Sie der Bank dafür, ohne Amortisation, im Jahr etwa 30’000 Franken bezahlt. Die Mieten bringen Ihnen an einer mittleren Lage rund 120’000 Franken ein. Die Liegenschafts­kosten für Hauswart, Verwaltung und Unterhalt nicht eingerechnet, bleiben Ihnen also noch 90’000 Franken. Mit den heutigen Zinsen zahlen Sie aber allein 90’000 Franken auf die 3 Millionen. Das geht nicht mehr auf.»

Oder anders gesagt: Wer mit dem Geld Obligationen kauft, verdient damit mehr. Und schläft erst noch besser.

Eine weitere Ursache lässt sich am eingangs erwähnten Bauprojekt «im Bürgli» illustrieren. Sie bezieht sich auf die Lärm­grenze, die in Wohnungen von Neubauten nicht überschritten werden darf.

Die Anwohnerinnen im Zürcher Kreis 2, die sich daran störten, dass der Bürglihügel verbaut werden soll, entdeckten irgendwann den Lärmschutz. Obwohl dieser nicht sie, die Anwohner, schützen sollte, sondern künftige Bewohner der geplanten Überbauung. Die Erkenntnis: Bauprojekte an gut befahrenen städtischen Strassen lassen sich mit Verweis auf den Lärm­schutz verhindern.

Der Lärmschutz bestand schon lange, nur wurde er sehr grosszügig definiert. So lebte man in rund der Hälfte aller Kantone jahrelang die sogenannte «Lüftungsfenster­praxis». Es reichte, wenn in einem Raum ein Fenster geöffnet werden konnte, ohne dass die Grenzwerte erreicht wurden. Doch das änderte sich, als das Bundes­gericht 2016 zum Schluss kam, dass diese Praxis den Gesundheits­schutz aushöhlte. Von nun an galten die Grenzwerte für alle Fenster im Raum.

Ein Lärmgutachten bei der Überbauung «im Bürgli» zeigte schliesslich, dass in 99 der 124 geplanten Wohnungen nachts die Lärm­grenze überschritten würde.

Das Verhalten der Bürglihügel-Anwohnerinnen nennt man «Nimby» – kurz für not in my backyard, nicht in meinem Hinterhof. Das Nimby-Phänomen hat sich in der Schweiz verbreitet, nachdem das Stimmvolk im März 2013 das neue Raumplanungs­gesetz angenommen hatte. Die Revision bezweckte in erster Linie, Kulturland zu schützen. Die Schweiz sollte nicht zugebaut, sondern in bestehenden Bauzonen verdichtet werden. Neun Jahre später zeigte eine Studie der ETH Zürich, dass 58 Prozent der Bevölkerung generell Verdichtung befürworten, aber nur 12 Prozent in ihrer Nachbarschaft.

Was die Umfrage aber auch zeigte: Die Akzeptanz hängt stark davon ab, wie genau verdichtet wird. «Es besteht oft eine gewisse Angst vor Veränderungen, sei es hinsichtlich der Infra­struktur, der lokalen Annehmlichkeiten oder auch wegen Verdrängungs­prozessen», erklärt Co-Autor Michael Wicki von der Forschungs­gruppe Raum­entwicklung und Stadtpolitik der ETH.

Klar ist: Sehr viele Haus­besitzer und Mieterinnen wehrten sich, als sie mit der Verdichtung und ihren Konsequenzen konfrontiert wurden. Und sie tun es bis heute.

Was konkret den Lärmschutz betrifft, soll nun eine Lösung auf Bundes­ebene die Wende bringen. Im Dezember 2022 hat der Bundesrat dem Parlament einen Vorschlag unterbreitet, den Lärmschutz so anzupassen, dass er mehr Verdichtung ermöglicht. Das Gesetz soll noch dieses Jahr vom Parlament behandelt werden. Ein Hoffnungs­schimmer für viele blockierte Projekte, auch für die Überbauung «im Bürgli».

Die Bevölkerung hat Angst vor Veränderungen – insbesondere in der unmittelbaren Nachbarschaft.

4. Wo herrscht Wohnungsnot?

Die Not ist gross. Aber nicht überall. Auf dem Land herrscht keine Wohnungsnot. Das belegt die Leerstands­quote, die vom Bund jeweils per 1. Juni erhoben und im September publiziert wird. Sie benennt den Anteil unbewohnter Wohnungen im Gesamt­bestand einer Gemeinde. In den vier grössten Städten liegt die Ziffer deutlich unter dem Landes­schnitt von 1,31 Prozent:

Zürich: 0,07 Prozent
Genf: 0,38 Prozent
Lausanne: 0,49 Prozent
Basel: 1,17 Prozent

Im Vergleich dazu die vier Gemeinden (mit mindestens 5000 Einwohnern) mit dem höchsten Anteil an Leer­wohnungen:

Saint-Imier BE: 10,69 Prozent
Chiasso TI: 10,15 Prozent
Martigny VS: 8,00 Prozent
Moutier BE: 7,08 Prozent

Ob man die schweizweite Leerstands­quote von 1,31 Prozent schon als Wohnungsnot bezeichnen kann, ist umstritten. Beim Bund gibt es dazu keine offizielle Definition. Einzig Basel-Stadt hat gesetzlich definiert, ab wann im Stadt­kanton Wohnungsnot herrscht. Dort liegt die Grenze bei 1,5 Prozent.

Im langjährigen Vergleich sind die schweizweiten 1,31 Prozent gar nicht so tief. Von 2002 bis 2014 lag die Leerstands­quote darunter. Auch in den 1980er-Jahren und bis Mitte der 1990er war sie deutlich tiefer.

Seit 2021 sinkt der Anteil leerer Wohnungen wieder

Entwicklung der Leerwohnungsziffer in der Schweiz

19841997200920220,8 %1,3 %012 % 1,8 % 0,9 % 1,7 %

Quelle: BFS.

Experten gehen aber davon aus, dass die Quote in diesem und den nächsten Jahren weiter fallen wird. Bereits der starke Rückgang seit 2021 ist auffällig. Die Immobilien­analystinnen der Raiffeisenbank rechnen damit, dass die Quote 2024 «deutlich unter 1 Prozent» fallen wird.

Ursina Kubli von der ZKB spricht derzeit von einer «drohenden Wohnungsnot», weil vor allem die Verteilung ungleich­mässig sei: «Die Wohnungen sind nicht dort leer, wo sie am stärksten gesucht sind.»

5. Warum bauen die Städte und Genossenschaften nicht mehr eigene Wohnungen?

So einfach ist das nicht. Denn dazu ist Land nötig. Und Land ist in der Regel der grösste finanzielle Brocken beim Bau neuer Wohnungen auf der grünen Wiese.

Noch ein Beispiel von Immobilien­spezialist Donato Scognamiglio: «Nehmen wir mal an, Sie gründen eine Genossenschaft und kaufen Land, um darauf günstige Wohnungen zu bauen. Für das Land bezahlen Sie dann gleich viel wie eine Immobilien-AG. Unter den heutigen Umständen führt das dazu, dass Sie an einer guten Lage eine 4-Zimmer-Wohnung trotzdem kaum unter 2500 Franken vermieten können, obschon Sie diese zur Kosten­miete anbieten, also nur die tatsächlichen Kosten weiter­verrechnen. Sie haben dann vielleicht noch ein paar Gemeinschafts­räume oder eine ausgefallene Architektur. Aber die Genossenschaftsidee allein machts nicht billig.»

Wer also günstige Wohnungen bauen will, muss erst einmal Land­besitzer mit sozialer Ader finden, die freiwillig auf Millionen verzichten.

Dass diese sehr selten sind, weiss man zum Beispiel in der Stadt Zürich. Nachdem sich das Zürcher Stimmvolk 2011 dafür ausgesprochen hatte, dass bis 2050 jede dritte Miet­wohnung der Stadt oder einer Genossenschaft gehören soll, suchte die Stadt­verwaltung hände­ringend nach Land. Ihr Erfolg lässt sich am Anteil gemein­nützigen Wohnraums ablesen: 2011 lag er bei 25,1 Prozent, heute bei 24,7 Prozent. Private Gesellschaften boten mehr fürs Land und erhöhten ihren Anteil am Zürcher Wohnungs­bestand in der gleichen Zeit von 25,8 auf 32,7 Prozent.

Alternativ versucht die Stadt­verwaltung, bestehende Liegenschaften auf dem Markt zu kaufen. Aber auch da mit über­schaubarem Erfolg, da sie regelmässig von Immobilien­investorinnen überboten wird.

Nun hofft Zürich auf eine Volksinitiative, die ein Vorkaufs­recht im Kanton einführen will. Es würde den Gemeinden ermöglichen, frisch verkauftes Land zum vereinten Kaufpreis zu übernehmen und dieses Genossenschaften zu überlassen oder selber zu bebauen. Einzelne Kantone wie zum Beispiel die Waadt kennen schon ein solches Vorkaufsrecht.

In verschiedenen Städten arbeitet zudem der Mieterinnen- und Mieter­verband zusammen mit der SP darauf hin, Airbnb einzuschränken oder zu verbieten. Sie wollen damit zusätzliche Wohnungen zurück auf den Markt holen. In Bern und Genf gibt es bereits Einschränkungen. In Luzern wurde im März per Volks­abstimmung die Vermiet­dauer auf 90 Tage pro Jahr eingeschränkt, was für die meisten Wohnungen ein Ende der Kurzzeit­vermietung bedeutet, da sich diese nicht mehr lohnt.

Wie stark Airbnb die Wohnungsnot befeuert, ist schwer zu ermitteln. Eine Berliner Studie aus dem Jahr 2021 belegt, dass im Umfeld von Airbnb-Wohnungen die Angebots­mieten steigen. Allerdings ist ihr Anteil relativ klein: In Zürich sind laut einer Erhebung von 2018 nur 1500 Unterkünfte auf Airbnb ausgeschrieben, was 0,7 Prozent aller Wohnungen entspricht.

6. Weshalb wird nicht schneller gebaut?

Weil Einsprachen und Vorschriften die Bauprojekte zunehmend verzögern. Ursina Kubli und ihr Team vom Immobilienresearch der ZKB haben ermittelt, wie viel Zeit heute zwischen Baugesuch und Baubewilligung verstreicht. Schweizweit sind es 140 Tage. Seit 2010 ist diese Zeitspanne um rund 70 Prozent gestiegen.

In der Stadt Zürich dauert es mit 330 Tagen mehr als doppelt so lange. Im Kanton Genf geht es im Schnitt sogar 500 Tage bis zur Baubewilligung.

Die hohen Ansprüche ans Bauen müssten kritisch hinterfragt werden dürfen, sagt Donato Scognamiglio: «Wir haben tonnen­weise Vorschriften. Auf jedem Dach braucht es Haken zum Sichern. Bei jedem leicht zu tiefen Fenster, Balkon oder Treppen­geländer muss eine Absturz­sicherung montiert werden, damit niemand runter­fällt. Das kostet alles. Es gibt eine ganze Industrie, die von teilweise übertriebenen Vorschriften und Normen lebt. Und offenbar verdient eine Mehrheit davon, sonst könnten wir das nicht durchziehen.»

Hier wirkt das Nimby-Phänomen zusätzlich verzögernd, wie Ursina Kubli erklärt: «Je stärker sich die Wohnbau­tätigkeit auf bereits besiedelte Flächen konzentriert, desto grösser ist der Widerstand und desto langwieriger werden die Bauprozesse.»

Der Heimatschutz ist ein weiterer Grund, den Immobilien­experten nennen. Von den 2,7 Millionen Gebäuden in der Schweiz ist jedes zehnte als Baudenkmal erfasst. In ihrem aktuellen Immobilien­bericht fordern die Analystinnen der Raiffeisenbank eine Lockerung: «Die Ziele des Denkmal­schutzes stehen dem Ziel Verdichtung und Versorgung der Menschen mit günstigem Wohnraum praktisch immer diametral entgegen», heisst es darin.

Heimatschützer dagegen mahnen zum Schutz der Ortsbilder und warnen vor falschen Prioritäten: «Selbst wenn alle diese Häuser abgebrochen und durch Neubauten ersetzt würden, wäre dies wie der berühmte Tropfen auf den heissen Stein», schreibt Martin Killias, Rechts­professor und Präsident des Heimat­schutzes.

7. Wie stark steigen nun die Mietzinsen?

Dass sich die steigenden Kosten für Kredite, Güter und Dienst­leistungen auch auf die Wohn­kosten auswirken, haben wir unter Punkt 1 erklärt. Daneben gibt es aber noch weitere Faktoren, die den Netto-Mietzins in die Höhe treiben können und dies in den letzten Jahren auch getan haben. Beim Netto-Mietzins sind die Neben­kosten für Heizung oder Hauswartung ausgenommen. Wer seine Entwicklung verfolgen will, muss zwischen zwei Arten von Mieten unterscheiden.

Die Bestandsmiete: der Zins, den bestehende Mieterinnen monatlich ihren Vermietern überweisen.

Die Angebotsmiete: der Zins, den Mieter zahlen, wenn sie neu in eine Wohnung ziehen.

Seit 2009 sind die Angebots­mieten schweizweit um ein Fünftel gestiegen. In den letzten drei Jahren hat sich der Anstieg nochmals beschleunigt.

Wo eine Wohnung neue Mieterinnen erhält, droht die Miete zuweilen abzuheben. Wie stark, hängt davon ab, wie lange der Vormieter in der Wohnung war, ob die Wohnung renoviert wurde und wie sich die Mieten im Quartier verändert haben. Wer bei einem Mieterinnen­wechsel zusätzlichen Profit aus der Wohnung schlagen will, wählt eines dieser drei Argumente. Ob die Renovation oder das veränderte Quartier­niveau den starken Preis­anstieg tatsächlich rechtfertigt, ist jedoch in vielen Fällen fraglich. Mieter können eine Miet­erhöhung anfechten, tun es aber viel zu selten, sei es aus Unkenntnis oder weil sie es sich mit der neuen Vermieterin nicht verscherzen wollen.

Im Gegensatz zu den Angebots­mieten sind die Bestands­mieten in den letzten zehn Jahren leicht gesunken. Die jährlichen Analysen der Immobilien­beratungsfirmen Wüest Partner und IAZI weisen einen Rückgang um rund 5 Prozent­punkte auf. Die Ursache liegt beim tiefen Zinsniveau. Es sorgte dafür, dass der Referenz­zinssatz in mehreren Schritten nach unten angepasst werden musste. Und der Referenz­zinssatz zog auch die Mieten tendenziell mit herunter.

Wer die Wohnung nicht wechselte, zahlte in den letzten zehn Jahren tendenziell weniger Miete

Entwicklung der Angebots- und Bestandsmieten, indexiert.

Angebotsmieten
Bestandesmieten
Achse gekürzt201220162019202394,7114,590100110120 Index (2012 = 100)

Quelle: Wüest Partner (Bestandesmieten), Homegate (Angebotsmieten).

Doch das ändert sich nun. Im Juni wurde der Satz zum ersten Mal seit 2008 angehoben. Der Anstieg von 1,25 auf 1,5 Prozent führt dazu, dass bei rund 50 Prozent der Mieter der reale Zins um bis zu 3 Prozent steigt. Aber es kommt noch dicker: Laut Schätzungen von Ursina Kublis Team bei der ZKB werden die Mieten bis 2027 um durchschnittlich 15 Prozent teurer.

8. Was ist der Referenz­zinssatz und wozu ist er eigentlich gut?

Sein grösster Vorteil: Er schafft klare Verhältnisse. Zum grössten Nachteil kommen wir gleich.

Der hypothekarische Referenz­zinssatz, wie er eigentlich heisst, beeinflusst die Entwicklung der Mieten. Er stellt den Durchschnitt aller Hypothekar­forderungen in der Schweiz dar. Die Nationalbank befragt dazu die Banken zur Höhe der Hypothekar­zinsen, die diese von ihren Kunden fordern.

«Der Referenz­zinssatz funktioniert in beide Richtungen», erklärt Ursina Kubli. «Wenn die Vermieter am Markt hohe Kosten tragen müssen, dürfen sie diese teilweise auf die Mieter abwälzen. Und wenn die Hypothekar­zinsen tief sind, dann können die Mieter davon profitieren.»

Bis 2008 gab es verschiedene kantonale Referenz­zinssätze, dann wurde ein landesweiter eingeführt, der wegen der seither sinkenden Zinsen ebenfalls konstant sank. Aus Sicht der Mieterinnen eine tolle Sache, solange sie die Entwicklung aktiv beobachteten und bei jedem Zins­schritt nach unten beim Vermieter eine Mietzins­anpassung verlangten.

Doch nun gehts in die andere Richtung: Der Referenz­zinssatz steigt.

Sinkende Mietkosten dank tiefer Zinsen

Entwicklung des Referenzzinssatzes seit der Vereinheitlichung auf nationaler Ebene 2008.

20082013201820233,5 %1,5 %024 %

Quelle: Bundesamt für Wohnungswesen.

Das führt uns zum grössten Nachteil: «Der Referenz­zinssatz wird stark von der Inflation bestimmt», sagt Linda Rosenkranz, General­sekretärin des Mieterinnen- und Mieter­verbands. «Weil die Vermieter neben dem Referenz­zinssatz auch noch weitere Kosten­steigerungen auf die Miete aufschlagen können, zahlen die Mieterinnen nun dafür doppelt.»

Immerhin sei der Referenz­zinssatz noch der nachvollziehbarste Teil dieser Mittel, mit denen der Mietzins beeinflusst wird. Die meisten Missbräuche sieht Rosenkranz bei den allgemeinen Kosten­steigerungen. Konkret können Vermieterinnen je nach Gemeinde die Miete jedes Jahr zwischen 0,25 und 1 Prozent erhöhen. Auf welcher konkreten Kosten­steigerung die Erhöhung basiert, müssen sie erst vor der Schlichtungs­behörde belegen können. Viele Vermieter spekulieren laut Mieterinnen- und Mieter­verband darauf, dass die Mieterinnen die Erhöhung nicht anfechten.

«Das Angebot auf dem Immobilien­markt kann nicht mit der Nachfrage mithalten», sagt Experte Donato Scognamiglio.

9. Wie viel Gewinn darf man überhaupt mit Miet­wohnungen machen?

Im Moment sind es 3,5 Prozent Rendite. Die Zahl setzt sich aus dem aktuellen Referenz­zinssatz, also 1,5 Prozent, plus 2 Prozent zusammen. Woher die 2 Prozent kommen? Vom Bundesgericht.

Laut Mietrecht ist der Mietzins missbräuchlich, falls damit ein «übersetzter Ertrag» erzielt wird. Das Limit ist aber nirgends festgelegt. In der Praxis einigte man sich vor Jahren auf die Formel: aktueller Referenz­zinssatz plus 0,5 Prozent. Weil der Zins aber stetig sank, legte das Bundes­gericht im Oktober 2020 fest, diesen Wert auf 2 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig verfügte es aber, dass die Rendite­grenze wieder sinken soll, falls der Referenz­zinssatz über 2 Prozent steigt. Die meisten Beobachter der Immobilien­branche sind überzeugt, dass er dies noch 2024 tun wird. Dann könnte es spannend werden. Akzeptieren dann die Vermieterinnen den gerichtlich verfügten Rendite­rückgang?

Damit sie nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, hat der Bündner Mitte-Ständerat Stefan Engler vor ein paar Monaten im Parlament eine Motion eingereicht. Der Bundesrat solle demnach verhindern, dass die vom Bundes­gericht bestimmten 2 Prozent wieder auf die alten 0,5 Prozent zurück­fallen. Andernfalls würden die Renditen auf Miet­objekten abstürzen.

Hier geht es allerdings nur um einen theoretischen Wert. In der Praxis dürften die Renditen deutlich höher sein. Denn wenig ist so schwer nachvollziehbar wie die Zusammen­stellung eines Mietzinses: Wie stark erhöht eine Renovation den Wert einer Wohnung? Was genau ist ein orts- und quartier­übliches Preisniveau? Das Potenzial für Missbrauch ist gross. Laut einer vom Mieterinnen- und Mieter­verband in Auftrag gegebenen Studie mussten Schweizer Haushalte 2021 im Schnitt pro Monat 370 Franken zu viel Miete zahlen.

10. Wie kann man als Mieter verhindern, abgezockt zu werden?

Zum Beispiel mit einer Mietpreis­kontrolle. Das ist jedenfalls der Vorschlag der Linken.

Mehrheitsfähig ist er bislang nicht. Zuletzt scheiterte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran im Parlament mit dem Vorschlag einer Pflicht zu einer periodischen Revision der Rendite, kontrolliert durch das Bundesamt für Wohnungs­wesen.

Nun bereitet der Mieterinnen- und Mieter­verband, in dessen Vorstand Badran sitzt, eine Volks­initiative vor. Die Hoffnung ist, dass die Idee einer staatlichen Rendite­kontrolle in Zeiten konstant steigender Mieten im Stimmvolk eine Mehrheit findet.

Marktbeobachter und Neo-Politiker Donato Scognamiglio, der seit diesem Jahr für die EVP im Zürcher Kantonsrat sitzt, ist skeptisch. Er verweist auf eine Studie, in der die Mietpreis­kontrollen in 16 entwickelten Ländern bis ins Jahr 1910 zurück untersucht wurden. Es zeigte sich, dass diese Kontrolle zwar den Bestands­mieterinnen half, aber gleichzeitig dazu führte, dass weniger in den Bau neuer Wohnungen investiert wurde. Allerdings könnten zusätzliche staatliche Massnahmen zur Förderung des Wohnungs­baus die negativen Effekte wieder ausgleichen.

«Es braucht Kompromisse», sagt Scognamiglio. «Auf der einen Seite besteht bei Kontrollen die Gefahr, dass weniger gebaut wird, und auf der anderen Seite drohen Quartiere zu veröden, wenn alles nur noch über den Preis geht. Wir wollen beides nicht.»

11. Was schlägt die Politik vor?

Nach Kompromissen sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die Fronten sind verhärtet. Das sind die Forderungen der grössten Parteien auf nationaler Ebene:

Die SP will künftig nicht nur die Mieten, sondern auch die Boden­preise kontrollieren. Ausserdem müsse der gemein­nützige Wohnbau stärker gefördert und Airbnb eingeschränkt werden.

Die Grünen unterstützen die Ideen der SP und fordern darüber hinaus eine Mindest­belegung bei Neuvermietungen in Gemeinden mit Wohnungsnot. So dürften etwa in einer 5-Zimmer-Wohnung nicht weniger als drei Personen wohnen dürfen. Zudem soll es ein Recht auf Wohnungs­tausch geben, ohne dass dabei die Mieten erhöht werden. Davon sollen vor allem Familien und ältere Menschen profitieren.

Die Grünliberalen setzen voll auf die Verdichtung. Damit sie schneller umgesetzt werden kann, sollen die Bewilligungs­verfahren beschleunigt und Lärmschutz­vorgaben flexibilisiert werden.

Die FDP will ebenfalls den Lärm­schutz schwächen und die Bewilligungs­verfahren beschleunigen. Zusätzlich fordert die Partei eine Lockerung beim Denkmal­schutz, noch mehr Verdichtung und die vereinfachte Umnutzung von Büros in Wohnungen.

Die Mitte hat bisher auf Bundes­ebene keine konkreten Forderungen gestellt. In einem «Blick»-Artikel nennt die Partei die Einschränkung von Einsprache­möglichkeiten und eine mögliche Lockerung des Zweitwohnungs­gesetzes.

Die SVP will die Wohnungsnot mit einer Einschränkung der Zuwanderung bekämpfen.

Hier wird noch gebaut: Siedlung im Zürcher Quartier Unterstrass.

Zur Debatte: Wie erleben Sie die Wohnungsnot?

Was bedeutet die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt für das Leben von einzelnen Menschen? Uns interessiert: Wann haben Sie zuletzt eine Wohnung gesucht? Wie ist es Ihnen dabei ergangen – und waren Sie erfolgreich? Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit der Republik-Community. Hier gehts zur Debatte.

In einer früheren Version haben wir den Anteil von Airbnb-Wohnungen in Zürich mit 3,8 Prozent angegeben. Dies ist jedoch der Anteil sämtlicher Zweit­wohnungen. Über Airbnb werden 0,7 Prozent der Wohnungen angeboten. Wir haben die Stelle korrigiert. Vielen Dank für den Hinweis aus der Leserschaft.

Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob die Republik etwas für Sie ist? Dann testen Sie uns! Für 21 Tage, kostenlos und unverbindlich: