Auch an eher dunklen Ecken kann plötzlich ein Licht auftauchen. Alec Soth/Magnum Photos/Keystone

Challenge Accepted

Sie sehen schwarz in der Klimakrise? 10 neue Betrachtungen, die Hoffnung geben

Ob wir der Klimakrise hoffnungsvoll oder verzweifelt gegenüber­treten, können wir beeinflussen. Alles eine Frage der Perspektive. Die amerikanische Schrift­stellerin und Aktivistin Rebecca Solnit liefert dafür 10 Anregungen.

Von Rebecca Solnit, aufgezeichnet und übersetzt von David Bauer und Sabrina Weiss, 01.02.2024

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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1. Champagner!

Für viele ist das Engagement gegen die Klimakrise etwas, das man tut, weil es nötig ist. Das wenig Freude bereitet. So wie man als Kind gelernt hat, dass man seinen Spinat essen sollte. Dabei ist es manchmal das Beste, eine Aktivistin zu sein: nicht Spinat essen, sondern Champagner trinken.

Wer selber aktiv wird, gewinnt doppelt:

Man erfährt sich selbst als handelnde Person, die etwas bewirken kann; die nicht hilflos, passiv und machtlos ist, sobald sie grossen Heraus­forderungen gegenübersteht.

Und man trifft auf wunderbare Menschen, denen die gleichen Anliegen am Herzen liegen. Die Menschen, die ich über meinen Aktivismus kennen­gelernt habe, waren einige der inspirierendsten, helden­haftesten, prinzipien­treusten, fantasie­vollsten Menschen, die ich je getroffen habe.

Aktivismus heisst, sich nicht allein zu fühlen, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Es verhilft einem zur Erfahrung von Handlungs­fähigkeit, von Einfluss – und man ist zuvorderst dabei, wenn Veränderungen passieren.

Über diesen Text

Dieser Artikel basiert auf einem Gespräch mit der amerikanischen Schrift­stellerin, Historikerin und Aktivistin Rebecca Solnit, das Sabrina Weiss im Rahmen der Republik-Veranstaltung «Hoffnung in der Klimakrise» mit ihr geführt hat. Besonderen Dank an die zahlreichen Zuhörerinnen, die mit eigenen Fragen den Verlauf des Gesprächs mitgeprägt haben.

2. Wir retten die Welt nicht mit unserer Tugend

Wenn Menschen fragen, was sie fürs Klima tun können, werden sie häufig auf ihren persönlichen Konsum hingewiesen: Fliegen Sie nicht, essen Sie kein Fleisch, recyceln Sie – bla, bla, bla.

Damit werden wir behandelt, als wären wir nichts weiter als Verbraucher. Als würden wir nichts anderes tun als kaufen und konsumieren.

Wir alle sind aber auch Bürgerinnen: Wir sind Teil der Zivil­gesellschaft, wir sind die Einwohner einer Nation, egal ob wir Staats­bürger sind oder nicht. In der Rolle der Bürgerin zu handeln und Position zu beziehen, ist sinnvoller und sinn­stiftender.

Fest steht jedenfalls: Wir werden die Welt nicht durch tugend­haftes Handeln retten. Zu recyceln oder uns vegan zu ernähren, ist natürlich gut, aber wir werden das ganze System nicht dadurch verändern, was wir zu Hause tun oder lassen.

Wir müssen aktiv werden. Geld spenden, Briefe schreiben, rum­telefonieren, uns politisch einbringen. So bringen wir unsere Stimme auf die Strasse. So entstehen Bewegungen.

3. Die Klimakrise ist kein Generationen­kampf

Wenn ich mit Menschen in meinem Umfeld über die Klimakrise spreche, fällt mir auf, dass junge Menschen oft den älteren Generationen die Schuld geben, insbesondere den Baby­boomern. Weil niemand etwas gegen den Klima­wandel unternommen habe. Weil nun alles auf der jungen Generation laste.

Viele junge Menschen schliessen sich darum nur mit Gleich­altrigen zusammen. Das ist nicht hilfreich.

Ein junger Klima­aktivist sagte mir neulich, er habe lange nicht realisiert, dass so viele ältere Leute sich in der Klima­bewegung engagieren, weil er in einer Gruppierung war, die nur aus jungen Leuten bestand.

Umgekehrt erlebe ich ältere Menschen, die Dinge sagen wie: «Die jungen Leute sind so toll. Seht euch an, was sie tun, lasst sie uns unterstützen.» Was sie damit eigentlich sagen: Wir nehmen uns aus der Verantwortung und schauen euch zu, wie ihr die Probleme löst.

Die Vorstellung, dass eine ganze Generation das Problem ist und eine ganze andere Generation das Problem lösen wird, ist eine absurde Verkürzung. Wir sind nicht die Gegnerin des jeweils anderen. Der Klimawandel ist ein generationen­übergreifendes Problem.

4. Einschränkungen in unserem Lebensstil – die haben wir jetzt

Wir erzählen uns gegenseitig, dass wir in einem Zeitalter des Überflusses leben und dass sich die Klimakrise nur mit Einschränkungen und Verzicht überwinden lässt. Man kann das aber auch umdrehen: In vielerlei Hinsicht leben wir heute in einem Zeitalter der Einschränkungen – uns fehlt es an Hoffnung auf die Zukunft, an Verbindung zur Natur und zu unseren Mit­menschen, an sauberer Luft und sauberem Wasser.

Jede Krise ist eine Chance, das System so zu verändern, dass es für mehr Menschen und für die langfristige Zukunft besser funktioniert. Die Bewältigung der Klimakrise muss nicht mehr Einschränkungen bedeuten. Sie ermöglicht uns erst die wahre Fülle.

Wie wäre es, in einer Welt zu leben, in der wir uns sicher fühlen, weil wir gesünder sind und die Zukunft weniger düster ist? In der wir stärkere Beziehungen zu unseren Gemeinschaften und Nachbarn haben. In der alle Energie lokal erzeugt wird und wir uns nicht mehr an korrupter Geopolitik beteiligen, indem wir fossile Energie importieren müssen. Wie wäre das?

5. Revolutionen brauchen Zeit …

Der Theologe Walter Brueggemann sagte einmal: «Das Erinnern erzeugt Hoffnung auf die gleiche Weise, wie das Vergessen Verzweiflung erzeugt.» Wir können die Zukunft nicht vorhersehen. Aber wir können – und sollten unbedingt – die Vergangenheit präsent haben.

Die Vergangenheit zeigt uns, wie Wandel funktioniert. Es gibt viele vergleichbare Entwicklungen, wo etwas als unmöglich oder unvorstellbar galt – und dann zehn, fünfzig oder hundert Jahre später Wirklichkeit wurde. Die Abschaffung der Sklaverei, das Wahlrecht der Frauen, die Rechte von Behinderten, von Schwulen, Lesben und Queers.

Für den Kampf gegen die Klimakrise entscheidend ist, dass sich die Möglichkeiten dank der Wissenschaft und der Technologie verändert haben. Vor zwanzig Jahren gab es keine wirklichen Alternativen zu fossilen Brenn­stoffen. Wind- und Solar­energie waren teuer, unter­entwickelt und völlig unzureichend, um den Energie­bedarf der Welt zu decken. Seitdem hat eine wahre Energie­revolution stattgefunden: Die Preise für erneuerbare Energie sind dramatisch gesunken, ebenso für Batterien, um sie zu speichern. Überall auf der Welt gibt es Ingenieure, Wissenschaftlerinnen und Unternehmer, welche die Transformation vorantreiben.

Die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte waren massiv. Weil sie aber über einen langen Zeitraum passierten, nehmen viele Leute sie gar nicht wahr. Wir befinden uns tatsächlich in einer Revolution. Aber nur wer die lange Sicht einnimmt, erkennt sie.

6. … und passieren manchmal unerwartet plötzlich

Meine hoffnungsvolle Grundhaltung ist stark geprägt von Ereignissen, die ich in jungen Jahren miterlebt habe. Etwa dem Zusammen­bruch aller osteuropäischen Regimes im Jahr 1989. Zu Beginn des Jahres 1989 deutete wenig auf einen schnellen Zerfall der Sowjetunion hin. Ende 1989 war alles anders.

Möglich ist nicht nur das, was bereits wahrscheinlich erscheint.

Wir sehen die Saat des Wandels oft nicht. Wir gehen davon aus, dass alle Kräfte, die am Werk sind, bereits das Scheinwerfer­licht auf sich ziehen. Einige von ihnen wirken jedoch noch im Verborgenen.

7. Wenn Aufgeben für andere keine Option ist, dann ist es auch für uns keine

Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen, die mit schrecklichen Dingen konfrontiert sind, durchaus hoffnungsvoll sind. Nicht in dem Sinne, dass sie glücklich oder zuversichtlich wären, sondern dass sie sich weigern, aufzugeben.

Stellen Sie sich vor, ein autoritärer Staat will alle Angehörigen Ihrer ethnischen Gruppe oder Ihrer Religion töten. Will Sie aus Ihrem Haus vertreiben, Sie foltern und einsperren. Oder stellen Sie sich vor, ein Unternehmen will den Regenwald zerstören, auf den Sie zum Überleben angewiesen sind, oder will unter dem Boden, wo Ihre Vorfahren seit Jahr­hunderten lebten, fossile Brennstoffe fördern.

Aufgeben in solchen Situationen bedeutet, alles aufzugeben: die Freiheit, die Heimat, das eigene Leben und die Zukunft der Kinder. Es ist eine sehr direkte, sehr persönliche Begegnung mit der Zerstörung.

Verzweiflung ist in gewisser Weise ein Luxus. Wir, die wir in den komfortablen Teilen der Welt leben, haben kein Recht, aufzugeben. Denn wenn wir aufgeben, geben wir im Grunde nicht für uns selbst auf. Ob wir wollen oder nicht, wir drücken damit aus: Lasst sie ertrinken, lasst sie hungern, lasst sie ihre Häuser verlieren.

Wenn wir anerkennen, dass es immer Möglichkeiten gibt, etwas zu tun, und dass wir es in der Hand haben, Veränderungen anzustossen – wie können wir dann nicht handeln?

8. Scheitern kann erstaunlich erfolgreich sein

Im Jahr 2016 beschloss eine kleine Gruppe indigener Frauen aus dem Standing Rock Reservat in North Dakota, den Bau einer Ölpipeline zu bekämpfen. Aus der kleinen Gruppe wurde eine grössere Gruppe, alle Stämme des Lakota-Volkes schlossen sich an, der Widerstand wuchs und wuchs.

Das Ergebnis: Die Pipeline ist heute im Einsatz, auch wenn sie weiter bekämpft wird. Sehr verkürzt könnte man sagen: Die Lakota wollten die Pipeline stoppen, sie sind gescheitert.

Andererseits: Die Proteste waren die wahrscheinlich grösste Zusammenkunft indigener Völker in der westlichen Hemisphäre überhaupt. Es war das erste Mal seit dem 19. Jahrhundert, dass alle sieben Stämme des Lakota-Volkes zusammen­kamen – ein kulturell bedeutsamer Moment. Hunderte Veteranen kamen, fielen auf die Knie und baten um Entschuldigung für das, was das Militär den Vorfahren dieser Ureinwohner angetan hatte.

Und dann war da diese junge Frau, die in New York City mit ihren Freunden in ein Auto stieg und nach Standing Rock fuhr. Das, was sie dort sah, inspirierte sie so sehr, dass sie beschloss, für den amerikanischen Kongress zu kandidieren. 2016 kannte sie niemand ausser ihren Freunden, ihrer Familie und ihren Arbeits­kollegen. Völlig überraschend wurde sie gewählt. Sie wurde schnell zu einer der bekanntesten Politikerinnen der Vereinigten Staaten. Ihr Name: Alexandria Ocasio-Cortez.

Im Kongress brachte sie den «Green New Deal» ein, der zwar keine Mehrheit fand, aber eine Diskurs­verschiebung bewirkte: nämlich, dass Massnahmen gegen die Klimakrise eine Menge guter Arbeits­plätze schaffen. Viele Elemente des «Green New Deal» fanden sich schliesslich im «Inflation Reduction Act», für den Präsident Joe Biden eine Mehrheit fand und der Milliarden­investitionen in eine grüne Zukunft ermöglicht.

Was ich damit sagen will: Oft gewinnt man nicht auf direktem Weg, aber man bewirkt indirekt bedeutsame Veränderungen.

9. Wir sind genug

Ich höre immer wieder, wir müssten mehr Überzeugungs­arbeit leisten, mehr Menschen davon überzeugen, dass der Klima­wandel real ist und dass es wichtig ist, dass wir jetzt etwas unternehmen.

Das ist nicht nötig. Es gibt bereits genug Menschen, die das verstanden haben.

Wenn alle, die um den Ernst der Lage wissen, sich stärker engagieren würden, dann hätten wir alle, die wir brauchen. Aus Wissen muss nur Handeln werden.

Wir müssen unsere Freunde mobilisieren, nicht unsere Gegner bekehren.

10. Wir haben die Zukunft in der Hand

Dass schreckliche Dinge passieren könnten, bedeutet nicht, dass sie auch passieren werden.

Es ist gut, wenn wir die Schreckens­szenarien kennen. Aber wir dürfen uns von ihnen nicht blockieren lassen. Jeder Blick in die Zukunft muss mit einem Gefühl der Handlungs­fähigkeit gepaart werden: Wir sind es, die darüber entscheiden, ob Schaden vermieden und rückgängig gemacht wird.

Hoffnung bedeutet für mich, dass wir in der Gegenwart über die Zukunft entscheiden. Wir erschaffen die Zukunft durch unser Handeln oder Nichthandeln.

Wir befinden uns mitten in einem radikalen Wandel. Er muss umfassender, schneller und besser werden. Aber wir fangen nicht bei null an.

Alles Gute im Heute ist darauf zurück­zuführen, dass sich Menschen irgendwann mit Blick auf die Zukunft dafür eingesetzt haben. Eine Zukunft, die sie sich Jahrzehnte zuvor nicht vorstellen konnten und die manche von ihnen heute gar nicht mehr selbst erleben.

Wir wissen nicht, was unsere Bemühungen bewirken werden. Wir wissen nicht, wann wir Erfolg haben oder scheitern werden. Aber wir können aus der Vergangenheit lernen, dass es sich auf jeden Fall lohnt, sich einzusetzen.

Über die Autorin

Rebecca Solnit ist eine amerikanische Schrift­stellerin, Historikerin und Aktivistin. Seit dreissig Jahren erforscht sie die Konzepte der Hoffnung und des sozialen Wandels. Sie hat mehr als 20 Bücher und noch mehr Essays über Themen wie Menschen­rechte, Feminismus und die Klimakrise geschrieben. Ihr neuestes Buch, «Not Too Late», richtet sich an alle, die sich unsicher oder entmutigt fühlen, aber nach Antworten und Handlungs­möglichkeiten in der Klimakrise suchen.