«Die Halbierungs­initiative muss abgelehnt werden»

Der Bundesrat will das Budget der SRG kürzen, die grossen Verlage bauen Hunderte Stellen ab – und immer mehr Menschen wenden sich gleich ganz vom Journalismus ab. Medien­professor Mark Eisenegger ordnet die jüngsten Entwicklungen in der krisen­gebeutelten Branche ein.

Ein Interview von Dennis Bühler (Text) und Hanneke Rozemuller (Illustration), 14.11.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
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Herr Eisenegger, egal in welche Zeitung, auf welches Online­portal man auch blickt, überall dominieren derzeit bad news – schlimmste Kriegs­verbrechen, steigende Krankenkassen­prämien, der ungebremste Klima­wandel. Verspüren Sie nie Lust, Ihren Kopf unter dem Kopf­kissen zu vergraben und allen Nachrichten aus dem Weg zu gehen?
Doch, das kommt in der Tat vor. Wie andere Menschen auch bin ich von der Fülle an negativen News manchmal überwältigt.

In Ihrem Ende Oktober vorgestellten «Jahrbuch Qualität der Medien» fordern Sie Journalisten auf, nicht nur auf Probleme zu fokussieren, sondern Lösungen aufzuzeigen. Nur: Fast alle Versuche, konstruktiven Journalismus zu betreiben, sind gescheitert oder verharren in einer äusserst kleinen Nische.
In der Schweiz hat man das kaum je ernsthaft versucht, der «Tages-Anzeiger» etwa hat ein solches Experiment im Jahr 2016 schon nach wenigen Monaten wieder abgebrochen. Ich bin überzeugt, dass es höchste Zeit für neue Versuche ist.

Wie soll denn überhaupt positiv über einen so schlimmen Vorgang wie den Krieg zwischen Israel und der Hamas berichtet werden?
Sie unterliegen einem Irrglauben: Es geht beim konstruktiven Journalismus nicht darum, Negatives totzuschweigen. Entscheidend ist, dass Journalistinnen ihr Publikum nicht länger mit all den Problemen und Krisen alleinlassen, über die sie berichten, sondern dass sie mögliche Lösungswege aufzeigen. Beim Nahost­konflikt könnte man etwa rekapitulieren, welche Ansätze zu einer friedlichen Beilegung es in den vergangenen siebzig Jahren gab, und über Personen berichten, die im aktuellen Kriegs­geschehen im Kleinen Gutes tun. Ich glaube an einen Qualitäts­journalismus, der nicht beim Vermelden negativer Breaking News stehen bleibt, sondern das Geschehen einordnet und konstruktive Lösungen aufzeigt.

Zur Person

zVg

Mark Eisenegger ist Co-Direktor und Studienprogramm­direktor am Institut für Kommunikations­wissenschaft und Medien­forschung der Universität Zürich. Zudem leitet er deren Forschungs­zentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG), das seit dreizehn Jahren jeweils im Herbst das «Jahrbuch Qualität der Medien» heraus­gibt. Vorgänger Eiseneggers war der Medien­soziologe Kurt Imhof, der 2015 starb. Gemeinsam mit weiteren Mitstreiterinnen hatten Eisenegger und Imhof das FÖG 1997 gegründet.

Immer mehr Menschen wenden sich vom Journalismus ab: Inzwischen sind 43 Prozent der Schweizer Bevölkerung «News-depriviert». So bezeichnen Sie Menschen, die kaum mehr Nachrichten lesen, hören oder schauen. Noch 2009 waren es lediglich 21 Prozent. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Ja, das tut sie. Denn wir wissen aus Studien, dass sich Menschen, die kaum News konsumieren, weniger für Politik und demokratische Teilhabe interessieren und den staatlichen Institutionen weniger vertrauen.

Ist das Funktionieren der Schweizer Demokratie gefährdet, falls der Wert der News-Deprivierten weiter ansteigt?
Das Projekt der Demokratie ist seit seinen Anfängen in der Antike im 5. Jahrhundert vor Christus eng mit der Qualität des öffentlichen Diskurses verknüpft. Wenn sich nun immer mehr Menschen vollständig von Journalismus abkoppeln, nimmt dessen Bedeutung für politische Aushandlungs­prozesse ab und die Kontroll­funktion leidet. Das wirkt sich negativ auf die Demokratie­qualität aus.

Sind vor allem junge Erwachsene News-depriviert?
Lange Zeit war das so. Seit einiger Zeit verzeichnen wir jedoch in sämtlichen Alters­segmenten einen Zuwachs. Die News-Deprivation ist zum Massen­phänomen geworden.

Wenn man Ihrer neuesten Erhebung glaubt, kann es nicht an der Leistung der Medien­branche liegen, dass sie immer weniger Menschen erreicht: Die Gesamtqualität sei seit 2015 nie höher gewesen als jetzt, behaupten Sie. Das kommt überraschend.
Drei Faktoren sind ausschlag­gebend für unseren positiven Befund. Erstens setzten in den letzten Jahren viele Redaktionen mehr auf Relevanz und Einordnung, vor allem während der Pandemie und wegen des Ukraine-Kriegs. Zweitens haben sich die Pendler- und Boulevard­medien zuletzt deutlich verbessert, ihre Qualitäts­offensive schlägt sich in besseren Werten nieder. Und drittens kommt es der Qualität zugute, dass viele Zeitungen ihren Umfang stark reduzierten – und öfter auf Artikel von minderer Qualität verzichten.

Sie sagen, es sei der Qualität zuträglich, wenn viel über Kriege oder die Pandemie berichtet wird – gleichzeitig sind es aber gerade solche Themen, die dazu führen, dass sich viele Leute vom Journalismus abwenden. Beisst sich die Katze da nicht in den Schwanz?
Diese Gefahr besteht tatsächlich. Während der Pandemie standen zeitweise bis zu 70 Prozent aller journalistischen Beiträge in Schweizer Medien in Verbindung zu Covid. Da wurde ein kritischer Schwellenwert überschritten – das war vielen Menschen too much. Sie sagten uns bei Befragungen: Ich will nicht permanent auf allen Kanälen mit diesem Problem konfrontiert werden. Grundsätzlich ist aber die Art und Weise der Bericht­erstattung entscheidend. Wenn sie hinter­gründig ist und eine Einordnungs­leistung erbringt – wie das während der Pandemie vermehrt der Fall war –, steigert das nicht nur die Qualität, sondern auch die Zahlungs­bereitschaft des Publikums.

Als zweiten Faktor nennen Sie eine Qualitäts­verbesserung bei Pendler- und Boulevard­medien, womit Sie primär «20 Minuten» und den «Blick» meinen. Letzterer hat im Juni eine Bezahl­schranke eingeführt, seither ist die Lektüre von rund 10 Prozent der Artikel kosten­pflichtig. Wie schätzen Sie die Chancen für «Blick+» ein?
Ich hoffe, dass es funktionieren wird. Wenn man Nutzer fragt, wofür sie zu zahlen bereit sind, wird als Erstes hohe Qualität genannt, gefolgt von spezifischen oder exklusiven Inhalten, die es sonst nirgendwo gibt. Beides ist dem «Blick» zuzutrauen, auch dank einer guten Sport­berichterstattung.

Ich fürchte, dass die «Blick»-Leserschaft andere Qualitäts­vorstellungen hat als Sie als Medien­professor. Die Zeitung ist in den letzten sechs, sieben Jahren zwar anständiger und korrekter, aber nicht unbedingt interessanter geworden.
Einst waren sogenannte «weiche» Themen für Boulevard­medien prägend: soft news und human interest. Doch seit Tiktok und Instagram allgegenwärtig sind, wird die Öffentlichkeit regelrecht mit solchen Inhalten geflutet – und das kostenlos. Wenn der «Blick» im Nutzer­markt Erlöse erzielen will, muss er seriöser und relevanter werden. Der Erfolg dieser Strategie ist nicht garantiert, sie ist aber so oder so unumgänglich.

Die Zahlungsbereitschaft bleibt allerdings generell tief: Nur gerade 17 Prozent der Bevölkerung geben an, im Jahr 2022 für Online­journalismus bezahlt zu haben.
Die Schweiz befindet sich damit im internationalen Durchschnitt, substanziell höher ist die Zahlungs­bereitschaft vor allem in Norwegen und Schweden. Auch wenn der Wert hierzulande seit einigen Jahren bei 17 Prozent stagniert, sehe ich Potenzial.

Wo?
Journalismus muss in Bildungs­einrichtungen eine viel grössere Rolle spielen als bisher. Ich habe den Eindruck, dass heute viele Menschen meinen, jeder Blogger und jede Influencerin könne die «Watchdog»-Funktion genauso gut übernehmen wie eine gut ausgestattete Redaktion. Das ist ein Irrglaube. Hochwertiger Journalismus und ein entsprechender Berufs­stand sind unverzichtbar.

Gemäss einer Befragung aus dem Jahrbuch 2021 weiss eine Mehrheit der Bevölkerung nichts vom immensen Spardruck im Journalismus: 54 Prozent sagten damals, dass sie gar nicht bis wenig besorgt seien über die finanzielle Situation.
Das hat mich auch erstaunt – und es zeigt, dass die Medien­branche noch viel Aufklärungs­arbeit zu leisten hat. Zumal eine vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie gezeigt hat, welche Argumente am wirksamsten sind, um die Zahlungs­bereitschaft zu erhöhen: Am meisten hilft, wenn erklärt wird, wofür die Kosten für ein Abonnement konkret eingesetzt werden, und wenn gleichzeitig transparent gemacht wird, wie es um die finanzielle Situation der Branche steht.

Seit zwei Jahrzehnten jagt in den Redaktionen eine Sparrunde die nächste. Zuletzt verkündete CH Media vergangene Woche den Abbau von 150 Vollzeitstellen. Was bedeutet das für den Journalismus im Mittel­land sowie in der Ost- und der Zentral­schweiz, wo der Verlag eine nahezu markt­beherrschende Position innehat?
Man muss jetzt zuerst mal abwarten, wo die Stellen genau verloren gehen. Klar ist, dass ein substanzieller Abbau der Redaktionen diese Regionen hart treffen würde. Bereits heute gibt es ja in vielen Kantonen nur noch eine Tages­zeitung. Die föderalistische Schweiz ist auf eine funktionierende Publizistik auf allen Ebenen angewiesen, der nationalen, sprach­regionalen und auch der lokalen. Wird die lokal-regionale journalistische Publizistik geschwächt, steigt unter anderem das Risiko, dass die Behörden hier ihre Kommunikation hochfahren, ohne ausreichend journalistisch überwacht zu werden.

Im Oktober entliessen die beiden zur TX Group gehörenden Unternehmens­einheiten Tamedia und «20 Minuten» Dutzende Mitarbeitende. Gleichzeitig schüttete der Konzern seinen Aktionären in den Jahren 2021, 2022 und 2023 je 45 Millionen Franken Dividenden aus.
Das ist so. Auch wenn die TX Group genauso wie andere Medien­unternehmen unter der stagnierenden Zahlungs­bereitschaft des Publikums und vor allem dem Abfluss der Werbe­erlöse an Youtube, Such­maschinen und Social Media leidet, verbleibt dem Konzern ein beträchtlicher Teil des Werbe­kuchens. Seine digitalen Markt­plätze florieren, allen voran die Swiss Marketplace Group, ein vor zwei Jahren gegründetes Joint Venture von TX Group, Ringier, Mobiliar und General Atlantic. Auch CH Media forciert ja ihre Präsenz bei den Online-Marktplätzen und Online-Stellenbörsen, den sogenannten «classifieds». Es wäre zu wünschen, dass die in diesen Geschäfts­bereichen erzielten Gewinne mehr in den Journalismus reinvestiert werden.

Warum sollten sie?
In der analogen Welt war es selbst­verständlich, dass eine Zeitung nicht allein durch Kiosk­verkäufe und Abonnements finanziert wurde, sondern mindestens genauso stark durch Werbe- und Rubriken­anzeigen. Der Siegeszug des Internets hat die lukrativen Stellen-, Gebrauchtwagen- und Immobilien­inserate von den redaktionellen Inhalten entkoppelt. Doch die Verleger sollten zumindest einen Teil der Einnahmen weiterhin dazu nutzen, ihre Redaktionen mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, damit diese ihrer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe nachkommen können. Leider stemmen sich manche Verleger gegen Quer­finanzierungen.

Was müssten Konzerne wie die TX Group oder CH Media denn konkret tun?
Beides sind private Unternehmen, die tun und lassen können, was sie wollen. Aber wenn sie sich weiterhin zum Journalismus und zu seiner staatspolitisch bedeutenden Rolle bekennen, sollten sie antizyklisch in ihre Redaktionen investieren, statt Personal abzubauen.

Die Medienkonzentration nimmt immer krassere Ausmasse an. In der Deutsch­schweiz haben die vier grossen Medien­häuser zusammen einen Marktanteil von 85,1 Prozent – 29,4 Prozent entfallen auf die TX Group, 26,8 Prozent auf die SRG, 16,1 Prozent auf CH Media und 12,8 Prozent auf Ringier.
Diese Werte sind bemerkenswert, auch wenn die Medien­konzentration in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Ländern gar nicht so ausgeprägt ist. Die grossen Schweizer Verlage haben den Markt unter sich aufgeteilt, sie konkurrieren in der Deutsch­schweiz fast nur noch in den Städten Zürich und Basel sowie in der überregionalen Bericht­erstattung. Noch viel gravierender ist die Situation im Übrigen in der Romandie.

Dort kommen die TX Group mit 46,8 Prozent und die SRG mit 34,7 Prozent zu zweit auf einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent.
Genau. Und nun streicht die TX Group mehr als 10 Prozent ihrer insgesamt 250 Stellen in der Romandie. Es sind die kleinen Sprach­regionen, die oft zuerst und überproportional stark bluten.

Neben der strukturellen gibt es auch die inhaltliche Konzentration: TX Group, CH Media und die Westschweizer Verlags­gruppe ESH Médias setzen auf Zentral­redaktionen, die alle zum jeweiligen Verbund gehörenden Titel mit überregionalen Berichten versorgen. Jeder vierte im Deutsch­schweizer Pressemarkt veröffentlichte Beitrag erscheint heute in mindestens zwei verschiedenen Medientiteln. Müssen wir von einem medialen Einheitsbrei sprechen?
Noch ist mir diese Formulierung zu zugespitzt. Aber natürlich bereitet mir diese Entwicklung Sorgen, und ich bin froh, dass wir sie mit unserer Forschung wenigstens transparent machen können. Aus demokratie­theoretischer Sicht fällt die inhaltliche Medien­konzentration besonders bei Kommentaren, Leitartikeln und Rezensionen ins Gewicht, wie sie etwa vor politischen Abstimmungen und Wahlen erscheinen. Leider stieg der Anteil geteilter Texte auch in diesem Bereich stark an: von 8 auf 26 Prozent im Zeitraum von 2017 bis 2022.

Sehen Sie politischen Handlungs­bedarf im Medienbereich?
Eigentlich schon, ja. Unbedingt sogar.

Aber?
Seit das Medienfördergesetz im Februar 2022 an der Urne abgelehnt wurde, steckt die Schweiz in einer medien­politischen Sackgasse. Es gibt keine visionären Pläne mehr, alles ist total festgefahren. Diskutiert werden nur noch zwar notwendige, aber kleine Schritte wie etwa eine finanzielle Unterstützung des Presserats oder der Nachrichten­agentur Keystone-SDA.

Wie schaut denn Ihre medien­politische Vision aus?
Meine Vision ist die eines starken dualen Mediensystems mit einem weiterhin starken landesweiten Service public und ebenso starken privaten Medien, die sich ausreichend über den Markt refinanzieren können, das heisst über Werbe­einnahmen und Verkäufe ihrer Publizistik. Die wirtschaftliche Situation privater Medien wird aber schwierig bleiben. Deshalb braucht es eine mutige Neuauflage der Medien­förderung, ein «Medienpaket 2.0». Die staatsfern ausgestaltete Medien­förderung sollte möglich machen, dass alle privaten Medien unabhängig von der Gattung und vom Distributions­kanal Förder­gelder erhalten können, sofern sich ihre journalistischen Inhalte an ein breites Publikum richten und sie sich auf journalistische Standes­regeln verpflichten. Die Eidgenössische Medien­kommission hat dazu sinnvolle Vorschläge gemacht. Allerdings braucht es Übergangs­massnahmen, und das kurzfristig. Wir haben nicht Zeit, zehn oder noch mehr Jahre auf den grossen Wurf zu warten.

An einer Front könnte es schnell gehen: Im nächsten Jahr diskutiert das Parlament über das vom Bundesrat vorgeschlagene Leistungs­schutzrecht für journalistische Veröffentlichungen, mit dem globale Tech-Plattformen wie Google oder Meta verpflichtet würden, Schweizer Medien für das Anzeigen von Link-Vorschauen zu entschädigen.
Das Leistungsschutz­recht ist ein erster, sinnvoller Schritt zur Milderung der Finanzierungs­probleme. Aber es löst allein die Probleme nicht.

Weshalb ist es sinnvoll?
Ich unterstütze das Vorhaben, auch weil es relativ bald umsetzbar ist. Ich finde es richtig, dass die globalen Tech-Plattformen zur Kasse gebeten werden, nachdem sie dem Journalismus massiv Werbegelder entzogen haben. Zudem profitieren Google, Facebook, Youtube und Co. von einem positiven Reputations­transfer, wenn sie Link-Vorschauen auf journalistische Beiträge anzeigen: Wir wissen, dass das in den Journalismus gehegte Vertrauen signifikant höher ist als das Vertrauen in die Tech-Plattformen.

Redaktionen profitieren allerdings auch: Die Tech-Plattformen bringen ihnen Traffic.
Das stimmt zwar, allerdings passiert das offenbar nicht im grossen Stil. Eine im vergangenen Jahr publizierte Studie deutet darauf hin, dass sich viele User mit den angezeigten Textvorschauen zufrieden­geben und nicht auf die Links klicken, die zu den originären journalistischen Inhalten führen, sondern gleich weiterscrollen. Es braucht zu dieser Frage jedoch noch mehr Forschung und Daten, auch zur Schweiz.

Neben dem Leistungs­schutzrecht wird in der medien­politischen Debatte auch die von der SVP lancierte SRG-Halbierungs­initiative viel Raum einnehmen. Was empfehlen Sie?
Die Halbierungsinitiative muss abgelehnt werden, weil die SRG mit einer derart deutlich reduzierten Medien­abgabe ihren Konzessions­auftrag nicht mehr erfüllen könnte: Sie wäre zu einer Zentralisierung und einem Abbau der Leistungen gezwungen, was primär die kleineren Sprach­regionen hart träfe. Zudem würde die SRG wohl besonders bei teuer produzierten Hintergrund­sendungen sparen, die von privaten TV-Anstalten niemals hergestellt würden, weil sie sich allein mit Werbe­geldern nicht finanzieren lassen. Alles in allem ist die Halbierungs­initiative völlig anachronistisch.

Inwiefern?
In einer Zeit, in der der Journalismus mit wachsenden Finanzierungs­problemen kämpft und massenhaft Stellen gestrichen werden, sollten wir sicher nicht den öffentlichen Rundfunk zurückdrängen. Denn von einem gesunden, solid finanzierten öffentlichen Rundfunk profitiert das gesamte Mediensystem: Die SRG hilft mit, das System­vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Journalismus zu stärken. Und wer vertraut, ist eher bereit, auch über die Serafe-Gebühren hinaus Geld auszugeben.

Mit welcher Motivation wollen die Initianten die SRG Ihrer Meinung nach zurückbinden?
Es ist wissenschaftlich sehr gut belegt, dass die Demokratie­qualität in Ländern mit einem breit genutzten und gleichzeitig unabhängigen öffentlichen Rundfunk deutlich besser ist. Ich vermute, dass sich dessen auch jene Kreise bewusst sind, die sich für die Halbierungs­initiative starkmachen. Vielleicht soll auch Platz geschaffen werden für Investoren mit einer politischen Agenda.

Der Bundesrat hat vergangene Woche beschlossen, die Halbierungs­initiative zur Ablehnung zu empfehlen, die Serafe-Gebühr aber bis ins Jahr 2029 in zwei Schritten von 335 Franken auf 300 Franken zu senken und kleine und mittlere Unternehmen mit einem Jahres­umsatz von maximal 1,2 Millionen Franken von der Abgabe zu befreien. Das gegenwärtige SRG-Budget wird damit um rund 10 Prozent gekürzt. Was halten Sie von diesem Entscheid?
Ich sehe ihn kritisch. Der Bundesrat kommt mit seinem Kürzungs­vorschlag, bevor die Diskussion zum Service-public-Auftrag und zur neuen Konzession geführt wurde. Es sollte genau andersherum laufen: Zuerst müsste der Leistungs­auftrag festgelegt werden, dann das dafür erforderliche Budget. Dazu gehört auch eine ausführliche Diskussion, wie ein zeitgemässer medialer Service public im digitalen Zeitalter aussehen soll. Ich stimme zu, dass die SRG zurückhaltend sein soll bei Inhalten, die die Privaten auch anbieten können. Ihr aber ein Vollprogramm mit Sport und Unterhaltung zu verbieten, wie das der Bundesrat nun will, ist der falsche Weg.

Weshalb?
Wie andere öffentliche Medien im Ausland kann die SRG ihre positive Wirkung auf die Gesellschaft nur entfalten, wenn sie Reichweite erzielt. Dazu braucht es ein Vollprogramm.

Lassen Sie uns zum Schluss über die Republik sprechen. Für das aktuelle Jahrbuch massen Sie im Jahr 2022 erstmals die Qualität unserer Bericht­erstattung. Mit welchem Ergebnis?
Wir stellen ein gutes Zeugnis aus, orten aber Möglichkeiten zur Verbesserung. Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen: Die Republik profiliert sich durch eine hohe Relevanz, sie bringt hinter der WOZ und gleichauf mit der NZZ die beste Einordnungs­leistung der gesamten Medien­arena. Für einen jungen Player mit verhältnis­mässig kleiner Redaktion ist das beachtlich.

Was machen wir schlecht?
Zweierlei. Ein Defizit ist dem Konzept der Republik geschuldet: Weil sie mit ihren täglich zwei, drei Beiträgen verständlicher­weise keine breite Auslands­berichterstattung bietet, sondern in diesem Themen­bereich bloss vereinzelt Artikel veröffentlicht, schneidet sie in der Kategorie geografische Vielfalt schlecht ab. Das hatten wir so erwartet.

Das zweite Defizit kam überraschend?
Ja. Wir stellten bei unserer Untersuchung fest, dass die Republik überdurch­schnittlich oft emotionalisiert. Das ist zwar nicht per se schlecht, weil dieses Stilmittel dazu dienen kann, die Leserschaft zur Lektüre eines Beitrags zu motivieren. Doch der Grat ist schmal. Wenn Emotionen die Einordnungs­leistung überlagern, schmälert dies die Chance, dass eine sachliche, konstruktive Anschluss­debatte entsteht.

Das heisst, wir skandalisieren zu stark?
Nein, aber die Republik emotionalisiert zu stark. Vor allem bei Titeln und Leads setzt die Republik häufig auf emotional aufgeladene Wörter und bildhafte Beschreibungen. Ein Beispiel ist mir speziell in Erinnerung: Ein Artikel von Constantin Seibt über das Medienförder­gesetz trug den Titel «Untote vs. Sterbende» und versprach eine «Liebes­geschichte», die «im Kalten Krieg ihren Anfang nahm». Ein sachlicherer Ton würde die Leserinnen und Leser eher zu differenziertem Denken animieren.

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