Der letzte Hilferuf der Medienverlage
Der Bundesrat spricht sich für ein Leistungsschutzrecht aus – und die grossen Schweizer Medienverlage sind begeistert. Doch die Befürworter einer Linksteuer für Google und Co. stützen sich auf eine fragwürdige Studie. Und auf Argumente, die einer näheren Überprüfung nicht standhalten.
Von Adrienne Fichter, 25.05.2023
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Als Anwalt für Immaterialgüterrecht arbeitet Thomas Höppner in den Grossstädten Berlin, Brüssel, London und Düsseldorf. Vor zwei Wochen aber reiste er ins beschauliche Luzern – mit einer beunruhigenden Botschaft im Gepäck. Am Swiss Media Forum, dem jährlichen Branchentreffen, prophezeite er den Schweizer Medien eine düstere Zukunft.
Bald werde die «Null-Klick-Ära» erreicht, sagte Höppner. Was er damit meinte: Niemand mehr klicke auf einen Medienartikel, weil dessen Inhalt auf Social-Media-Plattformen, von Suchmaschinen und neuerdings von KI-Tools wie Chat GPT vollständig abgebildet werde.
Höppners Adressaten – die Schweizer Medienverleger – nickten zu seinen Ausführungen. Denn der Vortrag des Gastes aus Deutschland bildete den Startschuss einer Kampagne, mit der sie doch noch in den Genuss von mehr indirekter Medienförderung kommen wollen. Dies, nachdem die Stimmbevölkerung einen Ausbau der staatlichen Unterstützung im Februar 2022 abgelehnt hatte.
Gestern Mittwoch sprach sich auch der Bundesrat für die Einführung des sogenannten Leistungsschutzrechts aus. Damit gemeint ist eine Art Linksteuer, welche die Big-Tech-Konzerne an die Medienverlage bezahlen sollen.
Ich will es genauer wissen: Das hat der Bundesrat gestern beschlossen
Die Landesregierung schlägt eine Änderung des Urheberrechts vor. Konkret will sie, dass grosse Online-Dienste den Medienunternehmen künftig eine Vergütung entrichten müssen, wenn sie sogenannte Snippets benutzen. Dabei handelt es sich um Vorschauen auf Medienberichte, die in der Regel den Titel des Artikels beinhalten, ein kleines Bild sowie ein, zwei Sätze, die zum Klick verlocken sollen. Gemäss dem Vorschlag des Bundesrats wären nur Online-Dienste vergütungspflichtig, die im Verlauf eines Jahres von mindestens 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung aufgerufen werden, was zurzeit rund 900’000 Menschen entspricht.
Offen lässt der Bundesrat die Frage, ob künftig auch Social-Media-Plattformen Geld bezahlen müssen, wenn ihre Nutzerinnen Snippets teilen. Er hat dazu zwei Varianten in die Vernehmlassung geschickt, die bis Mitte September dauert. So oder so vergütungsfrei bleiben soll das Setzen von reinen Hyperlinks.
Die Verwertung der Rechte an den Medieninhalten soll über eine Verwertungsgesellschaft erfolgen, die die Interessen der Medienunternehmen und Medienschaffenden kollektiv vertritt und mit den vergütungspflichtigen Online-Diensten die Höhe und Modalitäten der Vergütung aushandelt. Möglicherweise wird Pro Litteris diese Aufgabe übernehmen. Von den Einnahmen sollen nicht nur die grossen Medienverlage profitieren, sondern gemäss Bundesrat auch kleinere und regionale Medienunternehmen.
Knapp eineinhalb Jahre nachdem das Medienpaket an der Urne versenkt wurde, setzt die krisengeschüttelte Medienbranche grosse Hoffnungen in dieses Leistungsschutzrecht – es ist gewissermassen ihr letzter Hilferuf. Das Argument der Verlegerinnen: Potenzielle Leser klickten nicht mehr auf die von ihren Journalistinnen erstellten Artikel, weil sie sich mit den Vorschauen zufriedengeben würden, die bei Suchmaschinen wie Google und auf Plattformen wie Facebook angezeigt werden.
In einer umfassenden Recherche hat die Republik vor mehr als einem Jahr aufgezeigt, dass diese Argumentation nicht haltbar ist. Denn zum einen können die Medienverlage technisch selbst definieren, ob und inwieweit Google, Facebook und Co. ihre Links abgreifen dürfen. Und zum anderen müssten gemäss der Logik der Verleger auch alle anderen Content-Produzenten – etwa die Online-Enzyklopädie Wikipedia – entschädigt werden (wovon die Verleger selbstredend nichts wissen wollen).
Doch der Verlegerverband hält unbeirrt an seinem vermeintlichen Anspruch auf eine Linkentschädigung fest, für die er schon seit Jahren in Bundesbern lobbyiert. Mit einigem Erfolg: Vertreterinnen aller grossen Parteien haben sich einem vom Verband koordinierten Komitee angeschlossen, das sich gestern hinter die Pläne des Bundesrats stellte.
In der Medienmitteilung heisst es: «Der Allianz geht es um einen lebendigen Schweizer Medienplatz, der bereits heute durch das Geschäftsgebaren der internationalen Tech-Giganten bedrängt und ohne Regulierung nachhaltig geschädigt werden wird.»
Die methodischen Schwächen einer Studie
Vor zwei Monaten hatte der Verlegerverband zudem eine Studie des Forschungs- und Beratungsbüros Fehr Advice veröffentlicht, in der behauptet wird, dass allein Google den Schweizer Medienverlagen jährlich 154 Millionen Franken schulde.
Die Zahl wurde daraufhin von verschiedenen Medien unkritisch übernommen. Doch die Studie macht falsche Aussagen und vermischt Äpfel mit Birnen.
Es stimmt zwar, dass eine Suchmaschine durch die Integration von Medieninhalten aufgewertet wird, weil sie qualitativ hochwertige Inhalte für die Nutzerin anzeigt. Doch viel Geld verdient Google damit nicht – anders als in der Studie behauptet. So wird bei newsrelevanten Suchbegriffen wie «Hitzesommer», «Bergsturz Brienz» oder «Ukraine-Krieg» kaum Werbung geschaltet, wie eine Auswertung der Digitalagentur DEPT Agency für die Republik zeigt. «News-Keywords generieren für Google kaum Werbegeld, zumindest nicht direkt», sagt DEPT-Agency-Mitgründer Lukas Stuber.
Die Auswertung von DEPT Agency stützt damit eine frühere Studie von Sistrix, einem Unternehmen, das Website-Rankings analysiert, die ebenfalls aufzeigte, dass journalistische Inhalte für Google nahezu irrelevant sind.
Der fragwürdigste Punkt der vom Verlegerverband in Auftrag gegebenen Studie ist jedoch ein anderer: Die Fehr-Advice-Forscherinnen griffen bei ihren Berechnungen auf das falsche Werbemodell und den falschen Geldtopf zurück: das Google-AdSense-Programm. Mithilfe dieses Programms schalten Tagesanzeiger.ch, NZZ.ch oder Watson.ch Werbung auf ihren Webseiten. Google dient dabei als technische Börse dieses Werbehandels, vermittelt zwischen Medienverlag und Werbekunden und knöpfte für diese Leistungen Provisionen ab. Durch Google AdSense dürften weltweit Medienverlage tatsächlich geschröpft worden sein, denn der Tech-Gigant soll bei der Auslieferung von Werbung prozentual viel zu viel Geld eingesackt haben, wie eine Anklageschrift in den USA nahelegt. Auch die Schweizer Medienverlage hätten womöglich Anspruch auf deutlich höhere Werbeeinnahmen.
Dies hat allerdings nichts mit dem monetären Wert einer Linkvorschau bei News-Aggregatoren wie Google News zu tun. Das Kernargument der Fehr-Advice-Studie ist somit sachfremd.
Zweifelhafte Behauptungen zu KI-Chatbots
Anwalt Thomas Höppner richtete in seinem Vortrag am Swiss Media Forum noch einen weiteren Appell an die Schweizer Politik: Die seit eineinhalb Jahren in Ausarbeitung begriffene Vorlage zum Leistungsschutzrecht müsse upgedatet werden – und zwingend auch das Thema künstliche Intelligenz umfassen, das in den letzten Monaten viel mehr Aufmerksamkeit erhielt als zuvor. Auch Verlegerverbandspräsident Andrea Masüger forderte beim Branchentreffen, dass KI in die Vorlage aufgenommen werden müsse.
Vorerst hat der Bundesrat diesem Wunsch gestern zwar nicht entsprochen. Doch dies ist wohl nur eine Frage der Zeit: Der deutsche Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger und der Medienverband der freien Presse schlugen bereits Alarm und sehen ihre Urheberrechte wegen KI verletzt. Die Schweizer Medien werden in diesem Punkt früher oder später nachziehen.
Die Kernfrage lautet dabei: Greifen KI-Tools wirklich verbotenerweise auf journalistische Inhalte zu? Ja, meint Höppner. Seit kurzem würden von kommerziellen Big-Tech-Firmen im Netz gratis KI-Tools angeboten, mit denen auch Medieninhalte in Echtzeit geschürft werden könnten und die das Geschäftsmodell der Content-Provider deshalb noch mehr bedrohten, sagte er am Swiss Media Forum.
Dies demonstrierte er in Luzern, indem er den Chatbot der Suchmaschine Bing (der vom Sprachmodell GPT des Unternehmens Open AI stammt) nach einer Zusammenfassung eines NZZ-Artikels zur Krönung des neuen englischen Königs Charles III. fragte. Sein Fazit: Chatbots unterwanderten gezielt die Paywalls von Tagesanzeiger.ch und NZZ.ch – weshalb er der Branche eine «Newspocalypse 2023» prognostizierte.
Aber klauen die Chatbots wirklich ganze Medieninhalte?
Ob die KI-Modelle effektiv hinter der Bezahlschranke Artikel «schürfen» können, hängt wie bei der Suchmaschinenindexierung von mehreren Variablen ab. Etwa davon, wie ein Medienverlag seine Paywall konfiguriert hat. Bei der Bezahlschranke von NZZ.ch handelt es sich um eine soft paywall. Das heisst: Der Verlag möchte, dass Suchmaschinen durchaus gewisse Inhalte abfragen können. Die Schranke des «Tages-Anzeigers» hingegen ist eher hart, womit Zugriffe von Crawlern verweigert werden. Crawler sind Computerprogramme, die automatisch das Internet durchsuchen und Daten von Websites sammeln.
Kurz: Die Verlage haben es selbst in der Hand, inwieweit KI auf ihre Inhalte zugreifen kann. Sie verfügen durch die Wahl ihrer Einstellungen – wie etwa robots.txt, eine Textdatei, die festlegt, ob und wie die Webseite von einem Webcrawler besucht werden darf, und künftig das TDM Reservation Protocol, eine maschinenlesbare Lösung, in der definiert werden kann, auf welche Webinhalte zugegriffen werden darf – durchaus über Gestaltungsspielraum bei der Zugänglichkeit ihrer Inhalte.
Verlangt man bei Chat GPT eine Zusammenfassung eines Artikels, so beschränkt sich diese oft auf drei Sätze. Inhaltlich bleibt es bei einer sinngemässen Wiedergabe von Titel und Lead, und sehr oft halluziniert der Chatbot auch etwas zusammen, was gar nicht dem Inhalt des Artikels entspricht. So schreibt der Bingbot in seiner dreizeiligen Zusammenfassung eines «Tages-Anzeiger»-Artikels über einen Amoklauf in Serbien, dieser habe sich am 11. Mai in Novi Sad ereignet. Sowohl Ort als auch Datum sind falsch.
Zähe Verhandlungen mit Google
Verlegerverbandspräsident Masüger rechnet erst in drei bis fünf Jahren mit den ersten Zahlungen von Big-Tech-Unternehmen, wie er am Swiss Media Forum sagte. Widerstand kommt vom Verband Medien mit Zukunft, vom IT-Verband Swico und von der Digitalen Gesellschaft. Ihr Kernargument lautet: Das Leistungsschutzrecht verstösst gegen ein wesentliches Grundprinzip des Internets – die freie Verlinkung. Ausserdem können die Medienverlage Suchmaschinen den Zugang verwehren, wenn sie dies wünschen.
Doch selbst wenn die Vorlage vom Parlament beschlossen wird und ein allfälliges Referendum überstehen sollte, ist fraglich, ob die Medienverlage danach so schnell gutes Geld aus dem Silicon Valley erhalten werden.
Denn der Blick ins Ausland zeigt, dass die eigentliche Arbeit erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes beginnt: dann, wenn eine Verwertungsgesellschaft wie Pro Litteris direkt mit Google und weiteren Tech-Giganten verhandeln wird.
Erfolgreich waren dabei die französischen und australischen Medienverlage, die viel Geld bekommen. Die deutschen Medienverlage hingegen scheinen mit ein paar Hunderttausend Euro lediglich ein paar Brosamen herausgeschlagen zu haben.
Zur Transparenz: Im Beitrag wird der Verband Medien mit Zukunft erwähnt, bei ihm ist auch die Republik Mitglied.