Aus der Arena

Untote vs. Sterbende

Eine Liebesgeschichte zum Mediengesetz, die im Kalten Krieg ihren Anfang nahm.

Von Constantin Seibt, 11.02.2022

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Dass etwas von den Toten wiederaufersteht, das war fast immer eine schlechte Nachricht. Das haben mich die Filme gelehrt. Auf einen Jesus kommen eine Million Zombies.

David Wong, Schriftsteller.

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Tatsächlich, die Untoten sind zurück. Falls die Umfragen nicht täuschen, gewinnen sie dieses Wochen­ende die Abstimmung zum Medienpaket.

Und, man glaube es oder nicht, es ist die Fortsetzung einer einsamen Liebes­geschichte.

Eigentlich endete diese schon vor über dreissig Jahren. 1989 fiel die Berliner Mauer. Und damit endete der Kalte Krieg. Was für Millionen eine Befreiung war, war für einen ganzen Berufs­stand eine Katastrophe – die Strategen, die Söldner des Kalten Krieges.

In der Schweiz war dies ein lukrativer Job. Sie war das einzige Land weit und breit gewesen, das in beiden Weltkriegen nicht dabei war. Kein Wunder, wurde der Kalte Krieg in diesem Land mit grossem Ernst geführt.

Die Schweizer Armee war – bezogen auf die Bevölkerungs­zahl – lange eine der zahlen­mässig grössten in Europa (immer hinter derjenigen der Sowjetunion). Die Berge waren durchlöchert mit geheimen Depots und Festungen, das Mittelland unterkellert mit Bunkern. Kurz,
Beton aller Art war ein grossartiges Geschäft.

Dies nicht zuletzt in Politik und Presse. Antikommunismus war der Kitt des Bürger­blocks. Wer in einem grossen Unternehmen Karriere machen wollte, machte sie in der FDP oder der Armee, am besten in beiden.

Kein Wunder, gab es Bedarf an Front­kämpfern: militärischen, publizistischen, politischen und überhaupt an Propaganda­spezialisten. Oft waren sie das in Personal­union: Robert Eibel etwa, der Gründer der Propaganda­vereinigung «Aktion für freie Meinungs­bildung», die den «Trumpf-Buur» herausgab. Eibel war Chefsekretär von General Guisan, führte nach dem Krieg ein PR-Büro und sass zwölf Jahre für die FDP im Nationalrat. Ernst Cincera, der ein privates Archiv über subversive Mitbürger anlegte, war gleichzeitig Werber, Vortrags­redner, Oberst­leutnant und Nationalrat der FDP.

Sie nannten sich selber gern «Landsknechte». Nicht zu Unrecht. Denn ganz ins Establishment, das sie verteidigten, schafften sie es nie. War es, weil sie die Leute waren, die die schmutzige Arbeit der Verräter­jagd erledigten? Oder weil sie wie Schweizer Sackmesser für alles gut waren, aber für nichts richtig?

Egal. Man bezahlte sie gut, aber nahm sie nie richtig ernst. Und dann fiel die Mauer.

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Die folgenden Jahre waren für die professionellen Kalten Krieger eine Katastrophe. Freiheit, Demokratie und Kapitalismus hatten gesiegt – kein Schwein interessierte sich mehr für politische Propaganda.

Dazu brach die FDP zusammen. Durch eine Reihe von Katastrophen: den Fall der Bundes­rätin Elisabeth Kopp, das Auffliegen von knapp einer Million Staatsschutz-Fichen, den mit 35 Prozent Ja-Stimmen für die damaligen Zeiten sensationellen Erfolg der Armee­abschaffungs­initiative – und vor allem durch den EWR.

Die Kämpfer im Kalten Krieg waren nicht Guerilleros, sondern eine so gut wie offizielle Regierungs­truppe: eng verzahnt mit Politik, Wirtschaft, Armee, Nachrichten­dienst. Kein Wunder, stellten sie sich mit Wirtschaft und Bürgertum beim EWR auf die Seite des Ja.

Doch dann siegte der einsame Kämpfer Christoph Blocher. Und die Zürcher SVP übernahm erst die Luft­hoheit in der Debatte, bald darauf die Mehrheit im bürgerlichen Lager.

Für die anti­kommunistischen Organisationen war das der Tod: Sie verloren mehr als nur Mitglieder. Und die SVP entriss ihnen den Zweihänder. Die einst so vulgären Inserate zur «roten Gefahr», zu «Landes­verrätern und Astabsägern», «Kommunismus, Sozialismus und Etatismus» ärgerten niemanden mehr. Die Empörung wechselte zu den «Sozial­schmarotzern», «Weich­sinnigen», «Linken und Netten».

Die grössten Verlierer von 1989 waren zwei der nun wichtigsten Köpfe beim Medien­referendum: der Bankier Konrad Hummler und der PR-Unternehmer Peter Weigelt.

Hummler hatte die Wrackteile des Kalten Krieges aufgekauft: die Propaganda­schleuder «Trumpf-Buur», den Rechts­aussen­klub «Vereinigung für Freiheit, Föderalismus und Recht» (vormals «Redressement National»), den Hofer-Club (Spezialität: rechte Unter­wanderung der als zu links empfundenen Medien), die «Schweizer Monatshefte».

Er erhoffte sich mit dem Kauf ein politisches Netzwerk – «im Minimum referendums-, maximal initiativ­fähig».

Doch das erwies sich als Illusion. Die einst gefürchteten Organisationen waren keinen nassen Schuss Pulver wert, obwohl Hummler und Weigelt noch endlose Jahre weiter­machten.

1992 versuchten es Hummler und Weigelt mit einer Anti-SRG-Initiative. Sie bekamen nicht einmal die Unter­schriften zusammen.

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Damit hätte die Sache eigentlich zu Ende sein müssen.

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Doch warum stehen die Kämpfer aus dem Kalten Krieg wieder an der Front? Und vor einem grossen medien­politischen Sieg?

Der romantische Grund dafür ist: ihr Alter.

Sie sehen die Medien nicht wie Jüngere als schrumpfende Branche. In die jemand von Verstand nicht investiert.

Stattdessen sehen sie den Traum ihrer Jugend. Damals, vor dem Fall der Mauer, wurden Medien unglaublich wichtig genommen. Schon als Haupt­schauplatz des ideologischen Krieges. Es war Gesprächs­thema, wenn jemand irgendwo einen Artikel schreiben durfte – und es wurde genau geprüft, in welches Lager er sich stellte: Je nachdem hatte diese oder jene Seite einen Sieg errungen.

Kein Wunder, regte sich Weigelt über eine Kolumne von Rudolf Strahm auf – damals waren solche Dinge wichtig. So wie akribische Statistiken, wie viele Beiträge wo nun links oder rechts waren.

Dahinter steht das Propaganda­konzept aus den Siebziger­jahren. Damals hielt man das Massen­publikum für fast beliebig manipulierbar: durch unsichtbare Botschaften und andere diabolische Tricks von Werbern. Oder durch schiere Dauer­berieselung.

Dass die anti­kommunis­tischen Kämpfer dem Neoliberalismus gegenüber kühl blieben, überrascht daher nicht. Wenn der Mensch nicht Ideen, sondern dem Markt folgt, ergibt ihre Existenz keinen Sinn. Noch fremder erschienen ihnen die Massnahmen der grossen Medien­häuser: Das Zusammen­sparen und Zusammen­legen von Redaktionen empörte sie. Wie konnte man eine so grossartige Propaganda­maschine so kaltblütig zerstören?

Ihre Empörung über die Gross­verleger Wanner, Ringier und vor allem Supino ist echt.

Denn man kann nicht übersehen, dass die Gegner der Medien­subventionen leidenschaftliche Liebhaber sind: der Medien. Des Schreibens. Der Meinung.

Hummler etwa war sehr jung Chefredaktor der Studenten­zeitung. Er und Weigelt schreiben schon ein Leben lang, was das Zeug hält: Hunderte von Glossen, Leitartikeln, Kolumnen, Gast­kommentaren, Ketten­briefen.

Sie gleichen hier ihren anderen Verbündeten bei der Nein-Kampagne, die ebenfalls leidenschaftlich viel schreiben: Roger Köppel, Markus Somm, Bruno Hug. Sogar der PR-Mann und Kampagnen­chef Philipp Gut nennt sich «zu 50 Prozent Journalist».

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Was zum Ersten auffällt: Das Konzept ist das gleiche wie im Kalten Krieg – es ist wichtig zu wissen, wo jemand steht. Und das so oft wie möglich. Kein Wunder, schreibt diese Sorte Journalisten so viel: Sie müssen nicht viel recherchieren. Ihre wichtigste Form ist die des Besinnungs­aufsatzes.

Meinungen wachsen einem zwar wie Haare, aber trotz ihrer Verfügbarkeit werden sie nicht für billige Ware gehalten, sondern für die Essenz des Menschen. So wird jemand etwa von der WOZ oder der SP fast brüderlich begrüsst: Du sagst wenigstens noch, wo du stehst. Die börsen- und business­orientierten Neunziger- und Nuller­jahre waren für politische Kämpfer eine Qual.

Trotz ihrer Leidenschaft sind die oben Genannten nur mittelmässig erfolgreiche Publizisten: Unter Somms Regentschaft halbierte sich die Auflage der «Basler Zeitung», unter Köppel sank die Auflage der «Weltwoche» von 2003 bis heute von 91’000 auf 38’000 Exemplare. Und die Neugründungen wie «Die Ostschweiz» oder «Portal 24» sind tapfere Kleinst­unternehmungen.

Das Geschäftsmodell gleicht hier dem der Lands­knechte des Kalten Krieges. Die Protagonisten sind gleichzeitig auf dem Feld der Politik und des Journalismus zu Hause – und auch der PR nicht völlig fremd: Sowohl Köppel wie auch Somm sagten, dass die Kritik von Unternehmen nicht Sache des Journalismus sei. Nur die des Staates.

Das Modell Sackmesser, der Grenzgang zwischen Politik und Publizistik, bringt auch heute meist mehr Lärm als Erfolg. Aber es ist ein brauchbares Geschäfts­modell: Effizienter, als ein breites Publikum zu erobern, ist es, reiche Säcke zu überzeugen, dass es sehr wichtig ist, dass ihre Meinung möglichst oft gesagt wird.

Oder die reichen Säcke lieber gleich selbst schreiben zu lassen, weil sie intellektueller werden wollen (was ebenfalls ein Konzept von vor dem Mauerfall ist).

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Dass das Mediengesetz am Sonntag wahrscheinlich abgelehnt (oder höchstens arschknapp angenommen) wird, ist auf den ersten Blick verblüffend: Wie kann die fast vollständig vereinigte Schweizer Presse verlieren?

Aus drei Gründen:

  1. Der wichtigste: die Schwäche. Durch die Zusammen­legung der Regional­zeitungen haben diese durchaus noch viele lesbare Artikel, aber sie haben ihr Gesicht verloren. Sie sind also kein Partner und keine Heimat mehr. Und werden auch nicht gerettet.

  2. Der Zeitgeist. Zum Ersten gibt es eine Menge Corona-Kritikerinnen, die enttäuscht sind, dass nicht ihre Theorien gedruckt wurden. Zum Zweiten ziehen ökonomische Argumente weniger. Seit Trump hat das Modell der Oligarchen an Popularität gewonnen: Lass den Markt in Ruhe. Erobere die politische Macht und verteil unter deinen Leuten Geld und Aufträge.

  3. Die Leidenschaft. Die Gegner des Gesetzes waren begeistert, die Befür­worter verschämt.

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Was passiert nach einem Nein?

Am direktesten sagten es der WOZ unabhängig voneinander Hug und Weigelt vom Referendums­komitee: Falls die grossen Verlage ohne Subventionen ihre Regional­zeitungen nicht mehr lukrativ führen könnten – sie würden sofort kaufen. Alle Blätter. Auch den «Tages-Anzeiger»!

Und dann?

Werde man sie mit Inhalten füllen, die «näher an den Leuten» seien, so Hug.

Und dann?

Dazu gibt es zwei Theorien:

Theorie Nummer 1: Die Zeitungen schrumpfen noch schneller als die anderen Publikationen, die von politisch rechten Investoren übernommen werden. Und nach ein, zwei Jahren Predigt liest sie nur noch die gläubige Gemeinde.

Theorie Nummer 2: Dass Leute überzeugt werden, ja, überhaupt überzeugt werden müssen, ist ein Steinzeit­konzept der Propaganda aus den Siebziger­jahren. Um politisch Erfolg zu haben, genügt es, genug Verwirrung und Zweifel zu säen. Was man auch mit kleineren Publikationen tun kann.

Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Die ganze Geschichte beim Medien­gesetz ist, dass ein paar Männer, die bereits tot waren, plötzlich im hohen Alter noch einmal die Chance bekommen, ihre ausgeblutete Jugend­liebe zu bekommen, weil diese zu schwach ist, sich zu wehren.

Zur Transparenz

Von der staatlichen Medien­förderung, über die das Schweizer Stimm­volk am 13. Februar abstimmt, würde auch die Republik profitieren. Wie viel Geld sie erhielte, ist derzeit unklar. Klar ist: Über die Frage, ob sie das Geld überhaupt annehmen würde, müsste die Verlegerschaft entscheiden. Genauso haben wir die Entscheidung, welche Parole Project R, die Genossenschaft hinter der Republik, zum Medien­gesetz fassen soll, an die Verlegerschaft delegiert. Die Befragung ist abgeschlossen, hier finden Sie die Ergebnisse.

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