Es kracht im Hause NZZ

Jonas Projer muss die «NZZ am Sonntag» verlassen. Hinter seinem Abgang steckt ein Kampf ums Geld – und um die politische Ausrichtung des Hauses.

Von Dennis Bühler, 21.06.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
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«Strategische Differenzen haben zum gemeinsamen Entscheid geführt, die Zusammen­arbeit zu beenden.» So steht es in der offiziellen Medien­mitteilung, mit der die NZZ-Gruppe gestern den Abgang von Jonas Projer verkündet hat. Der Chefredaktor, der wegen seiner TV-Vergangenheit einer der bekanntesten Deutsch­schweizer Journalisten ist, verlässt die «NZZ am Sonntag» nach zwei Jahren – allerdings unfreiwillig.

Die Bedeutung der Entlassung geht über die Personalie Projer hinaus. Denn dahinter steht ein Aufflackern des Richtungs­streits, der im ältesten Medien­haus der Schweiz in den letzten zehn Jahren mehrfach zu reden gab:

Wie weit rechts sollen sich die beiden wichtigsten Zeitungen des Konzerns – die NZZ und die «NZZ am Sonntag» – positionieren? Ergibt es Sinn, wenn die NZZ einen rechts­bürgerlichen Kurs ohne Berührungs­ängste gegenüber SVP und AfD fährt, während das Sonntags­blatt eine links­liberale bis gemässigt bürgerliche Publizistik macht? Oder zwingen in der kriselnden Medien­branche nur schon ökonomische Überlegungen zu einer engeren Zusammen­arbeit der beiden bisher eigenständigen Redaktionen?

Bereits 2014 hatte der Verwaltungsrat versucht, den damals als Chefredaktor der «Basler Zeitung» tätigen rechten Publizisten Markus Somm an der Spitze der traditionell dem Freisinn nahe­stehenden NZZ zu inthronisieren. Er scheiterte aber am redaktions­internen und am öffentlichen Widerstand. Stattdessen stieg der vormalige Ausland­chef Eric Gujer auf – und setzte den vom Verwaltungsrat gewünschten Rechtskurs um, wie es Somm kaum besser gekonnt hätte: mit seinen eigenen Leit­artikeln, mit der Positionierung der NZZ-Deutschland-Redaktion rechts der CDU sowie mit einer gezielten Personal­politik.

Gujer holte Journalisten (unter anderem von der «Weltwoche»), die politisch weit rechts stehen. Einer von ihnen schimpfte kürzlich in einem Kommentar, in der Schweiz hätten «Klima-Kommunisten» die Macht übernommen. Entsprechend empfahl die NZZ das am vergangenen Sonntag von der Stimm­bevölkerung angenommene Klimaschutz­gesetz – entgegen der FDP-Parole – zur Ablehnung.

2021 wurde der politisch unauffällige «NZZ am Sonntag»-Chefredaktor Luzi Bernet zur allgemeinen Überraschung durch Jonas Projer ersetzt – einen Mann, der von sich selbst sagte, er könne nicht schreiben. Projer hatte zwar bei SRF eine steile Karriere hingelegt und war vom Untertitel­schreiber zum Brüssel-Korrespondenten und schliesslich zum Moderator und Redaktions­leiter der «Arena» aufgestiegen, danach sollte er aber als Chef von Blick TV krachend scheitern. Schon bei Ringier hatte er sich nicht den Ruf erarbeitet, ein digitaler Vorreiter zu sein – obwohl doch die NZZ-Gruppe jemanden mit genau diesem Profil suchte. Dem «Tages-Anzeiger» sagte ein Headhunter 2021: «Selbst meine Longlist für diesen Posten wäre nicht lang genug, als dass ich Projer darauf geführt hätte.»

Bereits damals vermuteten Beobachter, der NZZ-Verlag habe Projer nicht nur wegen seiner Fähigkeiten engagiert. Sondern, um die «NZZ am Sonntag» nach rechts zu rücken. Andere mutmassten, Projer sollte genau das verhindern. Aus heutiger Perspektive hat sich weder die eine noch die andere These bestätigt. Denn Projer war dafür nicht der geeignete Mann, wie die Republik vor einem Jahr in einem Porträt feststellte, für das sie mit zwei Dutzend Personen gesprochen hatte, die beruflich mit ihm zu tun gehabt hatten oder nach wie vor mit ihm zusammen­arbeiteten: «Im Kern, das zeigt sich in seinen Texten, im Gespräch mit Menschen, die ihn kennen, und im Gespräch mit ihm selber, ist er noch immer eines: Moderator.»

Trotzdem trifft nach wie vor zu, dass mächtige Personen den Kurs der «NZZ am Sonntag» gerne jenem der NZZ angleichen möchten. Feder­führend ist neben Eric Gujer Verwaltungsrats­mitglied Christoph Schmid, ein bekannter Zürcher Wirtschafts­anwalt. Sukkurs erhalten die beiden neuerdings von Isabelle Welton, die kürzlich zur Verwaltungsrats­präsidentin gewählt wurde. Ihr liegt dem Vernehmen nach weniger an einer eigenständigen «NZZ am Sonntag» als ihrem Vorgänger Etienne Jornod. Und nicht zu unterschätzen ist weiterhin der Einfluss von Martin Meyer, dem Präsidenten des publizistischen Beirats der NZZ. Der ehemalige Feuilleton-Chef, der politisch weit rechts steht, soll dafür gesorgt haben, dass Gujer in den einflussreichen Zürcher Rotary 1 aufgenommen wurde.

Unter Insidern gilt als ausgemacht, dass das erwähnte Quartett in den kommenden Monaten versuchen wird, eine Idee zu reaktivieren, die Ende 2020 und Anfang 2021 für viel Unruhe in der NZZ-Gruppe gesorgt hatte: das Projekt «Seesicht». Dieses sah vor, Kernressorts der «NZZ am Sonntag» mit Kernressorts der NZZ zusammen­zulegen. Den Anfang machten das Wirtschafts- und das Ausland­ressort.

Fast zeitgleich mit Projers Ernennung zum Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» gab NZZ-CEO Felix Graf im Frühling 2021 aus dem Nichts heraus aber den Abbruch des Projekts bekannt – wobei unklar ist, wie weit dies mit der Personalie Projer zu tun hatte. Jedenfalls sollen sowohl Projer als auch Jornod zu jenen Kräften gehört haben, die sich gegen eine engere Zusammen­arbeit oder gar eine Fusion der beiden Redaktionen gewehrt haben. Nun sind beide weg.

Gujer gehe es in erster Linie um seine eigene Macht. Und in zweiter Linie um politische sowie finanzielle Aspekte, sagen mehrere gut informierte Personen unabhängig voneinander. «Es ist absehbar, dass sich die NZZ an den Geldtöpfen der ‹NZZ am Sonntag› bedienen wird», sagt eine von ihnen. «Ebenso ist absehbar, dass die Zusammen­legung der Redaktionen früher oder später zu einem Stellen­abbau führen wird. Und zu einem Rechtsruck.»

Zumindest offiziell scheint die NZZ-Gruppe ökonomisch noch auf soliden Füssen zu stehen. Im letzten März teilte sie mit, sie habe 2022 ihren Umsatz um 3 Prozent und ihren Gewinn um 25 Prozent gesteigert.

Nicht ganz so positiv waren allerdings die Zahlen in einem internen «Management Report» der NZZ vom Februar 2023, der der Republik vorliegt. Darin ist unter anderem zu lesen: «Werbe­markt Print: Die NZZaS schliesst mit einem Rückstand zum Vorjahr von –10 % ab (…), dies insbesondere aufgrund der fehlenden Inserate aus der Automobil- und Telekommunikations­branche.» Und: «Lesermarkt: Beim magazin.nzz.ch und dem Kombi Digital wurden die Erwartungen im Jahr 2022 verfehlt.»

Mit magazin.nzz.ch ist das wichtigste Projekt Projers gemeint. Er wollte der «NZZ am Sonntag» damit zu einem überzeugenden Online­auftritt verhelfen. Doch das Projekt floppte offenbar. Intern soll Projer gesagt haben, die Schuld daran trage die Redaktion, die sich der Digitalisierung verweigere – ein Vorwurf, den Redaktorinnen weit von sich weisen.

Die Gräben, die zwischen der Belegschaft und Projer seit dessen Amts­antritt bestanden, vertieften sich innert zwei Jahren zu regelrechten Schluchten. Am Schluss war das Zerwürfnis nicht mehr zu kitten.

Vergangene Woche kam es zum Eklat, der das Fass zum Überlaufen brachte und den Verwaltungsrat dazu bewog, am Montag­vormittag Projers Entlassung zu beschliessen. Die Mehrheit der Redaktions­mitglieder hatte einen Protest­brief zuhanden des Verwaltungsrats unterzeichnet, in dem – wenn auch verklausuliert – Projers Absetzung gefordert wurde.

Die Vorwürfe, die die Republik vor einem Jahr auflistete, blieben seither dieselben: «Bei kritischen Geschichten wird er zum Verhinderer», hiess es damals. «Ein Opportunist in der Sache, loyal nach oben. (…) Sein Führungs­stil: fragwürdig bis problematisch.»

Die Lage spitzte sich immer weiter zu (diesbezüglich decken sich Republik-Informationen mit Berichten, die unter anderem auf dem Branchen­portal «Klein Report» sowie auf «Inside Paradeplatz» erschienen sind):

So traten der Reihe nach drei Mitglieder aus der NZZaS-Chef­redaktion aus: Gordana Mijuk, Nicole Althaus und Alain Zucker.

Im letzten April dann war die wichtige Stelle des Blattmachers neu zu besetzen – dieser entscheidet unter anderem, welcher Artikel in der Zeitung wo und mit welchem Titel erscheint. Etliche intern Angefragte winkten ab, weil sie unter keinen Umständen so eng mit und unter Projer arbeiten wollten. Schliesslich wurde Christoph Zürcher ins Amt gehievt, der als politisch unberechenbar gilt.

Im Mai verhinderte der Chefredaktor die Veröffentlichung eines Artikels der angesehenen Wirtschafts­journalistin Zoé Baches, der sich kritisch mit dem im «Fall Canonica» von Tamedia in Auftrag gegebenen Bericht der Zürcher Kanzlei Rudin Cantieni Rechts­anwälte AG befasste. Die Gründe dafür blieben nebulös, schnell aber machte das Gerücht die Runde, Projer habe es sich nicht mit Tamedia-Verleger Pietro Supino verscherzen wollen.

Und im Juni kehrte Wirtschafts­journalistin Charlotte Jacquemart, die von 2004 bis 2017 bei der «NZZ am Sonntag» und danach sechs Jahre bei SRF gearbeitet hatte, zurück – um nach wenigen Tagen gleich wieder zu kündigen.

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