Was diese Woche wichtig war

Weitere Detonationen auf der Krim, Dürre bedroht Rhein­schiff­fahrt – und eine Öko-Katastrophe in der Oder

Woche 33/2022 – das Nachrichten­briefing aus der Republik-Redaktion.

Von Christian Andiel, Reto Aschwanden, Elia Blülle, Cornelia Eisenach, Oliver Fuchs, Daniel Graf und Boas Ruh, 19.08.2022

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Ukraine: Weitere Angriffe auf die Krim, Streit über EU-Visa für Russen

Das Kriegs­geschehen: Auf der russisch besetzten Krim ist am Dienstag­morgen ein Munitions­lager in einer Militär­basis explodiert. Das russische Verteidigungs­ministerium spricht von einem «Sabotageakt». Auch Wohn­gebäude seien betroffen, 2000 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Am Sonntag zerstörte die ukrainische Armee nach eigenen Angaben das Haupt­quartier der russischen Söldner­truppe Wagner im Donbass. Laut ukrainischen Aussagen wurden seit Kriegsbeginn mehr als 44’000 russische Soldaten getötet, überprüfen lässt sich diese Zahl nicht.

In der Gegend um die Stadt Cherson im Süden des Landes hat die ukrainische Armee gezielt Brücken und damit Nachschub­wege der russischen Truppen zerstört. Das ist von strategischer Bedeutung: Über den Dnipro führen in dieser Region nur wenige Verbindungen – und ohne Nachschub bleibt den Russen nur der Rückzug. Das wiederum würde dem ukrainischen Militär bei der angekündigten Gegen­offensive in die Karten spielen. Begünstigt würde eine solche auch dadurch, dass die russische Marine laut dem britischen Geheimdienst derzeit kaum in der Lage ist, Odessa vom Meer her einzunehmen. Dadurch könnten die dort stationierten Soldaten der Ukraine in andere Gebiete verlegt werden.

Putin bekräftigte am Montag, das Ziel bleibe die Einnahme des Donbass: Die russische Armee erfülle in den «Volks­republiken Donezk und Luhansk» ihre Aufgaben. Bei Artillerie­angriffen in der Region Donezk kamen Anfang Woche mindestens drei Zivilisten ums Leben, zahlreiche wurden verwundet. Laut dem russischen Verteidigungs­ministerium starben bei Angriffen auf Gebiete in Cherson und Donezk mehr als 420 ukrainische Soldaten. Auch die zweit­grösste Stadt der Ukraine, Charkiw, wurde im Lauf der Woche wiederholt beschossen. Mehrere Menschen wurden getötet.

In Saporischschja wird das grösste Atomkraftwerk Europas weiter beschossen. Russland und die Ukraine weisen sich gegenseitig die Verantwortung dafür zu. Der ukrainische Präsident Selenski fordert, die russischen Truppen, die seit März dort stationiert sind, sollen aus der Anlage abziehen, und warnt, ein radio­aktiver Zwischenfall würde auch EU-Staaten sowie die Türkei und Georgien treffen.

Steht unter Beschuss: Die ukrainische Stadt Charkiw im Nordosten des Landes. Sofia Bobok/Anadolu Agency/Getty Images

Die inter­nationalen Entwicklungen: Am Dienstag ist der erste Getreide­frachter im Auftrag des Uno-Welt­ernährungs­programms aus dem ukrainischen Hafen Piwdenni ausgelaufen. Das Schiff bringt Weizen ans Horn von Afrika, wo Hunger herrscht. Der Frachter Razoni, das erste Schiff, das die Ukraine nach der langen Blockade verlassen hatte, ist diese Woche in Syrien eingetroffen. Laut der Uno ist seit Anfang August mehr als eine halbe Million Tonnen Getreide über das Schwarze Meer ausgeführt worden. Gemäss ukrainischen Angaben könnten im September insgesamt 3 Millionen Tonnen Getreide verschifft werden.

Verschiedene EU-Staaten streiten sich über Einreise-Einschränkungen für Russinnen. So wollen Finnland, Estland, Litauen und Polen die Visavergabe für den Schengen­raum massiv einschränken oder haben es bereits getan. Deutschland hingegen lehnt generelle Einreise­sperren ab. Kanzler Scholz möchte die Ausreise für Russen, die das Land verlassen wollen, «um der Diktatur in Russland zu entkommen», nicht verkomplizieren.

China schickt für eine gemeinsame Militär­übung Soldaten nach Russland. Peking betont aber, das habe nichts mit der aktuellen Lage zu tun, sondern sei Teil einer seit Jahren laufenden, bilateralen Vereinbarung.

Am Donnerstag trafen sich in Lwiw Selenski, der türkische Präsident Erdoğan und Uno-General­sekretär António Guterres. Bei den Gesprächen sollten unter anderem die Möglichkeiten eines Verhandlungs­friedens ausgelotet werden.

Rheinschiff­fahrt droht wegen Trockenheit auszufallen

Darum geht es: Der Pegelstand des Rheins sinkt, sinkt und sinkt. Aufgrund der seit Wochen anhaltenden Trockenheit führt der Fluss stellen­weise so wenig Wasser, dass es für Transport­schiffe zunehmend schwierig wird, ihre Waren in die Schweiz zu transportieren. In Kaub zwischen Mainz und Koblenz, wo das Wasser besonders flach fliesst, beträgt der Pegelstand (nicht die tatsächliche Flusstiefe, sondern das Mass für die Schiffbarkeit) nur noch 34 Zentimeter. Stellen­weise ist der Pegel sogar bereits unter null gefallen. Um ihren Tiefgang zu verringern und den Rhein passieren zu können, müssen Lastkähne ihre Lade­kapazität um bis zu 75 Prozent verringern. Sinkt der Pegel in den nächsten Wochen noch weiter, muss die Schifffahrt womöglich eingestellt werden.

Warum das wichtig ist: Der Rhein ist einer der wichtigsten Transport­wege in die Schweiz – primär Erdöl, Rohmaterialien, aber auch Lebens­mittel gelangen über den Fluss ins Land. Die Wasser­knappheit führt nun dazu, dass sich die Transport- und folglich auch die Güterpreise massiv verteuern. Zusätzlich verschärft die verringerte Transport­kapazität die ohnehin schon angespannten Liefer­engpässe und die Energie­knappheit.

Was als Nächstes geschieht: Das deutsche Wasser­strassen- und Schiff­fahrtsamt geht davon aus, dass der Pegel bis Ende nächster Woche wieder etwas steigt. Meteorologen rechnen mit Regen. Eine länger­fristige Entspannung der Situation brächte das aber nicht. Vergangene Jahre haben gezeigt, dass die Niedrig­wasser­phase bis in den Oktober andauern kann.

Attentat auf den Autor Salman Rushdie

Darum geht es: Am vergangenen Freitag ist der Schrift­steller Salman Rushdie bei einer Veranstaltung im US-Bundesstaat New York von einem vermummten Mann lebens­gefährlich verletzt worden. Der Täter war auf die Bühne gestürmt und stach vielfach mit einem Messer auf Rushdie ein. Mehrere Menschen aus dem Publikum eilten Rushdie zu Hilfe, sodass der Angreifer überwältigt und von der Polizei fest­genommen werden konnte. Rushdie wurde per Helikopter ins Spital gebracht und operiert. Er erlitt schwere Verletzungen am ganzen Körper und im Gesicht, ist mittler­weile aber bei Bewusstsein und ansprechbar.

Salman Rushdie erhält Erste Hilfe, der Angreifer wird nach dem Attentat in Chautauqua, New York, weggeführt. AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: Das Attentat hat eine lange Vorgeschichte. 1988 veröffentlichte Salman Rushdie den Roman «Die satanischen Verse», der dem Autor in Teilen der islamischen Welt Blasphemie­vorwürfe eintrug und massive Proteste hervorrief. Im Februar 1989 rief der iranische Macht­haber Ayatollah Khomeini in Form einer Fatwa zur Ermordung Rushdies und aller an der Veröffentlichung des Buches beteiligten Personen auf. In der Folge kam es zu mehreren Attentaten und gewalt­samen Protesten, bei denen mehr als drei Dutzend Menschen ihr Leben verloren. Rushdie musste unter­tauchen und viele Jahre im Untergrund leben. (Zu den genauen Hintergründen lesen Sie hier unsere Einordnung.) Das iranische Regime hat die Fatwa nie offiziell wider­rufen. In den letzten Jahren hielt aber auch Rushdie selbst die Gefahr für gebannt und trat öffentlich wieder ohne Polizei­schutz auf. Nun spricht die Indizien­lage dafür, dass der mutmassliche Täter, ein 24-jähriger US-Bürger mit familiären Wurzeln im Süd­libanon, 33 Jahre nach Khomeinis Fatwa den Mord­aufruf gegen Rushdie vollstrecken wollte.

Was als Nächstes geschieht: Der 24-Jährige wird sich vor der US-Justiz wegen versuchten Mordes zweiten Grades verantworten müssen. Vor einem New Yorker Gericht hat er auf «nicht schuldig» plädiert. Salman Rushdie befindet sich seiner Familie zufolge auf dem Weg der Besserung: Er werde bleibende, «lebens­verändernde» Schäden davon­tragen, müsse aber nicht mehr künstlich beatmet werden und zeige bereits wieder seinen typischen kämpferischen Humor, schrieb sein Sohn Zafar am Samstag. Laut Informationen von CNN konnte Rushdie bereits mit den Ermittlern sprechen.

Grosses Fisch­sterben in der Oder

Darum geht es: Im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder findet eine ökologische Katastrophe statt. Über 130 Tonnen Fisch­kadaver haben Helferinnen bereits geborgen. Auch Muscheln und Schnecken sind betroffen. Bekannt wurde die Umwelt­katastrophe in Deutschland ab dem 9. August, doch bereits Ende Juli gab es Hinweise auf ein Fisch­sterben nahe der Stadt Oława, südöstlich von Wrocław (Breslau). Die deutschen Behörden erfuhren verspätet von den Hinweisen aus Polen, doch auch innerhalb Deutschlands verlief die Kommunikation schleppend.

Fischkadaver ohne Ende: Was die Oder vergiftet hat, ist noch nicht bekannt. Sean Gallup/Getty Images

Warum das wichtig ist: Das Fisch­sterben ist ein Schlag für das Ökosystem des Flusses. Noch ist nicht klar, inwieweit andere Tiere wie Insekten und Krebse betroffen sind sowie solche, die sich von Fischen ernähren, wie etwa Kraniche oder Fischotter. Auch ist unklar, inwiefern der Fluss chronisch belastet ist. Auf der politischen Ebene hat die Melde­verzögerung die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen belastet. Mittler­weile wurde eine Taskforce mit Expertinnen beider Länder gegründet, um die Ursachen zu ermitteln. Indizien sprechen dafür, dass das Gift der Alge Prymnesium parvum verantwortlich sein könnte. Sie kommt normaler­weise im leicht salzhaltigen Brackwasser vor und konnte sich wohl aufgrund eines stark erhöhten Salzgehaltes, des warmen Wassers und der hohen Sonnen­einstrahlung vermehren. Die Veränderungen gehen wahr­scheinlich auf Industrie­abfälle zurück, die in den Fluss eingeleitet wurden.

Was als Nächstes geschieht: Um zu verhindern, dass Fisch­kadaver in das Stettiner Haff und weiter in die Ostsee treiben, wurden Ölsperren errichtet. Die polnische Regierung hat 210’000 Euro Belohnung ausgesetzt für Hinweise, die zu den Verursachern der Verschmutzung führen.

Zum Schluss: Bitte mehr trinken (Alkohol, versteht sich)

Die Jugend Japans befindet sich auf Abwegen. Seit der Corona-Krise trinken die jungen Leute immer weniger Alkohol. Das dürfe so nicht weitergehen, findet die Regierung in Tokio. Denn mit dem sinkenden Alkohol­konsum schwinden auch die Einnahmen aus der Alkohol­steuer. Um den Staats­haushalt nicht trocken­zulegen, gibt es nur eine Lösung, könnte man denken: mehr Sake. Deshalb sucht die japanische Steuer­behörde Ideen, wie der japanische Reis­schnaps und andere Alkoholika wieder beliebter gemacht werden könnten. Falls Sie einen Vorschlag einreichen möchten, können Sie dies noch bis zum 9. September tun. Gesucht sind neue Produkte und Designs; Ideen, die das Trinken in den eigenen vier Wänden fördern – und explizit auch neue Verkaufs­methoden unter Verwendung von künstlicher Intelligenz und dem Metaversum. Na dann, Prost!

Was sonst noch wichtig war

  • Schweiz: Die Finanzmarkt­aufsicht (Finma) verlangt von der Kranken­kasse CSS, dass sie Prämien­gelder im Umfang von 129 Millionen Franken an ihre Kundinnen zurück­bezahlt. Laut Finma hat die CSS Zusatz­versicherten jahrelang überhöhte Kosten verrechnet.

  • Deutschland: Palästinenser­präsident Mahmoud Abbas hat Israel bei einem Staats­besuch in Deutschland vorgeworfen, «Holocausts» an den Palästinensern verübt zu haben. Die Empörung ist gross, auch gegenüber Bundes­kanzler Scholz, der diese Äusserung, die bei einer Medien­konferenz in seiner Anwesenheit fiel, erst im Nach­hinein verurteilte.

  • Saudiarabien: Salma al-Schihab wurde zu 34 Jahren Haft verurteilt. Die Doktorandin und zweifache Mutter hatte auf Twitter unter anderem Aufrufe zur Freilassung von politischen Gefangenen geteilt. Menschen­rechtler sehen das beispiellose Urteil als Droh­botschaft von Kronprinz Muhammad bin Salman.

  • Ecuador: Präsident Guillermo Lasso hat erneut den Ausnahme­zustand ausgerufen. Zuvor waren bei einer Explosion mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen. Das Land kämpft seit Monaten gegen eskalierende Bandengewalt.

Die Top-Storys

Was hätten Sie getan? Nach der Invasion wurde dem ukrainischen Präsidenten Selenski vorgeworfen, er habe die Gefahr herunter­gespielt. War er naiv? Nein, sagt Selenski. Hätte er seine Landsleute früher gewarnt, wäre Panik ausgebrochen, «und dann hätten uns die Russen danach in drei Tagen überrannt». Was ging vor dem Krieg in den USA, Russland, den EU-Ländern und vor allem der Ukraine vor? Eine Recherche der «Washington Post» blickt hinter die Mauern der Regierungssitze.

Kamikazemission gegen Trump Liz Cheney ist Republikanerin, sie vertritt den stock­konservativen Bundes­staat Wyoming im Kongress. Doch damit ist bald Schluss: Diese Woche verlor sie erwartungs­gemäss die partei­internen Vorwahlen gegen eine Trump-treue Partei­kollegin (siehe oben). Cheney ist die bekannteste Republikanerin, die sich öffentlich gegen Ex-Präsident Donald Trump stellt. Ihren Weg von der Politikerin, die Trump bei Abstimmungen einst zu 93 Prozent unterstützte, zeichnet «Liz Cheney’s Kamikaze Campaign» im «New Yorker» nach. (Paywall)

Vamos a la Playa Der Sommer macht gerade Pause, also holen wir uns das Ferien­feeling in die regen­sichere Stube. Eine Arte-Dokumentation blickt zurück auf die Italo-Disco, ein musikalisches Phänomen der 80er-Jahre, das nie ernst genommen wurde, nun aber sehr ernsthaft aufgearbeitet wird. Ein Wiedersehen mit Righeira, Gazebo und Sabrina.

Illustration: Till Lauer

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