Am Gericht

Weber wehrt sich

Er gilt als Cannabis-König und verbüsst eine lange Freiheits­strafe. Im Gefängnis zeigt er sich kooperativ, zuverlässig und vertrauenswürdig – und als einer, der sich zu wehren weiss. Yuma Weber kämpft für einen fairen Strafvollzug.

Von Brigitte Hürlimann, 13.04.2022

Synthetische Stimme
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Wer gegen das Strafgesetz verstösst (und sich dabei erwischen lässt), der wird bestraft. Und wer etwas Gröberes angestellt hat oder zum wiederholten Male delinquiert, landet im Gefängnis. Doch hinter Gittern verlieren die Menschen nicht sämtliche Rechte. Neben der Sühne, die sie zu leisten haben, ist es das erklärte Ziel, ihnen nach der Entlassung die Chance auf eine Wieder­eingliederung in die Gesellschaft und eine straffreie Zukunft zu geben: Resozialisierung nennt man das.

«Die Menschenwürde des Gefangenen oder des Eingewiesenen ist zu achten», heisst es im Straf­gesetzbuch. Und: Der Straf­vollzug habe das soziale Verhalten der Insassen zu fördern, vor allem die Fähigkeit, straffrei zu leben. Kontakte mit Personen ausserhalb der Anstalt seien zu unterstützen und überhaupt die Rechte der Häftlinge nur so weit zu beschränken, als es der Freiheits­entzug und das Zusammen­leben im Gefängnis erforderten.

Cannabis-König und Langzeit­häftling Yuma Weber kennt diese Grundsätze aus dem Effeff. Er ruft sie regel­mässig an, wenn er sich aus dem Gefängnis heraus für einen gesetzes­konformen und fairen Straf­vollzug einsetzt. Der Schweizer hat sich zum Vollzugs­experten gemausert, macht auf Schwach­stellen im System aufmerksam – und bringt die Behörden regel­mässig in die Bredouille.

Ort: Justizvollzugs­anstalt Pöschwies in Regens­dorf und Vollzugs­zentrum Bachtel in Hinwil
Thema: Vorzeitiger Strafvollzug, offener Vollzug, Urlaub, Corona-Massnahmen

Am 28. April werden es exakt 6 Jahre sein. Das sind 72 Monate oder fast 2200 Tage. So viel Zeit ist verstrichen, seit sich Yuma Webers Leben hinter Gittern und Zäunen abspielt, dauer­überwacht und fremd­bestimmt, mit wenig Freiräumen und vielen Auflagen, umgeben von Monitoren, Aufsehern und Sicherheits­personal. Der heute 43-jährige Schweizer lebt in einer rein männlichen und doch sehr heterogenen Zwangs­gemeinschaft.

Die Mitinsassen wechseln ständig. Man muss irgendwie miteinander auskommen. Sich zusammen­raufen. Mehr oder weniger lang.

Weber ist unter anderem wegen Cannabis-Handels im grossen Stil und wegen Geldwäscherei zu einer Freiheits­strafe von 11 Jahren verurteilt worden. Doch das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Weber kein Verurteilter, der seine gerechte Strafe verbüsst. Er ist einer, der quasi im Voraus zur Sühne angetreten ist; in Erwartung einer zwar längeren, aber noch unbestimmt hohen Strafe.

«Vorzeitiger Strafvollzug» nennt man das im Fach­jargon. Das ist nichts Ausser­gewöhnliches – und trotzdem eine Konstellation, die zu Komplikationen, Unsicherheiten und Wider­sprüchlichkeiten führt. Oder, wie es Yuma Weber sagt, «zu inakzeptablen Ungerechtigkeiten!».

Erste Begegnung: Am Ober­gericht

Der Cannabis-König lässt sich das nicht gefallen. Er wehrt sich mit allen zulässigen Mitteln für einen fairen, gesetzes­konformen Strafvollzug – für sich und für Mitgefangene, die sich ratsuchend an ihn wenden: «Wer rechtskräftig verurteilt ist, hat keinen Anspruch mehr auf einen Rechts­anwalt. Doch auch für mich gilt: Wenn es um Fragen des Straf­vollzugs geht, stellt mir der Staat keine Rechts­vertretung zur Seite. So wird es schwierig und vor allem teuer, sich zu wehren. Ich helfe den Mitinsassen, Rechts­schriften zu verfassen. Oder Verfügungen, Gutachten und Urteile zu verstehen. Das ist auch für mich als deutsch­sprachigen Schweizer nicht immer einfach.»

Er habe deshalb schon mehrfach vorgeschlagen, dass den Gefangenen eine unabhängige Rechts­beratung zur Verfügung gestellt werde. Dieses Anliegen, sagt Weber, sei nicht aufgenommen worden.

Die erste Begegnung zwischen der Republik-Reporterin und dem wehrhaften Herrn Weber findet am 6. Oktober 2020 vor dem Zürcher Ober­gericht statt.

Am Berufungsprozess wird die 11-jährige Freiheits­strafe wegen gewerbs- und banden­mässigen Cannabis-Handels sowie wegen Geldwäscherei bestätigt. Das Obergericht ist überzeugt davon, dass Weber innerhalb von 6 Jahren mit über 7 Tonnen Cannabis gehandelt und dabei einen Umsatz von rund 37,7 Millionen Franken erzielt habe. Yuma Weber sei ganz oben in der Hierarchie gestanden, der Boss gewesen. Er sei professionell, dreist, verwegen und mit einer grossen kriminellen Energie vorgegangen, so Gerichts­präsident Daniel Bussmann bei der Urteils­eröffnung.

Weber hat das Verdikt nicht anerkannt und kämpft weiter um eine mildere Strafe.

Er spricht von einer viel geringeren Menge an Marihuana und Haschisch und einem deutlich kleineren Gewinn; der Verurteilte hat den Zürcher Entscheid vor Bundes­gericht gezogen – und einen Teilsieg errungen. Das höchste Gericht rügt einen Verstoss gegen das Anklage­prinzip, verlangt eine neue Straf­zumessung und hat den Fall zurück ans Ober­gericht spediert.

Dort ist die Sache seither hängig, das neue Urteil steht noch aus. Was wiederum bedeutet, wie bereits erwähnt, dass der Cannabis-König auch nach 6 Jahren hinter Gittern noch nicht rechts­kräftig verurteilt ist. Wegen der höchst­richterlichen Rüge aus Lausanne darf er mit einer tieferen Strafe rechnen. Aber auch wenn es bei nahezu 11 Jahren Freiheits­strafe bleiben sollte, rückt der Tag seiner Entlassung in greifbare Nähe.

Niemand will zuständig sein

Das Strafgesetz sieht nämlich vor, dass Gefangene nach der Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe bedingt entlassen werden können, wenn sie sich im Vollzug korrekt verhalten und wenn angenommen werden kann, dass sie künftig keine Delikte mehr begehen.

Für Weber bedeutet das: Falls das Obergericht seine Strafe um keinen einzigen Tag senken sollte (was kaum vorstellbar ist), kann er im Sommer des nächsten Jahres das Gefängnis bedingt verlassen. Dann hat er zwei Drittel seiner 11-jährigen Strafe verbüsst. Wird die Strafe hingegen um 2 Jahre reduziert, also auf 9 Jahre, müsste er bereits diesen Monat bedingt entlassen werden.

Wie immer das neue Urteil lauten wird: Sämtliche involvierten Behörden sind sich inzwischen einig, dass es an der Zeit ist, den Langzeit­insassen Yuma Weber aufs Leben in der Freiheit vorzubereiten. Das heisst: die Haft­bedingungen langsam zu lockern.

Das war nicht immer so.

Weber und sein Verteidiger, der Zürcher Rechts­anwalt Diego Gfeller, verlangten zweieinhalb Jahre lang, dass der Häftling aus dem Hochsicherheits­gefängnis Pöschwies in eine offene Vollzugs­anstalt verlegt werde. Dagegen wurden diverse Einwände erhoben – wegen der noch anstehenden erheblichen Reststrafe und der damit verbundenen vermuteten Flucht­gefahr.

Doch spätestens seit letztem Herbst schätzen die Behörden die Situation anders ein. Webers Verhalten im Vollzug, die vielen Jahre hinter Gittern (ohne jegliche Vollzugs­lockerungen) und das Näher­rücken der bedingten Entlassung führten zum Meinungs­wandel.

So weit, so gut.

Bloss: Plötzlich will keiner mehr zuständig sein, niemand den Entscheid fällen, ob Weber nun endlich in den offenen Straf­vollzug versetzt werden kann oder nicht.

Dabei verlangt der Langzeit­insasse keine Spezial­behandlung, keine Wohltat. Es geht um standard­gemässe und gesetzes­konforme Vollzugs­lockerungen, die der Resozialisierung des Häftlings dienen, der Wieder­eingliederung in die Gesellschaft, seinem Weg in eine delikt­freie Zukunft. Der Insasse soll das Gefängnis nicht unvorbereitet verlassen. Er muss den Justiz­behörden beweisen können, dass er sich bewährt, sich an die Auflagen hält, auch ausserhalb von hohen Mauern und einseitig abschliessbaren Türen.

Zweite Begegnung: Im Hoch­sicherheits­gefängnis

Die zweite Begegnung mit Yuma Weber findet in der Justiz­vollzugs­anstalt Pöschwies im zürcherischen Regensdorf statt. Es ist Anfang Januar 2022, grau und kalt – und der Gefangene in schlechter Verfassung.

Hier drinnen, sagt er, herrsche die reine Willkür. Es sei noch schlimmer, als er befürchtet habe. «Ich bin beschwerde­mässig sehr aktiv. Das macht mich beim Personal nicht gerade beliebt. Es kommt zu Zellen­durchsuchungen und Leibes­visitationen mit faden­scheinigen Begründungen, die mir erst im Nach­hinein mitgeteilt werden. Wenn überhaupt. Doch das Verwaltungs­gericht hat mir zweimal recht gegeben. Und gegen einige Pöschwies-Angestellte habe ich Straf­anzeige eingereicht. Auch sie dürfen nicht alles.»

Die zwei Anliegen, die Weber mit Erfolg bis vors Zürcher Verwaltungs­gericht getragen hat, betreffen das Corona-Regime in der Pöschwies.

Der Insasse beschwerte sich, weil ihm im April 2020 zwei Besuche im Gefängnis kurzfristig annulliert worden waren. Bei der Gefängnis­leitung und beim Amt für Justiz­vollzug blitzte er ab. Erst das Gericht kam zum Schluss, die Besuchs­sperre sei unverhältnis­mässig gewesen – es hätten andere Massnahmen angeordnet werden können: Trenn­scheiben, Masken tragen, Temperatur messen, Abstand halten oder kürzere Besuchs­zeiten. Solche milderen Massnahmen, so das Verwaltungs­gericht, seien vom Amt gar nie geprüft worden.

Eine verhängnis­volle Liftfahrt

Bei der zweiten Beschwerde geht es um die Quarantäne­regelung in der Pöschwies. Weber wurde im Oktober 2020 9 Tage lang in Einzelhaft gesteckt, weil einer seiner Verteidiger kurz nach dem Berufungs­prozess vor Obergericht positiv getestet wurde. Der Beschuldigte und der Anwalt waren sich jedoch nur bei einer Liftfahrt näher gekommen – und Weber betont, er habe stets die Maske getragen, auch im Lift.

Das Verwaltungs­gericht gibt dem Beschwerde­führer erneut recht. Es befindet, die von der Gefängnis­leitung angeordnete Quarantäne sei nicht zulässig gewesen, sie weiche von der damals geltenden Richt­linie des Bundes­amts für Gesundheit ab. Für eine Quarantäne wäre ein enger Kontakt während mindestens 15 Minuten nötig gewesen. Eine Liftfahrt im Gebäude des Ober­gerichts daure jedoch «nach der allgemeinen Lebens­erfahrung» nicht länger als rund 20 Sekunden.

Das Gericht betont zudem, dass Einzelhaft nur als Ultima Ratio angewandt werden dürfe – selbst dann, wenn es um die Prävention vor Ansteckungen geht.

Die beiden Urteile des Verwaltungs­gerichts sind rechtskräftig geworden. Vergebens hatte die Ober­staats­anwaltschaft den Entscheid betreffend die annullierten Gefängnis­besuche bis vor Bundes­gericht gezogen. Sie sei zur Beschwerde gar nicht legitimiert gewesen, schreibt das höchste Gericht kurz und trocken, mit Urteil vom 1. März 2022.

Dritte Begegnung: Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen

Zu einer dritten Begegnung mit Yuma Weber kommt es wenige Tage später im Zürcher Oberland, im Vollzugs­zentrum Bachtel inmitten von Wiesen, Wäldern und Feldern, buchstäblich ein Ort, an dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Man muss schon sehr genau hinschauen, um auf die Idee zu kommen, dass es sich bei diesem hübschen Gebäude­ensemble mit rot bemalten Holz­fassaden und einem stattlichen Land­wirtschafts­betrieb um ein Gefängnis handelt.

Von Mauern keine Spur.

Ein gut gelaunter Yuma Weber empfängt die Reporterin im hellen, grosszügigen Besuchs­raum mit einer langen Fenster­front, einer Veranda und einer Spielecke für Kinder. Aus einer prall gefüllten Einkaufs­tasche packt der Cannabis-König diverse Bundes­ordner sowie eine Thermos­kanne mit frischem Kaffee. «Ganz anders als in der Pöschwies, nicht wahr?», meint er schmunzelnd.

Dass er seiner Besucherin Kaffee offeriert (auf deren ausdrücklichen Wunsch hin), birgt für Weber gewisse Risiken, denn Rechts­geschäfte innerhalb von Gefängnissen sind für die Insassen strengstens verboten – ein Geschenk, und sei es auch nur eine Tasse Kaffee, ist nach dem Buchstaben des Gesetzes ein Vertrag, mit anderen Worten: ein Rechts­geschäft.

Doch beim Gespräch in der Vollzugs­anstalt Bachtel steht anderes im Vorder­grund. Es geht um Straf­verfolgung, Strafvollzug, um Gerichte – und vor allem um einen veritablen Behörden­salat. Eine komplexe Materie. Die vielen dicken Ordner auf dem Tisch sind nur der kleine Teil eines imposanten Akten­bergs, den Yuma Weber in seiner Zelle aufbewahrt.

Und der Berg wird stetig höher.

Es hat lange gedauert, unzählige Rechts­schriften und Urteile auf allen Gerichts­stufen gebraucht, bis der Häftling von der Pöschwies in die offene Anstalt auf dem Bachtel verlegt werden konnte. Grund für die Verzögerung und die Konfusion war: dass der Insasse noch nicht rechts­kräftig verurteilt ist, aber seine Strafe trotzdem schon absitzt, und dies eben schon 6 Jahre lang.

«Deshalb darf man mich nicht schlechter behandeln als die anderen Häftlinge», sagt Weber. «Doch bis heute habe ich keinen Vollzugs­plan gesehen, und es gab nie ein Gespräch darüber, wie es mit meiner Resozialisierung vorwärts­gehen soll.»

Aber warum bloss will niemand für den Cannabis-König zuständig sein?

Für Häftlinge wie Yuma Weber, die sich im vorzeitigen Strafvollzug befinden, ist grundsätzlich jenes Gericht zuständig, bei dem der Fall hängig ist, das noch ein Urteil zu fällen hat. Das wäre das Zürcher Ober­gericht. Doch für Fragen des Vollzugs, das heisst, in welchem Gefängnis und wie genau die Haft durchgeführt wird, reklamiert das Amt für Justiz­vollzug eine Zuständigkeit – gestützt auf die kantonale Justizvollzugs­verordnung, konkret auf Paragraf 20.

Und dann kommt im Januar 2020 plötzlich das Zürcher Verwaltungs­gericht daher und sagt (sinngemäss): Leute, diese Kompetenz­aufteilung geht im Fall gar nicht. Paragraf 20 verletzt über­geordnetes Recht, führt zu parallelen Zuständigkeiten sowie zu einer unzulässigen Komplizierung und Verzögerung des Rechts­schutzes.

Grundlage des Urteils war ein erneutes Gesuch Webers, in den offenen Vollzug versetzt zu werden. Frühere Gesuche waren abgelehnt worden, dieses eine zog er nach dem njet aus dem Amt für Justiz­vollzug und der Justiz­direktion ans Verwaltungs­gericht weiter – das die Gelegenheit beim Schopf packte und feststellte, dieser Rechts­weg sei kreuzfalsch. Das Obergericht als Verfahrens­leitung habe darüber zu entscheiden, nicht das Amt und danach die Justiz­direktion.

Die Feststellung aus dem Verwaltungs­gericht führt im Kanton Zürich zu einer Blockade.

Yuma Weber und sein Verteidiger finden sich mit der Situation konfrontiert, darum kämpfen zu müssen, dass überhaupt jemand entscheidet – und zwar innert vernünftiger Frist. Denn nach dem Urteil aus dem Verwaltungs­gericht lässt das Amt für Justiz­vollzug stante pede mitteilen:

Wir sind ab sofort nicht mehr zuständig.

Worauf das Ober­gericht meint: Wir aber auch nicht.

Also ist niemand zuständig, und die Frage landet notgedrungen in Lausanne. Die höchsten Richter des Landes spielen den Ball dem Zürcher Obergericht zu: Die Verfahrens­leitung sei zuständig für die Frage, ob ein noch nicht rechtskräftig verurteilter Insasse in eine offene Anstalt verlegt werden kann. Nicht das Amt für Justiz­vollzug.

Das Bundesgerichts­urteil trifft kurz vor Weihnachten 2021 in Zürich ein. Einen guten Monat später darf Yuma Weber seine Zelle in der Pöschwies räumen und bezieht ein Zimmer auf dem Bachtel – das nicht mehr am frühen Abend von aussen abgeschlossen wird. Im Haus dürfen sich die Insassen frei bewegen, draussen auf dem Gelände zu einer vereinbarten Zeit.

Weber arbeitet im Hausdienst, er ist für die Essens­ausgabe und die Gebäude­reinigung zuständig, manchmal auch an den Wochen­enden. Die Schicht beginnt in aller Herrgotts­frühe, dafür gibt es am Nachmittag ausgiebige Zimmer­stunden, bis das Abend­essen vorbereitet werden muss. Es sei hier viel besser als in der Pöschwies, sagt Weber, «nicht mehr so ein Kinder­garten».

Aber: «Es ist immer noch ein Gefängnis. Die Mauern sind da, wenn auch unsichtbar.»

«Ich bin der Dumme, der nicht abhaut»

Die vom Verwaltungsgericht beanstandete Regelung in der kantonalen Justizvollzugs­verordnung soll nun überarbeitet, die Zuständigkeit klar geregelt werden. Webers Fall hinterlässt Spuren. Seine Hartnäckigkeit (und jene des Verteidigers) wird nachhaltig wirken, wovon andere Insassen in Zukunft profitieren sollen. Das tröstet Yuma Weber und hilft ihm zu ertragen, dass die Kompetenz­konflikte auf seinem Buckel ausgetragen werden. Was seine Geduld doch arg strapaziert. Und zwar bis heute.

Denn das behördliche Nichtzuständig­seinwollen geht auch im offenen Vollzug weiter. Ein erstes Urlaubs­gesuch Webers sorgt erneut für Verwirrung und Verzögerung.

Dazu muss man wissen: Wer seit 6 Jahren inhaftiert ist, mit einem Haftende, das sich in greifbarer Nähe befindet, hat grundsätzlich Anspruch auf Ausgang und Urlaub; vorausgesetzt, der Häftling kooperiert, gilt weder als gemein­gefährlich, flucht­gefährdet noch als einer, der sofort wieder delinquiert. Erfüllt er diese Voraus­setzungen, darf er gegen Ende der Freiheits­strafe ein paar Stunden ausserhalb der Anstalt verbringen, unter strengen und engen Konditionen. Dem Insassen wird vorgeschrieben, in welchem Gebiet er sich aufhalten darf, wie lange und mit wem.

Beim Urlaubs­gesuch Webers wiederholt sich das bekannte Spiel – niemand will zuständig sein.

Ein erster Termin für einen bescheidenen 5-stündigen Ausgang in Anstalts­nähe verstreicht, weil keiner entscheidet. Also verfasst Webers Rechts­anwalt Gfeller wieder einmal eine Beschwerde­schrift ans Bundes­gericht. Und siehe da: Plötzlich klappts. Das Amt für Justiz­vollzug erlässt eine Ausgangs­verfügung.

Am letzten Märzwochenende verbringt Yuma Weber 5 Stunden in einer Kleinstadt am See, im Kreise seiner Familie, bei strahlendem Sonnen­schein und frühlings­haft milden Temperaturen. Er sei nach diesem kurzen Ausflug in die Freiheit derart erschöpft gewesen, erzählt Weber später am Telefon, dass er sich danach habe hinlegen müssen.

Keine Minute lang hat der Insasse daran gedacht, den Urlaub für eine Flucht zu nutzen, nicht in die Anstalt zurück­zukehren. «Ich bin einer der Dummen, die nicht abhauen, ich habe zu viel zu verlieren. Ich riskiere doch nicht, dass ich auch noch den letzten Drittel meiner Strafe absitzen muss; das wären bei mir über 3 Jahre, falls es bei der bisherigen Freiheits­strafe bleibt.» Viel lieber plant Weber sein Leben nach dem Gefängnis. Eine Arbeits­stelle ist ihm bereits zugesichert worden: «Im Vollzug konnte ich meine Sprach­kenntnisse erweitern, inzwischen spreche ich Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch sowie ein bisschen Holländisch und Italienisch. Ich war schon immer ein Auto­didakt. Und ich denke, meine Menschen­kenntnisse sind auch besser geworden.»

Trotz der Aussicht, bald wieder ein Leben in Freiheit führen zu können, will Yuma Weber ein paar Vollzugs­fragen gerichtlich untersucht haben. Er hat gegen eine Handvoll von Pöschwies-Aufsehern Strafanzeige eingereicht; wegen Amts­missbrauchs, Sach­beschädigung und Hausfriedens­bruchs. Es geht in erster Linie um die Zellen­kontrollen und Leibes­visitationen. Die Anzeige ist bei der Staats­anwaltschaft eingetroffen, Weber als Anzeige­erstatter bereits einvernommen worden. Doch bevor die Staats­anwaltschaft untersuchen darf, muss sie sich eine Ermächtigung holen – weil es sich bei den potenziell Beschuldigten um Staats­angestellte handelt.

Zuständig für diesen Ermächtigungs­entscheid ist, immerhin das steht klipp und klar fest: das Obergericht.

Und was ebenso klar sein dürfte: Mit seiner Anzeige macht sich Insasse Weber bei den Strafvollzugs­behörden denkbar unbeliebt.

Einmal mehr.

Wann werden Zellen­kontrollen oder Körper­durchsuchungen angeordnet?

Unabhängig von einer allfälligen Straf­untersuchung oder von konkreten Vorgängen in Kantonal­zürcher Gefängnissen hat die Republik das Amt für Justiz­vollzug und Wieder­eingliederung (Juwe) nach den Regeln für Zellen­kontrollen und Leibes­visitationen gefragt. Das sind die Antworten:

Bezüglich beider Massnahmen verweist das Amt auf die Grundlage im Straf­gesetzbuch. Artikel 85 regelt: «Die persönlichen Effekten und die Unterkunft des Gefangenen können zum Schutz der Ordnung und Sicherheit der Strafanstalt durchsucht werden.» Absatz 2 der gleichen Norm behandelt die Leibes­visitation, die durchgeführt werden kann, wenn der Verdacht besteht, der Insasse verberge auf sich oder in seinem Körper unerlaubte Gegen­stände. Die Unter­suchungen müssen von einer Person des gleichen Geschlechts durchgeführt werden; bei Unter­suchungen im Körper­innern ist medizinisch geschultes Personal beizuziehen.

Die Zellenkontrollen würden ausserdem in der kantonalen Justizvollzugs­verordnung sowie in den einzelnen Haus­ordnungen geregelt, schreibt das Juwe. In der Pöschwies komme es zu periodischen Zellen­kontrollen, die Insassen würden kurz zuvor oder aber im Nachhinein informiert. Ziel und Zweck der Kontrolle sei es, «unerlaubte Gegenstände, Substanzen und weitere Regel­verstösse offenzulegen. Auch Flucht­vorbereitungen sollen rechtzeitig erkannt werden. Eine Voranmeldung der Kontrollen würde diesem Zweck zuwider­laufen.»

Ob eine Gefängniszelle als Privat­bereich des Inhaftierten betrachtet werden könne, werde in der Rechts­wissenschaft kontrovers diskutiert, so das Juwe. Auf jeden Fall könne eine Zelle «nicht mit einem extramuralen Privat­bereich gleichgesetzt werden. Selbst­verständlich wird die Privat­sphäre der Insassen jedoch so gut wie möglich respektiert.»

Bei der Leibesvisitation werde der Insasse unmittelbar zuvor informiert, auch über den Grund der Kontrolle, «die einen schwer­wiegenden Eingriff in die Persönlichkeits­rechte» darstelle. Das Personal sei dementsprechend geschult und sensibilisiert, schreibt das Amt für Justiz­vollzug und Wieder­eingliederung.

Zum Update: Yuma Weber ist draussen

Nach mehr als sechs Jahren hinter Gittern ist der Cannabis-König wieder auf freiem Fuss – aber ganz losgelassen hat ihn die Strafjustiz noch nicht. Hier gehts zum Update.

Illustration: Till Lauer

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