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Weber ist draussen

Nach mehr als sechs Jahren hinter Gittern ist Cannabis-König Yuma Weber wieder auf freiem Fuss – aber ganz losgelassen hat ihn die Strafjustiz noch nicht.

Von Brigitte Hürlimann, 29.07.2022

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Synthetische Stimme
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Seit dem Vorabend wusste er, dass der Moment kommen wird. Er freute sich darauf. Und dann ging es plötzlich ganz schnell. «Ich sass in der Vollzugs­anstalt Bachtel auf einem Mäuerchen und schaute ins Grüne. Da kam ein Gefängnis­mitarbeiter angelaufen, mit meinem Koffer in der Hand. Er sagte: ‹Packen. Sie können gehen.› Es dauerte allerdings noch eine Weile, bis ich jemanden fand, der mich mit dem Auto im Zürcher Oberland abholen konnte.»

Zu elf Jahren Freiheits­strafe war Yuma Weber ursprünglich verurteilt worden. Zuerst vom Bezirks­gericht Zürich, später auch noch vom Ober­gericht. Eine Strafe, die Weber nie akzeptiert hat – und die bis heute nicht rechts­kräftig geworden ist.

Doch der Cannabis-König kämpft nicht nur um ein milderes Urteil. Während seiner Zeit im Gefängnis hat sich der 43-jährige Schweizer zum wehrhaften Vollzugs­kritiker entwickelt. Nach sechs Jahren und eineinhalb Monaten hinter Gittern hat er nun Ende Juni seine Frei­lassung bewirkt.

Zu den Recherchen

Bereits zweimal hat die Republik über Yuma Webers straf­rechtliche Lebens­phase berichtet: im Oktober 2020 aus dem Zürcher Obergericht («Der König und die Kronzeugen»), als seine Verurteilung wegen Cannabis-Handels und qualifizierter Geld­wäscherei bestätigt wurde – womit das Prozessieren noch längst nicht beendet sein sollte. Im April 2022 («Weber wehrt sich») ging es um Webers Erfahrungen im Straf­vollzug und um seinen Einsatz für einen fairen, gesetzes­konformen Umgang mit Häftlingen.

Und einmal abgesehen von der lang­ersehnten Entlassung aus dem Knast ist noch einiges anderes passiert, seit die Republik zuletzt über Weber berichtet hat:

  • 7. April 2022: Das Obergericht des Kantons Zürich reduziert die Strafe für Weber von elf auf zehn Jahre Freiheits­strafe (das Urteil wird Mitte April bekannt). Das Obergericht musste sich ein zweites Mal über den Fall beugen, sein früheres Urteil war vom Bundes­gericht teilweise aufgehoben worden. Das höchste Gericht rügt eine Verletzung des Anklage­prinzips. Einer der Haupt­vorwürfe lässt sich nicht erhärten, weshalb die Menge an gehandeltem Cannabis sowie der Umsatz reduziert werden müssen: von rund 7 Tonnen auf 5,5 Tonnen sowie von rund 36 Millionen Franken Umsatz auf 28,5 Millionen Franken. Für Weber und seinen Verteidiger, Diego Gfeller, ist die Straf­reduktion zu bescheiden ausgefallen. Sie haben auch den zweiten Obergerichts­entscheid vor Bundes­gericht gezogen. Das bedeutet: Der Cannabis-König ist bis heute nicht rechts­kräftig verurteilt.

  • 29. April 2022: Weber fordert zum wieder­holten Male seine Haft­entlassung, doch das Ober­gericht will nichts davon wissen. Es bestehe nach wie vor Fluchtgefahr.

  • 23. Mai 2022: Weber zieht den Entscheid vor Bundes­gericht. Er will entlassen werden.

  • 7. Juni 2022: Klare Worte aus dem Bundes­gericht. Weber befinde sich seit Monaten im offenen Straf­vollzug, habe unbegleitete Urlaube und Ausgänge wahr­genommen – und sei jedes Mal pünktlich zurück in die Straf­anstalt gekehrt. Er habe sich stets «korrekt und absprache­gemäss verhalten». Der Insasse sei «umgehend» aus der Haft zu entlassen, unter Anordnung von Auflagen, die Weber und sein Anwalt selbst vorgeschlagen hatten.

  • 10. Juni 2022: Präsidial­verfügung des Zürcher Obergerichts. Weber sei «sofort» aus der Haft zu entlassen.

Noch gleichen­tags, also am 10. Juni 2022, macht sich am frühen Nachmittag der Gefängnis­mitarbeiter mit dem leeren Koffer in der Hand auf den Weg zu Yuma Weber. Ein paar Stunden später trifft der Frei­gelassene in Zürich ein. Trinkt mit seinen Kollegen Apéro in der Gartenbeiz. Wartet, bis die Mutter vom Garten zurück­kommt. Nimmt mit ihr ein spätes Abendessen.

Die ersten paar Tage nach seiner Entlassung, erzählt der Schweizer bei einem Kaffee in der Stadt Zürich, habe er sich vor allem mit der Arbeits­vermittlung, dem Sozialamt und der Arbeitslosen­kasse herum­geschlagen. Daneben sucht er eine Wohnung, trifft Kollegen und Verwandte, geniesst den Sommer und besucht Yoga­kurse auf dem Zürichberg; bei einem Yoga­lehrer, der auch in Gefängnissen unterrichtet, wo sich die beiden kennen­gelernt haben.

Er versucht, mit anderen Worten, nach mehr als sechs Jahren unfrei­williger Abschottung wieder Fuss zu fassen: im realen Leben, zurück in der Gesellschaft.

Das gelingt ihm ganz passabel. Er hat eine Stelle als Personal­berater in Aussicht und Unterschlupf bei seiner Mutter gefunden. Wenn er sich trotzdem und immer noch über den Justiz­vollzug wundert, dann hat das mit den Auflagen zu tun, die er und sein Anwalt selbst vorgeschlagen hatten: Um Weber endlich aus dem Gefängnis zu bringen und weil es die mildest­möglichen Auflagen sind für einen, bei dem die Behörden immer noch Flucht­gefahr wittern.

Die zwei Auflagen, an die sich Weber seit seiner Entlassung strikt halten muss, sind Alltag in der Strafjustiz. Und doch scheinen sie die Behörden zu überfordern. Oder liegt es nur daran, dass Weber genau hinschaut und mit dem Finger gnadenlos auf jeden Fehler, jede Schwäche zeigt? Und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen Freude daran hat, den grossen Gegner vorzuführen?

«Aber Frau Hürlimann, Sie glauben ja nicht, was ich schon alles erlebt habe mit diesen Auflagen!», stöhnt Weber.

Was denn?

Die erste Auflage: Sämtliche Reise­papiere beim Ober­gericht abgeben, das heisst: Pass und Identitäts­karte. «Im Säumnisfall kann seine Versetzung in Sicherheits­haft angeordnet werden», heisst es in der Präsidialverfügung.

Das sei ein Witz, diese Androhung, sagt Weber, die Reise­papiere seien direkt vom Gefängnis zum Ober­gericht gelangt, gar nie in seinen Händen gewesen. Zudem müsse er ein Postkonto eröffnen. Das sei ohne Pass oder Identitäts­karte nicht möglich. Kopien, auch beglaubigte, würden nicht akzeptiert. «Ich werde beim Ober­gericht vorbeigehen und einen meiner Ausweise verlangen müssen. Wollen sie mir diesen nicht aushändigen, muss wohl ein Gerichts­angestellter mitkommen und mit mir zusammen das Postkonto eröffnen.» Und es gebe ja noch eine Reihe anderer zwingender Alltags­handlungen, die ohne Ausweise schlicht nicht möglich seien.

Die zweite Auflage: Der Frei­gelassene hat sich jeden zweiten Donnerstag in Zürich persönlich bei der Kantons­polizei zu melden. Tut er dies nicht, droht die erneute Verhaftung.

«Angefangen hat es damit, dass in der Präsidial­verfügung, die sie mir beim Gefängnis­austritt in die Hand drückten, eine falsche Adresse steht: Kasernen­strasse 29, 8021 Zürich.»

Er habe diese Adresse gesehen, gestutzt – und das Obergericht angerufen.

«Ich erwähnte höflich, dass es an der genannten Adresse keine Kantons­polizei mehr gebe. Die waren längst ins neue Polizei- und Justiz­zentrum gezogen.»

Da sei es still geworden am anderen Ende der Leitung. Tage später traf eine korrigierte Präsidial­verfügung bei Weber ein. Es hatten gleich zwei Fehler berichtigt werden müssen: Neben der falschen Melde­adresse hatte das Obergericht auch noch eine falsche Behörde genannt, die für eine allfällige Aufhebung der Auflagen zuständig sei.

Denn zuständig für den Aufhebungsakt ist: das Obergericht selbst.

Yuma Weber muss also alle zwei Wochen an die Güterstrasse 33 zum Polizei- und Justiz­zentrum (PJZ), das er vom Küchen­fenster aus sieht. Beim dritten Meldegang dorthin hat ihn die Republik begleitet.

Passiert ist, was laut Weber bisher immer geschah:

  • Die Polizistinnen am Schalter sind völlig perplex und haben null Ahnung, was sie mit diesem Mann anfangen sollen, der angibt, er habe sich bei ihnen zu melden.

  • Konsterniert überfliegen sie die vierseitige Präsidialverfügung.

  • Stirnrunzeln. Rat holen.

  • Weber wird nun aufgefordert, sich auszuweisen. Er sagt, jedes Mal: «Lesen Sie bitte die Verfügung. Ich habe keine Ausweise. Die liegen beim Obergericht.»

  • Stirnrunzeln. Rat holen.

  • Digitale Abklärung, wer dieser Weber ist.

  • Erleichterung, man hat ihn im internen System gefunden. «Alles in Ordnung, Sie waren hier, Sie können wieder gehen.»

  • Weber bittet um eine Bestätigung; um einen Beleg dafür, dass er sich an die Auflage gehalten hat.

  • Stirnrunzeln. Rat holen.

  • Dann folgt Kreativität. Beim ersten Mal wird spontan ein «Kontroll­blatt» hergestellt und beidseitig unterzeichnet. Weber darf es mit seinem Handy abfotografieren, weil man auf die Schnelle keinen Kopier­apparat findet. Bei den zwei folgenden Meldungen werden Bestätigungs­mails verschickt: polizei­intern und ans Obergericht. In der ersten Mail wird er ins CC aufgenommen (auf seinen Vorschlag hin), bei der zweiten erhält er eine Papierkopie.

«Haben Sie gesehen», sagt Weber, als wir den Justiz­palast nach gut zwanzig Minuten wieder verlassen, «die Mail­adresse ans Ober­gericht wurde falsch eingetippt. Die haben die Bestätigung bestimmt nicht erhalten.»

Auf Anfrage der Republik teilt der Sprecher des Zürcher Obergerichts mit, dass die Kantons­polizei erstens über derartige Melde­auflagen im Voraus informiert werde und dass zweitens die Bestätigungen über tatsächlich erfolgte Meldungen von der Kantons­polizei ans Obergericht gelangten.

Das sei das übliche Prozedere.

Über den konkreten Fall könne man sich jedoch nicht äussern.

«Herr Weber, eine Frage noch zum Schluss: Warum nehmen Sie keinen Job im Straf­vollzug an, anstatt sich bloss zu ärgern und ständig zu kritisieren? Sie wären doch der geeignete Fachmann dafür, mit reichlich praktischer Erfahrung.»

«Frau Hürlimann, mit meinem Leumund und meinem Ruf stellt mich dort keiner an.»

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