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Wer braucht, dem wird gegeben

Ist es richtig, leidende Branchen wie die Medien mit öffentlichen Geldern zu unterstützen? Eine ökonomische Mini-Anleitung zu Subventionen. Warnung: Es wird schmutzig.

Von Olivia Kühni, 11.01.2022

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Wer bekommt Geld vom Staat – und warum? Das ist eine der heiss umkämpften Fragen in jeder Demokratie. Bei den nächsten Abstimmungen, Sie haben es mitbekommen, geht es um die Medien. Sollen sie, da essenziell für eine Demokratie, aber wirtschaftlich herausgefordert, öffentliche Gelder erhalten?

Eine äusserst schwierige Frage – auch das haben Sie mitbekommen.

Die Parole der Betroffenen zur Abstimmung vom 13. Februar ist keine Überraschung. Selbst­verständlich spricht sich der Verleger­verband dafür aus: Keine Branche geisselt sich selbst derart, dass sie dargebotenes Geld ablehnen würde – selbst wenn ihre Vertreter sonst gerne und lautstark gegen die wachsende Übermacht des Staates wettern. Auch in diesem Fall also liefert das Votum der Betroffenen den Stimm­bürgerinnen wenig Orientierung.

Vielleicht aber hilft stattdessen der Fokus auf die politische Ökonomie. Und die Frage: Wie entscheidet sie über Subventionen?

Dazu die Warnung: Um die Politik gibt es kein Herum­kommen. Seien Sie skeptisch gegenüber allen, die Ihnen eine reine Lehre vom angeblich freien Markt verkaufen wollen. Wahrscheinlich machen die genau mit solchen Erzählungen ihr Geld.

1. Die Grundidee

Seit Könige nicht mehr einfach selber der Staat sind und Steuer­einnahmen ihre Haushalts­kasse, seit wir also demokratische National­staaten haben und Verfassungen, ist das Grund­prinzip eigentlich ein einfaches: Für jede öffentliche Investition braucht es eine Rechtfertigung.

Man muss begründen, dass und warum man Steuer­gelder einsetzen will. Wie, das definiert einer der heiligsten Grundsätze moderner Rechts­staaten (in der Schweiz Artikel 5 der Bundes­verfassung): Staatliches Handeln – und dazu gehört eine öffentliche Finanzierung – muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnis­mässig sein.

Mit anderen Worten: Dass ihr Onkel verzweifelt, wenn seine Firma rote Zahlen schreibt, reicht als Begründung für eine öffentliche Finanz­spritze leider nicht aus. Und zwar auch dann nicht, wenn ihr Onkel ein «von» im Namen trägt oder fleissig in die katholische Messe geht. Das mögen Sie jetzt spontan selbst­verständlich finden, aber das ist es nicht. Ganz im Gegenteil, es ist eine revolutionäre Erfindung der Neuzeit. Wir Menschen haben grundsätzlich die Neigung, uns gegenseitig helfen zu wollen. Das ist was Schönes – nur macht man damit alleine noch keinen vernünftigen Staat.

Sie sehen, bereits hier wird es schmutzig und schwierig.

Jedenfalls aber gilt: im öffentlichen Interesse und verhältnis­mässig. Darüber, was das meint, gibt es zahlreiche theoretische Abhandlungen – und noch zahlreichere politische Debatten.

2. Die Abwägung

Wir sind in der Schweiz beispiels­weise zur Ansicht gelangt, dass es aus Gründen der Versorgungs­sicherheit sinnvoll ist, den Zucker­rüben­anbau zu subventionieren, wie die Republik gerade kürzlich aufzeigte (Stichwort öffentliches Interesse). Und dass dies am ziel­führendsten und effizientesten über Direkt­zahlungen an die Landwirtinnen geschieht statt beispiels­weise mit einem Rüben-Grossbetrieb in staatlichem Besitz (Stichwort verhältnis­mässig). Wenn der Staat schon zahlt, dann muss er jenen Weg wählen, der das gesetzte Ziel möglichst günstig und clever erreicht.

Was das bedeutet, darüber lässt sich im Einzelfall ewig streiten. Ein paar Grund­erkenntnisse aber haben die letzten Jahr­hunderte doch gebracht.

  • Wenn Private etwas besser und günstiger machen, als es der Staat je könnte, dann sollte man sie machen lassen. Zum Beispiel: Züge bauen. Es gibt ein öffentliches Interesse an einem funktionierenden Schienen­verkehr – aber dafür muss man nicht selber in teurer Kleinst­auflage Züge herstellen, wenn es schon ausreichend Profis dafür gibt. Also hält sich der Staat raus. (Er kann aber natürlich als Kunde die Züge kaufen.)

  • Wenn es sinnvoll ist, für etwas nur einen Anbieter zu haben statt ganz viele, dann ist es oft effizient und fair, wenn der Staat gleich selber übernimmt. Zum Beispiel: ein einziges günstiges staatliches Schienen­netz, auf dem alle Züge fahren, statt lauter teure private Netze. Das ist die Begründung für einen Grossteil der öffentlichen Infrastruktur, die wir haben. Wie ineffizient es sein kann, wenn man die Bahn­infrastruktur zerstückelt und privatisiert, zeigte in den 1990er-Jahren das Beispiel von England, das im Chaos versank – seither ging der Gleis­unterhalt wieder zurück an den Staat. Und was passieren kann, wenn man öffentliche Infrastruktur an den Meistbietenden verkauft, zeigen etwa Beispiele aus postsowjetischen Ländern: Zahlreiche Oligarchen bereicherten sich über den günstigen Kauf einst öffentlicher Infrastruktur.

  • Dazwischen gibt es viele bunte Formen von staatlichen Finanz­spritzen. Beispiels­weise Anschub­finanzierungen, die einer Branche helfen sollen, sich zu etablieren (wie bei den Kitas) oder Direkt­zahlungen, wie sie, eben, die Bauern erhalten. Alle davon haben Neben­effekte. Immer. Die Steuer­zahlerinnen verhelfen etwa mit ihren Zucker-Subventionen unverhofft dem Energy­drink-Hersteller Red Bull zu mehr Profit. Aber auch – vielleicht schon wieder sympathischer? – traditionellen Schweizer Guetsli­herstellern, die, ebenso wie Red Bull, in der Schweiz produzieren. Und die, gäbe es die Schweizer Rüben­bauern nicht mehr, günstigen ausländischen Zucker einkaufen würden – allenfalls mit einer schlechteren Ökobilanz. Die Kita-Anschub­finanzierung wiederum schuf in den letzten Jahren zwar wie erhofft ein grosses Angebot an Kita-Plätzen. Dafür können sich viele der Kinder­krippen angesichts der Konkurrenz kaum über Wasser halten – während sich viele Eltern nach wie vor die Ausgaben kaum leisten können. (Viele Ökonominnen hatten deshalb vergeblich dafür plädiert, statt Kita-Aufbauhilfen Betreuungs­gutscheine für Familien zu vergeben.)

Mit anderen Worten: Beim Thema Subventionen kommt man selbst mit der nüchternsten ökonomischen Analyse um einen politischen Entscheid nicht herum. Wir können es uns leider, leider nicht so einfach machen.

(Dazu kommt, dass oft gerade die rentablen Branchen eine Art indirekte Subvention geniessen. Die Finanz­industrie etwa verdankte ihre hohen Margen lange Zeit dem staatlich garantierten Bank­geheimnis. Die Pharma­industrie profitiert davon, dass viele Staaten die Medikamenten­kosten ihrer Bürger übernehmen – und ordentlich in Grundlagen­forschung investieren. Und die lukrativste aller Branchen ist eine, die gut davon lebt, dass die Schäden, die sie anrichtet, von der Allgemeinheit getragen werden: die Erdölindustrie.)

Und was ist nun mit den Medien?

3. Schöne Landschaft für alle

Weil das Nachdenken darüber so viel Spass macht – und weil ich das erstaunlicher­weise bislang so noch nicht gelesen habe –, hier ein Gedanke, wie man Medien seit mindestens einem Jahrzehnt ökonomisch betrachten könnte: als sogenanntes Gemeingut.

Die Digitalisierung hat weite Teile des Journalismus frei zugänglich und vor allem unendlich teilbar gemacht. Im Prinzip wird vor allem Nachrichten­journalismus damit zu einem ähnlichen Gut wie eine intakte Umwelt, Frieden oder saubere Luft: Alle profitieren davon, dass es ihn gibt. Weil man aber gleichzeitig niemanden von der Nutzung ausschliessen und damit Geld verdienen kann, gibt es für einzelne Private wenig Anreiz, zu investieren.

Es ist ein klassischer Fall dessen, was die Ökonomie ein Markt­versagen nennt. Und damit ein klassischer Kandidat für eine kollektive Finanzierung.

Ist es sinnvoll, dass dieses Kollektiv der Staat ist? Und falls ja, lohnt sich der Preis, dass auch ein paar Leute mit profitieren, die das Geld eigentlich nicht nötig hätten? Was ist eine wahrscheinliche Entwicklung, wenn die Antwort auf diese Frage Nein lautet?

Nun, da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen: Ihr Entscheid.

Zur Transparenz

Von der staatlichen Medien­förderung, über die das Schweizer Stimm­volk am 13. Februar abstimmt, würde auch die Republik profitieren. Wie viel Geld sie erhielte, ist derzeit unklar. Klar ist: Über die Frage, ob sie das Geld überhaupt annehmen würde, müsste die Verlegerschaft entscheiden. Genauso haben wir die Entscheidung, welche Parole Project R, die Genossenschaft hinter der Republik, zum Medien­gesetz fassen soll, an die Verlegerschaft delegiert. Die Befragung ist bereits abgeschlossen, die Ergebnisse werden noch diese Woche veröffentlicht.

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