Was diese Woche wichtig war

US-Truppen verlassen Afghanistan, Iran beschuldigt Israel der Sabotage und Japan will verstrahltes Wasser ins Meer leiten

Woche 15/2021 – das Nachrichten­briefing und die Corona-Lage aus der Republik-Redaktion.

Von Reto Aschwanden, Ronja Beck, Anja Conzett, Oliver Fuchs, Marie-José Kolly und Cinzia Venafro, 16.04.2021

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Die USA überlassen Afghanistan sich selbst

Darum geht es: Präsident Joe Biden hat am Mittwoch offiziell erklärt, die US-Truppen bis zum 11. September aus Afghanistan abzuziehen. Am selben Tag verständigten sich auch die Aussen- und Verteidigungs­minister der Nato auf den Abzug ihrer Truppen aus dem Land. Er soll am 1. Mai starten und innert einiger Monate abgeschlossen sein. Derzeit befinden sich noch knapp 10’000 Nato-Soldaten in Afghanistan.

Bei den gefallenen Soldaten von Afghanistan: US-Präsident Joe Biden besucht nach seiner Ankündigung des Truppen­abzugs den Arlington National Cemetery. Yuri Gripas/pool/dpa/Consolidated News Photos

Warum das wichtig ist: Schon Obama und Trump wollten die US-Militär­präsenz in Afghanistan beenden – Biden tut es nun. Dass der Abzug bis zum 11. September vollzogen sein soll, ist kein Zufall, waren doch die Terror­anschläge vor 20 Jahren der Auslöser für den Einmarsch. Nun endet der längste Krieg der USA: 2400 US-Soldaten verloren ihr Leben, gekostet hat der Einsatz allein die Amerikaner 2,3 Billionen Dollar. Am Ziel, durch nation building aus Afghanistan ein demokratisches und stabiles Land zu machen, sind die USA und ihre Alliierten gescheitert. Dem Land drohen neue Kämpfe, denn es ist zweifelhaft, ob es der Regierung gelingen wird, die Taliban, die etwa ein Fünftel des Landes kontrollieren, in Schach zu halten. Ein Uno-Bericht zeigte diese Woche auf, dass es im ersten Quartal 2021 deutlich mehr Gewalt gegen Zivilistinnen gab. Namentlich Frauen und Kinder wurden im Vergleich zur Vorjahres­periode öfter verletzt oder getötet.

Was als Nächstes geschieht: In manchen Gegenden von Afghanistan stellen sich die Menschen auf einen neuen Krieg ein. Zwar laufen Verhandlungen zwischen den Taliban und der Regierung, doch die kommen kaum vom Fleck. Die demokratischen Errungenschaften der letzten Jahre stehen unter Druck, befürchtet werden vor allem Rückschritte bei den Frauenrechten.

Iran beschuldigt Israel der Sabotage einer Atomanlage

Darum geht es: In der iranischen Atomanlage Natanz hat sich ein Zwischen­fall ereignet, der die Urananreicherung des Landes um mehrere Monate zurückwerfen könnte. Teheran geht davon aus, dass es sich um eine gezielte Sabotage – einen «Terrorakt» – des israelischen Geheimdiensts Mossad handelt. Israel sieht in der nuklearen Aufrüstung des Irans eine Bedrohung der eigenen Sicherheit und wird auch als Urheber anderer Angriffe auf das iranische Atom­programm verdächtigt. Die israelische Regierung hat die aktuellen Vorwürfe weder dementiert noch bestätigt.

Warum das wichtig ist: In Wien finden derzeit Gespräche zur Erneuerung des Atom­abkommens mit dem Iran aus dem Jahr 2015 statt. Massgeblich geht es dabei um einen möglichen Wieder­beitritt der USA. Unter Präsident Donald Trump traten die Vereinigten Staaten 2018 aus dem Abkommen aus und verhängten Sanktionen gegen den Iran. Seither verstösst der Iran immer wieder gegen das Abkommen mit den verbleibenden Partnern Russland, China, Deutschland, Frankreich und Gross­britannien – und verlangt, dass zur Wieder­einhaltung zunächst die Sanktionen aufgehoben werden müssten. Mutmasslich soll Israel mit der Sabotage versucht haben, die Verhandlungs­position des Irans zu schwächen, was Fragen zur Rolle der USA bei den Vorfällen in Natanz aufwirft. Die Regierung Bidens hat sich bislang zurück­haltend geäussert, hielt am Montag aber fest, die USA seien «in keiner Weise involviert» gewesen.

Was als Nächstes geschieht: Die Vorfälle in Natanz haben den Gegnern des Atom­abkommens im Iran Aufwind gegeben. Die iranische Regierung führte trotz wachsender Proteste im eigenen Land am Donnerstag die Verhandlungen in Wien weiter. Gleichzeitig hat der Iran eine Anreicherung von Uran auf 60 Prozent angekündigt. Das Atom­abkommen erlaubt jedoch lediglich eine Anreicherung auf 3,67 Prozent. Irans Ankündigung sorgt bei den Abkommens­partnern Gross­britannien, Deutschland und Frankreich für grosses Unbehagen. Es handle sich dabei um eine ernste Entwicklung, «da die Herstellung von hoch angereichertem Uran einen wichtigen Schritt zur Produktion einer Nuklear­waffe darstellt», schreiben die drei Staaten in einer gemeinsamen Erklärung.

Japan will verstrahltes Wasser ins Meer leiten

Darum geht es: Japan will mehr als 1,2 Millionen Tonnen Wasser aus dem Atom­reaktor Fukushima in den Ozean ablassen. Regierungschef Yoshihide Suga betont, das Niveau radio­aktiver Substanzen liege deutlich unterhalb der Grenzwerte. Das Wasser wurde umfangreich gefiltert, trotzdem bleibt das Isotop Tritium zurück, das für Menschen in hoher Konzentration schädlich ist. Japans Nachbar­länder protestieren heftig: Das südkoreanische Aussen­departement bestellt den japanischen Botschafter ein und auch aus China kommt scharfe Kritik: «Dieses Vorgehen ist äusserst unverantwortlich und wird der internationalen öffentlichen Gesundheit und Sicherheit ernsthaft schaden.»

Wohin damit? Mit verseuchtem Wasser gefüllte Silos in Fukushima. Kyodo News/Getty Images

Warum das wichtig ist: Seit Jahren schwelt ein Streit um das Wasser, das zur Kühlung der Atomanlage nach der Kernschmelze 2011 verwendet wurde. Die japanische Regierung und die Betreiber­gesellschaft des Atomkraft­werks stellen sich auf den Standpunkt, dass ab 2022 kein Platz mehr für die mehr als 100 Silos voll mit kontaminiertem Wasser sei. Daher müsse es gereinigt und entsorgt werden. Umwelt­organisationen wie Greenpeace versuchen das zu verhindern. Sie fordern, dass das Wasser weiterhin an Land gelagert wird, bis eine neue Technologie erfunden wurde, die es auch wirklich reinigt. Die Organisation «Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges» warnt ebenfalls, das Entsorgen des Wassers sei ein «Horrorszenario»: Tritium werde von Fischen, Meeres­früchten und Algen aufgenommen – und finde so den Weg auf den Teller des Menschen.

Was als Nächstes geschieht: Unter Wissen­schaftlern ist ein Streit entbrannt, inwiefern künftig noch Meeres­früchte aus der Zone um Fukushima gegessen werden sollten. Die Internationale Atomenergie­behörde hat das Ablassen des Wassers gebilligt. Es sei «eine wichtige Etappe» beim Rückbau des Atomkraftwerks.

Was will Putin mit dem Truppenaufmarsch?

Darum geht es: Nach dem Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine nehmen die Spannungen zwischen Russland und der Nato zu. Jens Stoltenberg, General­sekretär des Militär­bündnisses, forderte Moskau auf, diese Provokation sofort zu stoppen.

Die Angst wächst: Ukrainische Truppen bei einer Übung im Donbass (14. April 2021). Armed Forces of Ukraine/Anadolu Agency/dpa

Warum das wichtig ist: Was Russland mit der Drohkulisse bezweckt, ist unklar. Offiziell herrscht in den umkämpften Gebieten in der Ukraine ein brüchiger Waffen­stillstand. Russland bezeichnet die Truppen­verschiebungen als Reaktion auf die erwartete Ankunft von US-Kriegsschiffen im Schwarzen Meer. Manche Beobachterinnen vermuten, dass Russland und die USA mit gegen­seitigen Muskel­spielen testen wollen, wie die andere Seite reagiert. Andere hingegen sehen eine reale Gefahr eines neuen Krieges in der Ukraine.

Was als Nächstes geschieht: US-Präsident Biden hat Kreml-Chef Putin ein Gipfeltreffen in einem Drittland vorgeschlagen. Im Herbst stehen in Russland Wahlen an, weshalb spekuliert wird, dass Putin versuchen könnte, seine schlechten Umfrage­werte aufzupolieren, indem er sich mit einem Einmarsch in der Ukraine als starker Mann inszeniert. Der Westen wird sich hüten, bei einer weiteren Eskalation auf Seiten der Ukraine, die gerne der Nato beitreten würde, militärisch einzugreifen. Stattdessen wollen Länder wie die USA vermehrt Waffen liefern.

Der Corona-Lagebericht

Am Mittwoch hat der Schweizer Bundesrat die eigenen Kriterien kurzerhand verworfen – und deutlich rascher deutlich mehr gelockert, als angesichts der Lage erwartet worden war. Ab Montag dürfen Restaurants draussen Gäste bedienen, Fitness­center, Kinos und Sporthallen gehen auf, und bei Veranstaltungen dürfen sich wieder bis zu 50 Menschen im selben Raum aufhalten.

Davon kann man halten, was man will. Ein «moderater Öffnungs­schritt», wie es der Bundesrat nannte, ist es aber nicht. Obwohl sich alle wichtigen Kennzahlen seit Ostern verschlechtert haben, erlaubt die Regierung nun auch vergleichs­weise riskante Aktivitäten in Innen­räumen – etwa das Singen. Ein Grossteil der Bevölkerung ist noch nicht geimpft – und das wird auch noch mindestens einige Wochen so bleiben. Es sind also noch zu wenige immun, um eine Eskalation wie im vergangenen Oktober auszuschliessen. Im Schnitt werden derzeit jeden Tag 2200 Menschen positiv getestet, das sind etwa 600 mehr als in der Vorwoche.

Neuanstieg der Fälle nach Ostern

Positiv getestete Personen: gleitender Mittelwert über 7 Tage

15. Oktober 201. Januar 2112. April 2102000400060008000 Personen

Die Daten nach dem 12. April sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berück­sichtigt. Stand: 15. April 2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit

Die Spital­einweisungen steigen weiter an – und ebenso die Zahl der Über­weisungen von Covid-19-Erkrankten auf die Intensiv­station. Dass diese Patientinnen nun tendenziell jünger werden, hat paradoxer­weise den Effekt, dass die Betten­kapazitäten schneller knapp werden könnten als in früheren Wellen. Denn anstatt am Virus relativ rasch zu sterben, sind diese Patienten häufiger über Wochen und Monate schwerstkrank.

Immer mehr Menschen mit Covid-19 im Spital

Spitaleinweisungen: gleitender Mittelwert über 7 Tage

15. Oktober 201. Januar 218. April 21050100150200 Personen

Die Daten nach dem 8. April sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berück­sichtigt. Stand: 15. April 2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit

Im Vergleich zur Bevölkerungs­zahl liegen Deutschland und die Schweiz bei den neuen Ansteckungen zwar ungefähr gleichauf. Trotzdem scheint die Lage im Norden vielerorts noch deutlich angespannter. Die Uniklinik in Köln steht beispiels­weise kurz vor Einführung der Triage. In anderen Teilen des Landes kommen die Spitäler aber offenbar noch gut klar. Der Gesundheits­minister gab sich am Donnerstag jedenfalls besorgt, dass «die Lage täglich kritischer» werde. Derzeit laufen die Vorbereitungen für landesweit einheitliche Verschärfungen, etwa abendliche Ausgangssperren.

In Italien und Österreich scheinen die vor Ostern erlassenen Massnahmen einen Effekt zu haben. Im Vergleich zur Bevölkerungs­zahl sind die neuen Ansteckungen jetzt auch in diesen beiden Ländern mit der Schweiz und Deutschland etwa vergleichbar. Ganz anders leider in Frankreich, dort wachsen die Zahlen bisher weiter an. Es ist nun das vierte Land in Europa, in dem 100’000 an Covid-19 gestorben sind – neben Gross­britannien, Italien und Russland.

Zum Schluss: Facebooks Bitchefight

Bitche ist ein französischer Ort mit 5000 Einwohnerinnen im Département Moselle unweit der deutschen Grenze. Weil das heute dazugehört, richtete sich Bitche eine Seite auf Facebook ein. Doch dann funkte der Algorithmus dazwischen, weil er den Namen als anstössig interpretierte: Am 19. März verschwand die Seite von der Plattform. Die Bitchois – oder zu Deutsch: Bitscher – intervenierten, liefen damit aber ebenso ins Leere wie viele andere Nutzerinnen, die mit einem Anliegen an Facebook herantreten. Erst als Medien über die Sperrung berichteten, wurde die Seite wieder aufgeschaltet, und der Frankreich-Chef von Facebook entschuldigte sich persönlich bei Bürger­meister Benoît Kieffer. Dieser zeigte sich generös und lud den obersten Verantwortlichen von Facebook France und auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg in sein Dorf ein. Bei dieser Gelegenheit, so Kieffer, könnte man gemeinsam das Andenken jener US-Soldaten ehren, die das Dorf im Zweiten Weltkrieg befreiten und sich fortan stolz «the sons of Bitche» nannten.

Was sonst noch wichtig war

  • Schweiz: Interne Mails, die der WOZ zugespielt wurden, wecken den Verdacht, dass sich die Richter der Prozesse gegen Teilnehmer der «Basel-nazifrei»-Proteste abgesprochen haben. Die Verfahren sorgten schweizweit für Aufsehen, weil die Strafen ausser­ordentlich hoch ausfielen.

  • Österreich: Gesundheits­minister Rudolf Anschober tritt zurück. Nachdem er schon zweimal einen Kreislauf­kollaps erlitten habe, wolle er sich «nicht kaputt­machen». In seiner Rücktritts­rede beklagte er die zunehmende Aggressivität aus Teilen der Bevölkerung und erklärte, er habe sich «sehr oft sehr alleine gefühlt».

  • Deutschland II: Das Berliner Gesetz zur Mieten­begrenzung verstösst gemäss einem Urteil des Bundes­verfassungsgerichts gegen das Grund­gesetz und ist damit nichtig. Mit dem «Mietendeckel» wollte die Stadt die stetig steigenden Wohnungs­preise bekämpfen.

  • USA I: Die Biden-Administration verhängt neue Sanktionen gegen Russland und weist Diplomaten aus. Grund: Die US-Behörden machen nun offiziell den russischen Geheim­dienst SWR für die «Solarwinds»-Hacking-Attacke letztes Jahr verantwortlich. Zudem sind die Sanktionen eine Reaktion auf die russischen Einmischungen in die US-Wahlen 2020.

Die Top-Storys

Leben und Sterben eines Vierfach­mörders Am 16. April vor 35 Jahren erschiesst der Chef der Zürcher Baupolizei vier seiner Mitarbeiter und flieht. Es ist einer der grossen Kriminal­fälle in der Schweizer Geschichte. Der «Tages-Anzeiger» rekapituliert, unter anderem gestützt auf bisher unveröffentlichte Dokumente, in vier Teilen das Leben des Vierfach­mörders Günther Tschanun.

Vom Opfer zum Blender Als Enkel von Rudolf Höss, dem KZ-Kommandanten von Auschwitz, wurde Rainer Höss weltbekannt. Wie jüngst publik wurde, nutzte er seine Bekanntheit, um Menschen Geld aus der Tasche zu ziehen. Auch der Autor Sacha Batthyany von der «NZZ am Sonntag» liess sich von Rainer Höss täuschen. Er geht der Frage nach, warum Menschen zu Blendern werden und wie sie jahrelang damit durchkommen.

Hass ohne Boden Manchmal sind es Worte, immer häufiger Schläge: Menschen, die der LGBTQ+-Community angehören, sind in der Schweiz oftmals Hass ausgesetzt. Eine statistische Erfassung homophober Attacken fehlt bis heute. In einer Dokumentation des SRF erzählen Betroffene von einem Leben in Furcht und dem ermüdenden Kampf gegen die Diskriminierung.

Illustration: Till Lauer

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