Bundesrat lockert in die 3. Corona-Welle, Ehe für alle kommt vor das Volk und die Armee lässt Pferde fliegen
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (142).
Von Reto Aschwanden, Dennis Bühler und Cinzia Venafro, 15.04.2021
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Wer ist der grösste Buhmann im Corona-Jahr? Valentin Vogt, seines Zeichens Arbeitgeberpräsident, mauserte sich in den vergangenen Tagen zum Kronfavoriten für den wenig schmeichelhaften Titel.
Sein Leistungsausweis? Wenn die Risikopatienten geimpft seien, würden «etwa drei Viertel der Hospitalisationen wegfallen», behauptete Vogt in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens. «Das heisst, wir könnten dann mit Fallzahlen von 20’000 bis 30’000 pro Tag leben, ohne dass die Spitäler an den Anschlag kämen.»
Der Shitstorm liess nicht lange auf sich warten: Unter #VogtMussWeg entlud sich die Wut über die Aussagen. GLP-Nationalrat Martin Bäumle pflaumte Vogt per Twitter an: Eine «ungeheuerliche und gefährliche Aussage» habe der Arbeitgeberpräsident von sich gegeben, die Strategie, so hohe Fallzahlen in Kauf zu nehmen, «grenzt an Eventualvorsatz».
Doch Vogt ist nicht der Einzige, der zügig aufmachen will. Auch die Wirtschaftskommission des Nationalrats machte Druck auf den Bundesrat: Sie forderte vor der gestrigen Bundesratssitzung einen definitiven Lockerungsplan.
Zoff gab es bis zur Entscheidung gestern auch zwischen den beiden bürgerlichen Parteien SVP und FDP. So droht SVP-Präsident Marco Chiesa in einer Videobotschaft mit der Abwahl eines freisinnigen Bundesrates – also entweder Ignazio Cassis oder Karin Keller-Sutter – sollten die freisinnigen Magistraten nicht klaren Öffnungsschritten aus dem Lockdown zu einer Mehrheit verhelfen.
FDP-Präsidentin Petra Gössi reagierte umgehend: Die SVP solle doch bitte «konsequent sein und aus dem Bundesrat austreten.»
Die Landesregierung unter Beteiligung aller Bundesrätinnen rang schliesslich bis in den späten Mittwochnachmittag hinein um Lockerungsschritte. Und es zeigt sich: Die Rufe nach Lockerung wurden erhört.
Die aktuelle epidemiologische Situation sei zwar «weiterhin fragil und hat sich in den letzten Wochen weiter verschlechtert. Vier von fünf Richtwerten für Öffnungsschritte sind derzeit nicht erfüllt», schreibt der Bundesrat. Zudem sei nicht klar, ob es über die Ostertage zu vermehrten Ansteckungen im Familien- und Freundeskreis gekommen sei. Trotzdem sieht die Landesregierung die Voraussetzungen für «einen moderaten Öffnungsschritt» gegeben.
Ab Montag, 19. April gelten folgende Lockerungen:
Restaurantterrassen geöffnet: Es gilt Sitzpflicht und die Maske darf nur während der Konsumation abgelegt werden. Pro Tisch sind maximal vier Personen erlaubt, die alle ihre Kontaktangaben hinterlassen müssen. Clubs und Discos bleiben erwartungsgemäss geschlossen.
Freizeit- und Unterhaltungsbetriebe «sollen analog zu Läden und Museen», so der Bundesrat, ihre Innenbereiche wieder öffnen können.
Veranstaltungen mit Publikum: Erlaubt sind draussen (Fussballspiele oder Open-Air-Konzerte) 100 Personen, drinnen (Kinos, Theater oder Konzerte) 50 Personen.
Maximal 15 Personen dürfen sich organisiert treffen, also für Führungen in Museen, Treffen von Vereinsmitgliedern oder andere Veranstaltungen im Unterhaltungs- und Freizeitbereich.
Ran an den Corona-Speck: Bis zu 15 Leute dürfen wieder zusammen trainieren. Allerdings muss in Innenräumen «sowohl die Maske getragen als auch der Abstand eingehalten» werden. Aber auch hier keine Regel ohne Ausnahme: Solche sind vorgesehen für Aktivitäten, bei welchen keine Maske getragen werden kann, etwa beim Ausdauertraining in Fitnesszentren oder beim Singen im Chor. Im Gegenzug sind in solchen Fällen die Abstandsregeln strenger.
Präsenzunterricht ist auch ausserhalb der obligatorischen Schule und der Sekundarstufe II wieder möglich, also insbesondere an Hochschulen und in der Erwachsenenbildung. Hierbei gilt eine Beschränkung auf maximal 50 Personen und eine Kapazitätsbegrenzung auf ein Drittel der Räumlichkeit, ebenso Masken- und Abstandspflicht.
Und damit zum Briefing:
Ehe für alle: Nun wird doch an der Urne entschieden
Worum es geht: Jetzt ist klar, dass die Schweizer Stimmbevölkerung über die «Ehe für alle» abstimmen wird. Die Vorlage sieht vor, dass auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten können. Dagegen hat ein überparteiliches Komitee aus Mitgliedern der EDU und der SVP sowie einzelnen CVP-Politikern das Referendum ergriffen. Dieses wurde am Montag mit rund 59’000 beglaubigten Stimmen eingereicht.
Warum Sie das wissen müssen: Die Einführung der «Ehe für alle» ist seit Jahren das gesellschaftspolitisch emotionalste Thema. 2007 wurde die eingetragene Partnerschaft eingeführt, seither kämpfen Schwulen- und Lesbenorganisationen für ein Recht auf Ehe. Vor sieben Jahren reichte die GLP-Fraktion eine parlamentarische Initiative ein. National- und Ständerat verabschiedeten das Gesetz nach langjährigen Verhandlungen. Die Gegner der «Ehe für alle» stören sich nach eigenen Angaben vor allem daran, dass dies auf Gesetzesebene geschehen ist – also ohne Volksabstimmung.
Wie es weitergeht: Die Bundeskanzlei muss nun das Zustandekommen des Referendums formal absegnen, dann wird der Bundesrat das Abstimmungsdatum festlegen. Realistisch wären September oder November. Bereits formieren sich die Gegnerinnen und Befürworter: Zudem läuft als ungewöhnliche Reaktion auf das Referendum eine Petition zugunsten der Vorlage. Einige SVP-Mitglieder wie die Aargauer Nationalrätin Martina Bircher stellen sich gegen ihre Partei, indem sie für die «Ehe für alle» kämpfen. Das Referendumskomitee fühlt sich derweil seinerseits diskriminiert, weil die Raiffeisenbank dem Trägerverein ein Konto verweigerte.
Anti-Terror-Gesetz: FDP-Delegierte sagen Ja
Worum es geht: Am 13. Juni wird über das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) abgestimmt. Diese Woche hat die FDP die Ja-Parole beschlossen. Der Entscheid fiel deutlich aus: 197 Delegierte sagten Ja, 52 Nein, 5 enthielten sich.
Warum Sie das wissen müssen: Das PMT gibt der Polizei die Möglichkeit, ausserhalb eines strafrechtlichen Verfahrens präventiv gegen terroristische Gefährder vorzugehen, also bevor diese eine Straftat begehen – die Palette reicht von Kontaktverbot bis zu Hausarrest. Einige der Massnahmen können bereits gegen Kinder ab dem 12. Altersjahr verhängt werden. Weil das PMT das Prinzip der Unschuldsvermutung ritzt, ist es aus liberaler Sicht umstritten. Entsprechend hatten die Jungfreisinnigen gemeinsam mit anderen Jungparteien das Referendum gegen das Gesetz ergriffen. Sie setzten auch durch, dass sich die FDP-Basis überhaupt zur Vorlage äussern durfte – der Parteivorstand hatte davon absehen wollen, weil die Fraktion im Parlament geschlossen für das Gesetz votiert hatte. An der ausserordentlichen Delegiertenversammlung setzten sich nun die FDP-Spitze und Justizministerin Karin Keller-Sutter durch, die betonte, ein Gutachten habe die Massnahmen als verfassungs- und völkerrechtskonform taxiert.
Wie es weitergeht: Noch haben nicht alle Parteien ihre Parole gefasst. Das Abstimmungsverhalten im Nationalrat aber zeigt, wie der Graben verläuft: SP, Grüne und Grünliberale sind gegen das Gesetz; FDP, SVP und die Mitte werben für ein Ja.
CO2-Gesetz: Grossteil der Wirtschaft wirbt für Annahme
Worum es geht: Weil ein Wirtschaftskomitee, die SVP, der Gewerbe- und der Hauseigentümerverband mehr als 50’000 Unterschriften gegen die vom Parlament beschlossene Revision des CO2-Gesetzes gesammelt haben, kommt es am 13. Juni zur Volksabstimmung. Weite Teile der Schweizer Wirtschaft werben nun aber für ein Ja: der Dachverband Economiesuisse genauso wie rund 200 Unternehmen und Verbände.
Warum Sie das wissen müssen: Das Komitee «Schweizer Wirtschaft für das CO2-Gesetz» schrieb am Montag in einer Mitteilung: «Ein Nein ist keine Option, bedeutet Stillstand und würde die Schweiz beim Klimaschutz weit zurückwerfen.» Das revidierte CO2-Gesetz arbeite mit Anreizen, orientiere sich an Massnahmen mit Lenkungswirkung und sorge damit für Investitionen und Arbeitsplätze in der Schweiz. Freilich gibt es auch ein Nein-Komitee aus Unternehmerkreisen. Darin sitzen vor allem Verbände von Branchen, die vom Gesetz negativ betroffen wären: etwa Heizöl- und Benzinimporteure, der Autohandel und die Kaminfeger. Insgesamt scheint das Ja-Lager aber bedeutend breiter – seit dem Urnengang über die «Energiestrategie 2050» vor vier Jahren ist die Sensibilität für das Klima auch in der Schweizer Wirtschaft gewachsen. Trotzdem verläuft der Schweizer Kampf gegen den Klimawandel nach wie vor schleppend. Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Umwelt zeigen, dass die CO2-Emissionen im Jahr 2019 kaum sanken, womit die Schweiz das nationale Klimaziel für 2020 nicht erreichen dürfte. Dieses hätte darin bestanden, die Emissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 um 20 Prozent zu reduzieren.
Wie es weitergeht: Das entscheidet sich am 13. Juni. Mit dem revidierten Gesetz soll der Ausstoss von Treibhausgasen bis 2030 auf die Hälfte des Wertes von 1990 sinken. Das ist nötig (aber noch nicht ausreichend), damit die Schweiz bis 2050 das vom Bundesrat verfolgte Netto-Null-Ziel erreicht.
Rahmenvertrag: Wer geht nach Brüssel?
Worum es geht: Der Poker um den Rahmenvertrag mit der EU geht in die nächste Runde. So wird am 23. April eine Bundesratsdelegation nach Brüssel reisen und das versuchen, was der neuen Staatssekretärin Livia Leu bisher nicht gelungen ist: die EU zu Zugeständnissen beim Lohnschutz und der Unionsbürgerrichtlinie bewegen. Die EU ist bis jetzt offenbar nicht gewillt, der Schweiz beim Arbeitnehmerschutz entgegenzukommen.
Warum Sie das wissen müssen: Der Rahmenvertrag mit der EU ist das wichtigste Dossier der Schweizer Europapolitik. Ohne ihn würden die bilateralen Verträge mit der Zeit veralten, da sich die europäische Rechtsprechung verändert. Seit 2014 verhandelt Bern mit Brüssel.
Wie es weitergeht: Das Aussendepartement sucht händeringend nach Angeboten, welche die Bundesratsdelegation der EU-Seite machen könnte. Am Mittwoch hat die Landesregierung beschlossen, dass Bundespräsident Guy Parmelin in den nächsten Tagen nach Brüssel fliegen soll. Nach dem Treffen mit Kommissionspräsidentin von der Leyen soll dann in einer EU-Klausur über das Schicksal des Rahmenvertrags entschieden werden.
Geheimprojekt der Woche
Die Schweizer Armee bringt Pferde zum Fliegen. An einem Super-Puma-Helikopter hängend wurden letzte Woche mehrere Tiere über den Jura transportiert. Offiziell diente die Aktion einem wissenschaftlichen Projekt mit dem Ziel, die Evakuierung verletzter Armeepferde zu trainieren. Tatsächlich aber dürfte etwas anderes hinter dieser Übung stehen. Praktisch zur selben Zeit erschien nämlich ein Bericht, wonach es bei der Beschaffung der neuen Kampfjets Verzögerungen gebe. Wir vermuten darum einen Geheimplan aus dem Verteidigungsdepartement: «Projekt Pegasus». Dieses könnte eine preiswerte Alternative zur Wahrung der Lufthoheit liefern: Statt angreifende Jets mit sündteuren Flugzeugen abzufangen, hängt unser Militär Pferde an Super Pumas und lässt diese dann über dem Cockpit feindlicher Flugzeuge baumeln. Irritation statt Luftkampf – mit dieser Taktik könnte die beste Armee der Welt künftig den Schweizer Luftraum verteidigen. Zumindest solange der Tierschutz das Treiben nicht unterbindet.
Illustration: Till Lauer