Was diese Woche wichtig war

Biden will höhere Steuern für Gross­projekte, Facebook hat wieder Probleme mit einem Datenleck und Erdogan zeigt der Frau ihren Platz

Woche 14/2021 – das Nachrichten­briefing aus der Republik-Redaktion und die aktuelle Corona-Lage.

Von Reto Aschwanden, Ronja Beck, Dennis Bühler, Adrienne Fichter, Oliver Fuchs und Cinzia Venafro, 09.04.2021

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USA: Joe Biden lanciert den «New New Deal»

Darum geht es: Der neue US-Präsident Joe Biden will mit rund 2 Billionen Dollar die Infra­struktur des Landes sanieren. Allein für Brücken und Strassen sind 115 Milliarden vorgesehen, dazu kommen grosse Summen für Solar­energie, E-Mobilität, Schienen­verkehr und die Aufwertung von Gegenden, die historisch benachteiligt wurden. Um all das zu finanzieren, sollen Unternehmen höhere Steuern bezahlen – oder ihre Gewinne überhaupt in den USA versteuern. Das vermeiden viele Firmen bisher, indem sie die Profite in andere Länder verschieben. Am Montag nahm der neue «New Deal» eine erste wichtige Hürde im Senat.

Hat die ganz grossen Pläne: US-Präsident Joe Biden. Alex Wong/Getty Images

Warum das wichtig ist: Der ambitionierteste US-amerikanische Infrastruktur­plan seit Jahrzehnten würde – sollte er durchkommen – die Rolle des Staats in der Wirtschaft fundamental verändern. Dieser ist spätestens seit den 1980er-Jahren auf dem Rückzug. Im Grundsatz war der Konsens in beiden grossen Parteien: Tiefere Steuern und weniger Regulierung führen zu mehr Wirtschafts­wachstum. Kritiker monieren, dass in Bidens Plan auch grosse Beträge für traditionelle Prioritäten der Demokraten enthalten sind, die mit Infra­struktur nichts zu tun haben – wie etwa die Alten­pflege. Bei Wirtschafts­verbänden formiert sich bereits lauter Widerstand gegen die Steuererhöhungen.

Was als Nächstes geschieht: Nachdem der Senat am Montag seine Regeln geändert hat, können die Demokraten im Prinzip dieses Jahr drei weitere Budget­vorlagen mit einfacher Mehrheit verabschieden. Oft scheitern grössere Reformen oder Investitions­projekte daran, dass 60 Senatorinnen dafür stimmen müssen. Aber auch innerhalb von Bidens Partei sind zähe Verhandlungen zu erwarten, es wird Monate dauern bis zur Schluss­abstimmung. Derweil arbeitet die Regierung bereits an einer zweiten Reform­tranche: einem deutlichen Ausbau des Sozialstaats. Insgesamt könnten Bidens Pläne über 4 Billionen Dollar kosten, verteilt über acht Jahre.

Datenleck bei Facebook: Hacker erbeuten Millionen von Telefon­nummern

Darum geht es: Ein Datensatz von 500 Millionen Facebook-Nutzerinnen tauchte letztes Wochenende in einem Hacker­forum auf und ist frei verfügbar. Darunter befinden sich Name, Telefon­nummer und E-Mail-Adresse von Benutzer­konten und je nachdem auch Beziehungs­status und Arbeit­geber. Betroffen sind auch 1,6 Millionen Nutzerinnen aus der Schweiz, darunter Bundesräte, National­rätinnen und hochrangige Bundes­beamte, sowie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

Warum das wichtig ist: Die Publikation des Daten­satzes wird Auswirkungen auf die Privat­sphäre und die Daten­sicherheit der Betroffenen haben. Sie können Opfer von personalisierten und täuschenden SMS oder E-Mail-Phishing-Attacken werden, womit weitere Zugangs­daten wie Passwörter erbeutet werden können. Über den Ursprung des Datenlecks besteht noch Unklarheit, Facebook hat sich noch nicht offiziell geäussert. Gegenüber «Wired» behauptete der Big-Tech-Konzern, die Ursache liege in einer Schwach­stelle des Adressbuch­import-Tools, die im August 2019 behoben worden sei. Davor war es möglich, mittels Eintippen der Telefon­nummer die zugehörigen Facebook-Konten zu finden. Damit hätten sich Cyber­kriminelle auch ohne technisches Wissen schnell einen solchen Datensatz zusammen­bauen können. Facebook wiegelt die Bedeutung des Datenlecks ab, weil es sich um eine «alte Schwachstelle» handle. Ein schwacher Trost: Bei E-Mail-Adressen und Telefon­nummern handelt es sich um dauerhafte persönliche Daten, die für viele Betroffene noch heute aktuell sind.

Was als Nächstes geschieht: Die zuständige irische Daten­schutz­behörde hat im Namen der EU eine Untersuchung angekündigt. Relevant wird auch sein, wie die US-Behörden reagieren und was bei der Ermittlung bezüglich des Zeitraums des Datenlecks heraus­kommt. Denn die US-Aufsichts­behörde Federal Trade Commission hat mit der Milliarden­busse sämtliche Datenschutz­vergehen des sozialen Netzwerks bis Juni 2019 abgegolten. Dass Facebook keine betroffenen User von sich aus benachrichtigte – wie dies seit der 2018 gültigen Datenschutz­grundverordnung der EU Pflicht wäre –, könnte ebenfalls ein juristisches Nachspiel haben.

Brasilien: Corona-Katastrophe sorgt für Unruhe

Darum geht es: Drastischere Worte kann man kaum finden. «Es ist wie ein Kernreaktor, der eine Ketten­reaktion ausgelöst hat und ausser Kontrolle gerät. Es ist ein biologisches Fukushima.» Das sagt Miguel Nicolelis, Neuro­wissenschaftler an der Duke University im US-Bundes­staat North Carolina. Allein am Dienstag starben in Brasilien 4195 Menschen an Covid-19. Das bringt Präsident Jair Bolsonaro zunehmend unter Druck. Er hat die Pandemie stets geleugnet und als «kleine Grippe» abgetan. Bolsonaro nennt Pandemieschutz­massnahmen «diktatorisch».

Der Pandemie-Schrecken nimmt kein Ende: Das grosse Sterben in Brasilien. Victor Moriyama/Bloomberg/Getty Images

Warum das wichtig ist: Bolsonaro verliert an Macht. Der Gouverneur von São Paulo, ein ehemaliger Unter­stützer Bolsonaros, nannte den Präsidenten kürzlich «psychopathisch» und erklärte, dieser habe «unglaubliche Fehler» gemacht. Der Bürgermeister von Rio de Janeiro sperrte aufgrund der dramatischen Entwicklung der Pandemie die Strände. Während sich Bolsonaro weigert, einen Shutdown auszurufen, wird die Situation in den Spitälern des Landes immer bedrohlicher. Nun schwindet auch noch die Unterstützung des Militärs für den Präsidenten. Hintergrund war die Entlassung des Verteidigungs­ministers, was den wachsenden Unmut über Bolsonaro und seinen Umgang mit der Pandemie in der Armee verstärkte. Darum versucht der Präsident derzeit, seinen Einfluss auf das Militär zu erhöhen. Jüngst verkündete er: «Mein Militär wird nicht gegen das Volk vorgehen, das arbeiten will

Was als Nächstes geschieht: Während er vonseiten der Minister unter Druck gerät, baut Bolsonaro seinen Einfluss auf den brasilianischen Sicherheits­apparat aus. Dort kontrollieren paramilitärische Truppen, die mit Bolsonaros Söhnen verbandelt sind, ganze Regionen. Derweil ist in bereits 15 Bundesstaaten das Gesundheits­system kollabiert, die anderen 12 Staaten könnten laut Experten bald folgen.

Medienkonzentration: Tamedia fusioniert Berner Redaktionen

Darum geht es: Der grösste Schweizer Medien­konzern Tamedia legt die Redaktionen der beiden Tages­zeitungen «Bund» und «Berner Zeitung» per Oktober 2021 zusammen. Mit dem schon seit vergangenem Herbst absehbaren Schritt werden knapp drei Dutzend Journalistinnen ihre Arbeit verlieren (abgebaut werden 20 Vollzeit­stellen) – was exakt der aktuellen Redaktions­grösse der Traditions­zeitung «Bund» entspricht. Die Redaktoren sind aufgerufen, sich in den nächsten zwei Monaten an einem Konsultations­verfahren zu beteiligen. Unmittelbar vor den Sommer­ferien erfahren sie dann, ob sie gehen müssen oder bleiben dürfen.

Warum das wichtig ist: Bisher standen «Berner Zeitung» und «Bund» in einem publizistischen Wettbewerb, auch wenn sie seit 2004 zum selben Konzern gehörten – zunächst zu Espace Media, ab 2007 dann zu Tamedia. Nun ändert sich das, auch wenn beide Zeitungs­titel erhalten werden und der Konzern deshalb immer noch behauptet, es handle sich auch weiterhin um «separate Angebote, die ihr eigenes Publikum ansprechen». An einer internen Informations­veranstaltung sprach «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz am Donnerstag Klartext: «Wir dürfen uns nichts vormachen: Faktisch entsteht eine Monopol­redaktion.» Für die Deutsch­schweiz und die Bundes­stadt im Speziellen ist die De-facto-Fusion von «Bund» und «Berner Zeitung» ein weiterer herber Schlag in der an Hiobs­botschaften reichen Chronologie der Medienkonzentration. «Das ist ein schwarzer Tag für den Medienplatz Bern», liess sich Stadt­präsident Alec von Graffenried zitieren. An Tamedia übte er scharfe Kritik: Der Verlag gewichte die eigenen wirtschaftlichen Interessen höher als die medien­politische Verantwortung.

Was als Nächstes geschieht: Das definitive Ende der Tamedia-internen Medien­vielfalt im Raum Bern dürfte neuen Medien­projekten Auftrieb verleihen. So hat der Verein «Courage civil» am Donnerstag erneut bekräftigt, ein Online­medium gründen zu wollen, das zurzeit den Arbeitstitel «Neuer Berner Journalismus» trägt; zudem erwägt der Schaffhauser Verleger Norbert Bernhard, eine kostenlose Print­zeitung zu lancieren, für die er 50 Millionen Franken auftreiben will.

Der Corona-Lagebericht

Willkommen im Limbo. Der Schweizer Bundesrat hat Kriterien sowohl für Lockerungen wie auch für Verschärfungen definiert – und derzeit sind die Zahlen, plakativ gesagt, «zu hoch zum Aufmachen, zu tief zum Zumachen». Neue Entscheide dazu dürfte es frühestens Ende nächster Woche geben.

Das ist wohl sinnvoll, denn die neusten Infektions­zahlen sind wegen der Oster­feiertage (an denen weniger getestet und gemeldet wurde) etwas weniger aussage­kräftig als sonst. Im Schnitt werden derzeit jeden Tag 1600 Menschen positiv getestet, das sind etwa 200 weniger als in der Vorwoche.

Ganz leichte Entspannung bei den bestätigten Infektionen

Positiv getestete Personen: gleitender Mittelwert über 7 Tage

15. Oktober 201. Januar 215. April 2102000400060008000 Personen

Die Daten nach dem 5. April sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berück­sichtigt. Stand: 8. April 2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit.

Zuverlässiger ist die Zahl der Spital­einweisungen. Hier zeigt der Trend leider weiter nach oben. Und was sich vergangene Woche noch eher anekdotisch andeutete, bestätigte diese Woche auch das BAG: Die Patientinnen auf den Intensiv­stationen werden jünger.

Mehr und mehr Menschen im Spital

Spitaleinweisungen: gleitender Mittelwert über 7 Tage

15. Oktober 201. Januar 211. April 21050100150200 Personen

Die Daten nach dem 1. April sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berück­sichtigt. Stand: 8. April 2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit

In Deutschland rechnet die Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin, Divi, unterdessen damit, dass auf dem Höhepunkt dieser Welle (Anfang Mai) mindestens gleich viele Menschen auf der Intensiv­station liegen werden wie zur schlimmsten Zeit im Winter. Sollten nicht bald überall wo nötig neue konsequente Schliessungen kommen, werde diese Welle gemäss ihrer Modellierung sogar deutlich schlimmer als die letzte. Städte wie Bonn, Bremen und Köln hätten bereits jetzt kaum noch freie Betten.

Kanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs planen, am kommenden Montag wieder zusammen­zukommen. Unterdessen erwägt die Bundes­regierung nun sogar, den Ländern die Hoheit über die Massnahmen zu entziehen. Italien, Österreich und Frankreich hatten alle vor Ostern Verschärfungen erlassen.

Zum Schluss: Auf die billigen Plätze, fertig, los …

Wenig ist bei Treffen von Polit­grössen so heikel wie die Sitzordnung. Wer wo und mit wem Platz nehmen darf, markiert den Rang und die Hackordnung. Und so reagierte EU-Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen mit einem unüberhörbaren «Ähhm», als Präsident Recep Tayyip Erdoğan sie beim Arbeits­besuch in der Türkei auf ein meterweit entferntes Sofa verwies – während er den EU-Rats­präsidenten Charles Michel im Sessel neben sich platzierte. «Sofa-Gate» war geboren, der wenige Sekunden lange Videoclip mit der irritierten Spitzen­diplomatin geht viral. Die Verbannung von der Leyens aufs Sofa sei typisch für Erdoğans frauen­feindliche Haltung, so seine Kritiker. Ankara betont, es sei protokollarisch alles richtig gewesen. Trotzdem sagt von der Leyens Sprecher, man werde «sicherstellen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt». Wir finden: wenn schon Kinder­garten, dann richtig. Spielt das nächste Mal «Reise nach Jerusalem». Wetten, dass Frau von der Leyen dem Herrn Erdoğan den Stuhl unter dem Hintern wegschnappen würde?!

Was sonst noch wichtig war

  • Italien: In Sizilien haben Staats­anwälte Journalisten bespitzeln lassen, die zur Migration übers Mittelmeer recherchierten. Dabei legten sie eigentliche Fichen an. Das Justiz­ministerium will die Affäre nun untersuchen.

  • Nordirland: Bei Krawallen in Belfast und anderen Städten an mehreren Tagen nacheinander wurden Dutzende von Polizisten verletzt. Die Behörden machen protestantisch-loyalistische Gruppen und kriminelle Gangs für die Gewalt verantwortlich. Die nordirische Regierung berief eine Notfall­sitzung ein.

  • Kosovo: Vjosa Osmani wurde zur Präsidentin gewählt. Die 38-jährige Juristin hatte das Amt schon im November vorläufig übernommen, nachdem Hashim Thaçi zurück­getreten war. In der neuen Regierung leiten Frauen 6 von 15 Ressorts, im Parlament stellen sie ein Drittel der Abgeordneten.

Die Top-Storys

Trump First Manchmal Nationalist, dann peacemaker: In aussen­politischen Angelegenheiten hat Donald Trump während seiner Präsidentschaft verschiedene Mäntelchen angezogen. Am Ende gings wohl immer um ihn selbst. In einer dreiteiligen Doku, zu sehen in der Arte-Mediathek, resümieren Wegbegleiterinnen und Politiker die vier Jahre des trumpschen Wahnsinns.

Eine Motorrad­fahrt in die Hölle Nachdem er auf dem Töff durch die Wüste Lut im Iran gereist ist, will er über die Türkei zurück in die Schweiz. So wie immer, es ist nicht seine erste Reise durch den Iran. Doch die Beamten an der Grenze haben einen anderen Plan für ihn. Der «Tages-Anzeiger» erzählt die albtraumhafte Geschichte eines Zürcher Oberländers, dessen Motorrad­tour im Gefängnis endet, wo er gefoltert und missbraucht wird.

Hinter den Kulissen einer «Jugendbewegung» Die Bewegung «Mass-Voll» hat sich nach eigenen Angaben den Anliegen der Jugend in dieser Pandemie verschrieben – «sachlich und evidenzbasiert» agiere man. «Megafon», die Zeitung aus der Berner Reitschule, hat die «Jugendbewegung» durchleuchtet. Und gar nicht mal so sachliche und evidenz­basierte Dinge gefunden.

Illustration: Till Lauer

Was diese Woche wichtig war

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