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Eine kleine Revolution im Gesundheits­system

Psychotherapeuten dürfen nach einem jahrelangen Kampf künftig direkt mit den Kranken­kassen abrechnen. Dass dieser Entscheid jetzt gefällt worden ist, hängt auch mit der Pandemie zusammen.

Von Olivia Kühni, 22.03.2021

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Für viele Ärzte war es ein gutes Geschäft, für Psycho­therapeutinnen eine ständige Abhängigkeit: Bis heute konnten diese ihre Therapie­tätigkeit nie selber mit der Kranken­kasse abrechnen, sondern mussten dafür stets unter der Aufsicht einer Ärztin arbeiten. Darum führten viele von ihnen keine unabhängige Praxis, sondern liessen sich von einem Psychiater anstellen – ein kompliziertes und bürokratisches Modell.

Die Republik berichtete bereits 2019 und im Pandemie­frühling 2020 noch einmal über die ärgerlichen Folgen: zu wenige Therapie­plätze, weil manche Psychiaterinnen wegen des grossen Aufwands der Aufsichts­pflicht entweder gar keine oder nur wenige Psychologen anstellen.

Zum Hintergrund: Die einsame Volks­krankheit

Psychische Krankheiten sind so verbreitet wie die Grippe: Sie reissen grosse Löcher in Biografien. Und in die Volkswirtschaft. Und wenn wir den Zugang vereinfachten, würden dann die Kosten dann noch mehr explodieren?

Seit vielen Jahren kämpfen die Psychologinnen deshalb dafür, nach einer Überweisung vom Arzt selber direkt mit den Kassen abrechnen zu können – so, wie das beispiels­weise bei der Physio­therapie seit langem möglich ist.

«Grosse Freude»

Jetzt haben sie Grund zu «grosser Freude», wie die psychologischen Fachverbände schreiben. Am vergangenen Freitag ist vom Bundesrat die Nachricht gekommen: Ja, Psycho­therapeuten dürfen künftig nach der Anordnung eines Arztes selber abrechnen. «Dadurch erhalten Menschen mit psychischen Problemen einfacher und schneller Zugang zur Psycho­therapie», heisst es in der Medienmitteilung.

Der Entscheid kommt einer kleinen Revolution gleich.

Einerseits greift er das im Schweizer Gesundheits­wesen vielerorts stark verankerte Macht­ungleich­gewicht zwischen Ärzten und anderen Therapeuten an. Gleichzeitig anerkennt der Bundesrat in seiner Mitteilung in seltener Deutlichkeit auch die grosse Bedeutung, die psychische Krankheiten heute in der Schweiz haben. «Psychische Störungen zählen zu den häufigsten und am meisten einschränkenden Krankheiten», hält er fest. «Erhebungen und Schätzungen belegen, dass im Laufe eines Jahres bei bis zu einem Drittel der Schweizer Bevölkerung eine psychische Krankheit eintritt, die in den meisten Fällen behandelt werden sollte.»

Die Covid-Pandemie dürfte den seit Jahren ausstehenden Entscheid des Bundes­rats zumindest beschleunigt haben. Viele Menschen berichten zurzeit infolge der Pandemie von einer höheren psychischen Belastung, besonders Kinder- und Jugendpsychiatrien sind überlastet. Das stellte im November 2020 auch ein Bericht fest, den das BAG in Auftrag gegeben hatte.

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