Zur Krisenzeit nur Blitz-Therapie
Mitten in der Krise klemmen Krankenkassen Onlinetherapien bei Psychologen nach einer Stunde pro Monat ab.
Von Olivia Kühni, 14.04.2020
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Die Isolation in der Corona-Krise macht vielen Menschen auch psychisch zu schaffen. Gerade jetzt wäre die Unterstützung von Psychotherapeuten besonders wichtig. Das gilt speziell – aber nicht nur – für Leute, die bereits vor der Ausnahmesituation in Therapie waren. Persönliche Sitzungen bei der Therapeutin sind im Moment zwar nicht möglich – immerhin aber könnten die Fachleute über Videochat oder Telefon Halt bieten.
Doch nun informierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Fachverbände, dass die Krankenkassen solche Unterstützung nur in begrenztem Mass finanzieren würden. In normalen Zeiten bezahlen sie pro Halbjahr 240 Minuten Therapie über Telefon oder ähnliche Mittel. Diese Limite wird während der Corona-Pandemie auf 360 Minuten angehoben: Nach gerade mal einer Stunde pro Monat wird abgeklemmt. Es gibt auch keine Ausnahmen für Patientinnen vor dem Schulalter und über dem Alter von 75 Jahren.
Protestbrief der Psychologen
Die neu publizierten Regeln des BAG gelten allerdings nur für Psychologen. Für ärztliche Therapeutinnen galt schon vor der Pandemie: Sie dürfen telefonisch oder mit anderen Fernmitteln therapieren, so viel sie dies für nötig halten. Von den Fachverbänden der Psychologen kommt deshalb jetzt heftiger Widerstand: Sehr viele Patientinnen würden in der Schweiz von psychologischen Therapeuten, nicht von Ärzten begleitet, schrieben sie in einem Protestbrief an Innenminister Alain Berset. Es dürfe nicht sein, dass diese Patienten derart diskriminiert würden. Man bitte «dringend darum», die Telefonlimite für die Dauer der Pandemie aufzuheben.
Würden bereits laufende Therapien unterbrochen, könne dies zu «akuten Notfällen» oder «der Chronifizierung von psychischen Problemen» führen, schreiben auch der Fachverband FSP und die Stiftung Pro Mente Sana in einer gemeinsamen Mitteilung. Sie argumentieren nicht nur mit dem Wohlergehen der Bürgerinnen, sondern auch mit den Kosten: «Unter dem Strich besteht die Gefahr, dass psychische Erkrankungen sich verschlimmern und die Behandlungskosten sich mittelfristig erhöhen.»
Nur «die komplexeren Fälle»
Das Bundesamt für Gesundheit hält in einer Stellungnahme gegenüber der Republik fest, dass die Möglichkeiten zur Rechnungsstellung auch in normalen Zeiten für psychologische Therapeutinnen andere sind als für Psychiater (also Fachärzte). Von einer Beschränkung zu sprechen, sei wegen der Erhöhung auf 360 Minuten nicht korrekt. Da es keine weiteren Vorgaben gebe, sei auch eine stärkere Beanspruchung zu Anfang möglich, mit der Annahme, dass Therapien später wieder vermehrt in der Praxis stattfinden könnten. Es sei für Patienten «in dringlichen Fällen» ausserdem weiterhin möglich, die Leistungserbringer in ihrer Praxis aufzusuchen.
Bereits jetzt betreuten vor allem Psychiaterinnen und ärztliche Psychotherapeuten «die komplexeren Fälle», hält das BAG weiter fest. Als Fazit schreibt die Behörde: «Die Empfehlungen des BAG sollen eine gesamtschweizerisch einheitliche Praxis sicherstellen. Die bestehenden Limitationen für Leistungen auf räumliche Distanz wurden dort erhöht, wo der Bedarf ersichtlich ist und dringliche Interventionen zu vermuten sind. Dies ist insbesondere bei Angeboten für Patienten mit psychischen Leiden der Fall, deshalb die diesbezüglichen Empfehlungen.»
Tatsächlich hat die Ungleichbehandlung von psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten Tradition und zieht sich durch das ganze System: Psychologinnen müssen immer eine Ärztin dazwischenschalten, um mit der obligatorischen Krankenversicherung abrechnen zu können – ein Modell, das zu viel Bürokratie und Engpässen führt. Erst seit letztem Sommer erwägt der Bundesrat, dass Psychologen (immer noch bei einer ärztlichen Anordnung der Therapie) selbstständig Rechnung stellen können. Auf diese Weise, hielt er damals fest, «können Versorgungsengpässe bei Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen in Krisen- und Notfallsituationen reduziert werden».